Urteil des BGH vom 27.06.2012

Leitsatzentscheidung zu Schutz der Ehe, Gleichheit im Unrecht, Parteiwechsel, Scheinehe, Verfassungskonforme Auslegung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZR 89/10
Verkündet am:
27. Juni 2012
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
GG Art. 6 Abs. 5; BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5
Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage eingeholt,
ob § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts
zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (BGBl. I S. 313) mit Art. 6 Abs. 5
GG vereinbar ist.
BGH, Beschluss vom 27. Juni 2012 - XII ZR 89/10 - KG Berlin
AG Berlin-Pankow/Weißensee
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. Mai 2012 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Weber-
Monecke, Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu
folgender Frage eingeholt:
Ist § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB in der Fassung des Gesetzes
zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft
vom 13. März 2008 (BGBl. I S. 313) mit Art. 6 Abs. 5 GG
vereinbar?
Gründe:
A.
Das ursprünglich klagende Land hat im Wege der Behördenanfechtung
die Vaterschaft des Beklagten zu 2 (im Folgenden: Vater) zum Beklagten zu 1
(im Folgenden: Kind) angefochten.
Die Mutter des im Juni 2005 geborenen Kindes ist bosnisch-herzegowini-
sche Staatsangehörige. Der mit der Mutter nicht verheiratete Vater ist deutscher
Staatsangehöriger und erkannte die Vaterschaft im August 2005 vor dem Stan-
desamt an. Im Dezember 2006 erhielt die Mutter als Elternteil eines minderjäh-
rigen ledigen Deutschen anstelle der ihr zuvor erteilten befristeten eine unbe-
fristete Aufenthaltserlaubnis. Das ursprünglich klagende Land hat geltend ge-
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macht, dass die Mutter zu keiner Zeit mit dem Vater in einer Haushaltsgemein-
schaft gelebt und eine wirtschaftliche Hausgemeinschaft geführt habe. Es be-
stünden ernsthafte Zweifel an der biologischen Vaterschaft, weil zwischen den
Beklagten nie eine sozial-familiäre Beziehung bestanden habe und durch die
Anerkennung die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der unbefriste-
ten Aufenthaltserlaubnis geschaffen worden seien. Die Anfechtungsfrist sei ge-
wahrt, weil das Land erst durch ein Schreiben der Ausländerbehörde vom März
2009 von den Anfechtungstatsachen Kenntnis erlangt habe.
Der Senat des Landes Berlin hatte bis Dezember 2010 von der Verord-
nungsermächtigung in § 1600 Abs. 6 Satz 1, 2 BGB keinen Gebrauch gemacht
und keine für die Anfechtung der Vaterschaft zuständige Behörde bestimmt.
Das Land hat sich darauf berufen, dass sich die zuständige Behörde bereits
aus dem bestehenden Gesetz über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen
Berliner Verwaltung (AZG) und dem Verwaltungsverfahrensgesetz ergebe.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat
die Berufung des Landes zurückgewiesen. Dagegen hat das Land die vom Be-
rufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. In der Revisionsinstanz ist auf
Klägerseite ein Parteiwechsel zugunsten der nunmehr anfechtungsberechtigten
Behörde als neuer Klägerin erklärt worden. Das in der Revisionsinstanz durch
einen zugelassenen Rechtsanwalt allein vertretene Kind hat dem Parteiwechsel
zugestimmt.
B.
Das Verfahren ist nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen. Nach
Überzeugung des Senats ist das behördliche Anfechtungsrecht nach § 1600
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Abs. 1 Nr. 5 BGB mit Art. 6 Abs. 5 GG unvereinbar, weil die Regelung eine An-
fechtung der Vaterschaft nur in Bezug auf die Anerkennung nichtehelicher Kin-
der vorsieht, während eheliche Kinder davon auch im Fall eines vergleichbaren
Rechtsmissbrauchs nicht betroffen sein können. Zur Verfassungsmäßigkeit ist
eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Eine bloße Aussetzung entsprechend § 148 ZPO wegen bereits beim
Bundesverfassungsgericht zu der Frage anhängiger Verfahren (BVerfG
1 BvL 6/10 Vorlage des Amtsgerichts Hamburg-Altona; OLG Bremen FamRZ
2011, 1073) ohne eigene Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (vgl.
BVerfG
NJW 2000,
1484;
BGH
Beschlüsse
vom
25. März
1998
- VIII ZR 337/97 - NJW 1998, 1957 und vom 18. Juli 2000 - VIII ZR 323/99 -
RdE 2001, 20) ist im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil der Senat die verfas-
sungsrechtlichen Bedenken im Ergebnis teilt.
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage unbegründet. Das
(ursprünglich) klagende Land sei nicht nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB anfech-
tungsberechtigt, da es selbst nicht Behörde, sondern der Rechtsträger sei, dem
die Landesbehörden angehörten. Der Gesetzgeber habe die Landesregierun-
gen ermächtigen wollen, die anfechtungsberechtigten Behörden nach ihrer Eig-
nung und den örtlichen Besonderheiten auszuwählen. Dass der Rechtsträger
selbst das Anfechtungsrecht wahrnehmen können solle, sei in der Gesetzesbe-
gründung nicht in Erwägung gezogen worden. Die schon vor der gesetzlichen
Neuregelung bestehenden gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen könnten ein
Anfechtungsrecht nicht begründen. So lange von der Verordnungsermächtigung
kein Gebrauch gemacht worden sei, bedürfe es auch keiner Entscheidung dar-
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über, ob die Landesregierung als Adressat der Verordnungsermächtigung in
§ 1600 Abs. 6 Satz 1 BGB selbst für die Anfechtung der Vaterschaft zuständig
sei.
II.
Die Frage, ob § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB verfassungsgemäß ist, ist für die
Entscheidung des Rechtsstreits erheblich. Würde § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ge-
gen Art. 6 Abs. 5 GG verstoßen, könnte der Rechtsstreit nicht entschieden wer-
den.
1. Der Revision bleibt ein Erfolg nicht schon ohne Rücksicht auf die Ver-
fassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung versagt.
a) Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis
Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor
diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Novem-
ber 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10). Das Verfahren der Vater-
schaftsanfechtung richtet sich demnach noch nach §§ 640 ff. ZPO, § 1600 e
BGB.
Die Klage ist zulässig. Der Parteiwechsel vom Land zu dem Bezirksamt
als zuständiger Behörde auf Klägerseite ist entsprechend § 263 ZPO (vgl.
BeckOK ZPO/Bacher [Stand: 15. April 2012] § 263 Rn. 17 mwN) wirksam. Zwar
ist in der Revisionsinstanz ein Parteiwechsel grundsätzlich nicht mehr möglich,
wenn dieser mit neuem Tatsachenvortrag verbunden ist (vgl. Hüßtege in
Thomas/Putzo ZPO 33. Aufl. Vor § 50 Rn. 24). Die vorliegende Fallgestaltung
zeichnet sich indessen durch die Besonderheit aus, dass ein Parteiwechsel we-
gen einer Rechtsänderung zur Zuständigkeit der anfechtungsberechtigten Be-
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hörde erforderlich geworden ist, welche auch im Revisionsverfahren zu berück-
sichtigen ist und sowohl aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes wie auch
der Prozessökonomie die Möglichkeit des Eintritts der nunmehr zuständigen
Behörde erfordert (vgl. Senatsurteil BGHZ 109, 211 = FamRZ 1990, 283, 284;
BVerwGE 44, 148, 151 = DÖV 1974, 241). Das beklagte Kind hat dem Partei-
wechsel zugestimmt. Überdies bedurfte es der Zustimmung der Beklagten
nicht, weil der Parteiwechsel lediglich in der durch Gesetzesänderung veränder-
ten Zuständigkeit begründet liegt und daher sachdienlich ist. Er beeinträchtigt
die Beklagten nicht in ihren Rechten, weil sich außer der neu geregelten Zu-
ständigkeit im Sinne von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB der Prozessstoff nicht geän-
dert hat. Ob überdies ein Parteiwechsel bereits kraft Gesetzes eingetreten ist
oder dem Land eine Fortsetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung
von § 265 Abs. 2 ZPO eröffnet war, erscheint zweifelhaft (vgl. BVerwGE 44,
148, 151 = DÖV 1974, 241 sowie BGH Urteil vom 7. Januar 2008
- II ZR 283/06 - NJW-RR 2008, 860), bedarf aber wegen des jedenfalls wirksam
erklärten - gewillkürten - Parteiwechsels im vorliegenden Fall keiner Entschei-
dung.
Die Parteifähigkeit der Behörde ergibt sich aus der dieser durch § 1600
Abs. 1 Nr. 5 BGB übertragenen Aufgabe (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl.
§ 50 Rn. 25 sowie - zur Beteiligtenstellung nach dem FamFG - § 8 Nr. 3 FamFG
und Staudinger/Rauscher BGB [2011] § 1600 Rn. 124). Die Wahrnehmung der
vom Gesetz zugewiesenen Aufgabe setzt voraus, dass die Behörde im eigenen
Namen einen Prozess führen kann. Die Anfechtungsberechtigung der Behörde
ist dementsprechend der Regelung zur Eheaufhebung gemäß § 1316 Abs. 1
Nr. 1 BGB nachgebildet (BT-Drucks. 16/3291 S. 12). Für diese war schon auf-
grund des vor Inkrafttreten des FGG-Reformgesetzes geltenden Verfahrens-
rechts die Parteifähigkeit der antragsberechtigten Behörde nicht zweifelhaft (vgl.
§ 631 Abs. 5 ZPO sowie Musielak/Borth ZPO 6. Aufl. § 631 Rn. 11). Dass die
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Behörde als solche nicht rechtsfähig ist und ob deren Prozessführung - wie von
der Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erwogen - etwa als
eine Prozessstandschaft für das Land als Rechtsträger zu qualifizieren ist, ist
nicht von Bedeutung, weil beides der Prozessführung durch die Behörde im
eigenen Namen wie auch deren Parteifähigkeit nicht entgegensteht.
Die Wirksamkeit der gesetzlichen Aufgabenzuweisung an die anfech-
tungsberechtigte Behörde ist für das vorliegende Verfahren ungeachtet der
Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung zu unterstellen.
Denn der Behörde muss zur Geltendmachung ihrer prozessualen Rechte der
Zugang zu einer gerichtlichen Sachprüfung eröffnet sein (vgl. BGH Beschlüsse
vom 31. Mai 2010 - II ZB 9/09 - NJW 2010, 3100 und vom 27. September 2007
- VII ZB 23/07 - FamRZ 2008, 256 jeweils mwN; Hüßtege in Thomas/Putzo
ZPO 33. Aufl. § 50 Rn. 11).
Berufung und Revision sind vom ursprünglich klagenden Land in zulässi-
ger Weise eingelegt und begründet worden.
b) Nach dem Parteiwechsel stellt sich die vom Berufungsgericht vernein-
te Frage, ob das Land als ursprüngliche Klägerin als Behörde im Sinne von
§ 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 6 BGB eine Anfechtungsklage erheben konnte, in
diesem Zusammenhang nicht mehr. Denn für die Begründetheit der Klage ist
auf den Zeitpunkt der Revisionsentscheidung abzustellen. Die Anfechtungsbe-
rechtigung der nunmehr klagenden Behörde ist demnach auch vom Standpunkt
des Berufungsgerichts aus betrachtet nicht mehr zweifelhaft.
c) Die übrigen Voraussetzungen der behördlichen Vaterschaftsanfech-
tung hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht
geprüft. Aufgrund des von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalts kann
auch nicht davon ausgegangen werden, dass es an einer Anfechtungsvoraus-
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setzung fehlt und die Klage schon aus anderen Gründen als der Verfassungs-
widrigkeit der gesetzlichen Regelung abzuweisen ist.
aa) Zu der Frage des Bestehens einer sozial-familiären Beziehung zwi-
schen den Beklagten im Sinne von § 1600 Abs. 3 BGB haben die Vorinstanzen
keine Feststellungen getroffen. Für die Revisionsinstanz ist daher der Kläger-
vortrag zu unterstellen, dass zwischen den Beklagten keine sozial-familiäre Be-
ziehung besteht und bestanden hat.
Einen weitergehenden als den die Voraussetzungen nach § 1600 Abs. 3
BGB umfassenden Klägervortrag setzt die Schlüssigkeit der von der Behörde
erhobenen Anfechtungsklage nicht voraus. Zwar erfordert die Schlüssigkeit der
Anfechtungsklage nach der Rechtsprechung des Senats bei der Anfechtung
nach § 1600 Nr. 1 bis 4 BGB - entsprechend der den Lauf der Anfechtungsfrist
nach § 1600 b BGB auslösenden Kenntniserlangung - einen Klägervortrag zum
Anfangsverdacht, dass das Kind nicht das leibliche Kind des Vaters ist (vgl. Se-
natsurteile vom 22. April 1998 - XII ZR 229/96 - FamRZ 1998, 955, 956; vom
30. Oktober 2002 - XII ZR 345/00 - FamRZ 2003, 155, 156; BGHZ 162, 1
= FamRZ 2005, 340 und nunmehr § 171 Abs. 2 Satz 2 FamFG). Demgegen-
über hat die anfechtungsberechtigte Behörde - wiederum entsprechend der den
Lauf der Frist in Gang setzenden Kenntniserlangung gemäß § 1600 b Abs. 1 a
BGB - lediglich vorzutragen, dass die Anfechtungsvoraussetzungen nach
§ 1600 Abs. 3 BGB vorliegen (vgl. BT-Drucks. 16/3291 S. 14 f. sowie nunmehr
§ 171 Abs. 2 Satz 3 FamFG; i.E. ebenso MünchKommBGB/Wellenhofer 6. Aufl.
§ 1600 Rn. 24; aA Genenger FPR 2007, 155, 158).
bb) Auch die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen der Vaterschafts-
anfechtung liegen vor.
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Nach § 1600 Abs. 3 BGB müssen durch die Anerkennung rechtliche Vo-
raussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kin-
des oder eines Elternteiles geschaffen worden sein. Das Kind hat durch die An-
erkennung nach § 4 Abs. 1 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erworben
und unterliegt damit keinen Aufenthaltsbeschränkungen (Art. 11 GG). Die Mut-
ter hat durch die Anerkennung einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis
nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erworben. Deren Befristung hat sich
gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG am Aufenthaltszweck zu orientieren, der im
vorliegenden Fall in der Ausübung der Personensorge besteht. Zudem ist ei-
nem aufenthaltsberechtigten Ausländer nach § 28 Abs. 2 AufenthG in der Regel
nach drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Vor der Anerken-
nung hatte die Mutter lediglich eine befristete Aufenthaltserlaubnis als Härtefall
gemäß § 23 a AufenthG, an der das minderjährige Kind teilhatte (vgl. § 33
AufenthG).
Es ist allerdings zweifelhaft, ob die Voraussetzungen eines erlaubten
Aufenthalts auch bei einem bereits bestehenden - befristeten - Aufenthaltstitel
durch die Anerkennung geschaffen worden und damit die aufenthaltsrechtlichen
Voraussetzungen der Anfechtung erfüllt sind. Die Frage ist jedenfalls unter den
Umständen des vorliegenden Falles zu bejahen.
Dass von der gesetzlichen Regelung nicht nur Fälle eines aufgrund der
Anerkennung erstmals erlangten Aufenthaltstitels, sondern auch solche einer
Verbesserung des Aufenthaltsstatus erfasst werden sollten, liegt allerdings na-
he. Von der Anknüpfung des Gesetzes an den erlaubten Aufenthalt wird auch
der Fall erfasst, dass der Aufenthalt infolge der Anerkennung für eine längere
Zeit erlaubt ist, als er es ohne diese wäre. Der Wortlaut deckt daher auch sol-
che Fallgestaltungen ab, in denen der Aufenthaltsstatus durch die Anerkennung
nur verbessert wird und Kind und Elternteil auch ohne die Anerkennung nicht
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ausreisepflichtig wären (Erman/Hammermann BGB 13. Aufl. § 1600 Rn. 22 g).
Zudem wird aus den Gesetzesmaterialien deutlich, dass die Behördenanfech-
tung auch Fälle erfassen sollte, in denen ein noch nicht auf Dauer gesicherter
Aufenthalt durch die Anerkennung der Vaterschaft in einen dauerhaft gesicher-
ten umgewandelt wird (BT-Drucks. 16/3291 S. 10).
Ob dies unterschiedslos zu gelten hat oder eine differenzierte Betrach-
tung notwendig ist (vgl. etwa Staudinger/Rauscher BGB [2011] § 1600
Rn. 119 f.), braucht im vorliegenden Fall wegen der Besonderheiten des von
der Mutter vor der Anerkennung innegehabten Aufenthaltstitels nicht entschie-
den zu werden. Denn bei dem vor der Anerkennung bestehenden Aufenthaltsti-
tel handelte es sich um eine befristete Aufenthaltserlaubnis in Härtefällen nach
§ 23 a Abs. 1 AufenthG, die auf Ersuchen der von der Landesregierung einge-
richteten Härtefallkommission erteilt worden ist. Die Befugnis zur Aufenthalts-
gewährung besteht nach § 23 a Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausschließlich im öf-
fentlichen Interesse und begründet keine eigenen Rechte des Ausländers. Da-
gegen hat die Anerkennung der Vaterschaft durch den Beklagten zu 2 im vor-
liegenden Fall sowohl für das Kind (bereits aufgrund des Erwerbs der Staatsan-
gehörigkeit) als auch für die Mutter einen gesicherten Aufenthaltsstatus be-
gründet, der über die befristete Aufenthaltserlaubnis in Härtefällen deutlich hin-
ausgeht. Damit ist das Anfechtungserfordernis erfüllt, dass durch die Anerken-
nung rechtliche Voraussetzungen für den erlaubten Aufenthalt geschaffen wor-
den sind.
cc) Die kenntnisabhängige Anfechtungsfrist nach § 1600 Abs. 1 a Satz 2
BGB ist aufgrund der Feststellungen der Vorinstanzen durch die Klageerhebung
gewahrt worden. Die Frist wurde erst in Gang gesetzt, nachdem das zuständige
Bezirksamt durch die Ausländerbehörde gemäß § 90 Abs. 5 AufenthG im März
2009 über die Voraussetzungen der Behördenanfechtung informiert worden war
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(zur Kenntniszurechnung vgl. BGH Urteil vom 28. Februar 2012 - VI ZR 9/11 -
VersR 2012, 738 Rn. 9 mwN; BVerwG NJW 1985, 819; Palandt/Brudermüller
BGB 71. Aufl. § 1600 b Rn. 33).
Die Frist ist durch die im Juni 2009 eingereichte Anfechtungsklage ge-
wahrt worden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war das ur-
sprünglich klagende Land zur Erhebung der Anfechtungsklage aktivlegitimiert.
Das Land war bei Erhebung der Klage zuständige Behörde im Sinne von
§ 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB.
Es war nicht gehalten, von der Verordnungsermächtigung nach § 1600
Abs. 6 Satz 1 BGB Gebrauch zu machen und eine Behörde zu bestimmen, um
die ihm übertragene Ausführung des Gesetzes zu gewährleisten (aA - mit dem
Berufungsgericht - Staudinger/Rauscher BGB [2011] § 1600 Rn. 107). Vielmehr
konnte es die Aufgabe durch die nach dem allgemeinen Organisationsrecht zu-
ständige Behörde selbst wahrnehmen.
Die Revision macht zutreffend geltend, dass die Bundesgesetze nach
Art. 83 GG von den Ländern grundsätzlich als eigene Angelegenheit auszufüh-
ren sind. Nach Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG regeln die Länder die Einrichtung der
Behörden und das Verwaltungsverfahren. Der Bundesgesetzgeber darf dabei
nicht in die Organisationshoheit der Länder eingreifen. In diesem Sinne ist auch
die Vorschrift des § 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 6 BGB auszulegen. Denn diese
enthält lediglich eine Verordnungsermächtigung. Durch sie wird weder ein
Zwang zur Einrichtung bestimmter Landesbehörden ausgeübt noch vorge-
schrieben, in welcher Organisationsform die Aufgabe wahrzunehmen ist.
Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass der Begriff der Behörde
vom Gesetzgeber in vielfältigem Sinne verwendet wird und allein mit der Ver-
wendung des Begriffs der Behörde daher kein - nach Art. 84 GG unzulässiger -
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Zwang zu einer bestimmten Organisationsform verbunden ist. Der Begriff bleibt
dementsprechend im vorliegenden Regelungszusammenhang nicht auf unselb-
ständige Stellen öffentlicher Verwaltung ohne eigene Rechtspersönlichkeit be-
schränkt, sondern ermöglicht auch die Tätigkeit eines selbständigen Ver-
waltungsträgers. Dementsprechend haben einzelne Bundesländer die behördli-
che Vaterschaftsanfechtung auf die Landkreise und kreisfreien Städte und
somit auf rechtlich selbständige Verwaltungsträger übertragen (§ 1 Abs. 1
Satz 1 AV-ZustV Brandenburg GVBl. II 2009, S. 62; § 1 Abs. 1 VatAnfZustV
Niedersachsen Nds. GVBl. 2008, 273).
Mangels anderweitiger Delegation des Anfechtungsrechts auf eine Be-
hörde oblag die Wahrnehmung der in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB vorgesehenen
Behördenanfechtung nach Art. 83 GG dem Land. Nach §§ 5 Abs. 2, 4 Abs. 1
Satz 2 des Berliner Gesetzes über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen
Berliner Verwaltung (AZG Berlin) wird die Zuständigkeit für die der Berliner
Verwaltung durch Bundesgesetz zugewiesenen neuen Aufgaben in der Form
wahrgenommen, dass das Land als Rechtsträger von den zuständigen Bezirks-
ämtern vertreten wird.
Diese waren bis zum Erlass der Ausführungsverordnung mangels einer
gesetzlichen Zuweisung der Anfechtungsbefugnis an eine Behörde noch nicht
parteifähig (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. § 50 Rn. 25). Demnach war
bis zum Erlass der Verordnung über die Bestimmung der zuständigen Behörde
im Vaterschaftsanfechtungsverfahren vom 14. Dezember 2010 das Land die
zuständige Behörde im Sinne von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB und konnte, vertre-
ten durch das Bezirksamt, fristwahrend die vorliegende Klage erheben.
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dd) Schließlich fehlt es bislang auch an Feststellungen zur biologischen
Vaterschaft (§ 1599 BGB), so dass es entscheidend auf die Verfassungsmäßig-
keit von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ankommt.
ee) Dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit nach einer weiteren
Sachaufklärung, die im vorliegenden Fall von den Vorinstanzen noch nicht ab-
schließend durchgeführt worden ist, möglicherweise nicht beantwortet werden
müsste, hindert die Vorlage durch den Senat nicht. Anders als in der die Vorla-
ge durch die Tatsachengerichte betreffenden Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts ist der Bundesgerichtshof als Revisionsgericht nicht in der
Lage, die gebotenen Ermittlungen selbst durchzuführen (vgl. BVerfGE 24, 119,
133 f.). Die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts ist vielmehr dem
Tatrichter vorbehalten. Eine die Revisionsinstanz abschließende Entscheidung
unterscheidet sich auch dann, wenn sie das Gesamtverfahren nicht beendet,
sondern die Sache zurückverweist, wesentlich von einer Zwischenentscheidung
nach Art eines Beweisbeschlusses innerhalb derselben Instanz. Sie enthält in-
haltlich eine Entscheidung über Rechtsfragen, sie hebt die bis dahin gültige
Sachentscheidung auf und bindet das untere Gericht im Rahmen der für die
Aufhebung maßgebenden Begründung. Vor allem aber stellt sich die Frage der
Prozessökonomie bei einer Zurückverweisung anders als bei einer Zwi-
schenentscheidung in derselben Instanz. Der Gesichtspunkt, das Bundesver-
fassungsgericht vor einer Überlastung mit Verfahren der konkreten Normenkon-
trolle zu bewahren, tritt in diesem Fall nach der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts hinter dem berechtigten Interesse der Verfahrensbeteilig-
ten und der Gerichte, ein erneutes Durchlaufen des Instanzenzuges nach Mög-
lichkeit zu vermeiden, zurück (BVerfGE 24, 119, 133 f.).
2. Somit kommt es für die vom Senat zu treffende Entscheidung auf die
Verfassungsmäßigkeit von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB an. Wäre die Norm anzu-
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wenden, so müsste das Berufungsurteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückver-
wiesen werden. Da der Senat die Regelung für verfassungswidrig hält, hat er
die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
III.
Der Senat ist der Überzeugung, dass die behördliche Vaterschafts-
anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB in ihrer derzeitigen gesetzlichen
Ausgestaltung wegen Verletzung von Art. 6 Abs. 5 GG verfassungswidrig ist
(ebenso OLG Bremen FamRZ 2011, 1073, AG Hamburg-Altona StAZ 2010,
306; vgl. auch Frank StAZ 2006, 281, 284; Helms StAZ 2007, 69, 71 f.;
Genenger FPR 2007, 155, 160).
1. Art. 6 Abs. 5 GG enthält nach der Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts einen Verfassungsauftrag, der die Gleichstellung und Gleichbe-
handlung aller Kinder ungeachtet ihres Familienstandes zum Ziel hat und den
Gesetzgeber verpflichtet, nichtehelichen Kindern durch positive Regelungen die
gleichen Bedingungen für ihre körperliche und seelische Entwicklung zu schaf-
fen wie ehelichen Kindern (BVerfGE 118, 45 = FamRZ 2007, 965 Rn. 40 mwN).
Dabei darf sich der Gesetzgeber grundsätzlich nicht mit einer bloßen Annähe-
rung der Stellung des nichtehelichen Kindes an die des ehelichen Kindes zu-
frieden geben. Ein Kind darf wegen seiner nichtehelichen Geburt nicht benach-
teiligt werden. Auch eine mittelbare Schlechterstellung nichtehelicher Kinder im
Verhältnis zu ehelichen Kindern ist durch Art. 6 Abs. 5 GG verboten. Eine diffe-
renzierende Regelung für nichteheliche Kinder ist verfassungsrechtlich nur ge-
rechtfertigt, wenn sie aufgrund der unterschiedlichen tatsächlichen Lebenssitua-
tion zwingend erforderlich ist, um das Ziel der Gleichstellung von nichtehelichen
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Kindern mit ehelichen Kindern zu erreichen. Fehlt es an solchen zwingenden
tatsächlichen Gründen für die Ungleichbehandlung nichtehelicher Kinder, lässt
sich diese nur durch kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigen, das mit
Art. 6 Abs. 5 GG abzuwägen ist (BVerfGE 118, 45 = FamRZ 2007, 965 Rn. 40
mwN).
An Art. 6 Abs. 5 GG ist auch die Zu- oder Aberkennung eines bestehen-
den Verwandtschaftsstatus zu messen (vgl. BVerfGE 25, 167). Denn dieser ist
Grundbedingung für zahlreiche elementare Rechte und Rechtspositionen wie
etwa Elternverantwortung, Unterhalt, Erbrecht und Staatsangehörigkeit. Zwar
steht es dem Gesetzgeber frei, die - auch rückwirkende - Beseitigung eines
Verwandtschaftsstatus, der nicht durch die leibliche Abstammung oder eine so-
zial-familiäre Beziehung gedeckt ist, zu ermöglichen, was dann auch zum Ver-
lust der Staatsangehörigkeit des Kindes führen kann (vgl. BVerfG FamRZ 2007,
21, 22). Im Ausgangspunkt stehen dabei aber nichteheliche und eheliche Kin-
der gleich, weil der rechtliche Status der Verwandtschaft mit dem Vater in bei-
den Fällen zunächst wirksam begründet worden ist. Es fällt demnach nicht nur
in den Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 5 GG, bei jeweils gesicherter Vaterschaft
die gleichen Bedingungen zu schaffen (so etwa bei Zuerkennung von Unter-
haltsansprüchen an den kinderbetreuenden Elternteil; BVerfGE 118, 45
= FamRZ 2007, 965 Rn. 55 ff. mwN), sondern auch die Entziehung eines ein-
mal erlangten rechtlichen Status nicht aus sachlich nicht gerechtfertigten Ge-
sichtspunkten für eheliche und nichteheliche Kinder unterschiedlich auszuge-
stalten.
2. Der Gesetzgeber behandelt die durch Anerkennung und die durch
Geburt während bestehender Ehe begründete Vaterschaft auf unterschiedliche
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a) Nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ist die zuständige Behörde (anfech-
tungsberechtigte Behörde) in den Fällen des § 1592 Nr. 2 BGB (Anerkennung
der Vaterschaft) berechtigt, die Vaterschaft anzufechten. Die behördliche An-
fechtung setzt nach § 1600 Abs. 3 BGB voraus, dass zwischen dem Kind und
dem Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeit-
punkt der Anerkennung oder seines Todes bestanden hat und durch die Aner-
kennung rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaub-
ten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteiles geschaffen werden. Die Rege-
lung ist durch das Gesetz zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vater-
schaft vom 13. März 2008 (BGBl. I S. 313) eingefügt worden.
Mit der behördlichen Vaterschaftsanfechtung hat der Gesetzgeber eine
Abhilfemöglichkeit für missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen geschaffen,
die weder auf biologischer Vaterschaft noch auf einem - angestrebten - sozialen
Vater-Kind-Verhältnis beruhen (BT-Drucks. 16/3291 S. 1 f.). Dabei hat er dem
Umstand Rechnung getragen, dass die (leibliche) Abstammung wie die sozial-
familiäre Verantwortungsgemeinschaft gleichermaßen den Gehalt von Art. 6
Abs. 2 Satz 1 GG ausmachen (BVerfG FamRZ 2003, 816, 820; BT-Drucks.
16/3291 S. 1 f.). Der Gesetzgeber hat das Elternrecht berücksichtigt, indem er
die Anfechtungsvoraussetzungen so ausgestaltet hat, dass die Anfechtung nur
Erfolg haben kann, wenn kein auf leiblicher Abstammung oder auf einer sozial-
familiären Beziehung beruhendes Eltern-Kind-Verhältnis besteht.
Die Anfechtung der Vaterschaft durch die Behörde ist allein für eine nach
§ 1592 Nr. 2 BGB begründete Vaterschaft vorgesehen und beschränkt sich so-
mit auf die Vaterschaft kraft Anerkennung.
b) Dagegen ergibt sich bei während einer bestehenden Ehe geborenen
Kindern die Vaterschaft des mit der Mutter verheirateten Mannes kraft Gesetzes
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aus § 1592 Nr. 1 BGB. Bei durch eine sogenannte Scheinehe erwirkten Aufent-
haltsvorteilen sieht das Gesetz die Möglichkeit eines behördlichen Antrags auf
Aufhebung der Ehe nach §§ 1314 Abs. 2 Nr. 5, 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB vor. Die
Aufhebung der Ehe wirkt allerdings nicht zurück, sondern nur für die Zukunft
(vgl. Hepting FamRZ 1998, 713, 727 f.). Die durch das Eheschließungsreform-
gesetz vom 4. Mai 1998 (BGBl. I S. 833) eingefügte Regelung beruht auf einer
entsprechenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks.
13/9416 S. 27 f.). Eine Rückwirkung im Hinblick auf die Vaterschaftszuordnung
des Ehemannes war bereits aufgrund der vorausgegangenen Rechtslage aus-
geschlossen, die selbst im Fall der (rückwirkenden) Nichtigerklärung der Ehe
das Vater-Kind-Verhältnis ausdrücklich aufrechterhielt (§ 1591 Abs. 1 Satz 1
Halbsatz 2 BGB in der bis 30. Juni 1998 geltenden Fassung). An diesen Folgen
für das Kindschaftsverhältnis ist durch das Eheschließungsreformgesetz nichts
geändert worden.
Eine Anfechtung der durch eine zu Aufenthaltszwecken geschlossenen
Ehe begründeten Vaterschaft sieht das Gesetz nicht vor, und zwar auch dann
nicht, wenn die Ehe als sogenannte Scheinehe gemäß §§ 1313, 1314 Abs. 1
Nr. 5, 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB aufgehoben wurde.
c) Aus dem oben Ausgeführten ergibt sich, dass eheliche und nichteheli-
che Kinder in vergleichbaren Situationen, namentlich in Bezug auf die Begrün-
dung und den Bestand eines Verwandtschaftsverhältnisses bei jeweils miss-
bräuchlicher Statusbegründung, unterschiedlich behandelt werden. Daraus,
dass sich die Verwandtschaft im Fall des § 1592 Nr. 1 BGB nur mittelbar aus
der Ehe des Mannes mit der Mutter ergibt, während die Anerkennung der Va-
terschaft das Verwandtschaftsverhältnis unmittelbar begründet, ergeben sich
jedenfalls im Hinblick auf die Beseitigung des Status nach aufgehobener Ehe
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keine wesentlichen Besonderheiten, die eine Besserstellung der ehelichen Ab-
stammung rechtfertigen könnten.
3. Zwingende Gründe für eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf die
Anfechtung der Vaterschaft liegen nicht vor. Die bestehenden Besonderheiten
der ehelichen Abstammung können es jedenfalls nach Aufhebung einer
Scheinehe nicht rechtfertigen, dass der Status dem nichtehelichen Kind auf An-
trag einer staatlichen Behörde genommen wird, während er dem ehelichen Kind
erhalten bleibt.
a) Der mit einer sogenannten Scheinehe (Aufenthaltsehe) verbundene
Rechtsmissbrauch ist allerdings typischerweise zunächst auf die Person des
Ehegatten bezogen, der durch die Statusbegründung unmittelbar begünstigt
wird. Die Herbeiführung von Aufenthaltsvorteilen für ein später geborenes Kind
mag demgegenüber in vielen Fällen nur eine unbeabsichtigte Nebenfolge sein
(vgl. Helms StAZ 2007, 69, 71). Auf den subjektiven Zweck der jeweiligen Sta-
tusbegründung kann indessen nicht entscheidend abgestellt werden, zumal
dieser auch bei der Anerkennung nach der derzeitigen Ausgestaltung des be-
hördlichen Anfechtungsrechts nicht ausschlaggebend ist (vgl. BT-Drucks.
16/3291 S. 14). Das Gesetz erfasst demnach auch den Fall, dass eine Verbes-
serung des Aufenthaltsstatus von dem die Anerkennung erklärenden Mann
nicht beabsichtigt war. Überdies läuft der gesetzliche Zweck der Aufhebung ei-
ner Scheinehe weitgehend leer, weil die Mutter unabhängig von der Ehe eine
Aufenthaltserlaubnis aus der Personensorge für das Kind herleiten kann, das
seinen Status durch die Eheaufhebung nicht verliert. Zwar dürfte sich die Ein-
gehung einer Scheinehe durch hier vorgesehene präventive Maßnahmen (§ 13
Abs. 2 PStG) effizienter verhindern lassen als die Abgabe einer missbräuchli-
chen Vaterschaftsanerkennung (vgl. allerdings für die Anerkennung vor dem
Standesbeamten § 44 Abs. 1 Satz 3 PStG). Auch dadurch wird aber nur ein
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mehr oder weniger großer Teil der Fälle erfasst, während es bei durchgeführter
Eheschließung und späterer Aufhebbarkeit bei der Ungleichbehandlung ver-
bleibt.
b) Der Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG rechtfertigt die Ungleichbe-
handlung nicht. Da Art. 6 Abs. 5 GG fordert, nichtehelichen Kindern gleiche Le-
bensbedingungen wie ehelichen Kindern zu schaffen, untersagt die Verfas-
sungsnorm zugleich eine Privilegierung ehelicher Kinder, die mit dem Schutz
der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG begründet wird, weil dies dem Gleichstellungsge-
bot gerade zuwiderliefe (BVerfGE 118, 45 = FamRZ 2007, 965 Rn. 55). Vor al-
lem bleibt dem während bestehender Ehe geborenen Kind der Status auch
dann erhalten, wenn die Ehe nach §§ 1313, 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB aufgehoben
worden ist, auch wenn in diesem Fall vom Gesetz im Hinblick auf die Schei-
dungsfolgen keine nachwirkende Solidarität gefordert wird, die dem Schutz des
Art. 6 Abs. 1 GG unterfallen könnte (vgl. § 1318 BGB). Die Vergleichbarkeit der
jeweiligen Ausgangslage bei der nichtehelichen und der ehelichen Abstammung
(vgl. BVerfG Beschluss vom 2. Mai 2012 - 1 BvL 20/09 - juris Rn. 79) wird über-
dies bereits dadurch gewährleistet, dass mangels biologischer Abstammung
und einer sozial-familiären Beziehung in beiden Fällen für ein Eltern-Kind-Ver-
hältnis keine hinreichende Grundlage besteht.
c) Die unterschiedliche Behandlung lässt sich auch nicht damit rechtferti-
gen, dass sich das Gesetz in zulässiger Weise auf die Bekämpfung einzelner,
besonders verbreiteter oder gravierender Missbrauchsformen beschränken
könnte. Allerdings kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts niemand darauf berufen, dass ein von ihm begangenes Unrecht
deshalb nicht zu ahnden sei, weil andere, vergleichbare Begehungsformen vom
Gesetz nicht geahndet werden (vgl. BVerfGE 50, 142 = NJW 1979, 817 juris
Rn. 59 aE; "keine Gleichheit im Unrecht"). Darin liegt indessen noch keine hin-
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reichende Begründung dafür, dass die Vaterschaft nach einer aufgehobenen
Scheinehe Bestand hat, während die Vaterschaft durch Anerkennung von staat-
licher Seite beseitigt werden kann. Denn das nichtehelich geborene Kind ist am
Rechtsmissbrauch nicht beteiligt und hat von Verfassungs wegen einen An-
spruch auf gleichen Schutz wie das ehelich geborene Kind. Dass das Kind bei
der Vaterschaftsanerkennung zum Objekt der missbräuchlichen Rechtsgestal-
tung geworden ist, darf seinen Schutz vor Verlust des ihm von der Rechtsord-
nung zuerkannten Status nicht schwächen. Dementsprechend ist hier aus-
schließlich auf die Rechtsstellung des Kindes abzustellen.
Zwar verdient der jeweils auf missbräuchlicher Gestaltung beruhende
Status im einen wie im anderen Fall keinen Schutz durch die Rechtsordnung.
Der Gesetzgeber wäre daher nicht gehindert, nach Aufhebung einer sogenann-
ten Scheinehe auch die behördliche Anfechtung einer durch sie vermittelten
Vaterschaft zu ermöglichen. Bei seiner Entscheidung, ob der Status auf Antrag
einer staatlichen Behörde beseitigt werden kann oder nicht, ist er indessen zur
Gleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder verpflichtet.
4. Auch kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigt die Ungleichbehand-
lung nicht. Wie ausgeführt, ist der Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG jeden-
falls dann nicht mehr berührt, wenn eine Scheinehe vom Gericht aufgehoben
worden ist.
5. Bei der unterschiedlichen Behandlung ehelicher und nichtehelicher
Kinder handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers. Im
Zuge des Gesetzgebungsverfahrens erhobene Bedenken gegen die
unterschiedliche Behandlung der Vaterschaft kraft Anerkennung und kraft Ehe
(vgl. etwa Helms Stellungnahme zum Gesetzentwurf an den Rechtsausschuss
des
Bundestags
vom
17. Mai
2007
S. 7 f.,
13,
abrufbar
unter
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www.gesmat.bundesgerichtshof.de Stand: 30. Mai 2012) haben ihm keine Ver-
anlassung dazu gegeben, die behördliche Anfechtung auch auf die Vaterschaft
nach § 1592 Nr. 1 BGB zu erstrecken. Demnach ist eine Auslegung der Anfech-
tungsvorschrift, die bereits aufgrund der bestehenden Rechtslage zu einer
Gleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder führt, nicht möglich (zu-
treffend OLG Bremen FamRZ 2011, 1073, 1075). Eine verfassungskonforme
Auslegung gegen den Willen des Gesetzgebers ist schließlich nicht zulässig
(vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 2009 - XII ZR 161/08 - FamRZ 2009, 1477
Rn. 28 mwN).
Dose
Weber-Monecke
Klinkhammer
Schilling
Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
AG Berlin-Pankow/Weißensee, Entscheidung vom 27.08.2009 - 16 F 3410/09 -
KG Berlin, Entscheidung vom 21.05.2010 - 3 UF 120/09 -