Urteil des BGH vom 27.05.2015

Leitsatzentscheidung zu Treu Und Glauben, Vermieter, Beendigung, Zustand der Mietsache

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X I I Z R 6 6 / 1 3
Verkündet am:
27. Mai 2015
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 546 a
a) Eine erstmals nach Vertragsbeendigung eingetretene Verschlechterung der
Mietsache, die beim Fortbestehen des Mietverhältnisses eine Minderung
der Miete zur Folge gehabt hätte, führt grundsätzlich nicht dazu, den An-
spruch des Vermieters auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung in ent-
sprechender Anwendung von § 536 BGB herabzusetzen (Fortführung von
BGH Urteil vom 7. Dezember 1960 - VIII ZR 16/60 - NJW 1961, 916).
b) Etwas anderes gilt nur dann, wenn den Vermieter nach Treu und Glauben
im Rahmen des Abwicklungsverhältnisses ausnahmsweise eine nachver-
tragliche Pflicht zur Beseitigung von Mängeln der vorenthaltenen Mietsache
trifft.
BGH, Urteil vom 27. Mai 2015 - XII ZR 66/13 - OLG Köln
LG Köln
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. Mai 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-
Monecke und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
für Recht erkannt:
Die Revision gegen den Beschluss des 22. Zivilsenats des Ober-
landesgerichts Köln vom 5. März 2013 wird auf Kosten des Be-
klagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Nutzungsentschädigung nach der Beendigung
eines Mietverhältnisses über Geschäftsräume.
Im Mai 2004 vermietete der Kläger dem Beklagten ein Ladenlokal zum
Betrieb eines Lebensmittelgeschäfts. Zuletzt war eine monatliche Miete in Höhe
von 3.436
€ (2.940 € Kaltmiete zuzüglich 496 € Nebenkostenvorauszahlung)
vereinbart.
Nachdem der Kläger das Mietverhältnis zum 31. Mai 2010 ordentlich
gekündigt hatte, wurde der Beklagte in einem anschließenden Räumungs-
rechtsstreit im April 2011 rechtskräftig zur Räumung des Mietobjekts verurteilt.
Der Beklagte räumte das Ladenlokal zunächst nicht, zahlte jedoch bis Dezem-
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ber 2011 einen monatlichen Betrag in Höhe der vereinbarten Miete an den Klä-
ger weiter. Danach leistete er keine Zahlungen mehr. Der Beklagte räumte das
Mietobjekt Ende April 2012.
Mit seiner Klage macht der Kläger eine nach der vollen vertraglich ver-
einbarten Miete bemessene Nutzungsentschädigung für die Monate Januar bis
März 2012 in einer Gesamthöhe von 10.308
€ geltend. Der Beklagte ist der
Klage entgegentreten und hat behauptet, dass es zwischen September 2011
und April 2012 in den gemieteten Räumen insgesamt fünf - auf mangelhafte
Dachentwässerung infolge verstopfter Fallrohre und Dachtraufen zurückzufüh-
rende - Wasserschäden gegeben habe, welche die Gebrauchstauglichkeit der
Mietsache im streitgegenständlichen Zeitraum erheblich gemindert hätten. Zu-
dem seien durch die Wasserschäden Waren im Wert von rund 62.000
€ ver-
nichtet worden; mit entsprechenden Schadenersatzansprüchen erkläre er hilfs-
weise die Aufrechnung.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die da-
gegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht zurück-
gewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte
sein Begehren nach Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
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Nach § 546 a Abs. 1 BGB könne der Vermieter, dem das Mietobjekt in
der Zeit nach Ende des Mietvertrages vorenthalten wird, als Mindestentschädi-
gung den Betrag verlangen, der zur Zeit der Beendigung des Mietverhältnisses
als vereinbarte Miete zu entrichten war. Zwar regele § 546 a BGB keinen Scha-
densersatzanspruch, sondern einen vertraglichen Anspruch eigener Art. Dieser
sei aber nicht von einer Gegenleistung abhängig, denn der frühere Vermieter
schulde nach Beendigung des Mietverhältnisses keine Gebrauchsüberlassung
mehr. Vielmehr schulde der frühere Mieter die Herausgabe des Mietobjekts. Es
sei daher nicht widersprüchlich, wenn der frühere Vermieter auf Fortzahlung der
ungekürzten Nutzungsentschädigung bestehe, auch wenn sich nach Ende des
Mietverhältnisses am Mietobjekt Mängel gezeigt haben sollten. Der Beklagte
könne sich auch nicht darauf berufen, dass ein "Minderungsfall" bereits bei Be-
endigung des Mietverhältnisses vorgelegen habe. Er ziehe als Schadensursa-
che eine Verstopfung von Traufen und Fallrohren in Betracht. Es sei aber nicht
ersichtlich und nicht mit Substanz behauptet, dass dieser schadensträchtige
Zustand bereits bei Ende des Mietverhältnisses, also ein Jahr und vier Monate
vor dem ersten angeblichen Schadensfall vorhanden gewesen sei.
Auch der zur Hilfsaufrechnung gestellte Schadensersatzanspruch stehe
dem Beklagten nicht zu, weil der Kläger nach Beendigung des Mietverhältnis-
ses nicht mehr zur Instandhaltung der Dachentwässerung verpflichtet gewesen
sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass er während der Dauer des Mietverhält-
nisses gegen eine bis dahin möglicherweise bestehende Pflicht verstoßen ha-
be.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
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1. Zutreffend hat das Berufungsgericht zunächst angenommen, dass der
Kläger, dem das Mietobjekt im Zeitraum nach der Beendigung des Mietverhält-
nisses (Juni 2010) bis zur Räumung durch den Beklagten (April 2012) vorent-
halten worden ist, im hier streitgegenständlichen Zeitraum von Januar bis März
2012 dem Grunde nach eine Nutzungsentschädigung gemäß § 546 a Abs. 1
BGB in Höhe der zuletzt vereinbarten Miete verlangen kann. Nach den - inso-
weit von der Revision nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsge-
richts lagen die von dem Beklagten behaupteten Mängel bei der Dachentwäs-
serung jedenfalls im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses am
31. Mai 2010 noch nicht vor.
2. Ohne Rechtsirrtum geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine
erstmals nach Beendigung des Mietverhältnisses eingetretene Verschlechte-
rung der Mietsache, die beim Fortbestehen des Mietverhältnisses eine Minde-
rung der Miete (§ 536 Abs. 1 BGB) zur Folge gehabt hätte, jedenfalls unter den
hier obwaltenden Umständen nicht zu einer Herabsetzung des Anspruchs auf
Zahlung einer Nutzungsentschädigung führt.
a) Die maßgebliche Rechtsfrage hat der Bundesgerichtshof im Jahr 1960
entschieden (BGH Urteil vom 7. Dezember 1960 - VIII ZR 16/60 - NJW 1961,
916 f.) und ausgesprochen, dass es für den Anspruch des Vermieters auf Zah-
lung einer Nutzungsentschädigung unerheblich sei, ob sich der Mietwert der
vorenthaltenen Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses (weiter) ver-
ringert habe. Aus § 536 Abs. 1 BGB (früher § 537 BGB a.F.) ergebe sich nichts
anderes. Die Mietminderung sei eine kraft Gesetzes eintretende Änderung der
Vertragspflicht. Daraus folge zugleich, dass bei Vorenthaltung einer Mietsache,
deren Mietwert im Augenblick der Beendigung des Mietverhältnisses gemindert
gewesen sei, sich auch der Mindestbetrag des Schadens, den der Vermieter als
Nutzungsentschädigung verlangen könne, nach diesem geminderten Mietzins
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richte, weil der kraft Gesetzes geminderte Betrag der im Augenblick der Been-
digung des Mietverhältnisses vereinbarte Mietzins sei (vgl. dazu auch Senatsur-
teile BGHZ 179, 361 = NJW 2009, 1488 Rn. 25 und vom 21. März 2001
- XII ZR 241/98 - NJOZ 2001, 1084, 1086 f.; BGH Urteil vom 21. Februar 1990
- VIII ZR 116/89 - NJW-RR 1990, 884, 885). Demgegenüber könne sich der
frühere Mieter nicht darauf berufen, dass während der Vorenthaltung der Miet-
sache eine weitere Verschlechterung der Mietsache eingetreten und die Nut-
zungsentschädigung daher (weiter) zu mindern sei. Denn die bei einem beste-
henden Mietverhältnis kraft Gesetzes eintretende Abänderung der Vertrags-
pflicht des Mieters zur Zahlung der Miete folge aus der besonderen Verpflich-
tung des Vermieters, seinem Mieter den vertragsmäßigen Gebrauch der Sache
fortgesetzt zu gewähren; diese Verpflichtung entfalle mit Beendigung des Miet-
verhältnisses. Der Vermieter könne daher trotz weiterer Verschlechterung der
ihm vorenthaltenen Mietsache den letzten Mietzins als "Mindestschaden" weiter
fordern (BGH Urteil vom 7. Dezember 1960 - VIII ZR 16/60 - NJW 1961, 916).
Dieser Entscheidung haben sich in der Folgezeit die obergerichtliche
Rechtsprechung (OLG Düsseldorf DWW 1992, 52, 53; ZMR 2001, 447 und
Grundeigentum 2007, 514, 515; OLG München Urteil vom 29. Januar 2015
- 23 U 3353/14 - juris Rn. 17 und ZMR 1993, 466, 468; KG ZMR 2013, 26, 27;
OLG Brandenburg Urteil vom 1. Oktober 2007 - 3 U 10/07 - juris Rn. 20; ebenso
LG Rostock Urteil vom 3. Mai 2012 - 3 O 447/10 - juris Rn. 25) und weite Teile
der Literatur angeschlossen (Staudinger/Rolfs BGB [Stand: 2014] § 546 a
Rn. 42; Erman/Lützenkirchen BGB 13. Aufl. § 546 a Rn. 8; Palandt/Weidenkaff
BGB 74. Aufl. § 546 a Rn. 11; Wolf/Eckert/Ball Handbuch des gewerblichen
Miet-, Pacht- und Leasingrechts 10. Aufl. Rn. 1131; Blank/Börstinghaus Miete
3. Aufl. § 546 a Rn. 27; Scheuer/Emmerich in Bub/Treier Handbuch der Ge-
schäfts- und Wohnraummiete 4. Aufl. Kap. V.A Rn. 132; Pietz/Oprée in Lindner-
Figura/Oprée/Stellmann Geschäftsraummiete 3. Aufl. Kap. 16 Rn. 69; Sternel
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Mietrecht aktuell 4. Aufl. Rn. XIII 114; Lammel Wohnraummietrecht 3. Aufl.
§ 546 a Rn. 25; Gerber/Eckert/Günter Gewerbliches Miet- und Pachtrecht
8. Aufl. Rn. 651; Stangl in Harz/Riecke/Schmid Handbuch des Fachanwalts
Miet- und Wohnungseigentumsrecht 4. Aufl. Kap. 14 Rn. 612; BeckOK BGB/
Ehlert [Stand: Oktober 2012] § 546 a Rn. 13; Kinne Grundeigentum 2007, 825,
826; noch weitergehend Lehmann-Richter PiG 90 [2011], 199, 204, der dem
Vermieter die ungekürzte Nutzungsentschädigung in der Vorenthaltungszeit
auch dann zuerkennen will, wenn der Mieter bei Vertragsende nur eine gemin-
derte Miete schuldete).
b) Die vorgenannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat
in jüngerer Zeit allerdings auch Kritik aus dem Schrifttum erfahren (vgl.
MünchKommBGB/Bieber 6. Aufl. § 546 a Rn. 10; Soergel/Heintzmann BGB
13. Aufl. § 546 a Rn. 13; Schmidt-Futterer/Streyl Mietrecht 11. Aufl. § 546 a
Rn. 69; Kandelhard in Herrlein/Kandelhard Mietrecht 3. Aufl. § 546 a Rn. 21;
Kossmann/Mayer-Abich Handbuch der Wohnraummiete 7. Aufl. § 96 Rn. 14;
BeckOGK-BGB/Zehelein [Stand: Oktober 2014] § 546 a Rn. 66; Derleder WuM
2011, 551, 555). Diese knüpft im rechtlichen Ausgangspunkt vor allem daran
an, dass der Bundesgerichtshof den Nutzungsentschädigungsanspruch gemäß
§ 546 a BGB (früher § 557 BGB a.F.) in den Gründen seiner Entscheidung aus
dem Jahr 1960 noch ausdrücklich als "reinen Schadensersatzanspruch" ange-
sehen habe, während er in späterer Zeit von dieser Sichtweise abgerückt sei
und den Anspruch auf Nutzungsentschädigung in seiner nunmehr ständigen
Rechtsprechung als einen vertraglichen Anspruch eigener Art behandele, der
an die Stelle des weggefallenen Anspruches auf Miete getreten sei (vgl. BGHZ
68, 307, 310 = NJW 1977, 1335, 1336; BGHZ 90, 145, 151 = NJW 1984, 1527,
1528; BGHZ 104, 285, 290 = NJW 1988, 2665, 2666; BGH Beschluss vom
20. November 2002 - VIII ZB 66/02 - NJW 2003, 1365).
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Wenn aber der Anspruch auf Nutzungsentschädigung vertraglicher oder
vertragsähnlicher Natur sei, müsse nach Ansicht der Gegenmeinung auch das
Prinzip der Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung im Grundsatz er-
halten bleiben (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl Mietrecht 11. Aufl. § 546 a Rn. 69).
Zwar sei es zutreffend, dass es nach Ende des Mietverhältnisses keine er-
zwingbare Rechtspflicht des Vermieters zur Beseitigung von nachträglichen
Mängeln der vorenthaltenen Mietsache mehr gebe. Für den Vermieter bestehe
allerdings eine Obliegenheit, auch nachträglich entstandene Mängel der Miet-
sache zu beseitigen; dies sei das notwendige Äquivalent zur weiterhin als Ent-
schädigung erhaltenen Miete (Kandelhard in Herrlein/Kandelhard Mietrecht
3. Aufl. § 546 a Rn. 21). Entscheide sich der Vermieter dafür, die Mängel nicht
zu beseitigen und sein Leistungsniveau entsprechend bewusst zu verringern,
müsse er konsequenterweise auch die daraus resultierenden Folgen für die
Höhe seines Nutzungsentschädigungsanspruches hinnehmen. Alles andere lie-
fe auf eine Bestrafung des Mieters und damit auf eine unzulässige Druckaus-
übung hinaus (Schmidt-Futterer/Streyl Mietrecht 11. Aufl. § 546 a Rn. 69).
c) Der letztgenannten Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen.
aa) Das Mietverhältnis hat sich nach seiner Beendigung in ein gesetzli-
ches Schuldverhältnis verwandelt, in dem Rechte und Pflichten bestehen, die
sich inhaltlich aus dem bisherigen Mietverhältnis ergeben. Da dieses Schuld-
verhältnis aber vorübergehender Natur und gerade auf Abwicklung angelegt ist,
ergeben sich in der Vorenthaltungszeit beträchtliche Einschränkungen gegen-
über den früheren mietvertraglichen Rechtsbeziehungen (Scheuer/Emmerich in
Bub/Treier Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 4. Aufl. Kap. V.A
Rn. 115; Staudinger/Rolfs BGB [Stand: 2014] § 546 a Rn. 6). Mit Beendigung
des Mietverhältnisses erlischt insbesondere die Pflicht des Vermieters, die
Mietsache gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB in einem vertragsgemäßen Zustand
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zu erhalten (Senatsurteil BGHZ 180, 300 = NJW 2009, 1947 Rn. 16). Der frühe-
re Mieter hat daher im Rahmen des Abwicklungsverhältnisses nach allgemeiner
Ansicht grundsätzlich keinen Anspruch auf Mangelbeseitigung gegen den Ver-
mieter mehr.
bb) Die Auffassung, dass den Vermieter im Falle einer (weiteren) Ver-
schlechterung der Mietsache während der Vorenthaltungszeit eine Obliegenheit
zur Mangelbeseitigung treffe, deren Verletzung eine Minderung der Nutzungs-
entschädigung entsprechend § 536 Abs. 1 BGB nach sich ziehen müsse, lässt
sich mit dem Zweck des § 546 a Abs. 1 BGB nicht vereinbaren.
(1) Bereits in den Motiven zum Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches
ist die besondere Bedeutung der Vorschrift darin gesehen worden, den An-
spruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung in der Vorenthaltungszeit
"ein für alle Mal" auf einen Mindestbetrag zu bestimmen und Streitigkeiten zwi-
schen den früheren Vertragsparteien über die Höhe dieses Anspruchs "in eben-
so einfacher wie angemessener Weise abzuschneiden" (Motive II, S. 415, zitiert
bei Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II
S. 231 f.). § 546 a Abs. 1 BGB soll dem Vermieter einen leicht durchsetzbaren
Ersatzanspruch gewähren, der in seiner Höhe weder davon abhängig ist, ob
und inwieweit dem Vermieter aus der Vorenthaltung der Mietsache ein wirt-
schaftlicher Schaden erwachsen ist, noch davon, ob der Mieter aus der vorent-
haltenen Mietsache einen dem Wert der von ihm zu entrichtenden Nutzungs-
entschädigung entsprechenden Nutzen hat ziehen können (BGH Urteil vom
5. Oktober 2005 - VIII ZR 57/05 - NZM 2006, 52 zur Wohnraummiete; BGHZ
107, 123, 128 = NJW 1989, 1730, 1732 und BGH Urteil vom 13. April 2005
- VIII ZR 377/03 - NJW-RR 2005, 1081 zum Finanzierungsleasing). Damit stün-
de es nicht in Einklang, wenn sich der Vermieter in der Vorenthaltungszeit ge-
nerell mit der Einwendung auseinandersetzen müsste, dass der frühere Mieter
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wegen einer nachträglichen mangelbedingten Verschlechterung der Mietsache
keinen ausreichenden Gegenwert für die von ihm verlangte Nutzungsentschä-
digung mehr erhalte.
(2) Der Bundesgerichtshof hat vor diesem Hintergrund auch in späteren
Entscheidungen ausdrücklich betont, dass durch die Regelung des § 546 a
Abs. 1 BGB (§ 557 BGB a.F.) durchaus zusätzlicher Druck auf den früheren
Mieter ausgeübt werden soll, die vertraglich geschuldete Rückgabe der Mietsa-
che zu vollziehen (BGHZ 107, 123, 128 = NJW 1989, 1730, 1732; BGH Urteil
vom 5. Oktober 2005 - VIII ZR 57/05 - NZM 2006, 52). Insoweit würden gegen-
läufige Anreize gesetzt werden, wenn es dem Mieter in jedem Fall der (weite-
ren) Verschlechterung der Mietsache gestattet wäre, sich auf die Minderung der
Nutzungsentschädigung in entsprechender Anwendung mietrechtlicher Ge-
währleistungsvorschriften berufen zu können. Durch den Ausschluss der Minde-
rung wird dem Anspruch auf Nutzungsentschädigung kein Sanktionierungs-
oder Bestrafungscharakter beigelegt, der mit seiner vertraglichen oder ver-
tragsähnlichen Natur nicht in Einklang zu bringen wäre. Vielmehr ist das schuld-
rechtliche Verhältnis der Vertragsparteien in der Vorenthaltungszeit nur noch
auf Abwicklung und damit auf Rückgabe der Mietsache angelegt, die vom Wil-
len des Mieters abhängig ist. Könnte sich der Mieter in der Vorenthaltungszeit
auf jede weitere Verschlechterung der Mietsache berufen, um eine Kürzung des
Anspruchs auf Nutzungsentschädigung zu erreichen, würde ihn dies in seinem
Willen zur weiteren - widerrechtlichen - Vorenthaltung der Mietsache nur be-
stärken (vgl. bereits BGH Urteil vom 7. Dezember 1960 - VIII ZR 16/60 - NJW
1961, 916, 917) und damit gerade den Zweck des schuldrechtlichen Abwick-
lungsverhältnisses gefährden.
d) Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Fall einer nachträglichen Ver-
schlechterung der Mietsache in der Vorenthaltungszeit eine Herabsetzung des
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Nutzungsentschädigungsanspruchs unter entsprechender Anwendung des
mietvertraglichen Gewährleistungsrechts schlechthin ausgeschlossen wäre.
aa) Auch innerhalb des bestehenden Abwicklungsverhältnisses können
nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB einzelne Verpflichtungen des Ver-
mieters aus dem beendeten Mietvertrag noch nach der Vertragsbeendigung
fortbestehen. Solche Pflichten können sich im Einzelfall aus der Eigenart des
beendeten Mietvertrags oder den besonderen Belangen des Mieters ergeben;
zu diesen Pflichten kann im Einzelfall auch die Erhaltung des - nach den Be-
stimmungen des beendeten Mietvertrags - vertragsgemäßen Zustands gehö-
ren. Insoweit bestehen nachvertragliche Verpflichtungen des Vermieters aller-
dings nur, als sie seinen berechtigten Interessen im Abwicklungsverhältnis nicht
in einer Weise zuwiderlaufen, die ihm die Übernahme dieser Pflichten unzu-
mutbar macht (Senatsurteil BGHZ 180, 300 = NJW 2009, 1947 Rn. 16).
bb) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat für die Ge-
schäftsraummiete bereits entschieden, dass der Vermieter zur Abwendung ei-
nes bei seinem früheren Mieter durch eine Versorgungssperre drohenden ho-
hen Schadens zur Fortsetzung der Versorgung der vorenthaltenen Mieträume
mit Wasser, Strom und Heizenergie verpflichtet sein kann, wenn dem Mieter
eine Räumungsfrist gewährt worden ist und dem Vermieter wegen der regel-
mäßigen Entrichtung der Nutzungsentschädigung kein wirtschaftlicher Schaden
entsteht (Senatsurteil BGHZ 180, 300 = NJW 2009, 1947 Rn. 16).
cc) Nach diesen Maßstäben ist auch die Frage zu beurteilen, ob den
Vermieter im Abwicklungsverhältnis eine Verpflichtung zur Beseitigung von
Mängeln der vorenthaltenen Mietsache trifft, die - wie hier - über die Erfüllung
allgemeiner und jedem Dritten gegenüber zu erfüllenden Verkehrssicherungs-
pflichten hinausgeht.
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Dies wird schon im Ausgangspunkt nur der Fall sein, wenn durch das
Unterlassen von Maßnahmen zur Instandhaltung oder Instandsetzung der Miet-
sache akute und schwerwiegende Gefahren für Leben, Gesundheit oder hohe
Eigentumswerte des Mieters drohen (vgl. auch LG Berlin MDR 1992, 478, 479;
Pietz/Oprée in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann Geschäftsraummiete 3. Aufl.
Kap. 16 Rn. 98; Scheuer/Emmerich in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts-
und Wohnraummiete 4. Aufl. Kap. V.A Rn. 115).
Aber auch eine besonders hohe Gefahr für Rechtsgüter des früheren
Mieters vermag für sich genommen noch keine nachvertragliche Mangelbeseiti-
gungspflicht des Vermieters zu begründen. Denn der frühere Mieter hat es
grundsätzlich selbst zu verantworten, dass er widerrechtlich noch im Besitz der
Mietsache ist, und es liegt in seiner Hand, sich den durch den Zustand der
Mietsache drohenden Gefahren für seine Rechtsgüter dadurch zu entziehen,
dass er die geschuldete Rückgabe der Mietsache an den Vermieter vollzieht.
Eine Mangelbeseitigungspflicht des Vermieters kann daher als Ausfluss nach-
vertraglicher Pflichten nach Treu und Glauben nur in solchen Konstellationen
angenommen werden, in denen die fortgesetzte Vorenthaltung der Mietsache
durch den früheren Mieter in einem milderen Licht erscheint. Davon wird jeden-
falls dann auszugehen sein, wenn und soweit gesetzliche Regeln - insbeson-
dere die Vollstreckungsschutzvorschriften (§§ 721, 765 a ZPO) - dem Mieter
eine Weiterbenutzung der Mietsache gestatten (vgl. auch Lehmann-Richter PiG
90 [2011], 199, 206). Es ist aber auch an solche Fälle zu denken, in denen der
Mieter - etwa während eines Streits um die Wirksamkeit einer von dem Vermie-
ter ausgesprochenen Kündigung - mit nachvollziehbaren Erwägungen davon
ausgehen durfte, weiterhin zum Besitz der Mietsache berechtigt zu sein. So
liegt der Fall hier aber offensichtlich nicht, zumal der Beklagte bereits vor dem
Auftreten der von ihm behaupteten Mängel der Dachentwässerung rechtskräftig
zur Räumung des Mietobjekts verurteilt worden ist.
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dd) Da den Kläger in Bezug auf die hier streitgegenständlichen Mängel
keine nachvertragliche Verpflichtung zur Erhaltung des vertragsgemäßen Ge-
brauchs trifft, kommt eine Kürzung der Nutzungsentschädigung in entsprechen-
der Anwendung von § 536 BGB nicht in Betracht.
e) Auch im Übrigen stehen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB der
Geltendmachung des ungekürzten Anspruchs auf Nutzungsentschädigung nicht
entgegen.
Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung aus dem Jahr
1960 die Frage aufgeworfen, ob dem Mieter in Ansehung der von ihm geschul-
deten Nutzungsentschädigung bei nachträglicher Verschlechterung der vorent-
haltenen Mietsache ausnahmsweise über § 242 BGB "geholfen" werden kann;
er hat von einer weiteren Erörterung dieses Problems mit der Begründung ab-
gesehen, dass die im damaligen Streitfall in Rede stehende Minderungsquote
von lediglich 10 % die Annahme eines solchen Ausnahmefalls ohnehin nicht
rechtfertigen würde (BGH Urteil vom 7. Dezember 1960 - VIII ZR 16/60 - NJW
1961, 916). Diese Ausführungen lassen entgegen der Auffassung der Revision
aber nicht den Umkehrschluss darauf zu, dass das Verlangen des Vermieters
auf Zahlung der ungekürzten Nutzungsentschädigung bei einer deutlich höhe-
ren mangelbedingten Minderungsquote gegen Treu und Glauben verstoßen
müsste. Auch insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es der Mieter selbst in der
Hand hat, sich durch die vertraglich geschuldete Herausgabe der Mietsache
seiner Verpflichtung zur Zahlung von Nutzungsentschädigung zu entledigen,
wenn ihm die als Nutzungsentschädigung zu zahlende vereinbarte Miete ange-
sichts des Zustands der Mietsache zu hoch ist.
3. Weil der Kläger nach Maßgabe der vorstehenden Darlegungen seine
nachvertraglichen Verpflichtungen aus dem Abwicklungsverhältnis nicht verletzt
hat, hat das Berufungsgericht zu Recht erkannt, dass dem Beklagten die zur
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Hilfsaufrechnung gestellten Schadensersatzansprüche aus § 280 BGB nicht
zustehen.
4. Mit Recht hat das Berufungsgericht den Beklagten auch zur Zahlung
von Nebenkostenvorauszahlungen verpflichtet. Zur vereinbarten Miete, die ge-
mäß § 546 a BGB als Nutzungsentschädigung zu zahlen ist, gehört neben der
Nettokaltmiete auch die Nebenkostenvorauszahlung oder die Nebenkostenpau-
schale. Über Nebenkostenvorauszahlungen ist entsprechend den Bestimmun-
gen des beendeten Mietvertrags abzurechnen, so dass nach Ablauf der Ab-
rechnungsperiode kein Vorauszahlungsanspruch mehr besteht (OLG Dresden
NZM 2012, 84, 88; Scheuer/Emmerich in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts-
und Wohnraummiete 4. Aufl. Kap. V.A Rn. 130; Schmidt-Futterer/Streyl Miet-
recht 11. Aufl. § 546 a Rn. 69); die Abrechnungsperiode für die von dem
Beklagten zwischen Januar und März 2012 geschuldeten Nebenkosten-
vorauszahlungen war bei Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlus-
ses noch nicht abgelaufen (vgl. Senatsurteil BGHZ 184, 117 = NJW 2010, 1065
Rn. 33 ff.).
Zwar ist mittlerweile die Abrechnungsreife eingetreten, und die während
des Revisionsverfahrens durch bloßen Zeitablauf eingetretenen unstreitigen
bzw. offenkundigen Veränderungen der materiellen Rechtslage sind nach all-
gemeinen Grundsätzen durch das Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn
schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (vgl. BGH Ur-
teil vom 12. März 2008 - VIII ZR 71/07 - NJW 2008, 1661 Rn. 25; Musielak/Ball
ZPO 12. Aufl. § 559 Rn. 10). Solcherart schützenswerte Belange des Klägers
sind im vorliegenden Fall aber darin zu erblicken, dass der Vermieter im Revisi-
onsverfahren mit neuem Sachvortrag zur Nebenkostenabrechnung ausge-
schlossen wäre und ihm deshalb in diesem Verfahrensstadium die Möglichkeit
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genommen ist, seinen Antrag wegen der Nebenkosten auf einen Abrechnungs-
saldo umzustellen.
Dose
Weber-Monecke
Klinkhammer
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 31.07.2012 - 22 O 168/12 -
OLG Köln, Entscheidung vom 05.03.2013 - 22 U 152/12 -