Urteil des BGH vom 16.09.2014

BGH: widerklage, sachprüfung, ausnahme, verfahrensmangel, unterliegen, berufungssumme, beschwerdegegenstand

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I Z B 5 / 1 3
vom
16. September 2014
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Wiechers und die Richter Dr. Ellenberger, Maihold, Dr. Matthias und die
Richterin Dr. Derstadt
am 16. September 2014
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der
7. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 19. Februar
2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Beschwerdewert: bis 900
Gründe:
I.
Das Berufungsgericht hat nach einem Hinweis vom 2. Januar 2013 die
Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom
28. März 2012 gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil
das Rechtsmittel nicht den Mindestbeschwerdegegenstand von 600
€ gemäß
§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteige. Hierzu hat das Berufungsgericht unter Be-
zugnahme auf seinen Hinweisbeschluss vom 2. Januar 2013 ausgeführt, der
Beschwerdegegenstand bestehe aus der Summe der nach dem Anerkenntnis
1
- 3 -
verbleibenden Zinsforderungen und Insolvenzkosten, die unstrittig unter 600
lägen. Ein "Zuschlag" auf diesen Betrag von 25% der ursprünglichen Klagefor-
derung - wie sie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 13. Februar 2013 mit Be-
zugnahme auf ihren Vorlageantrag ausführe - erschließe sich dem Berufungs-
gericht nicht. Dieser sei auch nicht durch die Angabe von Gesetzesnormen oder
Rechtsprechung untermauert.
Selbst wenn man aber die Berufung als zulässig erachten würde, hätte
diese in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, wie sich dem Hin-
weisbeschluss vom 2. Januar 2013 entnehmen lasse. Der Schriftsatz der Be-
klagten vom 13. Februar 2013 - der ohnehin verspätet eingereicht worden sei,
weil die gerichtlich festgesetzte Frist zur Stellungnahme bereits am 11. Februar
2013 abgelaufen gewesen sei - biete außerdem keinen Anlass zu einer ander-
weitigen Würdigung der Sach- und Rechtslage. Dagegen wendet sich die Be-
klagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1
Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdege-
richts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
1. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil er nicht ausreichend
mit Gründen versehen ist.
a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen nach ge-
festigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den maßgeblichen Sachver-
halt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und
2
3
4
5
- 4 -
die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; anderenfalls sind sie nicht mit
den nach dem Gesetz (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO) erforderlichen Gründen
versehen und bereits deshalb aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April
2013 - VI ZB 50/12, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 4 mwN). Das Rechtsbeschwerde-
gericht hat grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Beru-
fungsgericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Enthält der an-
gefochtene Beschluss keine tatsächlichen Feststellungen, ist das Rechtsbe-
schwerdegericht nicht zu einer rechtlichen Prüfung in der Lage. Dies gilt gerade
auch dann, wenn das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verwirft,
weil die Berufungssumme nicht erreicht sei. Denn eine Wertfestsetzung kann
vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Beru-
fungsgericht die angekündigten Anträge zur Kenntnis genommen und zutref-
fend bewertet und die Grenzen eines ihm gegebenenfalls durch § 3 ZPO einge-
räumten Ermessens überschritten oder rechtsfehlerhaft von ihm Gebrauch ge-
macht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, NJW-RR
2013, 1077 Rn. 4 mwN). Wird diesen Anforderungen nicht genügt, liegt ein von
Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung
der Entscheidung des Berufungsgerichts nach sich zieht (vgl. BGH, Beschluss
vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 4 mwN).
b) Eine Sachdarstellung ist lediglich dann ausnahmsweise entbehrlich,
wenn sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel noch mit
hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben (vgl. BGH, Be-
schluss vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 5 mwN).
c) Diesen Maßstäben wird die Verwerfungsentscheidung des Berufungs-
gerichts nicht gerecht. In diesem Beschluss und dem in Bezug genommenen
Hinweisbeschluss vom 2. Januar 2013 wird der maßgebliche Sachverhalt, über
den entschieden werden soll, nicht wiedergegeben. Gleiches gilt für die Anträge
6
7
- 5 -
beider Instanzen. Der Beschluss enthält - mit Ausnahme im Hinweisbeschluss
in Bezug auf den mit der Widerklage verfolgten Antrag auf Zusendung von Kon-
toauszügen - keine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil. Allein die
Rechtsausführungen enthalten keine ausreichenden Informationen über den
festgestellten Sachverhalt und das Begehren der Parteien in den beiden Tatsa-
cheninstanzen. Der Verwerfungsbeschluss enthält mithin nicht die für eine
Sachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlichen Feststellungen.
2. Die Sache ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO), welches über
die Wertfestsetzung erneut zu befinden haben wird.
Der Senat kann mangels der erforderlichen Feststellungen auch nicht
gemäß § 577 Abs. 5 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die vom Berufungs-
gericht hilfsweise gemachten Ausführungen zur Unbegründetheit der Berufung
gelten als nicht geschrieben und sind vom Revisionsgericht nicht zu beachten
(vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, WM 2011, 1324 Rn. 45
8
9
- 6 -
mwN). Mangels ausreichender Feststellungen bietet der Beschluss des Beru-
fungsgerichts zudem auch keine verwertbare Grundlage für die rechtliche Beur-
teilung durch das Revisionsgericht (vgl. dazu BGH aaO).
Wiechers
Ellenberger
Maihold
Matthias
Derstadt
Vorinstanzen:
AG Osnabrück, Entscheidung vom 28.03.2012 - 83 C 11/11 (13) -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 19.02.2013 - 7 S 181/12 -