Urteil des BGH vom 07.10.2010

BGH (vergütung, zuschlag, verwalter, erhöhung, zpo, betrag, beschwerde, vergleichsrechnung, abschlag, verschlechterungsverbot)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 115/08
vom
7. Oktober 2010
in dem Insolvenzverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Pape
am 7. Oktober 2010
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des weiteren Beteiligten werden der Be-
schluss des Amtsgerichts Memmingen vom 19. November 2007
und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Memmin-
gen vom 29. April 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten
des Verfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
43.607,04 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (nachfolgend auch: Beteiligter) ist Verwalter in dem am
16. August 2001 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der V.
GmbH (fortan: Schuldnerin), einer Bauträgergesellschaft, für die er schon
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im Eröffnungsverfahren mit Beschluss vom 4. Mai 2001 zum vorläufigen Insol-
venzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt worden war.
Mit seinem Schlussbericht vom 28. August 2007 hat der Beteiligte die
Festsetzung seiner Vergütung und Auslagen beantragt. Die Teilungsmasse be-
steht zu einem erheblichen Teil aus Feststellungsbeiträgen absonderungsbe-
rechtigter Gläubiger, die Rechte an den vom Beteiligten fertig gestellten Bau-
projekten hatten. Der Beteiligte hat beantragt, einen Zuschlag von insgesamt
30 v.H. auf den Regelsatz festzusetzen. Dieser soll sich aus einem Zuschlag
von 35 v.H. für Betriebsfortführung und einem Abschlag von 5 v.H. für die Tä-
tigkeit als vorläufiger Verwalter zusammensetzen.
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Mit Beschluss vom 19. November 2007 hat das Insolvenzgericht die Ver-
gütung abweichend vom Antrag des Beteiligten auf 75 v.H. der Regelvergütung
festgesetzt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beteiligten hat
das Landgericht durch Beschluss vom 29. April 2008 zurückgewiesen. Mit sei-
ner Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte seinen ursprünglichen Vergü-
tungsantrag weiter.
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II.
Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Insolvenzgericht sei nicht
gezwungen, Zu- und Abschlagstatbestände im Einzelnen zu bewerten; ausrei-
chend sei eine im Ergebnis angemessene Gesamtwürdigung. Die vom Beteilig-
ten als "Betriebsfortführung" angesehene Veräußerung der schuldnerischen
Immobilien sei durch die Sondervergütung nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 InsVV
angemessen berücksichtigt. Die Dauer des Verfahrens stelle für sich allein noch
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kein Zuschlagskriterium dar. Die Tätigkeit als vorläufiger Verwalter führe regel-
mäßig zu einem Abschlag auf die Vergütung des endgültigen.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 6, 7, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 574
Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 575 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der Be-
schwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landge-
richt (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
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1. Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Ausführungen des Be-
schwerdegerichts nicht mit den Grundsätzen vereinbar sind, die der Senat zur
Erhöhung der Regelvergütung nach § 3 Abs. 1 Buchst. b Alt. 1 InsVV aufgestellt
hat. Eine den Regelsatz übersteigende Vergütung ist festzusetzen, wenn der
Verwalter das Unternehmen des Schuldners fortgeführt hat und die Masse da-
durch nicht entsprechend größer geworden ist. Beide Tatbestandsmerkmale
müssen kumulativ gegeben sein. Von einer "entsprechend" größeren Masse ist
auszugehen, wenn die Erhöhung der Vergütung, die sich aus der Massemeh-
rung ergibt, ungefähr den Betrag erreicht, der dem Verwalter bei unveränderter
Masse über einen Zuschlag (§ 3 Abs. 1 Buchst. b Alt. 1 InsVV) zustände. Denn
der Insolvenzverwalter, der durch die Betriebsfortführung eine Anreicherung der
Masse bewirkt, darf vergütungsmäßig nicht schlechter stehen, als wenn die
Masse nicht angereichert worden wäre. Ist die aus der Massemehrung sich er-
gebende Erhöhung der Vergütung niedriger als der Betrag, der über den Zu-
schlag ohne Massemehrung verdient wäre, hat das Insolvenzgericht einen Zu-
schlag zu gewähren, der die bestehende Differenz in etwa ausgleicht. Höher
darf er nicht sein. Andernfalls würde der Insolvenzverwalter für seine Bemü-
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hungen um die Betriebsfortführung doppelt honoriert. Dies ist zu vermeiden
(BGH, Beschl. v. 22. Februar 2007 - IX ZB 106/06, ZIP 2007, 784, 786; v.
22. Februar 2007 - IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826; v. 24. Januar 2008 - IX ZB
120/07, ZInsO 2008, 266 Rn. 7).
Nach dieser Rechtsprechung hätte das Beschwerdegericht eine Ver-
gleichsrechnung durchführen müssen, bei der es den Wert, um den sich die
Masse durch die Unternehmensfortführung vergrößert hat, und die dadurch be-
dingte Zunahme der Regelvergütung mit der Höhe der Vergütung zu verglei-
chen hatte, die ohne die Massemehrung über den dann zu gewährenden Zu-
schlag erreicht würde. Dies ist nicht geschehen. Die Entscheidung lässt nicht
einmal eindeutig erkennen, ob das Beschwerdegericht überhaupt von einer Be-
triebsfortführung, die hier in einer Form vorliegen dürfte, die einer Auslaufpro-
duktion entspricht, ausgegangen ist. Erst nach einer solchen Vergleichsberech-
nung hätte das Beschwerdegericht entsprechend der von ihm mit Recht heran-
gezogenen Entscheidung des Senats vom 11. Mai 2006 (IX ZB 249/04, ZInsO
2006, 642 Rn. 12; vgl. auch BGH, Beschl. v. 6. Mai 2010 - IX ZB 123/09, ZInsO
2010, 1504 Rn. 7) eine Gesamtwürdigung der in Betracht zu ziehenden Zu- und
Abschlagstatbestände vornehmen dürfen.
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2. Nicht zu beanstanden ist - entgegen der Auffassung der Rechtsbe-
schwerdebegründung - die Auffassung des Beschwerdegerichts, eine überlange
Verfahrensdauer rechtfertige für sich gesehen als solche keinen Zuschlag. Dies
entspricht ständiger Rechtsprechung. Die Verfahrensdauer kann einen Zu-
schlag rechtfertigen, wenn der Verwalter stärker als in Insolvenzverfahren all-
gemein üblich in Anspruch genommen worden ist (BGH, Beschl. v. 11. Mai
2006, aaO Rn. 42; v. 6. Mai 2010, aaO; v. 16. September 2010 - IX ZB 154/09
Rn. 8 z.V.b.). Ob die Voraussetzungen für einen Zuschlag vorliegen, ist vom
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Tatrichter unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (BGH,
Beschl. v. 11. Mai 2006, aaO Rn. 44; v. 1. März 2007 - IX ZB 277/05, Rn. 7; v.
22. März 2007 - IX ZB 201/05, ZInsO 2007, 370 Rn. 3; v. 13. November 2008
- IX ZB 141/07, ZInsO 2009, 55 Rn. 10). Dessen Entscheidung ist in der
Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf zu überprüfen, ob sie die Gefahr der Ver-
schiebung von Maßstäben mit sich bringt (BGH, Beschl. v. 4. Juli 2002 - IX ZB
31/02, ZIP 2002, 1459, 1460; v. 12. Juni 2008 - IX ZB 184/07 Rn. 4; v.
13. November 2008 - IX ZB 141/07, ZInsO 2009, 55 Rn. 8).
3. Nach ständiger Rechtsprechung kann die vorbereitende Tätigkeit des
Beschwerdeführers als vorläufiger Insolvenzverwalter vergütungsmindernd in
Rechnung gestellt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 4. Februar 2010 - IX ZB 96/08
Rn. 2; v. 8. Juli 2010 - IX ZB 222/09, ZInsO 2010, 1503 Rn. 4). Hiervon ist das
Beschwerdegericht, in dessen tatrichterliche Verantwortung die Bemessung des
Abschlags auch insoweit fällt, zutreffend ausgegangen. Ein im Rechtsbe-
schwerdeverfahren erheblicher Fehler ist seiner Entscheidung insoweit nicht zu
entnehmen.
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4. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass
die vom Beschwerdegericht nachzuholende Vergleichsrechnung nicht zu einer
Erhöhung der Vergütung führen muss. Im Verfahren der sofortigen Beschwerde
gilt zwar das Verschlechterungsverbot (BGH, Beschl. v. 6. Mai 2004 - IX ZB
349/02, BGHZ 159, 122, 124 ff) mit der Folge, dass die Position des (alleinigen)
Rechtsmittelführers nicht zu seinem Nachteil verändert werden darf. Das Be-
schwerdegericht darf deshalb die dem Rechtsmittelführer in erster Instanz zu-
gesprochene Vergütung nicht herabsetzen. Es wird aber durch das Verschlech-
terungsverbot nicht gehindert, bei Feststellung der angemessenen Vergütung
im Einzelfall Vergütungsfaktoren anders zu bemessen als das Insolvenzgericht,
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soweit es den Vergütungsbetrag insgesamt nicht zum Nachteil des Beschwer-
deführers ändert (BGH, Beschl. v. 16. Juni 2005 - IX ZB 285/03, ZIP 2005,
1371; v. 28. September 2006 - IX ZB 108/05, ZIP 2006, 2186 Rn. 4)
Ganter Raebel Kayser
Lohmann
Pape
Vorinstanzen:
AG Memmingen, Entscheidung vom 19.11.2007 - IN 63/01 -
LG Memmingen, Entscheidung vom 29.04.2008 - 4 T 2155/07 -