Urteil des BGH vom 29.01.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 S t R 2 5 4 / 1 3
vom
29. Januar 2014
BGHSt:
ja
BGHR:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
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StGB § 56b
StPO § 257c
MRK Art. 6 Abs. 1
Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es, den Angeklagten vor einer
Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer
zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht
kommende Bewährungsauflagen gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB hinzuwei-
sen.
BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014
– 4 StR 254/13 – LG Arnsberg
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und der Beschwerdeführerin am 29. Januar 2014 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Arnsberg vom 18. Dezember 2012 mit den Feststellun-
gen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschafts-
strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in zwei Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formel-
len und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Verfahrensrüge Er-
folg.
1. Die Angeklagte rügt zu Recht, das Landgericht habe ihren Anspruch
auf ein faires Verfahren verletzt (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK),
weil ihr vor einer Verständigung über eine Bewährungsstrafe kein Hinweis auf
die Anordnung einer Bewährungsauflage nach § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB erteilt
worden ist.
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a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Am 18. Dezember 2012 kam es zwischen den Verfahrensbeteiligten und
dem Landgericht zu einer Verständigung gemäß § 257c StPO. Darin stellte das
Landgericht der Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafunter-
grenze von einem Jahr und zehn Monaten und eine Strafobergrenze von zwei
Jahren Freiheitsstrafe, jeweils mit Strafaussetzung zur Bewährung, in Aussicht.
Weder im Rahmen der Verständigung noch bei den Vorgesprächen über ihr
Zustandekommen wurden mögliche Bewährungsauflagen erörtert.
Nachdem sich die Angeklagte geständig eingelassen hatte, beantragte
der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in seinem Schlussvortrag, die An-
geklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zu verurteilen, deren
Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen und ihr aufzuerlegen, 300 Stunden
gemeinnützige Arbeit zu leisten. In ihrem sich anschließenden Schlussvortrag
wies die Verteidigerin der Angeklagten darauf hin, dass sie über den Antrag der
Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Bewährungsauflage verwundert sei, da
im Rahmen der verfahrensbeendenden Absprache über Bewährungsauflagen
nicht gesprochen worden und diese Auflage deshalb überraschend sei. Sie ge-
he davon aus, dass eine solche nicht verhängt werde.
Die Strafkammer verkündete sodann das oben bezeichnete Urteil sowie
einen Bewährungsbeschluss, in dem u.a. Folgendes angeordnet wurde:
Der Angeklagten „wird die Auflage erteilt, 300 Stunden gemeinnützige
Arbeit und zwar im Umfang von mindestens 50 Stunden binnen jeweils
eines halben Jahres nach näherer Weisung des Bewährungshelfers ab-
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zuleisten. Eine Umwandlung der Auflage in eine Zahlungsauflage bei
Aufnahme einer Arbeitstätigkeit bleibt vorbehalten.“
Die Beschwerdeführerin sieht in dem Verfahren der Strafkammer einen
Verstoß gegen § 257c StPO sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens und
macht hierzu geltend, die Strafkammer habe die Bewährungsauflage zum Ge-
genstand der getroffenen verfahrensbeendenden Absprache machen müssen.
Sie hätte die verfahrensbeendende Absprache nicht getroffen, wenn eine sol-
che Bewährungsauflage zuvor angesprochen worden wäre.
b) Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
Die Beschwerdeführerin ist in ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren
(Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verletzt.
aa) Aus dessen Gewährleistung ergibt sich, dass der Angeklagte vor
einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung
einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht
kommende Bewährungsauflagen hingewiesen werden muss, die nach § 56b
Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen und
deren Erteilung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte Strafaussetzung ist
(vgl. OLG Saarbrücken, NJW 2014, 238, 239; OLG Köln, NJW 1999, 373, 374;
Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 257c Rn. 12; MüKoStGB/Groß, 2. Aufl., § 56b
Rn. 35; Hubrach in LK-StGB, 12. Aufl., § 56b Rn. 30; SK-StPO/Frisch, 4. Aufl.,
§ 305a Rn. 13; aA OLG Dresden, NStZ-RR 2007, 267; Stree/Kinzig in Schönke/
Schröder, StGB, 28. Aufl., § 56b Rn. 33; Kaetzler, wistra 1999, 253, 255).
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Die Verständigung im Strafverfahren ist nur dann mit dem Grundsatz des
fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn durch eine vorherige Belehrung sicher-
gestellt ist, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mit-
wirkung informiert ist. Nur in diesem Fall ist gewährleistet, dass er autonom
darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verwei-
gern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt (BVerfG, NJW
2013, 1058, 1071; vgl. auch BT-Drucks. 16/12310, S. 14, 15). Diese Grundsät-
ze erfordern es, dass das Gericht vor einer Verständigung offenlegt, dass es die
Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe allein nicht für
ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genugtuungsfunktion des
Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht. Denn nur wenn der An-
geklagte über den gesamten Umfang der Rechtsfolgenerwartung bei der Ver-
ständigung informiert ist, kann er autonom eine Entscheidung über seine Mit-
wirkung treffen (OLG Saarbrücken, NJW 2014, 238, 239).
Bewährungsauflagen sind Bestandteil dieser Rechtsfolgenerwartung. Sie
dienen gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene
Unrecht und stellen damit eine strafähnliche Sanktion dar (Stree/Kinzig in
Schönke/Schröder, aaO, § 56b Rn. 1, 2; Arloth, NStZ 1990, 148, 149). Erst die
Kenntnis des Umstandes, dass ihm neben der zur Bewährung ausgesetzten
Freiheitsstrafe weitere Maßnahmen mit Vergeltungscharakter drohen, die
– wie
im Fall von Zahlungs- oder Arbeitsauflagen, die in Zahlungsauflagen umgewan-
delt werden können
– eine erhebliche Belastung darstellen können, versetzt
den Angeklagten in die Lage, von seiner Entscheidungsfreiheit, ob er auf das
Angebot des Gerichts eingehen möchte, auf einer hinreichenden tatsächlichen
Grundlage Gebrauch zu machen.
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bb) Diesen Anforderungen hat die Strafkammer nicht entsprochen. Die
Angeklagte wurde erstmals durch den Schlussvortrag des Sitzungsvertreters
der Staatsanwaltschaft mit der Auffassung eines Verfahrensbeteiligten konfron-
tiert, dass die Verhängung einer Bewährungsauflage erforderlich sei. Das Ge-
richt hat darauf vor Erlass des Bewährungsbeschlusses nicht hingewiesen.
cc) Auf den Umstand, dass die verhängte Bewährungsauflage dem Inhalt
der getroffenen Verständigung nicht widersprach, weil sich diese zu der Frage
der Bewährungsauflage nicht verhielt, kommt es aus den vorgenannten Grün-
den ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die Angeklagte auf das Ausbleiben
von Bewährungsauflagen vertrauen durfte (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom
26. Februar 2007
– 1 Ws 24/07, Rn. 6, 7 [juris]). Denn der Verfahrensfehler be-
steht nicht in einem Widerspruch des Bewährungsbeschlusses zur Absprache,
sondern in der fehlenden Offenlegung des gesamten Umfangs der Rechtsfol-
generwartung vor Zustandekommen der Verständigung. Adressat dieser aus
dem Recht auf ein faires Verfahren folgenden Offenlegungsverpflichtung ist
allein das Gericht. Sie entfällt deshalb auch nicht durch die Mitwirkung eines
Verteidigers
– mag diesem auch die grundsätzliche Möglichkeit der Verhängung
von Bewährungsauflagen bekannt gewesen sein.
Hinzu kommt, dass die Verhängung von Bewährungsauflagen gemäß
§ 56b StGB im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Dass der Bewäh-
rungsbeschluss Auflagen enthalten werde, musste sich der Angeklagten daher
nicht als selbstverständlich aufdrängen.
2. Auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht das Urteil der Strafkammer.
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An dem Beruhenszusammenhang fehlt es nur, wenn feststeht, dass ein
rechtsfehlerfreies Verfahren zu demselben Ergebnis geführt hätte (BGH, Urteil
vom 15. November 1968
– 4 StR 190/68, BGHSt 22, 278, 280; Franke in
LR-StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 180 mwN). Der Senat kann indes nicht aus-
schließen, dass die Angeklagte von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht
hätte, wenn sie vor dem Zustandekommen der Verständigung darauf hingewie-
sen worden wäre, dass zur Genugtuung für das begangene Unrecht die Ertei-
lung einer Bewährungsauflage gemäß § 56b StGB in Betracht kommt, und dass
in diesem Fall das Urteil anders ausgefallen wäre (vgl. BVerfG, NJW 2013,
1058, 1067, 1071; BGH, Urteil vom 7. August 2013
– 5 StR 253/13, NStZ 2013,
728). Eine Fallkonstellation, in der ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf
der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren bei Zustandekommen einer
Verständigung ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH, aaO; vgl. auch BVerfG,
NJW 2013, 1058, 1071, Tz. 127), liegt hier nicht vor.
3. Einer Divergenzvorlage nach § 132 Abs. 2 GVG im Hinblick auf den
Beschluss des 2. Strafsenats vom 17. Februar 1995 (2 StR 29/95, BGHR StPO
vor § 1/faires Verfahren, Vereinbarung 6) bedarf es nicht. Die Entscheidung des
2.
Strafsenats, wonach die Angeklagte aufgrund einer getroffenen „Einigung“
nicht habe darauf vertrauen können, dass die Strafkammer davon absehen
werde, ihr im Rahmen eines Bewährungsbeschlusses die Zahlung eines Geld-
betrages aufzuerlegen, ist vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung von ver-
fahrensbeendenden Absprachen im Strafverfahren (Gesetz zur Regelung der
Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009, BGBl. I S. 2353) und vor
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013, in der
Mindestanforderungen an eine verfassungskonforme Ausgestaltung solcher
Absprachen formuliert worden sind (BVerfG, NJW 2013, 1058), ergangen.
Durch diese Gesetzesänderung und die Entscheidung des Bundesverfas-
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sungsgerichts ist die Entscheidung vom 17. Februar 1995 insoweit überholt
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. August 2005
– 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216,
224; vom 9. September 1997
– 1 StR 730/96, BGHSt 43, 237, 239; vom
26. September 2002
– 1 StR 111/02, NJW 2003, 74, 75; KK-StPO/Hannich,
7. Aufl., § 132 GVG, Rn. 8).
4. Die Aufhebung des Urteils entzieht zugleich dem Bewährungsbe-
schluss vom 18. Dezember 2012 die Grundlage. Die von der Beschwerdeführe-
rin zugleich mit der Revision erhobene Beschwerde gegen den Bewährungsbe-
schluss ist daher gegenstandslos (KK-StPO/Zabeck, 7. Aufl., § 305a Rn. 17).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke
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