Urteil des BGH vom 08.07.2015

Leitsatzentscheidung zu Ärztliche Zwangsbehandlung, Genehmigung, Einwilligung, Rechtswidrigkeit

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 6 0 0 / 1 4
vom
8. Juli 2015
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 321 Abs. 1
Zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigung einer Zwangsmedikation
ohne ausreichende gutachterliche Grundlage.
BGH, Beschluss vom 8. Juli 2015 - XII ZB 600/14 - LG Saarbrücken
AG Homburg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juli 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Schilling, Dr. Günter und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass
der die Einwilligung der Betreuerin in eine ärztliche Zwangsmaß-
nahme genehmigende Beschluss des Amtsgerichts Homburg vom
23. September 2014 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des
Landgerichts Saarbrücken vom 21. Oktober 2014 die Betroffene in
ihren Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staats-
kasse auferlegt.
Beschwerdewert: 5
.000 €
Gründe:
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Genehmi-
gung ihrer zwangsweisen Heilbehandlung.
Die Betroffene steht unter Betreuung. Auf Antrag der Betreuerin hat das
Amtsgericht zunächst im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterbringung
der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung genehmigt. Auf der Grundla-
ge einer Begutachtung der Betroffenen im Rahmen des Betreuungsverfahrens
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und nach Einholung eines ärztlichen Zeugnisses der behandelnden Ärztin "zum
Antrag einer Zwangsmedikation" sowie der Anhörung der Betroffenen hat das
Amtsgericht die Einwilligung der Betreuerin in die zwangsweise Verabreichung
eines in dem Beschluss genau bezeichneten Medikaments in Depotform für ei-
nen Zeitraum von sechs Wochen genehmigt. Zugleich hat es für die Betroffene
einen Verfahrenspfleger bestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Be-
troffenen hat das Landgericht mit der ergänzenden Maßgabe zurückgewiesen,
dass die Gabe des Medikaments in der Verantwortung eines Arztes/einer Ärztin
zu erfolgen hat und von einem Arzt/einer Ärztin zu dokumentieren ist.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Betroffene die Feststellung, dass
die Beschlüsse von Amts- und Landgericht sie in ihren Rechten verletzt haben.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaß-
nahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbringungs-
sache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier
aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
FamFG (Senatsbeschluss BGHZ 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn. 4 mwN).
Nachdem es sich bei der angefochtenen Entscheidung nicht um eine einstweilige
Anordnung handelt, steht § 70 Abs. 4 FamFG der Statthaftigkeit der Rechtsbe-
schwerde nicht entgegen.
2. Die Entscheidungen von Amts- und Landgericht zur Genehmigung der
Einwilligung der Betreuerin in die ärztliche Zwangsbehandlung haben die Be-
troffene in ihren Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz
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entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss
vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 8 mwN) festzustel-
len ist. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Instanzgerichte nicht ohne
Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Notwendigkeit der Maßnahme
hätten entscheiden dürfen.
a) Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaß-
nahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über
die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Gemäß § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2
FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen. Danach
bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358
ZPO). Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen wenn
nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest formlos mitzuteilen, damit dieser
gegebenenfalls von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m.
§ 406 ZPO Gebrauch machen kann. Ferner hat der Sachverständige den Be-
troffenen gemäß § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens per-
sönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersu-
chung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den
Zweck der Untersuchung eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht,
an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben. Schließlich muss
das Sachverständigengutachten zwar nicht zwingend schriftlich erstattet werden,
wenn auch eine schriftliche Begutachtung vielfach in Anbetracht des schwerwie-
genden Grundrechtseingriffs angezeigt erscheint. Jedenfalls aber muss das Gut-
achten namentlich Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der
Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung und der sonstigen Erkenntnis-
se darstellen und wissenschaftlich begründen (Senatsbeschluss vom
15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 18 ff. mwN).
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Danach hat das Amtsgericht auf einer unzureichenden tatsächlichen
Grundlage entschieden. Das im Betreuungsverfahren eingeholte Gutachten, auf
welches das Amtsgericht unter anderem seine Entscheidung stützt, verhält sich
zur Notwendigkeit einer zwangsweisen Behandlung der Betroffenen mit Neuro-
leptika nicht. Das ärztliche Attest der Stationsärztin vom 22. September 2014,
das vom Amtsgericht ebenfalls zur Begründung herangezogen worden ist, setzt
sich zwar inhaltlich mit der Erforderlichkeit einer medikamentösen Behandlung
der Betroffenen auch gegen deren Willen auseinander. Dies genügt jedoch den
Anforderungen, die § 321 Abs.1 FamFG an das zwingend einzuholende Sach-
verständigengutachten stellt, nicht. Die Stationsärztin wurde nicht zur Sachver-
ständigen bestellt, sondern nur um ein entsprechendes ärztliches Attest gebeten.
Sie ist daher auch nicht als gerichtlich bestellte Sachverständige gegenüber der
Betroffenen aufgetreten und es fand vor der Erstellung des ärztlichen Attests
auch keine weitere Untersuchung der Betroffenen statt. Die Stationsärztin hat
das ärztliche Attest allein aufgrund ihrer eigenen Kenntnisse aus der stationären
Behandlung der Betroffenen erstellt. Dieser Mangel wurde auch im Beschwerde-
verfahren nicht geheilt.
b) Hinzu kommt, dass Amts- und Landgericht auch die Regelung in § 321
Abs. 1 Satz 5 FamFG nicht beachtet haben.
Danach soll in Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärzt-
liche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung der zwangsbehandelnde Arzt
nicht zum Sachverständigen bestellt werden. Nur in eng begrenzten Ausnahme-
fällen - etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit - kann das Gericht hiervon abwei-
chen und im Einzelfall auch den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellen. In
diesem Fall hat das Gericht jedoch in dem Genehmigungsbeschluss nachvoll-
ziehbar zu begründen, weshalb es von § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG abgewichen
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ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 - XII ZB 482/13 - FamRZ 2014,
29 Rn. 9 mwN).
Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung ebenfalls
nicht. Das Amtsgericht hat die Stationsärztin in der Einrichtung, in der die Be-
troffene untergebracht ist und die gleichzeitig ihre behandelnde Ärztin ist, mit der
Erstattung des ärztlichen Attests beauftragt. Weder das Amts- noch das Landge-
richt haben in ihren Entscheidungen dargelegt, aus welchen Gründen sie von der
Regelung des § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG abgewichen sind. Es sind auch keine
Umstände ersichtlich, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Abweichung
rechtfertigen könnten.
c) Die Betroffene ist durch diese Verfahrensmängel in ihrem Freiheits-
grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden.
aa) Die Feststellung, dass ein Betroffener durch angefochtene Entschei-
dungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verlet-
zung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG
jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass
die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der
durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (Senats-
beschluss vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 27
mwN).
bb) Indem die Gerichte die zwangsweise Behandlung der Betroffenen ge-
nehmigt bzw. diese Genehmigung im Beschwerdeverfahren gebilligt haben, ohne
das nach § 321 Abs. 1 FamFG zwingend vorgeschriebene Gutachten zur Not-
wendigkeit der Maßnahme einzuholen, haben sie eine elementare Verfahrensga-
rantie verletzt, was die Feststellung nach § 62 FamFG rechtfertigt.
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cc) Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der
Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf - erledigten
Maßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Ge-
nehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwer-
wiegenden Grundrechtseingriff im Sinn des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (st. Rspr.
des Senats, zuletzt Senatsbeschluss vom 7. August 2013 - XII ZB 691/12 - juris
Rn. 18 mwN).
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil
sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeu-
tung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Recht-
sprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose
Weber-Monecke
Schilling
Günter
Botur
Vorinstanzen:
AG Homburg, Entscheidung vom 23.09.2014 - 10 XVII 106/14 -
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 21.10.2014 - 5 T 404/14 -
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