Urteil des BGH vom 13.06.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 323/04 Verkündet
am:
13. Juni 2006
Holmes,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 823 Aa
Zur Anwendung einer neuen medizinischen Behandlungsmethode und zum Umfang
der hierfür erforderlichen Aufklärung des Patienten.
BGH, Urteil vom 13. Juni 2006 - VI ZR 323/04 - OLG Frankfurt a.M.
LG Frankfurt a.M.
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Juni 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Dezember 2004
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz wegen einer
nach ihrer Behauptung fehlerhaft und ohne die erforderliche Aufklärung durch-
geführten ärztlichen Behandlung in der Klinik des Beklagten zu 1, deren ärztli-
cher Direktor der Beklagte zu 2 war. Im September 1995 implantierte der Be-
klagte zu 3 der Klägerin mit Hilfe eines computerunterstützten Fräsverfahrens
(Robodoc) eine zementfreie Hüftgelenksendoprothese. Die Operation dauerte
5 ½ Stunden. Die Prothese wurde exakt implantiert. Bei der Operation wurde
ein Nerv der Klägerin geschädigt. Sie leidet seither unter Beeinträchtigungen
der Bein- und Fußfunktion. Die Vorinstanzen haben sowohl einen Behandlungs-
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fehler als auch einen Aufklärungsfehler verneint und die Klage abgewiesen. Mit
der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr
Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. in NJW-RR 2005, 173 veröffent-
licht ist, hat ausgeführt:
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Die Klägerin habe einen Behandlungsfehler nicht nachweisen können.
Die Anwendung der Robodoc-Methode als solche stelle keinen Arztfehler dar.
Die behandelnden Ärzte seien berechtigt gewesen, der Klägerin das Verfahren
trotz seiner Neuheit und der damit verbundenen Risiken vorzuschlagen, da es
dem herkömmlichen manuellen Verfahren bei Abwägung der Vor- und Nachtei-
le nicht unterlegen gewesen sei und das Operations-Team der Klinik aus be-
sonders trainierten Ärzten bestanden habe, so dass die Komplikationsrate hier
niedriger gewesen sei als in anderen Krankenhäusern. Auch ein konkreter Be-
handlungsfehler sei nicht nachgewiesen. Das Auftreten eines Nervschadens,
wie er bei der Klägerin in Form einer Schädigung des Nervus ischiadicus einge-
treten sei, stelle kein Indiz für einen Operationsfehler dar. Der Sachverständige
Prof. St. habe ausgeführt, dass beim Einsetzen einer neuen Hüftpfanne wegen
der engen räumlichen Verhältnisse die Möglichkeit der Überdehnung des Nervs
bestehe, welche der Operateur nicht in jedem Fall vermeiden könne. Die Dauer
des Eingriffs von 5 ½ Stunden sei nach den Ausführungen des Sachverständi-
gen ebenfalls kein Anzeichen eines Behandlungsfehlers. Im Übrigen habe der
Sachverständige festgestellt, dass die Operationsdauer auf die Entstehung ei-
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nes Nervschadens keinen Einfluss habe. Demnach könne aus der langen Dau-
er des Eingriffs nicht auf Fehler der Operateure geschlossen werden. Unter die-
sen Umständen komme es nicht darauf an, ob die Beweislast durch etwaige
Dokumentationsmängel auf die Beklagten verlagert worden sei.
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Ein Aufklärungsmangel liege ebenfalls nicht vor. Stünden mehrere medi-
zinisch gleichermaßen indizierte Behandlungsmethoden zur Verfügung, die un-
terschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufwiesen, bestehe also eine echte
Wahlmöglichkeit für den Patienten, müsse diesem durch entsprechende voll-
ständige ärztliche Belehrung die Entscheidung darüber überlassen bleiben, auf
welchem Weg die Behandlung erfolgen solle und auf welches Risiko er sich
einlassen wolle. Nach diesen Kriterien sei die Klägerin über die verschiedenen
Operationsmethoden, nämlich das herkömmliche Verfahren mit manueller
Technik einerseits und das robotergestützte Vorgehen andererseits aufzuklären
gewesen. Dies habe hier bereits deswegen zu gelten, weil das robotergestützte
Vorgehen eine Methode gewesen sei, die im Zeitpunkt des Eingriffs im Jahre
1995 noch nicht allgemein etabliert gewesen sei. Im Streitfall sei eine solche
Information der Patientin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in ausrei-
chendem Maße erfolgt. Insbesondere sei der Klägerin auch mitgeteilt worden,
dass es sich um eine neue Operationsmethode gehandelt habe.
II.
Die Revision hat keinen Erfolg.
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1. Sie wendet sich nicht gegen die nach sachverständiger Beratung ge-
troffene Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Anwendung des "Robo-
doc" genannten computerunterstützten Fräsverfahrens als solches keinen Be-
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handlungsfehler darstellt. Hiergegen ist auch aus revisionsrechtlicher Sicht
nichts zu erinnern. Insbesondere hat das Berufungsgericht bedacht, dass die
Anwendung einer neuen Behandlungsmethode nur dann erfolgen darf, wenn
die verantwortliche medizinische Abwägung und ein Vergleich der zu erwarten-
den Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden
Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des
Wohles des Patienten die Anwendung der neuen Methode rechtfertigt (vgl.
Laufs, Arztrecht, 5. Aufl., Rn. 484, 486, 511, 673, 690, 393; ders. in:
Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 130 Rn. 23 m.w.N.;
Siebert, MedR 1983, 216, 219). Anhaltspunkte für eine in diesem Sinne fehler-
hafte oder ungenügende Abwägung durch die Behandlungsseite sind von der
Revision nicht dargelegt worden. Soweit sie neue Tatsachen dazu vorträgt,
dass es sich bei der Anwendung des Robodoc-Verfahrens seinerzeit um eine
experimentelle Methode gehandelt habe, kann ihr Vorbringen im Revisions-
rechtszug keine Berücksichtigung finden.
2. Auch einen Behandlungsfehler bei der Durchführung der Operation hat
das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler verneint.
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a) Das Berufungsgericht erachtet es - sachverständig beraten - als er-
wiesen, dass dem Beklagten zu 3 als Operateur kein Fehler unterlaufen ist. Die
hiergegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg. Insbesondere
ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht aus
der langen Operationsdauer nicht auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen
des Beklagten zu 3 geschlossen hat.
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Die Dauer der Operation von 5 ½ Stunden hat das Berufungsgericht im
Hinblick auf das angewendete Verfahren und den dokumentierten Ablauf des
Eingriffs in nachvollziehbarer Weise nicht beanstandet. Die Operationsdauer
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beim roboterassistierten Verfahren werde bereits allein aufgrund des Einsatzes
des Robodoc-Systems durch die Installation der Geräte, das Ausmessen und
die Datenermittlung verlängert. 5 ½ Stunden könnten nach den Ausführungen
des Sachverständigen Prof. St. durchaus erforderlich sein. Im Fall der Klägerin
habe noch eine Pfannendachplastik hergestellt werden müssen, was zusätzli-
che Zeit benötige. Aus dem Operationsbericht ergebe sich außerdem, dass we-
gen des verkürzten Schenkelhalses und der Subluxationsstellung im Hüftgelenk
eine Darstellung des Nervus ischiadicus notwendig erschienen sei. Es sei hin-
zugekommen, dass bei der Klägerin eine fast 15 cm dicke Fettgewebeschicht
habe durchtrennt werden müssen. Beide Maßnahmen erforderten erfahrungs-
gemäß zusätzlich Zeit. Mit ihren hiergegen gerichteten Angriffen begibt sich die
Revision in unzulässiger Weise auf das Gebiet tatrichterlicher Beweiswürdi-
gung. Der Sachverständige hat auch unter Berücksichtigung der Dauer der
Operation keinen Anhaltspunkt für einen Behandlungsfehler gesehen. Bei die-
ser Sachlage bestand für das Berufungsgericht kein Anlass, der Frage nach
den Gründen für die Dauer der Operation noch intensiver nachzugehen (vgl.
auch Senatsurteil vom 9. November 1993 - VI ZR 248/92 - VersR 1994, 682,
683). Andere Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler als die Dauer der
Operation zeigt die Revision nicht auf.
b) Da das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht angreifbarer Weise
die Dauer der Operation nicht als Anzeichen für einen Behandlungsfehler ge-
wertet hat, kommt es nicht darauf an, ob aufgrund etwaiger Dokumentations-
mängel die Beweislast auf die Beklagten verlagert worden ist. Auch die Angriffe
der Revision gegen die - hilfsweisen - Ausführungen des Berufungsgerichts, der
Sachverständige habe im Übrigen festgestellt, dass die Operationsdauer auf die
Entstehung des Nervschadens keinen Einfluss gehabt habe, bleiben ohne Er-
folg. Ob die Dauer der Operation für eine Nervschädigung kausal sein kann, ist
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unerheblich, wenn die lange Operationsdauer - wie hier - nicht auf einem Be-
handlungsfehler beruht.
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3. Auch die Begründung, mit der das Berufungsgericht einen Aufklä-
rungsfehler verneint, hält den Angriffen der Revision - jedenfalls im Ergebnis -
stand.
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a) Die Revision nimmt die Auffassung des Berufungsgerichts, die Patien-
tin habe über beide Operationsmethoden aufgeklärt werden müssen, als ihr
günstig hin; sie meint aber, die Klägerin sei nicht ausreichend über die Risiken
der neuen Methode aufgeklärt worden, insbesondere nicht über das höhere
Risiko einer Nervschädigung infolge einer längeren Operationsdauer.
aa) Zutreffend hat das Berufungsgericht eine Verpflichtung der Beklagten
zur Aufklärung darüber bejaht, dass zwei Behandlungsalternativen zur Verfü-
gung standen, wovon eine seinerzeit ein Neulandverfahren war. Nach der
Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die Wahl der Behandlungsmetho-
de zwar primär Sache des Arztes (Senatsurteile BGHZ 102, 17, 22; 106, 153,
157; vom 11. Mai 1982 - VI ZR 171/80 - VersR 1982, 771, 772; vom 24. No-
vember 1987 - VI ZR 65/87 - VersR 1988, 190, 191 und vom 15. März 2005
- VI ZR 313/03 - VersR 2005, 836; OLG Zweibrücken, OLGR 2001, 79, 81 mit
NA-Beschluss des Senats vom 19. Dezember 2000 - VI ZR 171/00 -; OLG
Karlsruhe, MedR 2003, 229, 230). Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts
des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine alternative Behand-
lungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie
mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu
jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedli-
che Risiken und Erfolgschancen bieten (Senatsurteile BGHZ 102, 17, 22; 106,
153, 157; vom 14. September 2004 - VI ZR 186/03 - VersR 2005, 227; vom
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15. März 2005 - VI ZR 313/03 - aaO; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 331 f.;
MünchKommBGB/Wagner, 4. Aufl., § 823 Rn. 707 f.; Staudinger/Hager, BGB,
13. Bearbeitung [1999], § 823, Rn. I 92 m.w.N.). Dass danach im Streitfall die
Pflicht zur Aufklärung über die alternativen Möglichkeiten der manuellen bzw.
computergestützten Operation bestand, hat das Berufungsgericht ohne Rechts-
fehler bejaht. Auch die Feststellung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei
über die damals bekannten Vor- und Nachteile der Behandlungsmethoden ord-
nungsgemäß aufgeklärt worden, ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu be-
anstanden, insbesondere unter Berücksichtigung dessen, dass der Patient auch
bei Anwendung einer neuen Behandlungsmethode wie sonst nur "im großen
und ganzen" über Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden
muss (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteile BGHZ 90, 103, 106; 144, 1,
7 und vom 7. April 1992 - VI ZR 192/91 - VersR 1992, 960, 961). Soweit die
Revision gegen die Feststellungen zum Umfang der erteilten Aufklärung Verfah-
rensrügen erhebt, hat der Senat diese geprüft und für nicht durchgreifend er-
achtet (§ 564 ZPO). Gleichwohl war die der Patientin erteilte Aufklärung nicht in
jeder Hinsicht ausreichend.
bb) Bei standardgemäßer Behandlung sind allgemeine Überlegungen
dazu, dass der Eintritt bislang unbekannter Komplikationen in der Medizin nie
ganz auszuschließen ist, für die Entscheidungsfindung des Patienten nicht von
Bedeutung. Sie würden ihn im Einzelfall sogar nur unnötig verwirren und beun-
ruhigen (Senatsurteil vom 12. Dezember 1989 - VI ZR 83/89 - 1990, 522, 523
)
.
Im Falle des computerunterstützten Fräsverfahren Robodoc bei Implantation
einer Hüftgelenksendoprothese handelte es sich jedoch 1995 um eine neue
Operationsmethode. Die Methode wurde 1992 erstmals in den USA klinisch
erprobt. Bei dem Beklagten zu 1 war Robodoc erst seit 1994 im Einsatz. Das
Verfahren ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bis heute umstrit-
ten. Will der Arzt aber keine allseits anerkannte Standardmethode, sondern ei-
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ne - wie im Streitfall - relativ neue und noch nicht allgemein eingeführte Metho-
de mit neuen, noch nicht abschließend geklärten Risiken anwenden, so hat er
den Patienten nach der Rechtsprechung der Instanzgerichte auch darüber auf-
zuklären und darauf hinzuweisen, dass unbekannte Risiken derzeit nicht aus-
zuschließen sind (vgl. OLG Celle, VersR 1992, 749 f.; OLG Köln, NJW-RR
1992, 986, 987; OLG Oldenburg, VersR 1997, 491; OLG Zweibrücken, aaO;
OLG Bremen, OLGR 2004, 320, 321 f.; OLG Karlsruhe, VersR 2004, 244, 245;
OLG Düsseldorf, VersR 2004, 386; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl,
Rn. 185; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl., C, Rn. 39; Steffen/Dressler,
Arzthaftungsrecht, 9. Aufl., Rn. 387; vgl. auch Katzenmeier, aaO, S. 312;
MünchKommBGB/Wagner, aaO, § 823 Rn. 710). Der erkennende Senat teilt
diese Auffassung. Die Anwendung neuer Verfahren ist für den medizinischen
Fortschritt zwar unerlässlich. Am Patienten dürfen sie aber nur dann angewandt
werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die
neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt. Der Patient muss in
die Lage versetzt werden, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der
herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken operieren lassen möchte oder
nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht
gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.
Hiernach hätte es zumindest eines ausdrücklichen Hinweises auf die Möglich-
keit noch nicht bekannter Risiken bedurft, der der Klägerin nach den getroffe-
nen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erteilt worden ist.
b) Soweit die Klägerin darüber hinaus geltend macht, sie hätte auch dar-
über aufgeklärt werden müssen, dass die längere Dauer der Operation das Ri-
siko einer Nervschädigung erhöhe, betrifft auch dies den Umfang der Aufklä-
rung bei einer Neulandmethode. Ob ein Hinweis auf ein solches Risiko erforder-
lich gewesen wäre, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Beurteilung.
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Im Allgemeinen besteht eine Aufklärungspflicht nur dann, wenn ernsthaf-
te Stimmen in der medizinischen Wissenschaft auf bestimmte mit einer Behand-
lung verbundene Gefahren hinweisen, die nicht lediglich als unbeachtliche Au-
ßenseitermeinungen abgetan werden können, sondern als gewichtige Warnun-
gen angesehen werden müssen (Senatsurteile vom 12. Dezember 1989
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VI
ZR
83/89
- VersR 1990, 522, 523 und vom 21.
November 1995
- VI ZR 329/94 - VersR 1996, 233 m.w.N.; OLG Oldenburg, VersR 2006, 517
mit NZB-Beschluss des Senats vom 31. Januar 2006 - VI ZR 87/05 - aaO;
Geiß/Greiner, aaO, Rn. 46; Steffen/Dressler, aaO, Rn. 391). Bei einer Neu-
landmethode können zum Schutz des Patienten je nach Lage des Falles stren-
gere Anforderungen gelten. Auch hier ist allerdings nicht über bloße Vermutun-
gen aufzuklären. Etwas anderes kann aber gelten, wenn diese sich so weit ver-
dichtet haben, dass sie zum Schutz des Patienten in dessen Entscheidungsfin-
dung einbezogen werden sollten.
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Derart konkrete Vermutungen hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht
festgestellt. Nach den verfahrensfehlerfreien Feststellungen existierten zum
damaligen Zeitpunkt noch keine repräsentativen wissenschaftlichen Studien,
die verlässliche Vergleiche der beiden Methoden erlaubt hätten. Das von der
Revision herangezogene und vom Berufungsgericht berücksichtigte Gutachten
Dr. Sch. stammt aus dem Jahre 2004. Nach den insoweit nicht angegriffenen
Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Sachverständige in diesem Gut-
achten sämtliche verfügbaren Publikationen zum Robodoc-Verfahren ausge-
wertet. Zwar zeigt eine der ausgewerteten und vom Berufungsgericht berück-
sichtigten Studien eine höhere Komplikationsrate hinsichtlich von Nervschädi-
gungen bei Robodoc im Vergleich zu der manuellen Implantation. Diese Studie
stammt jedoch erst aus dem Jahr 2003. Der Sachverständige Prof. St. hat al-
lerdings in seiner mündlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht bekundet,
dass Kritiker des Verfahrens im Jahre 1995 nicht begründete Vermutungen ge-
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äußert hätten. Über den Inhalt dieser Vermutungen ist aber nichts mitgeteilt.
Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass sich diese auf einen möglichen
Zusammenhang zwischen Operationsdauer und Nervschädigung bezogen hät-
ten. Tatrichterlicher Feststellungen über den Inhalt oder die Tragweite dieser
Vermutungen bedarf es im Streitfall nicht, weil sich das angefochtene Urteil aus
einem anderen Grund als richtig erweist.
c) Die oben erörterten Mängel der Aufklärung wirken sich nämlich unter
den besonderen Umständen des Streitfalles nicht aus, weil sich mit der Nerv-
schädigung ein Risiko verwirklicht hat, über das die Klägerin vollständig - wenn
auch im Zusammenhang mit der herkömmlichen Operationsmethode - aufge-
klärt worden ist. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen hat
der Zeuge Dr. S. der Klägerin im Einzelnen erklärt, welche Nerven bei der Ope-
ration geschädigt werden könnten und wie sich dies auswirke. Er hat darge-
stellt, dass die Bewegung und Belastung der Beine betroffen sein könne, dass
es zu Verrenkungen des Gelenks kommen könne und dass auch die Streckung
des Knies beeinträchtigt werden könne, je nachdem welcher Nerv geschädigt
werde. Auch die Zeugin C., damals Stationsärztin bei dem Beklagten zu 1, hat
die Klägerin bei einem erneuten Aufklärungsgespräch zwei Tage vor der Opera-
tion auf die Gefahr einer Nervschädigung hingewiesen. Nach der Rechtspre-
chung des erkennenden Senats kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob
auch über andere - hier möglicherweise noch unbekannte - Risiken, die sich
nicht verwirklicht haben, hätte aufgeklärt werden müssen, wenn sich (nur) ein
Risiko verwirklicht, über das aufgeklärt werden musste und über das auch tat-
sächlich aufgeklärt worden ist. Denn die Klägerin hat in Kenntnis des später
verwirklichten Risikos ihre Einwilligung gegeben. Hat der Patient bei seiner
Einwilligung das später eingetretene Risiko in Kauf genommen, so kann er bei
wertender Betrachtungsweise nach dem Schutzzweck der Aufklärungspflicht
aus der Verwirklichung dieses Risikos keine Haftung herleiten (Senatsurteile
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BGHZ 144, 1, 7 f.; vom 12. März 1991 - VI ZR 232/90 - VersR 1991, 777, 779
und vom 30. Januar 2001 - VI ZR 353/99 - VersR 2001, 592; Frahm/Nixdorf,
aaO, Rn. 205; Geiß/Greiner, aaO, Rn. 157; MünchKommBGB/Wagner, aaO,
§ 823, Rn. 725; Steffen/Dressler, aaO, Rn. 450a).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Müller Greiner Wellner
Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 29.08.2003 - 2/21 O 362/98 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 07.12.2004 - 8 U 194/03 -