Urteil des BGH vom 11.07.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 74/13
Verkündet am:
11. Juli 2014
Weschenfelder,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
SachenRBerG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 116 Abs. 1
Der Grundstückseigentümer ist nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG unabhängig da-
von anspruchsberechtigt, ob sein Grundstück am 2. Oktober 1990 durch ihn selbst
oder durch Dritte aufgrund eines mit ihm oder mit staatlichen Stellen der DDR ab-
geschlossenen Vertrags genutzt wurde. Entscheidend ist, ob die zur Erschließung
seines Grundstücks erforderliche Mitbenutzung des Nachbargrundstücks in der
DDR als rechtmäßig angesehen wurde.
BGH, Urteil vom 11. Juli 2014 - V ZR 74/13 - OLG Brandenburg
LG Cottbus
- 2 -
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Juli 2014 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter
Dr. Lemke, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richter Dr. Czub
und Dr. Kazele
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des
Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. Februar 2013
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungs-
gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit schriftlichem Nutzungsvertrag vom Januar/Februar 1988 übertrug der
Rat der Stadt L. als Rechtsträger eines vermeintlich volkseigenen
Grundstücks dem Kläger die Befugnis, ein an einem Wasserarm des Spree-
walds gelegenes Flurstück gewerblich für einen Paddelbootverleih zu nutzen.
Infolge einer Parzellenverwechselung wurde dem Kläger nicht das volkseigene,
im Vertrag bezeichnete Flurstück 227, sondern das benachbarte Flurstück 228
zur Nutzung überlassen, dessen Eigentümerin eine in H. lebende Frau
E. J. war. Der Kläger, dem im Februar 1989 eine Gewerbegenehmigung
erteilt worden war, errichtete bis zum 2. Oktober 1990 auf dem Flurstück ein
1
- 3 -
Bootshaus und nahm an einem Bootsschuppen bauliche Veränderungen vor.
Im Jahr 1996 erwarb er das Grundstück von E. J. .
Über die benachbarten, vor allem als Campingplätze genutzten Flurstü-
cke 184/1 und 184/2 führt ein ca. 400 m langer Weg, über den das Grundstück
des Klägers mit Kraftfahrzeugen allein erreicht werden kann. Über diese Flur-
stücke führen zudem die Ver- und Entsorgungsleitungen zu dem Grundstück
des Klägers. Die mitbenutzten Flurstücke wurden - zusammen mit anderen - im
Jahre 1993 nach dem Vermögensgesetz an eine Erbengemeinschaft zurück-
übertragen und von dieser in die beklagte Gesellschaft bürgerlichen Rechts
eingebracht.
Nachdem es mehrfach zu Streitigkeiten zwischen dem Kläger und der
Beklagten bzw. einem ihrer Pächter gekommen war, hat der Kläger im
Dezember 2008 Klage gegen die Beklagte auf Bewilligung der Eintragung einer
Grunddienstbarkeit zur Sicherung des Zugangs und der Zufahrt, der Unterhal-
tung der Ver- und Entsorgungsleitungen sowie des Rechts zum Abstellen von
Kraftfahrzeugen durch Kunden, Lieferanten und Entsorger auf dem Grundstück
der Beklagten nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG erhoben. Die Beklagte hat Kla-
geabweisung und im Wege der Hilfswiderklage beantragt, den Kläger zur Unter-
lassung der Ausübung des Wegerechts über den Umfang einer von ihr vor-
gelegten Nutzungsausübungsregelung hinaus zu verurteilen und für jeden Fall
der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld anzudrohen. Das Landgericht hat der
Klage in Bezug auf das Wege- und das Leitungsrecht stattgegeben; die weiter-
gehende Klage hinsichtlich der Fahrzeugstellplätze und die Hilfswiderklage hat
es abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die von beiden Parteien einge-
legten Berufungen die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der von dem Senat
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klage in vollem Umfange wei-
ter.
2
3
- 4 -
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht (dessen Entscheidung in ZOV 2013, 164 ff.
veröffentlicht ist) verneint einen Anspruch des Klägers nach § 116 Abs. 1
SachenRBerG. Das Gesetz sei nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG auf
die Nutzungen aufgrund eines Miet-, Pacht- oder sonstigen Nutzungsvertrages
grundsätzlich nicht anwendbar. Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a und b
SachenRBerG bezeichneten Unterausnahmen lägen ebenfalls nicht vor. § 7
Abs. 2 Nr. 6 SachenRBerG sei nicht einschlägig, weil der Kläger nicht ein
volkseigenes, sondern ein in Privateigentum stehendes Grundstück genutzt
habe. Eine rechtliche Absicherung komme auch nach dem Nachzeichnungs-
prinzip nicht in Betracht, weil bis zum 2. Oktober 1990 keine zur Einräumung
eines Mitbenutzungsrechts geeignete Grundstücksnutzung nach § 286 Abs. 1
ZGB vorgelegen habe. Auch der Umstand, dass der Kläger mittlerweile Eigen-
tümer des von ihm genutzten Grundstücks sei, führe nicht zu einem Anspruch
nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG, weil die frühere Eigentümerin bis zum
2. Oktober 1990 weder selbst noch durch Dritte das Grundstück zum Betrieb
eines Paddelbootverleihs genutzt habe.
II.
Das hält einer rechtlichen Prüfung in dem entscheidenden Punkt nicht
stand. Das Berufungsgericht verneint zu Unrecht einen Anspruch des Klägers
auf Bestellung einer Grunddienstbarkeit nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG. Die
Anwendung dieses Gesetzes ist entgegen seiner Auffassung nicht durch § 2
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG ausgeschlossen.
4
5
- 5 -
1. Richtig ist allerdings, dass derjenige, der nur auf Grund eines schuld-
rechtlichen Vertrages zur Nutzung des herrschenden Grundstücks berechtigt
ist, grundsätzlich nicht nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG die Bestellung eines
dinglichen Rechts (einer Grunddienstbarkeit nach § 1018 BGB oder einer be-
schränkten persönlichen Dienstbarkeit nach § 1090 Abs. 1 BGB) verlangen
kann.
a) Dem Anspruch des vertraglich Nutzungsberechtigten auf eine dingli-
che Absicherung der Mitbenutzung nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG steht der
in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG bestimmte Ausschluss der Anwend-
barkeit des Gesetzes für Bebauungen auf Grund von Miet-, Pacht oder sonsti-
gen Nutzungsverträgen grundsätzlich entgegen. Diese Vorschrift erfasst das
Sachenrechtsbereinigungsgesetz insgesamt. Die Sperrwirkung beschränkt sich
- schon nach dem Wortlaut der Norm - nicht nur auf die sich aus dem Kapitel 2
des Gesetzes (§§ 3 bis 111 SachenRBerG) ergebenden Ansprüche des Nut-
zers an dem von ihm baulich genutzten (= herrschenden) Grundstück auf Erb-
baurechtsbestellung (§§ 32 ff. SachenRBerG) oder auf dessen Ankauf (§§ 61 ff.
SachenRBerG), sondern umfasst auch den Anspruch auf Bestellung eines ding-
lichen Rechts an dem mitbenutzten Nachbargrundstück (§ 116 SachenRBerG).
aa) Demgemäß hat der Senat für vertraglich genutzte Grundstücke
- wenn auch nicht speziell im Hinblick auf den Anspruch nach § 116 Abs. 1
SachenRBerG - ausgeführt, dass Nutzungen auf schuldrechtlicher Grundlage
nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG von dem Gesetz nicht erfasst wer-
den (Senat, Urteil vom 22. Dezember 1995 - V ZR 334/94, BGHZ 131, 368,
372). Für die zur Erholung und Freizeitgestaltung genutzten Grundstücke (die in
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SachenRBerG bezeichnete Fallgruppe) hat der Senat
entschieden, dass die Bestellung einer Grunddienstbarkeit nach § 116 Abs. 1
SachenRBerG am dienenden Grundstück nicht verlangt werden kann, wenn
6
7
8
- 6 -
das herrschende Grundstück am 2. Oktober 1990 zu Freizeitzwecken genutzt
wurde (Senat, Urteil vom 5. Mai 2006 - V ZR 139/05, NJW-RR 2006, 1160
Rn. 9; Urteil vom 5. Juni 2009 - V ZR 117/08, NJW-RR 2010, 445 Rn. 9).
bb) Daran ist - soweit der Anspruch nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG
von einem vertraglich Nutzungsberechtigten geltend gemacht wird - auch im
Hinblick auf die von der Revision unter Berufung auf den Normzweck der
Bestimmungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SachenRBerG gestützten
Einwände festzuhalten.
(1) Richtig ist allerdings, dass die in den Ausschlusstatbeständen be-
zeichneten Sachverhalte sich auf die Rechtsverhältnisse an dem herrschenden
Grundstück und nicht auf diejenigen an dem benachbarten Grundstück bezie-
hen. Zutreffend ist auch, dass der von dem Gesetzgeber mit den Regelungen in
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SachenRBerG verfolgte Zweck darin bestanden
hat, die im Schuldrechtsanpassungsgesetz (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3
SchuldRAnpG) nach den Grundsätzen jenes Gesetzes geregelten Sachverhalte
aus dem Anwendungsbereich des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes heraus-
zunehmen (BT-Drucks. 12/5992, S. 66, 98; Czub in Czub/Schmidt-Räntsch/
Frenz, Sachenrechtsbereinigungsgesetz, § 2 Rn. 39 ff.; Eickmann/Rothe,
SachenRBerG, 12. Lieferung, § 2 Rn. 27; Zimmermann/Heller, Grundstücks-
recht-Ost, § 2 SachenRBerG Rn. 58, 60). Die Regelung der Mitbenutzung an
Nachbargrundstücken ist jedoch kein Gegenstand des Schuldrechtsanpas-
sungsgesetzes, so dass sich die Frage der Abgrenzung der Anwendungsberei-
che der beiden Gesetze, der Grund für die Bestimmungen in § 2 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 und 2 SachenRBerG gewesen ist, nicht stellt.
(2) Auch wenn der von dem Gesetzgeber mit dem Ausschlusstatbestand
in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG verfolgte Zweck sich auf die Rechts-
9
10
11
- 7 -
verhältnisse am herrschenden Grundstück bezogen hat, entspricht es dem Re-
gelungsziel der Sachenrechtsbereinigung, das Gesetz - einschließlich des An-
spruchs nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG - nicht auf diejenigen Nutzer an-
zuwenden, die das (herrschende) Grundstück bei Ablauf des 2. Oktober 1990
auf Grund eines Vertrags genutzt haben. Diese Nutzer sind selbst dann, wenn
sie das Grundstück bebaut haben, nicht nach dem Sachenrechtsbereinigungs-
gesetz anspruchsberechtigt. Insoweit besteht ein Junktim zwischen der Berech-
tigung am herrschenden Grundstück und dem Anspruch auf eine dingliche Ab-
sicherung der Mitbenutzung des dienenden Grundstücks.
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG bewirkt, dass Mieter, Pächter und
andere vertraglich Nutzungsberechtigte nicht schon deshalb, weil sie bei Ablauf
des 2. Oktober 1990 das Nachbargrundstück mitbenutzt haben, von dessen
Eigentümer eine Absicherung dieser Nutzung durch Eintragung einer be-
schränkten persönlichen Dienstbarkeit verlangen können. Die vertraglich Nut-
zungsberechtigten sind zwar zur Ausübung eines Wegerechts am Nachbar-
grundstück berechtigt, sie können aber nicht aus eigenem Recht von dem Ei-
gentümer des Nachbargrundstücks nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG die Be-
stellung einer Dienstbarkeit verlangen. Die Rechtslage stimmt insoweit mit der-
jenigen bei einem Notwegerecht nach § 917 BGB überein (zu dieser: Senat,
Urteil vom 5. Mai 2006 - V ZR 139/05, NJW-RR 2006, 1160 Rn. 6).
Diese Begrenzung des Kreises des Anspruchsberechtigten auf Grund-
stücks- oder Gebäudeeigentümer sowie Erbbauberechtigte (vgl. Senat, Urteil
vom 16. Dezember 2011 - V ZR 244/10, NJW-RR 2012, 651 Rn. 8; Frenz in
Czub/Schmidt-Räntsch/Frenz, SachenRBerG, § 116 Rn. 3; MünchKomm-
BGB/Smid, 4. Aufl., § 116 SachenRBerG Rn. 9; Rechtshandbuch - Vermögen
und Investitionen in der ehemaligen DDR [RVI]/Knauber, § 116 SachenRBerG
Rn. 6) entspricht dem Zweck des § 116 Abs. 1 SachenRBerG. Das Ziel der
12
13
- 8 -
Norm ist eine BGB-konforme Absicherung der Mitbenutzung des herrschenden
Grundstücks, nicht der Interessen des jeweiligen Nutzungsberechtigten (vgl.
Senat, Urteil vom 14. November 2003 - V ZR 72/03, VIZ 2004, 193, 194), die
üblicherweise durch eine Grunddienstbarkeit nach § 1018 BGB zu Gunsten des
jeweiligen Eigentümers erfolgt (vgl. Senat, Urteil vom 9. Mai 2003
- V ZR 388/02, VIZ 2003, 385, 386).
b) Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht auch das Vorliegen
einer der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchstaben a und b SachenRBerG bezeichneten
Ausnahmen, nach der bauliche Investitionen - auch wenn sie auf der Grundlage
einer vertraglichen Nutzung erfolgten - dann unter das Sachenrechtsbereini-
gungsgesetz fallen, wenn sie nach den Rechtsvorschriften der DDR hätten
dinglich abgesichert werden können (Senat, Urteil vom 8. November 1996
- V ZR 7/96, BGHZ 134, 50, 55).
Entgegen der Ansicht der Revision liegt hier auch kein sog. Nachzeich-
nungsfall (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 SachenRBerG) vor,
da die vertragliche Nutzung des Grundstücks in der DDR nicht durch die Verlei-
hung von Nutzungsrechten und die Begründung von selbständigem Gebäude-
eigentum hätte abgesichert werden können. Eine solche „Verdinglichung“ der
Rechtsposition des Klägers hätte auch nicht durch den Erwerb der Bauwerke
nach dem sog. Modrow-Gesetz (Gesetz über den Verkauf volkseigener Gebäu-
de vom 7. März 1990 - GBl. I S. 157) erfolgen können. Jenes Gesetz ermöglich-
te zwar in § 1 (als einer ersten Stufe der Privatisierung des Volkseigentums)
den Verkauf volkseigener Gebäude an private Handwerker und Gewerbetrei-
bende. Bei den von dem Kläger auf privatem Grund errichteten Bauwerken
handelte es sich jedoch nicht um volkseigene Gebäude, die nach Maßgabe je-
nes Gesetzes an ihn hätten veräußert werden können.
14
15
- 9 -
2. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht jedoch einen Anspruch
des Klägers auch aus dem von ihm erworbenen Eigentum am herrschenden
Grundstück. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG ist nicht einschlägig, wenn
der Grundstückseigentümer gegen seinen Nachbarn den Anspruch aus § 116
Abs. 1 SachenRBerG geltend macht, um eine vor diesem Zeitpunkt begründete,
zur Erschließung seines Grundstücks erforderliche Mitbenutzung durch Eintra-
gung einer Grunddienstbarkeit abzusichern.
a) Hat der Eigentümer das Grundstück selbst zum Betrieb seines Ge-
werbes genutzt, ist § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG wegen Fehlens einer
vertraglichen Nutzung nicht anwendbar. Von dem Wortlaut der Vorschrift erfasst
werden allerdings die Sachverhalte, in denen der Eigentümer das Grundstück
einem Dritten vermietet, verpachtet oder durch einen anderen Vertrag zu einer
solchen Nutzung überlassen hatte und dieser das Grundstück bebaut hat. Bei
wortgetreuer Gesetzesanwendung könnte der Grundstückseigentümer in die-
sen Fällen keine Absicherung einer zur Erschließung oder Entsorgung seines
Grundstücks erforderlichen Mitbenutzung verlangen. Insoweit ist jedoch eine
teleologische Reduktion des zu weit gefassten Ausschlusstatbestands geboten.
Eine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Vorschrift ist dann
vorzunehmen, wenn der Gesetzgeber nicht alle Konsequenzen der von ihm
gewählten Gesetzesfassung bedacht hat und ihre wortgetreue Anwendung das
gesetzgeberische Ziel deutlich verfehlen würde (BGH, Urteil vom 5. Juli 2007
- IX ZR 185/06, BGHZ 173, 116 Rn. 31; Beschluss vom 29. November 2013
- BLw 4/12, NJW-RR 2014, 243 Rn. 23). So ist es hier.
aa) Nach dem mit § 2 Abs. 1 Satz 1 SachenRBerG verfolgten Zweck wä-
re es nicht zu rechtfertigen, die Eigentümer, deren Grundstücke vor dem
3. Oktober 1990 auf vertraglicher Grundlage genutzt wurden, von den Ansprü-
chen auf sachenrechtliche Bereinigung der notwendigen Mitbenutzungen nach
16
17
18
- 10 -
§ 116 Abs. 1 SachenRBerG auszuschließen. Der Gesetzgeber hat mit dieser
Norm das Ziel verfolgt, die Bebauung privater Grundstücke auf der Grundlage
vertraglicher Nutzungsbefugnisse dem Nachzeichnungsprinzip entsprechend
aus dem Anwendungsbereich des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes heraus-
zunehmen und im Schuldrechtsanpassungsgesetz zu regeln (siehe oben
1.a)bb)). Ein weiterer, der Bereinigung der sachenrechtlichen Rechtsverhältnis-
se konformer Zweck der Vorschrift ist darin zu sehen, die allein vertraglich Nut-
zungsberechtigten von den Ansprüchen auf Bestellung dinglicher Rechte an
den von ihnen mitbenutzten Nachbargrundstücken auszuschließen. Beides trifft
jedoch auf die Grundstückseigentümer nicht zu.
bb) Die Nichtanwendung des Gesetzes auf einen Teil der Grundstücks-
eigentümer widerspräche auch dem von § 116 Abs. 1 SachenRBerG verfolgten
Zweck. Die Vorschrift dient der Bereinigung nachbarrechtlicher Verhältnisse, in
denen nach dem Recht der DDR eine Absicherung der Erschließung oder Ent-
sorgung durch ein Mitbenutzungsrecht (gemäß § 321 Abs. 2 ZGB) hätte bean-
sprucht werden können, dies jedoch unterblieben ist (Senat, Urteil vom
25. Februar 2000 - V ZR 203/99, BGHZ 144, 25, 27; Urteil vom 19. Juni 2009
- V ZR 229/08, juris Rn. 7, 9; Urteil vom 20. Februar 2009 - V ZR 184/08, NJW-
RR 2009, 1028 Rn. 12). Eine Auslegung, welche die Absicherung der für die
Erschließung oder Entsorgung von Grundstücken erforderlichen Mitbenutzung
nur bei den von den Eigentümern selbst genutzten Grundstücken zuließe, die
vertraglich genutzten Grundstücke davon jedoch ausschlösse, wäre eine unter
Beachtung dieses Normzwecks sinnwidrige Anordnung. Die Möglichkeit, die für
das herrschende Grundstück erforderliche Mitbenutzung nach § 116 Abs. 1
SachenRBerG durch eine Grunddienstbarkeit abzusichern, hinge von dem nach
dem Zweck des Gesetzes irrelevanten Umstand ab, ob der Eigentümer das
Grundstück am 2. Oktober 1990 selbst nutzte oder einem Dritten vermietet, ver-
pachtet oder durch einen anderen Vertrag zur Nutzung überlassen hatte (vgl.
19
- 11 -
Senat, Urteil vom 20. September 2002 - V ZR 270/01, WM 2003, 637, 639 zu
der Einrede aus § 29 Abs. 1 SachenRBerG).
b) Der Anwendbarkeit des § 116 Abs. 1 SachenRBerG steht schließlich
auch nicht der Umstand entgegen, dass die damalige (West-)Eigentümerin bis
zum Ablauf des 2. Oktober 1990 das Grundstück weder selbst noch durch Ver-
pachtung an den Beklagten nutzte.
Wer am 3. Oktober 1990 Eigentümer des herrschenden Grundstücks
war, ist für die Anspruchsberechtigung nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG uner-
heblich. Die Vorschrift verlangt nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn
nur, dass vor dem Beitritt eine für die Erschließung oder Entsorgung des eige-
nen Grundstücks oder Bauwerks erforderliche Nutzung begründet wurde (vgl.
Senat, Urteil vom 25. Februar 2000 - V ZR 203/99, BGHZ 144, 25, 27). Der Be-
griff der Nutzung im Sinne des § 116 Abs. 1 SachenRBerG ist grundstücksbe-
zogen in dem Sinne zu verstehen, dass das zu belastende Grundstück am
2. Oktober 1990 in dem bei Geltendmachung des Anspruchs abzusichernden
Umfang dem herrschenden Grundstück gedient haben muss (Senat, Urteil vom
14. November 2003 - V ZR 72/03, VIZ 2004, 193, 194; Urteil vom
16. Dezember 2011 - V ZR 244/10, NJW-RR 2012, 651 Rn. 14).
Den Bereinigungsanspruch nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG kann der
Eigentümer auch geltend machen, wenn nach den Rechtsvorschriften der DDR
an seiner Stelle nutzungsberechtigte staatliche Organe oder sozialistische Ge-
nossenschaften die für sein Grundstück erforderliche Mitbenutzung des Nach-
bargrundstücks begründet haben (vgl. Senat, Urteil vom 14. November 2003
- V ZR 72/03, VIZ 2004, 193, 194). Das gilt vor allem für die auf Grund des ge-
setzlichen Bodennutzungsrechts der Landwirtschaftlichen Produktionsgenos-
senschaften entstandenen Mitbenutzungen (§ 18 Abs. 1 LPG-G 1982). Diese
20
21
22
- 12 -
sollen ebenfalls nach § 116 SachenRBerG bereinigt werden (BT-Drucks.
12/5992, S. 179; Senat, Urteil vom 9. Mai 2003 - V ZR 388/02, VIZ 2003, 385,
386). Dasselbe gilt für die - hier vorliegenden - Nutzungsverhältnisse an priva-
ten Grundstücken, die darauf beruhen, dass eine LPG ihrem Bodennutzungs-
recht unterliegenden Flächen nach § 18 Abs. 2 Buchstabe h LPG-G 1982 ei-
nem staatlichen Organ (in diesem Fall dem Rat der Stadt) zur Nutzung überlas-
sen hat.
Die frühere Eigentümerin, die 1991 in das von dem Rat der Stadt be-
gründete Nutzungsverhältnis mit dem Kläger eingetreten ist, konnte demnach
anstelle des früheren Bodennutzungsberechtigten den Anspruch aus § 116
Abs. 1 SachenRBerG auf Absicherung der zur Erschließung und Entsorgung
ihres Grundstücks erforderlichen Mitbenutzung geltend machen. Mit dem Er-
werb des Eigentums an dem herrschenden Grundstück ist der Kläger nach § 14
Abs. 1 Satz 1 SachenRBerG Inhaber des Bereinigungsanspruchs geworden.
III.
Die Revision ist begründet und das angefochtene Berufungsurteil daher
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist jedoch nicht nach § 563 Abs. 3
ZPO entscheidungsreif. Zwar kann der Senat die erstinstanzlichen Feststellun-
gen zu Art und Umfang der Nutzung des Weges zugrunde legen, weil das Be-
rufungsgericht diese nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geprüft hat und zu dem Er-
gebnis gekommen ist, dass sich keine konkreten Zweifel an der Richtigkeit und
Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ergeben (vgl.
BGH, Urteil vom 30. Oktober 2007 - X ZR 101/06, NJW 2008, 576 Rn. 27, zur
Notwendigkeit der Zurückweisung, wenn diese Prüfung unterlassen wurde). Es
fehlt jedoch an Feststellungen, dass die dingliche Absicherung der Mitbenut-
23
24
- 13 -
zung durch eine Grunddienstbarkeit auch in dem von dem Kläger begehrten
Umfang nach den DDR-typischen Gegebenheiten als rechtmäßig angesehen
wurde, so dass die Einräumung eines Mitbenutzungsrechts nach § 321 Abs. 2
ZGB-DDR hätte verlangt werden können (vgl. Senat, Urteil vom 9. Mai 2003
- V ZR 388/02, VIZ 2003, 385; Urteil vom 20. Februar 2009 - V ZR 164/08,
NJW-RR 2009, 1028 Rn. 12; Urteil vom 19. Juni 2009 - V ZR 231/08, ZOV
2009, 235 Rn. 7). Insoweit sind das von dem Kläger beanspruchte Wegerecht
und das Stellplatzrecht zu unterscheiden.
1. Für die Entscheidung über das Wegerecht (Geh- und Fahrtrecht) ist
davon auszugehen, dass nach der maßgeblichen Auslegung des § 321 Abs. 2
ZGB durch die Gerichte der DDR der Eigentümer des Nachbargrundstücks ein
Übergangs- und Überfahrtrecht zu gewähren hatte, wenn das andere Grund-
stück nur über dessen Grundstück von einem öffentlichen Weg aus zu errei-
chen war (OG, NJ 1981, 570; BG Suhl, NJ 1976, 439, 440; NJ 1980, 47; Janke,
NJ 1983, 17, 18) und dass Nutzungsbeschränkungen in Bezug auf den Umfang
der Nutzung des Weges - wie sie die Beklagte mit der Widerklage verfolgt - nur
in besonders begründeten Ausnahmefällen zu treffen waren (Janke, aaO).
Maßgebend für den Inhalt der zu bestellenden Grunddienstbarkeit ist
grundsätzlich die bei Ablauf des 2. Oktober 1990 ausgeübte Nutzung. Nachfol-
gende Änderungen - wie die Einrichtung eines Gastronomiebetriebs auf dem
Grundstück des Klägers - schließen die Bestellung einer Grunddienstbarkeit
nicht aus; sie führen - wie sich aus § 118 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG ergibt -
jedoch dazu, dass der Eigentümer des belasteten Grundstücks seine Zustim-
mung von der Forderung eines höheren Entgelts abhängig machen kann (vgl.
Senat, Urteil vom 16. Dezember 2011 - V ZR 244/10, NJW-RR 2012, 651
Rn. 14). Änderungen, die zu einer Bedarfssteigerung führen, können allerdings
auch bei der nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG zu bestellenden Grunddienst-
25
26
- 14 -
barkeit nur nach den für das dingliche Recht geltenden Grundsätzen berück-
sichtigt werden, wenn sie sich noch in den Grenzen einer der Art nach gleich
bleibenden Benutzung halten und nicht auf eine bei der Begründung der Mitbe-
nutzung nicht vorhersehbare oder willkürliche Benutzungsänderung zurückzu-
führen sind (Senat, Urteil vom 19. Oktober 2007 - V ZR 150/06, NJW-RR 2008,
325 Rn. 21). Feststellungen dazu fehlen.
2. Ein Anspruch auf Bestellung einer Stellplatzdienstbarkeit nach § 116
Abs. 1 SachenRBerG setzt nicht nur voraus, dass eine entsprechende Nutzung
schon vor Ablauf des 2. Oktober 1990 bestanden hat (was das Landgericht
nicht hat feststellen können). Die Behauptung des Klägers, man sei damals irr-
tümlich davon ausgegangen, dass der Weg, an dessen Rand die Besucherfahr-
zeuge geparkt worden seien, ein öffentlicher Weg sei, ist in diesem Zusam-
menhang unerheblich. Nach dem Nachzeichnungsgedanken kommt es viel-
mehr darauf an, ob der Kläger dann - wenn die Beteiligten damals die tatsächli-
chen Verhältnisse erkannt hätten - nach § 321 Abs. 2 Satz 1 ZGB die Einräu-
mung eines Rechts auf eine Mitbenutzung des Nachbargrundstücks als Stell-
platz für Kunden seines Betriebs im Interesse einer ordnungsmäßigen Nutzung
hätte fordern können. Das ist weder festgestellt noch vorgetragen. Da sich das
Berufungsgericht jedoch - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - mit diesem
Anspruch überhaupt nicht befasst hat, ist die Entscheidung auch insoweit auf-
27
- 15 -
zuheben, um den Parteien noch Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen zu
geben.
Stresemann
Lemke
Schmidt-Räntsch
Czub
Kazele
Vorinstanzen:
LG Cottbus, Entscheidung vom 07.03.2012 - 3 O 319/08 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 14.02.2013 - 5 U 32/12 -