Urteil des BGH vom 30.07.2014

BGH: unterbringung, psychose, versuch, form, freispruch, anschluss, provokation, beleidigung, anhörung, zustand

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 S t R 1 8 3 / 1 4
vom
30. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 30. Juli 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Münster vom 27. Januar 2014 mit den Feststellungen auf-
gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unter-
bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen
gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten
führt zur Aufhebung des Urteils.
1. Nach den Feststellungen brach beim Angeklagten spätestens im Feb-
ruar 2013 eine schizophrene Psychose aus, die mit akustischen Halluzinationen
verbunden ist und sich zwischenzeitlich chronifiziert hat. Vor den jeweiligen An-
lasstaten - fünf vollendete und zwei versuchte Körperverletzungen sowie eine
Beleidigung, die der Angeklagte jeweils in seinem näheren Wohnumfeld gegen
ihm nicht oder nur vom Sehen bekannte Geschädigte beging - glaubte der An-
geklagte, die Geschädigten würden ihn beschimpfen und beleidigen, und fühlte
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sich von ihnen provoziert. Diese wahnhaften Vorstellungen führten beim Ange-
klagten zu aggressiven Impulsen, für die es nach objektiver Betrachtung keine
Anlässe gab. Im Rahmen der aggressiven Impulse war er nicht oder jedenfalls
nur vermindert in der Lage, sich diesen Impulsen zu widersetzen und sein Ver-
halten zu steuern.
Ihre Feststellungen zur psychischen Erkrankung des Angeklagten und
deren Auswirkungen auf die Anlasstaten stützt die Strafkammer auf die Ausfüh-
rungen des psychiatrischen Sachverständigen, nach denen für das Bestehen
einer schizophrenen Psychose vor allem die im Rahmen der Exploration abge-
gebene Darstellung des Angeklagten spreche, die Geschädigten hätten seine
Handlungen durch Beschimpfungen und Beleidigungen provoziert. Die vom An-
geklagten wahrgenommenen Beschimpfungen und Beleidigungen hätten offen-
sichtlich auf akustischen Halluzinationen beruht, wodurch sich beim Angeklag-
ten wahnhafte Vorstellungen entwickelt hätten. Durch die von ihm erlebten Be-
schimpfungen und Beleidigungen sei der Angeklagte zumindest in seiner Steu-
erungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen, weil er nicht oder nur ver-
mindert in der Lage gewesen sei, den wegen der von ihm wahrgenommenen
Provokation aufkommenden aggressiven Impuls kognitiv zu bewerten, diesem
die Erfordernisse der Realität entgegenzusetzen und sich für diese Erfordernis-
se zu entscheiden.
2. Die Maßregelanordnung begegnet durchgreifenden rechtlichen Be-
denken, weil die Feststellungen des Landgerichts zur psychischen Erkrankung
des Angeklagten und deren Auswirkungen auf die Anlasstaten einer tragfähigen
Tatsachengrundlage im Rahmen der Beweiswürdigung entbehren.
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a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63
StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter-
zubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen
Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung
auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeits-
prognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH,
Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, insoweit in NStZ 2013,
424 nicht abgedruckt; vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013,
141). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden
Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisi-
onsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl.
BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13 Rn. 5).
b) Soweit die Strafkammer im Anschluss an den Sachverständigen da-
von ausgeht, dass der Angeklagte an einer schizophrenen Psychose mit akusti-
schen Halluzinationen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüp-
fungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, StraFo 2011,
55; vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12 aaO; vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13,
NStZ 2014, 36, 37). Es fehlt eine nähere Darstellung der vom Angeklagten im
Rahmen der Exploration durch den Sachverständigen gemachten Angaben, so
dass nicht beurteilt werden kann, ob seine Schilderung angeblicher Beschimp-
fungen und Beleidigungen von Seiten der jeweils Geschädigten den Schluss
auf ein psychotisches Erleben in der jeweiligen Tatsituation zu tragen vermögen
oder es sich bei den entsprechenden Äußerungen des Angeklagten lediglich
um den vergeblich unternommenen Versuch gehandelt hat, sein strafbares Tun
gegenüber dem Sachverständigen in einem milderen Licht erscheinen zu las-
sen. Mit der letztgenannten Möglichkeit hat sich das Landgericht nicht ausei-
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nandergesetzt. Darüber hinaus bleibt in den Urteilsgründen unerörtert, welche
Erkenntnisse zu einer möglichen psychischen Erkrankung des Angeklagten sich
aus der auf landesrechtlicher Grundlage erfolgten zweiwöchigen Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus im Juni 2013 und der seit Dezember
2013 vollzogenen einstweiligen Unterbringung ergeben haben.
c) Aufgrund der unterbliebenen Darstellung der vom Angeklagten im
Rahmen der Exploration durch den Sachverständigen gemachten Angaben zu
den angeblichen Beschimpfungen und Beleidigungen seitens der Geschädigten
ist schließlich auch die Annahme des Landgerichts, die Anlasstaten seien durch
psychotisches Erleben in Form akustischer Halluzinationen ausgelöst worden,
nicht tragfähig belegt.
d) Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht beste-
hen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch
der Freispruch des Angeklagten aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom
30. Juli 2013 - 4 StR 275/13 Rn. 18, insoweit in NStZ 2014, 36 nicht abge-
druckt; vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13 Rn. 8). Der neu zur Verhandlung
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und Entscheidung berufene Tatrichter wird in den Fällen II.6 und 8 der Urteils-
gründe gegebenenfalls die Frage eines Rücktritts vom Versuch zu prüfen ha-
ben.
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin