Urteil des BGH vom 23.01.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 33/13
vom
23. Januar 2014
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO §§ 212, 287 Abs. 2
Das Insolvenzverfahren kann nicht wegen Wegfall des Eröffnungsgrundes eingestellt
werden, wenn nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung bei noch laufendem
Insolvenzverfahren Restschuldbefreiung erteilt wird und dadurch die Insolvenzforde-
rungen, die zur Eröffnung des Verfahrens geführt haben, zu unvollkommenen Ver-
bindlichkeiten geworden sind.
BGH, Beschluss vom 23. Januar 2014 - IX ZB 33/13 - LG Leipzig
AG Leipzig
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
am 23. Januar 2014
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer
des Landgerichts Leipzig vom 2. Mai 2013 wird auf Kosten des
Schuldners zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
5.000
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Über das Vermögen des Schuldners war mit Beschluss vom 21. Mai
2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zum Insolvenz-
verwalter bestellt worden. Nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung
wurde dem Schuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens entspre-
chend der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 2009
(IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 ff) rechtskräftig Restschuldbefreiung erteilt.
Der Schuldner begehrt die Einstellung des Insolvenzverfahrens nach
§ 212 InsO mit der Begründung, dass nach Erteilung der Restschuldbefreiung
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der Insolvenzeröffnungsgrund weggefallen sei. Das Amtsgericht - Rechts-
pfleger - hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Rechtspflegererinnerung des
Insolvenzverwalters hat der Amtsrichter diesen Beschluss aufgehoben. Die
Rechtspflegerin hat daraufhin ein Gutachten eingeholt, das zu dem Ergebnis
kam, dass drohende Zahlungsunfähigkeit nicht vorliege. Mit Beschluss vom
4. Oktober 2012 hat die Rechtspflegerin den Antrag auf Einstellung des Insol-
venzverfahrens erneut zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Be-
schwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerde-
gericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren
weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und
auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Er-
folg.
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Voraussetzungen der Verfah-
renseinstellung gemäß § 212 InsO lägen nicht vor. Nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs sei zwar die Restschuldbefreiung auch dann zu ertei-
len, wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Der Insol-
venzbeschlag des in die Masse gefallenen Vermögens bleibe jedoch aufrecht
erhalten. Das Insolvenzverfahren sei fortzuführen, weil sonst die Gläubigerinte-
ressen unzulässig beeinträchtigt würden. Das gelte auch dann, wenn die Be-
friedigung der Verfahrenskosten und der Massegläubiger die Masse weitge-
hend aufzehre. Das Interesse der Insolvenzgläubiger an der verbleibenden
Masse überwiege das Interesse des Schuldners an einem wirtschaftlichen
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Neuanfang unter Verwendung des in die Masse gefallenen, nach Befriedigung
der Massegläubiger verbleibenden Vermögens.
2. Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, nach Erteilung der
Restschuldbefreiung seien die Voraussetzungen des § 212 Satz 1 InsO gege-
ben, wenn gewährleistet sei, dass beim Schuldner als natürlicher Person weder
Zahlungsunfähigkeit noch drohende Zahlungsunfähigkeit gegeben sei. Diese
Voraussetzung sei hier glaubhaft gemacht und nachgewiesen. Durch die Rest-
schuldbefreiung hätten sich die Insolvenzforderungen in unvollkommene Ver-
bindlichkeiten gewandelt, die zwar weiterhin erfüllbar, aber nicht mehr erzwing-
bar seien. Sie könnten deshalb bei der Feststellung der (drohenden) Zahlungs-
unfähigkeit nicht mehr berücksichtigt werden. Das eingeholte Gutachten habe
ergeben, dass drohende Zahlungsunfähigkeit nicht vorliege. Durch die Einstel-
lung des Verfahrens würden Gläubigerinteressen nicht unangemessen beein-
trächtigt.
3. Die Ausführungen des Landgerichts halten rechtlicher Prüfung stand.
Die Einwendungen der Rechtsbeschwerde greifen nicht durch.
Ist dem Schuldner nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung Rest-
schuldbefreiung erteilt worden, obwohl das Insolvenzverfahren zu diesem Zeit-
punkt noch nicht abschlussreif war, entfällt zwar der Insolvenzbeschlag für den
Neuerwerb ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungserklärung. Hinsichtlich
des zuvor in die Masse gefallenen Vermögens ist jedoch das Insolvenzverfah-
ren zu Ende zu führen. Eine Einstellung nach § 212 InsO allein im Hinblick auf
die erteilte Restschuldbefreiung kommt nicht in Betracht.
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a) Nach § 212 Satz 1 InsO ist das Insolvenzverfahren zwar auf Antrag
des Schuldners einzustellen, wenn gewährleistet ist, dass nach der Einstellung
beim Schuldner, der eine natürliche Person ist, weder Zahlungsunfähigkeit noch
drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Dabei können jedoch die im laufenden
Insolvenzverfahren zur Tabelle angemeldeten und festgestellten Insolvenzfor-
derungen nicht unberücksichtigt bleiben. Richtig ist zwar, dass sich diese For-
derungen, von den hier nicht vorliegenden Ausnahmen des § 302 InsO abge-
sehen, aufgrund der Restschuldbefreiung in unvollkommene Verbindlichkeiten
umwandeln, die zwar weiterhin erfüllbar, aber deren Durchsetzung nicht mehr
erzwingbar ist (BGH, Beschluss vom 25. September 2008 - IX ZB 205/06, WM
2008, 2219 Rn. 11 mwN). Derartige unvollkommene Verbindlichkeiten können
deshalb bei der Feststellung der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit für ein nach
Erteilung der Restschuldbefreiung zu eröffnendes Insolvenzverfahren nicht be-
rücksichtigt werden.
Für das laufende Insolvenzverfahren verlieren sie ihre Berücksichti-
gungsfähigkeit jedoch nicht. Das wäre mit der Systematik des Insolvenzverfah-
rens unvereinbar.
b) Im Normalfall wird erst nach Rechtskraft des Beschlusses über die
Ankündigung der Restschuldbefreiung nach § 291 InsO das Insolvenzverfahren
gemäß § 289 Abs. 2 Satz 2 InsO aufgehoben. Es schließt sich die Wohlverhal-
tensperiode an. Erst nach ihrem Abschluss wird gemäß § 300 InsO die Rest-
schuldbefreiung erteilt. Nach der ursprünglichen Konzeption des § 287 Abs. 2
InsO ging der Entscheidung über die Restschuldbefreiung also stets die Been-
digung des Insolvenzverfahrens voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember
2009, aaO Rn. 19 ff).
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Der Zweck des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung vom
26. Oktober 2001 war es, den Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung
von der Dauer des eröffneten Verfahrens zu lösen. Dabei hatte der Gesetzge-
ber nicht bedacht, dass das Insolvenzverfahren länger als sechs Jahre und da-
mit länger als die Frist der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO nF lau-
fen kann. Um dem Willen des Gesetzgebers zum Erfolg zu verhelfen, dem
Schuldner sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen wirt-
schaftlichen Neuanfang zu ermöglichen (vgl. § 1 Satz 2 InsO), hat der Senat
entschieden, dass für die Erteilung der Restschuldbefreiung nicht in jedem Fall
das Ende des Insolvenzverfahrens abgewartet werden muss, auf dessen Dauer
der Schuldner keinen Einfluss hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember
2009, aaO, insbesondere Rn. 16 ff).
c) Diese Rechtsprechung, die dem Schuldner sechs Jahre nach Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen
soll, kann jedoch nicht dazu führen, dass die Insolvenzgläubiger in dem laufen-
den Verfahren ihre Rechte verlieren, obwohl auch sie auf die Dauer dieses Ver-
fahrens keinen Einfluss haben.
Würde man im Hinblick auf die erteilte Restschuldbefreiung eine Einstel-
lung des Verfahrens nach § 212 InsO vornehmen, hätte der Verwalter zuvor nur
noch die Masseverbindlichkeiten nach Maßgabe des § 214 Abs. 3 InsO zu be-
richtigen. Der Schuldner erhielte mit der Einstellung des Insolvenzverfahrens
das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 215 Abs. 2
Satz 1 InsO). Die Gläubiger der Insolvenzforderungen könnten jedoch ihre For-
derungen entgegen § 201 Abs. 1 und 2 InsO wegen der Restschuldbefreiung
gemäß § 215 Abs. 2 Satz 2, § 201 Abs. 3 InsO nicht mehr durchsetzen.
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Eine solche Folge einer Restschuldbefreiung vor Abschluss des Verfah-
rens wäre mit dem weiteren Zweck des Insolvenzverfahrens nicht vereinbar, der
gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 InsO vor allem in der gemeinschaftlichen Befriedigung
der Gläubiger besteht.
Der Senat hat deshalb schon in seiner Entscheidung vom 3. Dezember
2009 über die vorzeitige Restschuldbefreiung festgestellt, dass auch danach
eine Verteilung des bis zum Ablauf der Abtretungsfrist in die Masse gefallenen
Vermögens und Neuerwerbs möglich ist, weil der Insolvenzbeschlag insoweit
bis zur Aufhebung des Verfahrens aufrecht erhalten bleibt (BGH, aaO Rn. 22;
ebenso bereits Amtsgericht Göttingen, NZI 2009, 779, 780). Das Verfahren ist
nach einer solchen vorzeitigen Restschuldbefreiung fortzusetzen (AG Göttin-
gen, aaO).
Das kann im Beschluss über die vorzeitige Restschuldbefreiung klarge-
stellt werden (BGH, aaO). Eine solche Klarstellung ist auch im vorliegenden Fall
erfolgt. Im Beschluss über die Restschuldbefreiung wurde ausdrücklich festge-
stellt, dass hinsichtlich des bis zum Ablauf der Abtretungsfrist in die Masse ge-
fallenen Neuerwerbs und der sonstigen Insolvenzmasse der Insolvenzbeschlag
bis zur Aufhebung des Verfahrens weiterbesteht. Zudem wurde klargestellt,
dass das Insolvenzverfahren wie üblich fortgesetzt wird. Zweifel über die Folgen
der Restschuldbefreiung konnten deshalb beim Schuldner von vorneherein
nicht entstehen.
d) Dass eine Verfahrenseinstellung nach § 212 InsO, also ohne Vertei-
lung der Insolvenzmasse an die Insolvenzgläubiger, nach vorzeitiger Rest-
schuldbefreiung nicht in Betracht kommt, ergibt sich auch aus dem Rechtsge-
danken des § 289 Abs. 3 InsO. Der Einstellung nach § 212 InsO liegt der Ge-
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danke zugrunde, dass der Schuldner alle Gläubiger befriedigen kann (Pape in
Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2000, § 212 Rn. 20). Der Insolvenzverwalter wird
demgemäß unverzüglich die Verwertung des in die Masse gefallenen Schuld-
nervermögens abzuschließen sowie die Schlussverteilung und den Abschluss
des Verfahrens vorzubereiten haben.
Kayser
Gehrlein
Vill
Fischer
Grupp
Vorinstanzen:
AG Leipzig, Entscheidung vom 04.10.2012 - 92 IN 1178/03 -
LG Leipzig, Entscheidung vom 02.05.2013 - 8 T 626/12 -