Urteil des BPatG vom 24.06.2010

BPatG (stand der technik, bundesrepublik deutschland, wert, funktion, patentanspruch, erfindung, fachmann, gegenstand, wirkung, speicher)

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
10 Ni 4/10 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
23. September 2010
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 146 191
(DE 600 20 078)
hat der 10. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bun-
despatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2010 un-
ter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schülke, der Richterin Püschel sowie
der Richter Dipl.-Ing. Schneider, Dipl.-Ing. Hildebrandt und Dipl.-Ing. Küest
für Recht erkannt:
I.
Das europäische Patent 1 146 191 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang
seines Patentanspruchs 1 für nichtig erklärt.
II.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des auch mit Wirkung für die Bundesrepu-
blik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 146 191 (Streitpatent), das am
13. Oktober 2000 unter Inanspruchnahme der Priorität der spanischen Anmeldung
ES 9902334 vom 22. Oktober 1999 angemeldet worden ist und vom Deutschen
Patent- und Markenamt unter der Nummer 600 20 078 geführt wird. Das in der
Verfahrenssprache Englisch veröffentlichte Streitpatent betrifft "Verbesserungen
an Klemmschutzvorrichtungen für Autos" und umfasst 7 Patentansprüche. Der mit
der Nichtigkeitsklage allein angegriffene Patentanspruch 1 lautet in der deutschen
Übersetzung gemäß der Patentschrift wie folgt:
- 3 -
"Einklemmsicherungssysteme für Automobile, bestehend aus
Kontrollmitteln (1) für den Betrieb des Motors (3), für die Bedie-
nung der Fensterscheiben (11) bzw. des Schiebedachs eines
Kraftfahrzeugs, wobei besagte Kontrollmittel (1) aktiviert werden,
sobald irgendeine Veränderung während des normalen Betriebs
des Systems festgestellt wird. Das Einklemmsicherungssystem
umfasst darüber hinaus ein Motormodul (2), ein Reduktionsmodul
und ein elektronisches Steuerungsmodul, wobei das Steuerungs-
modul (2) einen mindestens 8-poligen Motor und das elektroni-
sche Modul Hallsensoren (9, 10) aufweist, die für die Geschwin-
digkeitsregelung des Motors (3) vorgesehen sind und bei jeder
Wellenumdrehung des Motors (3) eine bestimmte Impulszahl aus-
senden, wobei die Kontrollmittel (1) auf das Motormodul (2) als
Funktion der Drehzahl des Motors (3) oder als Funktion der Aus-
gleichsstromstärke wirken, nämlich durch Betriebsstopp und/oder
dadurch gekennzeichnet
elektronische Modul des Einklemmsicherungssystems eine
Schaltung mit einem MOSFET (4), einem Relais (5), einem pro-
grammierbaren Mikroprozessor (6), Verdichtern auf einer Mehr-
schichtplatte sowie einen programmierbaren EEPROM-Speicher
aufweist und in der Lage ist, die mechanische Wirkung, die durch
eine mechanische Verformung des Systems hervorgerufen wird,
durch Abspeichern eines für jeden Zyklus des Fensterendan-
schlags neuen Wertes, der den vorhergehenden Wert des zurück-
gelegten Wegs zum oberen und unteren Endanschlag aktualisiert,
auszugleichen."
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streit-
patents sei im angegriffenen Umfang gegenüber dem Stand nicht patentfähig, da
er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, zudem sei er nicht ausführbar.
- 4 -
Sie beruft sich hierzu auf folgende Druckschriften:
NK4:
JP 07-067 293
NK5:
DE 295 10 688 U1
NK6:
DE 90 06 924 U1
NK7:
DE 198 04 175 A1
NK8:
DE 40 33 454 A1
NK9:
DE 198 35 091 C1
NK10:
DE 195 27 456 B4
NK11:
DE 694 01 249 T2.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 1 146 191 im Umfange seines An-
spruchs 1 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik
Deutschland für nichtig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte tritt in der mündlichen Verhandlung den Ausführungen der Klägerin
in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent gegenüber dem Stand der
Technik für patentfähig und auch ausführbar.
- 5 -
Entscheidungsgründe
Die Klage, mit der die in Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 IntPatÜG, Art. 138
Abs. 1 lit. a und lit. b EPÜ i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ vorgesehenen Nichtigkeits-
gründe der mangelnden Patentfähigkeit und mangelnden Ausführbarkeit geltend
gemacht werden, ist zulässig und in beantragtem Umfang begründet. Der Ge-
genstand des Streitpatents ergibt sich, soweit es angegriffen ist, in naheliegender
Weise aus dem Stand der Technik.
I.
Das Streitpatent betrifft Einklemmsicherungssysteme für Automobile, bestehend
aus Kontrollmitteln für den Betrieb des Motors, für die Bedienung der Fenster-
scheiben bzw. des Schiebedachs eines Kraftfahrzeugs, wobei besagte Kontroll-
mittel aktiviert werden, sobald irgendeine Veränderung während des normalen
Betriebs des Systems festgestellt wird.
In
der
Streitpatentschrift
- auf
die
deutsche
Übersetzung
gemäß
DE 600 20 078 T2, deren Richtigkeit nicht bezweifelt ist, wird nachfolgend Bezug
genommen - ist ausgeführt, dass herkömmliche Betriebssysteme, zum Beispiel die
Fenster eines Autos oder das Schiebedach eines Automobils, typischerweise ei-
nen Elektromotor enthalten, der die Riemenscheibe und die Kabel des Glases
oder des elektrischen Fensters betreibt und das Glas zwingt, sich auf- oder ab-
wärts in den Innenseiten der jeweiligen in der Tür oder im Rahmen des Automobils
installierten Führungen und Anschlussstücke gleitend zu bewegen. (Absatz
[0001]). Diese Systeme tragen normalerweise die sogenannten Einklemmsiche-
rungssysteme, die aus Kontrollmitteln bestehen, die normalerweise auf den Elekt-
romotor des Betriebssystems einwirken, wenn irgendeine Art von Blockierung des
Fensterglases oder des Schiebedachs detektiert wird (Absatz [0002]).
- 6 -
Gemäß Absatz [0003] existieren Einklemmsicherungssysteme, sogenannte direkte
elektronische Einklemmsicherungssysteme, die an einem elektrischen Fenster,
einem Schiebedach oder ähnlichen Vorrichtungen angebracht werden können, die
im wesentlichen darauf basieren, dass die Innenseite des Fensterrahmens eines
Automobils mit einem Film überzogen ist, welcher mit einem Lichtwellenleiter aus-
gestattet ist. Wenn die Glasscheibe sich nach oben bewegt und ein Hindernis zwi-
schen ihrem oberen Rand und dem Fensterrahmen findet, zum Beispiel die Hand
einer Person, presst die Glasscheibe das Hindernis gegen den Überzug des
Rahmens. Wenn dies passiert, wird der in dem Lichtwellenleiter zirkulierende
Lichtfluss in einer Weise verändert, dass ein Signal an ein Kontrollmittel gesendet
wird, die dieses mit bestimmten voreingerichteten Referenzwerten vergleicht. Da-
durch erreicht man das Anhalten und die Richtungsumkehrung der Vorwärtsbe-
wegung der Glasscheibe nach oben und ermöglicht die Befreiung des Hindernis-
ses.
Die Streitpatentschrift verweist als Stand der Technik für derartige Einklemmsiche-
rungssysteme auf die JP 07-067 293 (NK4) und die DE 295 10 688 (NK5).
Die JP 07-067 293 bezieht sich auf einen Antriebsmotor für Fenster mit elektri-
schen Fensterhebern, der einen Motorblock zum Antrieb einer Fensterscheibe
aufweist, der mit einem Getriebe gekoppelt ist, das ein Anschlagelement enthält.
Ein Schneckenrad ist mit einem Magneten ausgestattet und ein Hall 10 ist auf dem
Anschlagelement befestigt. Wenn das Schneckenrad durch den Motor gedreht
wird, werden Impulse von dem Hall 10 gegeben. Ein ECU zählt die Pulse und
steuert den Motor derart, dass er eine Klemmschutzmessung vornimmt, wenn die
Anzahl der Pulse kleiner ist als ein voreingestellter Wert. Erreicht die Anzahl der
Pulse diesen Wert, führt der Motor die besagte Klemmschutzmessung nicht aus
(Absatz [0004]).
Die DE 295 10 688 offenbart eine Vorrichtung zum Antrieb einer Fensterscheibe
eines Motorfahrzeugs. Mithilfe von Einzelkalibrierung wird eine der beiden Endpo-
sitionen festgelegt durch Bewegung der Glasscheibe. Zu diesem Zweck wird für
- 7 -
den Fall des Antreibens des Fensteraufzugs oder des Schiebedachs die endgül-
tige Schließposition festgestellt, in die das Verschlussglied trotz des Dämpfungs-
gliedes, dank der Dichtung, auf gedämpfte Weise vordringen kann. Die andere
Endposition, die Schließposition, wird dann vom Hub des Fensters oder des
Schiebedachs bestimmt, zum Beispiel mithilfe eines Stufensensors, so dass durch
die zugehörige Steuergeräteanpassung der das Verschlussglied antreibende Elek-
tromotor ausgeschaltet werden kann, bevor die andere Endposition erreicht ist und
das Verschlussglied ohne Stoßlast dank seiner eigenen kinetischen Energie in
seine definitive Endposition bewegt werden kann (Absatz [0005]).
Gemäß Absatz [0006] besteht die Aufgabe der vorliegenden Erfindung in der An-
ordnung von Verbesserungen, die auf das indirekte Einklemmsicherungssystem
anwendbar sind, d. h. solche, die die Arbeitsweise des Motors analysieren und
steuern. Diese Analyse ist auf eine Weise durchgeführt, dass jegliche Änderung
von vorbestimmten erwarteten Werten für vorbestimmte Situationen vom System
als mögliches Klemmen oder Anomalie in der normalen Funktion des Systems ge-
wertet wird.
Allgemein gesprochen weist gemäß Absatz [0007] ein Einklemmsicherungssystem
gemäß der vorliegenden Erfindung Kontrollmittel zur Betriebsweise des Motors
auf, der das Fenster oder das Schiebedach eines Automobils betreibt, die beim
Aufspüren irgendeiner Änderung in der normalen Arbeitsweise des Systems akti-
viert werden.
Die in dem Einklemmsicherungssystem vorgestellten Verbesserungen bestehen
gemäß Absatz [0008] darin, dass das Einklemmsicherungssystem aus einem
Motormodul, einem Reduktionsmodul und einem elektronischen Steuerungsmodul
besteht und das Motormodul einen Motor mit n Polen aufweist. Präziser besteht
das Motormodul aus einem Motor mit mindestens acht Polen. Das Elektronikmo-
dul besteht aus Hall-Sensoren, die dazu bestimmt sind, die Motorgeschwindigkeit
zu regulieren und eine Anzahl von Pulsen für jede Drehung des Motors auszusen-
den. Die Kontrollmittel wirken auf das Motormodul entweder als Funktion der
- 8 -
Drehzahl des Motors selbst oder als Funktion der Intensität des zirkulierenden
Stroms, bei dem es seinen Betrieb anhält und/oder die Richtung dreht.
Diese Verbesserungen ermöglichen einerseits (Absatz [0009]) ein sicheres und ef-
fizientes Einklemmsicherungssystem, das in der Lage ist, die jedes Mal strengeren
internationalen Standards zu befriedigen, die sich auf Automobile und die Sicher-
heit der Nutzer derselben beziehen und die mit jedem Tag eine gesteigerte Sensi-
tivität dieser Systeme fordern. Mit den Verbesserungen der vorliegenden Erfin-
dung sind diese Ziele erreicht und es ist gleichzeitig möglich, jegliche ungewöhnli-
che Situation des Systembetriebs vorauszusehen und aufzuspüren. In diesem Sin-
ne ermöglichen die Verbesserungen, die für das indirekte mit Hall-Sensoren aus-
gestattete Einklemmsicherungssystem der vorliegenden Erfindung vorgestellt
wurden, befriedigende Standards wie den amerikanischen Standard FMVSS118,
welcher eine höhere Empfindlichkeit des Systems fordert. Die in den Vereinigten
Staaten unter Berücksichtigung solcher Standards durchgeführten Tests sind mit
einer Feder mit einer Steifigkeitskonstante von k = 65 N/mm durchgeführt worden,
was einem um das 6,5-fach höheren Wert als dem der in Europa benutzten Fe-
derkonstanten für den gleichen Test entspricht, was impliziert, dass in Europa eine
weichere Feder als die in den amerikanischen Standards benutzte zugelassen ist,
die auf der anderen Seite durch den Systemgegenstand der vorliegenden Erfin-
dung befriedigt wird (Absatz [0010]).
Die Verbesserungen ermöglichen andererseits aber auch (Absatz [0039]), dass
die durch die mechanische Deformation des Getriebes oder die Elastizität des
Systems produzierten mechanischen Effekte dank der Verbesserungen durch das
Einklemmsicherungssystem der vorliegenden Erfindung kompensiert werden. Sol-
che Deformationen erzeugen immer einen zunehmenden Wert aufgrund der Tat-
sache, dass es eine plastische Verformung ist, die immer zunehmend ist, da im
umgekehrten Fall elastische Deformationen vorhanden sein sollten, die nicht dem
Gegenstand der Systemerfindung entsprechen. Bei jedem Stoppzyklus des
Fensters speichert der EEPROM-Speicher den neuen Wert der aktuellen Wegpo-
sition des Fensters aufgrund mechanischer Abweichungen. Mit dieser Berechnung
- 9 -
wird außerdem die Wegposition des oberen Rahmens und die Wegposition für das
weiche Anhalten aktualisiert.
II.
Als Fachmann beschäftigte sich mit dem technischen Gebiet des Streitpatents im
Anmeldezeitpunkt ein Ingenieur mit langjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet
der Mechatronik, der über fundierte Kenntnisse in den Bereichen von Maschinen-
bau, Elektronik und Software verfügt. Das Verständnis dieses Fachmanns ist Maß-
stab sowohl für die Auslegung des Patentanspruchs als auch für die Beurteilung
der erfinderischen Tätigkeit.
Bei Zugrundelegung dieses fachmännischen Verständnisses i. V. m. den Erläute-
rungen in der Streitpatentschrift ist insbesondere der in der mündlichen Verhand-
lung kontrovers diskutierte Begriff "8-poliger Motor" als "Motor mit 8 Magnetpolen"
zu verstehen. Ob die Magnetpole - wie die Beklagte meint - von den acht Pol-
schuhen des Motors gebildet werden oder - wie die Klägerin meint - als separate
Magnetpole an dem Motor oder einem seiner Bestandteile vorgesehen sind, kann
dabei offen bleiben, da es hierauf vorliegend nicht ankommt. Denn Voraussetzung
für den patentgemäß gewünschten Erfolg ist ausschließlich der Umstand, dass
acht Magnetpole als Geber für den Hall-Sensor vorhanden sind. Wie sich auch
unter Zuhilfenahme des Abs. [0011] der Streitpatentschrift ergibt, soll jede Dre-
hung der Motorwelle acht Impulsen des Hall-Sensors entsprechen, was nur dann
der Fall ist, wenn acht Signalgeber für den Hall-Sensor vorhanden sind. Nur unter
dieser Prämisse macht auch die in Abs. [0011] angegebene Gleichung Sinn, durch
die nachgewiesen wird, dass durch eine Verdoppelung der Pole von 4 auf 8 die
Auflösungsgenauigkeit von 1 mm auf 0,57 mm verbessert werden kann. Wo die
Signalgeber für den Hall-Sensor im einzelnen angeordnet sind, ist dabei neben-
sächlich.
- 10 -
Die vorstehende Interpretation des fraglichen Merkmals geht im Übrigen auch
konform mit der Formulierung im seitens des Beklagten widerrufenen Vergleich,
wo es in Abs. II heißt:
"… deren Motormodul einen Motor mit mehr als 6 Polen aufweist,
wobei darunter ein permanent erregter Elektromotor zu verstehen
ist, der statorseitig über eine entsprechende Anzahl von Magnet-
polen verfügt."
Auch das Verständnis des letzten Merkmals des Patentanspruchs 1, beginnend
mit "… und in der Lage ist, die mechanische Wirkung …", ist unter den Parteien
streitig. Da auf dieses Merkmal einzig in den Abs. [0012] und [0040] der Streitpa-
tentschrift eingegangen wird, dort aber mehr oder weniger lediglich der Wortlaut
des Patentanspruchs 1 wiederholt wird, muss zur Interpretation auf das allge-
meine Fachwissen des hier zuständigen Fachmannes zurückgegriffen werden.
Dieser wird das fragliche Merkmal nach Auffassung des Senat so verstehen, dass
verschleiß- und/oder verformungsbedingte Veränderungen einer Endposition des
Fensters/Schiebedachs dadurch ausgeglichen werden, dass bei jedem Erreichen
einer Endposition der Wert für die alte Endposition mit dem Wert der aktuellen
Endposition überschrieben wird, so dass in dem Speicher immer der Wert für die
aktuelle Endposition gespeichert ist. Zwar spricht der Patentanspruch 1 im Zu-
sammenhang mit diesem Merkmal von einem "Zyklus" und von "aktualisieren", je-
doch handelt es sich bei diesen Begriffen nach dem Verständnis des Senats ledig-
lich um Umschreibungen des vorstehend klargestellten Sachverhalts.
Unter Zugrundelegung der vorstehenden Klarstellungen ist der Patentanspruch 1
für den hier zuständigen Fachmann wie folgt zu verstehen:
1.
Einklemmsicherungssystem für Automobile.
2.
Das Einklemmsicherungssystem weist auf
- 11 -
-
ein elektronisches Steuerungsmodul für den Betrieb
des die Fensterscheiben bzw. das Schiebedach betäti-
genden Motors,
-
ein Motormodul und
-
ein Getriebe.
3.
Das elektronische Steuerungsmodul wird aktiviert, sobald ir-
gendeine Veränderung während des normalen Betriebs des
Systems festgestellt wird.
4.
Das Motormodul weist einen Motor mit mindestens
8 Signalgebern für die Hall-Sensoren auf.
5.
Das elektronische Steuerungsmodul weist auf
-
Hallsensoren,
-
eine Schaltung mit einem MOSFET,
-
ein Relais,
-
einen programmierbaren Mikroprozessor,
-
Kondensatoren auf einer Mehrschichtplatte und
-
einen programmierbaren EEPROM-Speicher.
6.
Die Hallsensoren sind für die Geschwindigkeitsregelung des
Motors vorgesehen und senden bei jeder Wellenumdrehung
des Motors eine bestimmte Impulszahl aus.
7.
Das elektronische Steuerungsmodul wirkt auf das Motormo-
dul als Funktion der Drehzahl des Motors oder als Funktion
der Ausgleichsstromstärke, nämlich durch Betriebsstopp
und/oder Umkehr der Drehrichtung.
8.
Das elektronische Steuerungsmodul ist in der Lage,
Veränderungen
einer
Endposition
des
Fens-
ters/Schiebedachs dadurch auszugleichen, dass bei jedem
Erreichen einer Endposition der Wert für die alte Endposition
mit dem Wert der aktuellen Endposition überschrieben wird.
- 12 -
III.
Der so verstandene Gegenstand des Streitpatents erweist sich als nicht patentfä-
hig.
Es mag dahinstehen, ob das beanspruchte Einklemmsicherungssystem nach Pa-
tentanspruch 1 neu und so vollständig und ausreichend offenbart ist, dass ein
Fachmann es ausführen kann, sein Gegenstand beruht zumindest nicht auf einer
erfinderischen Tätigkeit.
Der Patentanspruch 1 beinhaltet zwei voneinander unabhängige Erfindungen, die
keinen synergetischen Gesamteffekt hervorbringen, zumindest ist ein solcher we-
der in der Streitpatentschrift erläutert, noch in der mündlichen Verhandlung über-
zeugend dargelegt worden. Somit bleibt offen, in welchem Zusammenhang das
letzte Merkmal des kennzeichnenden Teils, wonach das elektronische Steue-
rungsmodul in der Lage ist, Veränderungen einer Endposition des Fens-
ters/Schiebedachs dadurch auszugleichen, dass bei jedem Erreichen einer End-
position der Wert für die alte Endposition mit dem Wert der aktuellen Endposition
überschrieben wird, mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs 1 steht.
Gemäß der streitgegenständlichen Beschreibung, insbes. den Abs. [0008], [0011]
und [0050] bis [0056] scheint die Ausgestaltung des Motors mit 8 Signalgebern in
Verbindung mit den Bauteilen des elektronischen Steuerungsmoduls, d. h. die
Merkmale 1 bis 7 gemäß dem vorstehenden klargestellten Patentanspruch 1, eine
kürzere Ansprechzeit beim Erkennen eines Einklemmzustandes zu ermöglichen.
Das letzte Merkmal, Merkmal 8, hat jedoch offenbar mit diesem Themenkomplex
nichts zu tun und auch die streitgegenständliche Beschreibung bringt hier keine
Klarheit. Das Merkmal 8 ist in der Beschreibung lediglich an zwei Stellen, nämlich
in den Abs. [0012] und [0040] erwähnt, ohne jedoch einen Bezug zu der Ein-
klemmsicherung aufzuzeigen. Aus dem Wortlaut des fraglichen Merkmals lässt
sich allenfalls entnehmen, dass durch dieses Merkmal der Ausgleich mechani-
scher Verformungen erreicht werden soll.
- 13 -
Aus der seitens der Klägerin genannten NK 4 ist bekannt ein (vgl. insbes. den
Abstract)
1.
Einklemmsicherungssystem (jam protection) für Automo-
bile.
2.
Das Einklemmsicherungssystem weist auf
-
ein elektronisches Steuerungsmodul für den Betrieb
des die Fensterscheiben bzw. das Schiebedach be-
tätigenden Motors (ECU for driving and controlling
the motor),
-
ein Motormodul (drive motor 14) und
-
ein Getriebe (gear box 32).
3.
Das elektronische Steuerungsmodul wird aktiviert, sobald
irgendeine Veränderung während des normalen Betriebs
des Systems festgestellt wird.
5.
Das elektronische Steuerungsmodul weist auf
-
Hallsensoren,
-
eine Schaltung mit einem MOSFET,
-
ein Relais,
-
einen programmierbaren Mikroprozessor,
-
Kondensatoren auf einer Mehrschichtplatte und
-
einen programmierbaren EEPROM-Speicher.
6.
Die Hallsensoren (Hall ICs 52, 54) sind für die
Geschwindigkeitsregelung des Motors vorgesehen und
senden bei jeder Wellenumdrehung des Motors eine be-
stimmte Impulszahl aus.
7.
Das elektronische Steuerungsmodul wirkt auf das
Motormodul als Funktion der Drehzahl des Motors oder
als Funktion der Ausgleichsstromstärke, nämlich durch
Betriebsstopp und/oder Umkehr der Drehrichtung.
- 14 -
Die einzelnen elektronischen Bauteile gemäß Merkmal 5 sind in der NK4 zwar
nicht im einzelnen genannt, gemäß Figur 6 und Abs. [0005] und [0006] ist dort
jedoch eine Platine mit diversen elektronischen Bauteilen vorgesehen, welche zur
Steuerung des Motors dienen und damit die gleiche Funktion ausüben wie das
elektronische Steuerungsmodul nach dem Streitgegenstand. Folglich werden dort
auch die gleichen Bauteile wie beim Streitgegenstand vorhanden sein.
Im Übrigen ist die Anordnung besagter Bauteile bei Fensterhebern mit Ein-
klemmschutz Gang und Gäbe, wie z. B. die NK7 zeigt (Figuren 1 und 2 i. V. m.
Sp. 6, Z. 52 bis Sp. 7. Z. 64).
Von diesem in der NK4 erläuterten Einklemmsicherungssystem unterscheidet sich
das streitgegenständliche Einklemmsicherungssystem durch die Merkmale:
4.
Das Motormodul weist einen Motor mit mindestens
8 Signalgebern für die Hall-Sensoren auf.
8.
Das elektronische Steuerungsmodul ist in der Lage,
Veränderungen
einer
Endposition
des
Fens-
ters/Schiebedachs dadurch auszugleichen, dass bei je-
dem Erreichen einer Endposition der Wert für die alte
Endposition mit dem Wert der aktuellen Endposition über-
schrieben wird.
Dabei soll das Merkmal 4 den Einklemmschutz verbessern, während das
Merkmal 8 mechanische Verformungen auszugleichen soll.
Aus der ebenfalls von der Klägerin genannten NK9 ist ein Verfahren zur
Steuerung und Regelung motorisch angetriebener Verstelleinrichtungen in
Kraftfahrzeugen bekannt (S. 1, Z. 3/4), worunter auch Fensterheber zu verstehen
sind (S. 1, Z. 5 bis 13). Dabei wird u. a. ein achtpoliger Signalgeber verwendet
(S. 4, Z. 1), womit hochauflösende Stellungs-, Drehzahl-, Geschwindigkeits- oder
Beschleunigungsregelungen realisiert werden können (S. 1, Z. 60/61).
- 15 -
Wenn somit der Fachmann die Einklemmsicherheit bekannter Fensterheber
hinsichtlich einer kürzeren Ansprechzeit beim Stillsetzen bzw. Reversieren des
Motors verbessern wollte, so konnte er der NK9 den Hinweis entnehmen, dass
beispielsweise mit einem achtpoligen Signalgeber hochauflösende Stellungs-,
Drehzahl-, Geschwindigkeits- oder Beschleunigungsregelungen realisiert werden
können.
Die anderslautenden Ausführungen des Beklagten in der mündlichen Ver-
handlung, wonach der NK9 kein Hinweis auf eine höhere Ansprechempfindlichkeit
infolge eines 8-poligen Signalgebers zu entnehmen seien, lassen die
Ausführungen auf S. 1, Z. 60/61 der NK9 unbeachtet, wo ausdrücklich dieses
Thema angesprochen ist.
Eine einfache und infolge einer gleichartigen Aufgabenstellung auch nahe lie-
gende Zusammenschau von NK4 und NK9 führt somit in einfacher Weise zum
ersten Erfindungsgegenstand.
Das Merkmal 8, wonach das elektronische Steuerungsmodul in der Lage sein soll,
Veränderungen
einer
Endposition
des
Fensters/Schiebedachs
dadurch
auszugleichen, dass bei jedem Erreichen einer Endposition der Wert für die alte
Endposition mit dem Wert der aktuellen Endposition überschrieben wird, soll
mechanische Verformungen ausgleichen.
Aus der NK11 ist ein Fensterheber mit Einklemmsicherung (S. 2, Z. 29 bis S. 3,
Z. 4), einem Motor 14, einem Getriebe (S. 6, Z. 33), Hall-Sensoren 20 (S. 6,
Z. 13), einem EEPROM (S. 8, Z. 15), einem Mikroprozessor (S. 8, Z. 10), einer
Motorsteuerung zur Steuerung der Motordrehzahl (S. 6, Z. 3 bis 5) und einer
Steuerung zur Aktualisierung der jeweiligen Endanschläge in Folge von
Verschleißerscheinungen (S. 2, Z. 19 bis S. 3, Z. 19 und S. 9, Z. 10 bis S. 10, Z. 7)
bekannt.
- 16 -
Wenn der Fachmann bei einem Fensterheber mit Einklemmsicherung die jeweilige
Endposition des Fensters nachjustieren wollte, konnte er sich der aus der NK11
bekannten Maßnahmen bedienen und diese auf ein Einklemmsicherungssystem
nach der NK4 übertragen.
Diese einfache und infolge einer gleichartigen Intention auch nahe liegende
Übertragung der Merkmale der NK11 auf ein Einklemmsicherungssystem nach der
NK4 führt somit in einfacher Weise zum zweiten Erfindungsgegenstand.
Folglich gibt der nachgewiesene Stand der Technik dem Fachmann die Lö-
sungsmittel an die Hand, mit deren Hilfe er ohne erfinderisch tätig zu werden zum
Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 gelangen konnte.
Der allein angegriffene Patentanspruch 1 ist daher für nichtig zu erklären.
IV.
Als Unterlegener hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84
Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 PatG zu tragen. Der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.
Schülke
Püschel
Schneider
Hildebrandt
Küest
Hu/prö