Urteil des BGH vom 10.09.2014

BGH: wiedereinsetzung in den vorigen stand, geldstrafe, strafbefehl, onkel, fahrzeug, daten, protokollierung, bestrafung, pause, rücknahme

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 S t R 3 5 1 / 1 4
vom
10. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Verabredung der gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von
Zahlungskarten mit Garantiefunktion
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. September 2014 be-
schlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Chemnitz vom 16. Dezember 2013, soweit es ihn betrifft,
nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Verabredens zu einem
Verbrechen“ unter Einbeziehung einer Vielzahl von Einzelfreiheitsstrafen aus
dem Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 8. März 2012 zu einer Gesamtfrei-
heitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des An-
geklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Urteilsfeststellungen entschlossen sich der Angeklagte, der
Mitangeklagte M. , der frühere Mitangeklagte F. und der geson-
dert Verfolgte N. sowie weitere unbekannte Mittäter zwischen Februar und
dem 25. März 2011 dazu,
– gewerbsmäßig und als Mitglieder einer Band han-
delnd
– an Geldauszahlungsautomaten der Commerzbank Skimmingequipment
zum technischen Ausspähen von Daten von Zahlungskarten mit Garantiefunk-
tion anzubringen (§ 152b Abs. 2 StGB). Mit den auszulesenden Daten und der
dazugehörigen PIN-Nummer sollten Kartendubletten hergestellt werden, um mit
diesen im Ausland an Geldautomaten Geldbeträge abheben zu können.
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a) Am Morgen des 25. März 2011 versuchte der Mitangeklagte M.
in den Geschäftsräumen der Commerzbank in Chemnitz durch Anbohren den
Karteneinzugsschacht des Geldauszahlungsautomaten zu manipulieren, der
sich jedoch selbsttätig abschaltete. Die Tatbeteiligten
– N. stand vor der
Bankfiliale und hielt Wache, während der Angeklagte und F. jeweils in
einem Fahrzeug die Umgebung beobachteten
– brachen daraufhin den Mani-
pu
lationsversuch ab und beabsichtigten, „ihr Glück an einem anderen Geldau-
tomaten später zu versuchen“.
b) Betreffend weitere vier vergleichbar ablaufende Taten, die der Ange-
klagte, M. und teilweise auch F. im Zeitraum vom 11. Februar bis
6. März 2011 begangen haben sollen, hat das Landgericht das Verfahren ge-
gen den Angeklagten und M. gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt (An-
klagevorwürfe 1, 3 bis 5). Gegenstand des Urteils des Landgerichts Bayreuth
vom 8. März 2012 waren elf
– zum Teil lediglich versuchte – Aufbrüche von
Geldeinzahlungsautomaten, die M. mit einem Schraubenzieher oder ei-
nem Geißfuß ausführte. Bei den ersten sieben der ab dem 13. März 2011 be-
gangenen Taten, von denen drei in unmittelbarer zeitlicher Abfolge nach der
gegenständlichen Tat am 26. und 27. März 2011 erfolgten, befand sich der An-
geklagte in seinem Fahrzeug und sicherte die Tatausführung ab.
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält
– auch eingedenk des
beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom
18. September 2008
– 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401) – sachlich-rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
a) Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, dass er davon ausgegan-
gen sei, es solle ein Aufbruch des Geldeinzahlungsautomaten stattfinden, um
an das Münzgeld zu gelangen. Entgegen der Einlassung M.
‘ sei nicht er,
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sondern M.
der „Kopf“ der Tätergruppe gewesen. Die Einlassung des An-
geklagten wird teilweise durch die vom Landgericht für unglaubhaft erachtete
Aussage des früheren Mitangeklagten F. gestützt, wonach M. ,
der zusammen mit N.
„das Sagen“ hatte, den Geldautomaten aufbrechen
soll
te; der Angeklagte sei zwar „ab und an bei den Taten beteiligt“ gewesen,
nicht jedoch am 25. März 2011.
b) Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er habe ge-
glaubt, sich an einem Automatenaufbruch zu beteiligen, durch die ohne nähere
Darlegung als glaubhaft bewertete Einlassung M.
’, die den Urteilsfeststel-
lungen zugrunde gelegt wurde, als widerlegt angesehen.
aa) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft. Sie ermöglicht
dem Revisionsgericht nicht die erforderliche Prüfung, inwieweit die Angaben
M.
‘ überhaupt geeignet waren, die Einlassung des Angeklagten zu wider-
legen. Den Sachverhaltsfeststellungen sind keine tatsächlichen Umstände zu
entnehmen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Angeklagte von
einer beabsichtigten Geldautomatenmanipulation ausgegangen ist. Dass der
Angeklagte von seinem Onkel D. das Skimmingequipment zur Verfü-
gung gestellt bekommen hat und von diesem in die Anwendung der Technik
eingewiesen worden ist, wird nicht belegt. Allein die rechtskräftige Verurteilung
D. s wegen erfolgreich durchgeführter Skimmingtaten mit einer anderen Tä-
tergruppe besagt hierzu nichts.
bb) Die Strafkammer belegt zudem nicht die Glaubhaftigkeit der Einlas-
sung des Mitangeklagten M. . Anlass zur kritischen Prüfung hätte bereits
aufgrund des Umstands bestanden, dass M. , der als einziger Beteiligter
die Geschäftsräume der Bank betreten hat, um die Skimmingtechnik anzubrin-
gen, ein maßgebliches Interesse hatte, seine Tatbeteiligung als geringer straf-
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würdig erscheinen zu lassen, so durch die Angabe, dass der Angeklagte der
„Kopf“ der Tätergruppe gewesen sei und dass er von dessen Onkel D. we-
gen eines nicht zurückgezahlten Darlehens mit massiver körperlicher Gewalt
zur Tatbegehung veranlasst worden sei.
cc) Ein Erörterungsmangel ist darüber hinaus auch darin zu sehen, dass
das Landgericht Umstände, die gegen eine Kenntnis des Angeklagten von der
beabsichtigten Geldautomatenmanipulation sprechen, nicht in seine Überle-
gungen einbezogen hat. Es stellt zwar zutreffend als Indiz heraus, dass der
Abbruch der Tat durch M. erfolgte, ohne dass eine Störung des Tatab-
laufs durch Dritte verursacht worden sei, und dass dieser Umstand den Schluss
zulasse, dass alle Tatbeteiligten von einem Manipulationsversuch ausgingen,
der wegen technischer Probleme gescheitert sei. Die Strafkammer hätte sich
aber gegenläufig damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte und
M. vom Landgericht Bayreuth lediglich wegen Aufbrüchen von Geldein-
zahlungsautomaten vor und unmittelbar im Anschluss an das Tatgeschehen
verurteilt worden war. Den Feststellungen, dass M. und der Angeklagte
nach der verfahrensgegenständlichen Tat sich „nunmehr“ entschlossen, Geld-
einzahlungsautomaten aufzubrechen, und gleichwohl auch beabsichtigten, „ihr
Glück an einem anderen Geldautomaten spät
er zu versuchen“, ermangelt es
daher an einer belastbaren Tatsachengrundlage.
3. Die Sache bedarf mithin neuer Verhandlung und Entscheidung. Das
neue Tatgericht wird bei neuerlicher Verurteilung zu prüfen haben, ob der
Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. Mai 2011 Zäsurwirkung entfal-
tet und daher
– unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots – zwei
(Gesamt-)Strafen zu verhängen sind (§ 55 StGB). Insoweit kommt es auf den
Vollstreckungsstand hinsichtlich der Geldstrafe zum Zeitpunkt des Urteils des
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Landgerichts Bayreuth vom 8. März 2012 an, weil dort bewusst von einer Ein-
beziehung der Geldstrafe lediglich deshalb abgesehen worden ist, weil der An-
geklagte nach Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl Wieder-
einsetzung in den vorigen Stand beantragt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom
21. August 2001
– 5 StR 291/01, NStZ 2001, 645).
4. Der Senat weist mit Blick auf die von der Revision erhobene Verfah-
rensrüge der „Verletzung des § 257c StPO“ darauf hin, dass die Vorgehens-
weise des Landgerichts durchgreifend bedenklich erscheint. Danach hat es am
16. Dezember 2013 Rechtsgespräche der Verfahrensbeteiligten außerhalb der
Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten gegeben, die zunächst zur
Einstellung der von ihm insgesamt bestrittenen Anklagevorwürfe 3 bis 5 und
später auch des Tatvorwurfs 1 gemäß § 154 Abs. 2 StPO und darauf zur Rück-
nahme der von ihm gestellten Beweisanträge führten, wobei die vom Landge-
richt ursprünglich geäußerte Straferwartung sich sukzessive auf vier Jahre Ge-
samtfreiheitsstrafe verringerte und die Staatsanwaltschaft hierzu Zustimmung
signalisierte. In ihrer Gegenerklärung zur Revisionsbegründung bestätigte die
Staatsanwaltschaft den Sachvortrag der Revision; es sei dem Sitzungsvertreter
lediglich „nicht mehr erinnerlich“, ob die „Absprache“ außerhalb der Hauptver-
handlung in einer Pause oder während der Hauptverhandlung erfolgte. Es habe
seitens des Vorsitzenden Äußerungen zur Höhe einer möglichen Bestrafung
des Angeklagten aufgrund seines Geständnisses und der bisher durchgeführ-
ten Beweisaufnahme gegeben.
Das Landgericht hat bei seinem Vorgehen die gesetzlichen Vorgaben ei-
ner Verständigung, wie sie in § 257c StPO statuiert sind, missachtet (zur Unzu-
lässigkeit informeller Absprachen: BVerfGE 133, 168). Die Rechtsansicht der
Staatsanwaltschaft, dass die Äußerungen des Vorsitzenden „nicht im Sinne des
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§ 257c StPO“ erfolgt und daher eine Protokollierung nicht erforderlich gewesen
sei, ist unvertretbar.
Basdorf Sander Schneider
Berger Bellay