Urteil des BGH vom 18.05.2011

Leitsatzentscheidung zu Entlassung, Donau, Verfahrensgegenstand, Notariat, Anschluss

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 671/10
vom
18. Mai 2011
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 65 Abs. 3, 68 Abs. 3, 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 und 2;
BGB § 1908 b
a) Die Entlassung des bisherigen Betreuers gemäß § 1908 b Abs. 1 BGB wird nicht von
den §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG erfasst. Deshalb ist die Rechtsbe-
schwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts in einem solchen Verfah-
ren ohne Zulassung nicht statthaft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom
9. Februar 2011 - XII ZB 364/10 - FamRZ 2011, 632).
b) Gegenstand des Beschwerdeverfahrens kann grundsätzlich nur der Verfahrensge-
genstand sein, über den im ersten Rechtszug entschieden worden ist (im Anschluss
an Senatsbeschluss vom 5. Januar 2011 - XII ZB 240/10 - FamRZ 2011, 367).
BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 - XII ZB 671/10 - LG Ulm (Donau)
Notariat Ehingen
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Mai 2011 durch die Vor-
sitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der
3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm (Donau) vom 6. Dezember
2010 wird auf ihre Kosten verworfen.
Verfahrenswert: 3.000
Gründe:
I.
Für die Betroffene wurden mit Beschluss des Notariats E. vom
6. Mai 2009 eine Betreuung eingerichtet und zur berufsmäßigen Betreuerin die
weitere Beteiligte zu 1 bestellt. Die hiergegen von der Betroffenen eingelegte
Beschwerde wies das Beschwerdegericht mit rechtskräftigem Beschluss vom
19. März 2010 zurück.
Mit mehreren Eingaben in der Folgezeit hat die Betroffene beantragt, die
Berufsbetreuerin zu entlassen und an deren Stelle ihren Bruder zum Betreuer
zu bestellen. Diesen Antrag hat das Notariat E. mit Beschluss vom
6. August 2010 abgelehnt. Hiergegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt
und beim Beschwerdegericht außerdem beantragt, die bestehende Betreuung
aufzuheben.
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Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde mit Ausführungen zum
Fortbestand der Betreuungsbedürftigkeit zurückgewiesen und im übrigen darge-
legt, dass die Betroffene in ihrer Anhörung zum Ausdruck gebracht habe, dass
die ursprünglich von ihr erstrebte Betreuung durch ihren Bruder nicht mehr ge-
wollt sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich die nicht zugelassene Rechts-
beschwerde der Betroffenen, mit der sie die Aufhebung der Betreuung und den
Betreuerwechsel weiter verfolgt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da sie gemäß § 70 FamFG i.V.m.
Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG unstatthaft ist.
Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten
statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ers-
ten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. Nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
FamFG ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdege-
richts auch ohne Zulassung u.a. in Betreuungssachen zur Bestellung eines Be-
treuers sowie zur Aufhebung einer Betreuung statthaft.
Hier hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde weder zugelas-
sen noch liegen die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Rechtsbe-
schwerde vor.
1. Die Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG, die eine Rechts-
beschwerde auch ohne Zulassung erlaubt, knüpft an die gleich lautende Defini-
tion des Begriffs der Betreuungssachen in § 271 Nr. 1 und 2 FamFG an. Die
dort genannten Verfahrensgegenstände sind von besonderer Bedeutung, weil
durch sie regelmäßig in gravierendem Maße in höchstpersönliche Rechte der
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Beteiligten eingegriffen wird. Dies wollte der Gesetzgeber mit der Differenzie-
rung in § 271 FamFG deutlich machen. Da er mit der Regelung des § 70 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 FamFG gerade für Betreuungssachen mit besonders hoher Ein-
griffsintensität in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten einen zulassungs-
freien Zugang zum Bundesgerichtshof schaffen wollte, folgt aus der Verknüp-
fung der beiden Vorschriften, dass eine Rechtsbeschwerde ohne Zulassung
durch das Beschwerdegericht in allen Verfahren statthaft ist, die von § 271 Nr. 1
und 2 FamFG erfasst werden (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2011
- XII ZB 364/10 - FamRZ 2011, 632 Rn. 7 und vom 15. September 2010
- XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 8 mwN).
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers im Sinne der §§ 70
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG sind Verfahren nach § 1896 BGB. Dabei
kann es sich sowohl um ein Erstverfahren als auch um ein Verlängerungsver-
fahren handeln, für das § 295 Abs. 1 FamFG eine entsprechende Anwendung
der Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme, also der
§§ 1896 ff. BGB, anordnet (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010
- XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 9). Die besonders hohe Eingriffsinten-
sität ergibt sich bei diesen Verfahren daraus, dass mit der Bestellung des Be-
treuers zugleich die Anordnung der Betreuung selbst einhergeht. Denn § 1896
BGB unterscheidet nicht zwischen Anordnung der Betreuung und Bestellung
eines Betreuers; vielmehr ist eine Einheitsentscheidung zu treffen (Senatsbe-
schlüsse vom 9. Februar 2011 - XII ZB 364/10 - FamRZ 2011, 632 Rn. 8 und
vom 15. September 2010 - XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 10).
Demgegenüber bezieht sich die hier in Rede stehende Norm des
§ 1908 b Abs. 1, 3 BGB, die die Rechtsgrundlage für die Entlassung des Be-
treuers darstellt, nur auf diejenigen Fälle, in denen bei fortbestehender Betreu-
ung eine isolierte Entscheidung über die Beendigung des Amtes des bisherigen
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Betreuers getroffen werden soll (Senatsbeschluss vom 15. September 2010
- XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 17). Die Entlassung des bisherigen
Betreuers berührt also nicht den Fortbestand der Betreuung als solche
(Palandt/Diederichsen BGB 70. Aufl. § 1908 b Rn. 1). Dieses Verfahren wird
deshalb auch nicht von den §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG er-
fasst; vielmehr fällt es unter die Auffangnorm des § 271 Nr. 3 FamFG (Senats-
beschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 364/10 - FamRZ 2011, 632 Rn. 9
mwN).
Da die Entlassung des Betreuers gemäß § 1908 b BGB nicht die Aufhe-
bung der Betreuung nach sich zieht, kommt auch eine zulassungsfreie Rechts-
beschwerde nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. FamFG nicht in Betracht.
2. Die Aufhebung der Betreuung ist auch nicht dadurch zum Gegenstand
der Rechtsbeschwerde geworden, dass die Betroffene sie in der Beschwer-
deinstanz beantragt hat und der angefochtene Beschluss Ausführungen zum
Fortbestand der Betreuungsbedürftigkeit enthält.
Denn Gegenstand des Beschwerdeverfahrens kann grundsätzlich nur
der Verfahrensgegenstand sein, über den im ersten Rechtszug entschieden
worden ist. Das ergibt sich aus dem Wesen des Rechtsmittelverfahrens, das
notwendigerweise keine andere Angelegenheit betreffen darf als diejenige, die
Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gewesen ist (Senatsbeschluss
vom 5. Januar 2011 - XII ZB 240/10 - FamRZ 2011, 367 Rn. 7 mwN).
Verfahrensgegenstand im ersten Rechtszug war hier allein der Antrag,
die Berufsbetreuerin zu entlassen und an ihrer Stelle den Bruder der Betroffe-
nen zum Betreuer zu bestellen (§ 1908 b Abs. 1, 3 BGB). Nur darüber hat das
Betreuungsgericht im ersten Rechtszug entschieden und nur dieser Gegen-
stand ist in der Beschwerdeinstanz angefallen. Die weiteren Eingaben der Be-
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troffenen an das Beschwerdegericht, mit denen sie zusätzlich eine Aufhebung
der Betreuung verfolgt hat, vermochten den Gegenstand des Beschwerdever-
fahrens nicht zu erweitern.
Hahne
Weber-Monecke
Klinkhammer
Schilling
Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
Notariat Ehingen, Entscheidung vom 06.08.2010 - VG II 3/09 -
LG Ulm (Donau), Entscheidung vom 06.12.2010 - 3 T 90/10 -