Urteil des BGH vom 15.01.2013

Parkhaussanierung Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 155/10
Verkündet am:
15. Januar 2013
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Parkhaussanierung
VOB/A § 13 Abs. 1 Nr. 6
Legt der öffentliche Auftraggeber den Vergabeunterlagen ein Kurztextleistungsver-
zeichnis bei, darf der Bieter als Adressat dies dahin verstehen, bei dessen Verwen-
dung zur Beschreibung der angebotenen Leistung nur die darin geforderten Angaben
machen zu müssen. Der öffentliche Auftraggeber kann in diesem Fall den Aus-
schluss des Angebots nicht darauf stützen, er habe sich an anderer Stelle in den
Vergabeunterlagen ausbedungen, dass bei Verwendung selbstgefertigter Abschriften
oder Kurzfassungen alle im Langtextleistungsverzeichnis geforderten Textergänzun-
gen in das Kurztextverzeichnis übertragen werden müssen.
BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 - X ZR 155/10 - OLG Köln
LG Aachen
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 15. Januar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-
Beck, die Richterin Mühlens, den Richter Gröning, die Richterin Schuster und
den Richter Dr. Deichfuß
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 21. Juli 2010 verkünde-
te Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln aufge-
hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin beteiligte sich an einer öffentlichen Ausschreibung der Be-
klagten im Jahre 2008 betreffend eine Baumaßnahme zur Sanierung eines
Parkhauses in J. . Zu den ihr von der Beklagten für die Erstellung des Ange-
bots übermittelten Vergabeunterlagen gehörten ein Langtext- und ein Kurztext-
leistungsverzeichnis. Im Ersteren waren bei einzelnen Positionen nicht nur der
Einheitspreis und der auf die Position entfallende Gesamtbetrag anzugeben,
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sondern darüber hinaus waren in hinzugefügten Rubriken Angaben zum vorge-
sehenen Material und Hersteller bzw. Lieferwerk zu machen. Entsprechende
Eintragungsfelder sah das mitgelieferte Kurztextleistungsverzeichnis nicht vor.
Zu den Vergabeunterlagen gehörten des Weiteren Bewerbungsbedin-
gungen, deren Klausel 3.2 lautet:
"Für das Angebot sind die vom Auftraggeber übersandten Vordru-
cke zu verwenden …
Anstelle des vom Auftraggeber übersandten Leistungsverzeich-
nisses können selbstgefertigte Abschriften oder Kurzfassungen
verwendet werden, wenn der Bieter das vom Auftraggeber ver-
fasste Leistungsverzeichnis als alleinverbindlich anerkennt. Eine
selbstgefertigte Abschrift oder Kurzfassung ist zugelassen. Das
vom Auftraggeber verfasste Leistungsverzeichnis ist alleinverbind-
lich.
Kurzfassungen … müssen für jede Teilleistung nacheinander die
Ordnungszahl, die Menge, die Einheit, den Einheitspreis und den
Gesamtbetrag, darüber hinaus den jeweiligen Kurztext sowie die
dem Leistungsverzeichnis entsprechenden Zwischensummen der
Leistungsabschnitte, die Angebotssumme und alle vom Auftrag-
geber geforderten Textergänzungen enthalten. Angebote, die die-
sen Bedingungen nicht entsprechen, können ausgeschlossen
werden.
Die Kurzfassung ist zusammen mit dem vom Auftraggeber über-
sandten Leistungsverzeichnis Bestandteil des Angebots.
Der Bieter ist verpflichtet, auf Anforderungen des Auftraggebers
vor Auftragserteilung ein vollständig ausgefülltes Leistungsver-
zeichnis nachzureichen."
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Die Klägerin bediente sich für die Abgabe ihres Angebots des Kurztext-
leistungsverzeichnisses der Beklagten. Die darin geforderten Angaben gab sie
vollständig ab. Die Beklagte schloss das Angebot mit der Begründung von der
Wertung aus, das eingereichte Kurztextleistungsverzeichnis enthalte entgegen
den Vorgaben in Klausel 3.2 Abs. 3 nicht die im Langtextleistungsverzeichnis
geforderten Textergänzungen, also die Angaben zum Material und dessen Her-
kunft.
Mit ihrer Klage, der die Beklagte entgegengetreten ist, hat die Klägerin
den ihr durch Nichterteilung des Auftrags entgangenen Gewinn geltend ge-
macht. Das Landgericht hat den Klageantrag dem Grunde nach für gerechtfer-
tigt erklärt; das Oberlandesgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten
abgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin
ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten weiter. Die Beklag-
te beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht meint, der Klägerin stehe ein Schadensersatz-
anspruch gegen die Beklagte wegen Verletzung von durch die Teilnahme an
der Ausschreibung begründeten Pflichten nicht zu, weil ihr Angebot zwingend
nach § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A aF
von der Wertung auszuschließen gewesen sei. Die Klägerin sei ihrer Verpflich-
tung aus § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A aF, alle geforderten Erklärungen abzugeben,
nicht nachgekommen, weil sie die im Langtextleistungsverzeichnis bei bestimm-
ten Positionen geforderten zusätzlichen Angaben entgegen Klausel 3.2 der Be-
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werbungsbedingungen nicht gemacht habe. Diese Angaben hätten auch bei
Verwendung einer Kurzfassung des Leistungsverzeichnisses zwingend erfolgen
müssen. Zwar räume diese Klausel dem Bieter die Möglichkeit ein, anstelle der
vom Auftraggeber übersandten Vordrucke selbstgefertigte Abschriften oder
Kurzfassungen zu verwenden, wenn er das vom Auftraggeber verfasste Leis-
tungsverzeichnis als verbindlich anerkenne und die dort geforderten Angaben
vollständig enthalten seien. Mit "Leistungsverzeichnis" sei in diesem Zusam-
menhang aber allein das Langtextleistungsverzeichnis gemeint, das bei gewis-
senhafter Lektüre der Bewerbungsbedingungen als maßgeblicher "Vordruck" im
Sinne von Nummer 3.2 Abs. 1 der Bewerbungsbedingungen habe verstanden
werden können. Die Bewerbungsbedingungen seien insoweit auch nicht unklar.
Soweit die Vergabestelle sich die Nachforderung eines vollständig ausgefüllten
Leistungsverzeichnisses vorbehalten habe, ergebe sich daraus kein Recht des
Bieters, bei Einreichung eines Kurztextleistungsverzeichnisses die Abgabe der
geforderten Bieterangaben zu Material und dessen Herkunft von einer Nachfor-
derung durch die Beklagte abhängig zu machen.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs korrespondiert mit
der Ausschlusssanktion für Angebote, welche geforderte Erklärungen nicht ent-
halten, die Verpflichtung der Auftraggeber, die Vergabeunterlagen so eindeutig
zu gestalten, dass die Bieter ihnen deutlich und sicher entnehmen können, wel-
che Erklärungen von ihnen in welchem Stadium des Vergabeverfahrens abzu-
geben sind. Genügen die Vergabeunterlagen dem nicht, darf der Auftraggeber
ein Angebot nicht ohne weiteres wegen Fehlens einer entsprechenden Erklä-
rung aus der Wertung nehmen, sondern muss dieses Defizit der Vergabeunter-
lagen ausgleichen und den Bietern Gelegenheit geben, die fraglichen Erklärun-
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gen nachzureichen (BGH, Urteil vom 3. April 2012 - X ZR 130/10, VergabeR
2012, 724 Rn. 9 - Straßenausbau).
2. Das Berufungsurteil lässt nicht erkennen, dass das Berufungsgericht
bei seiner Annahme, den Vergabeunterlagen habe klar entnommen werden
können, dass die Textergänzungen des Langtextleistungsverzeichnisses in je-
dem Fall bei Einreichung des Angebots zu machen waren, alle für die Ermitt-
lung des maßgeblichen Erklärungsgehalts der Vergabeunterlagen wesentlichen
Umstände in gebotenem Umfang berücksichtigt hat.
a) Für das Verständnis der vom Auftraggeber vorformulierten Vergabe-
unterlagen ist der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, also ei-
nes abstrakt bestimmten Adressatenkreises, maßgeblich (BGH, VergabeR
2012, 724 Rn. 10 - Straßenausbau; BGH, Urteil vom 11. November 1993
- VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64). Bei der Prüfung, welcher Erklärungsgehalt den
übermittelten Vergabeunterlagen in ihrer Gesamtheit aus der Sicht der Bieter
zukam, ist zu berücksichtigen, dass diese Unterlagen ein vom öffentlichen Auf-
traggeber selbst vorformuliertes Kurztextleistungsverzeichnis einschlossen. Die
Verwendung von Kurzfassungen des Leistungsverzeichnisses ist im öffentli-
chen Auftragswesen eine seit langem gebräuchliche Rationalisierungshilfe. Mit
solchen Auszügen aus dem Angebot kann sich die Vergabestelle überblicksar-
tig ein Bild von dem für sie wesentlichen Gehalt des Angebots machen. Nach
der seit dem 11. Juni 2010 geltenden Fassung der Vergabe- und Vertragsord-
nung für Bauleistungen können Bieter für die Angebotsabgabe stets selbstge-
fertigte Abschriften oder Kurzfassungen des Leistungsverzeichnisses benutzen
(vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A), wenn die in dieser Vorschrift vorgesehenen An-
gaben gemacht werden; nach der im Streitfall anwendbaren Fassung der
Vergabe- und Vertragsordnung gilt sinngemäß das Gleiche (§ 21 Nr. 1 Abs. 4
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VOB/A aF). Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen selbst be-
stimmt den unabdingbaren Inhalt solcher Kurzfassungen lediglich dahin, dass
die Ordnungszahlen (Positionen) vollzählig, in der gleichen Reihenfolge und mit
den gleichen Nummern wie in dem vom Auftraggeber verfassten Leistungsver-
zeichnis anzugeben sind (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A; § 21 Nr. 1 Abs. 4
VOB/A aF); dem Auftraggeber ist es aber grundsätzlich nicht verwehrt, insoweit
weitergehende Anforderungen zu stellen (vgl. Kratzenberg in Ingenstau/Kor-
bion, VOB-Kommentar, 18. Aufl., § A 13 Rn. 20 f.).
b) Es mag zwar auf der Hand liegen, dass ein Bieter, der eine selbstge-
fertigte Abschrift oder statt dessen eine selbstgefertigte Kurzfassung des Leis-
tungsverzeichnisses benutzen will, sich anhand der Vergabeunterlagen verge-
wissern muss, welche Angaben darin zu machen sind. Zu klären, welche Infor-
mationen von der Vergabestelle bei Verwendung eines selbst gefertigten Kurz-
textleistungsverzeichnisses verlangt werden, hat ein Bieter dann aber keinen
Anlass, wenn die Vergabestelle, wie im Streitfall, dafür ein von ihr selbst vor-
formuliertes Verzeichnis zur Verfügung stellt. Liegt den Vergabeunterlagen ein
solches Verzeichnis bei, darf der Bieter als Adressat dies dahin verstehen, bei
Verwendung der Unterlage der Vergabestelle zur Beschreibung der angebote-
nen Leistung nur die dort geforderten Angaben machen zu müssen. Handelt es
sich dabei um ein Kurzleistungsverzeichnis, in dem Textergänzungen nicht vor-
gesehen sind, kann der öffentliche Auftraggeber den Ausschluss des Angebots
nicht darauf stützen, er habe sich an anderer Stelle in den Vergabeunterlagen
ausbedungen, dass bei Verwendung selbstgefertigter Abschriften oder Kurzfas-
sungen alle im Langtextleistungsverzeichnis geforderten Textergänzungen in
das Kurztextverzeichnis übertragen werden müssen.
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c) Ob, worauf das Berufungsgericht maßgeblich abgestellt hat, unter dem
Begriff des Leistungsverzeichnisses in Klausel 3.2 Abs. 2 der Bewerbungsbe-
dingungen das Langtextleistungsverzeichnis zu verstehen ist, ist nicht entschei-
dungserheblich. Soweit in dieser Klausel geregelt ist, welche Mindestinhalte
vom Bieter selbst gefertigte Leistungsverzeichnisse aufweisen müssen, brauch-
te ein bei der Angebotserstellung rationell und systematisch vorgehender Bieter
keinen Anlass zu sehen, sich mit dieser Klausel zu befassen, wenn er, wie hier,
ein auftraggeberseitig vorgefertigtes Kurztextleistungsverzeichnis benutzte. Er
musste nicht damit rechnen, dass dieses den gewünschten Vorgaben nicht nur
nicht entsprach, sondern dessen unabgeänderte Verwendung sogar dazu be-
rechtigen sollte, ein auf dieser Basis eingereichtes Angebot ohne weitere Auf-
klärung (vgl. dazu Kratzenberg aaO Rn. 21) auszuschließen. Andernfalls würde
das Risiko für die hinreichend klare Abfassung der Vergabeunterlagen in unan-
gemessener Weise von der Vergabestelle als deren Verwenderin auf die Bieter
übergewälzt.
III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben. Der Senat kann auf der
Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht abschließend über den An-
spruchsgrund entscheiden. Ein auf das positive Interesse gerichteter Scha-
densersatzanspruch steht einem Bieter nach ständiger Rechtsprechung zu,
wenn der ausgeschriebene oder ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender
Auftrag erteilt worden ist und ihm bei rechtmäßigem Verlauf des Vergabeverfah-
rens der Zuschlag hätte erteilt werden müssen. Das Berufungsgericht stellt
zwar fest, dass die Klägerin das preisgünstigste Angebot abgegeben hat. Es
liegt nach den gesamten Umständen auch nicht fern, dass es damit zum Aus-
druck bringen wollte, dass die Klägerin den Auftrag hätte erhalten müssen. Da
das Berufungsgericht jedoch keine Feststellungen zu den maßgeblichen Zu-
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schlagskriterien getroffen hat, ist dem Senat eine abschließende Beurteilung
verwehrt.
IV. Für die neueröffnete Verhandlung vor dem Berufungsgericht weist der
Senat in diesem Zusammenhang vorsorglich auf Folgendes hin:
Der Wirtschaftlichkeitsprüfung dürfen nur die in der Bekanntmachung
oder den Vergabeunterlagen mitgeteilten Zuschlagskriterien zugrunde gelegt
werden. Sind solche Kriterien nicht publik gemacht worden, kann, nachdem der
Auftrag erteilt worden ist, nur auf den niedrigsten Angebotspreis abgestellt wer-
den (vgl. Stolz in Wildenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar,
2. Aufl., 7. Los Rn. 152 mwN; Kulartz in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar
zur VOB/A, § 16 Rn. 268). Hat der Auftraggeber zwar mehrere Zuschlagskrite-
rien rechtzeitig bekanntgegeben, sich hinsichtlich ihrer Gewichtung aber nicht
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vor Kenntnis der Angebote durch eine Bewertungsmatrix festgelegt, kommt
dem Preis bei der Gewichtung umso größere Bedeutung zu, je standardisierter
der Gegenstand der Beschaffung ist oder je detaillierter der Leistungsinhalt in
den Vergabeunterlagen festgelegt wurde (vgl. Kulartz, aaO Rn. 261).
Meier-Beck
Mühlens
Gröning
Schuster
Deichfuß
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 17.11.2009 - 12 O 140/09 -
OLG Köln, Entscheidung vom 21.07.2010 - 11 U 212/09 -