Urteil des BGH vom 16.12.2015

Leitsatzentscheidung zu Wirkungen der Ehe, Auskunftserteilung, Bruchteil, Ermessen

ECLI:DE:BGH:2015:161215BXIIZB405.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 405/15
vom
16. Dezember 2015
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1379 Abs. 1; FamFG § 61 Abs. 1; ZPO § 3
a) Legt der in erster Instanz unterlegene Anspruchsteller in einem Verfahren, das
die Verpflichtung zur Auskunftserteilung in einem Güterrechtsverfahren betrifft,
Rechtsmittel ein, so richtet sich der Wert des Beschwerdegegenstands nach sei-
nem wirtschaftlichen Interesse an der Erteilung der Auskunft (im Anschluss an
Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2011 - XII ZB 127/11 - FamRZ 2011, 1929).
b) Zur Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstands bei in erster Instanz
abgewiesenem Auskunftsantrag in einem Güterrechtsverfahren.
BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 - XII ZB 405/15 - OLG München
AG München
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Dezember 2015 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter,
Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 33. Zivil-
senats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München vom
10. August 2015 wird auf Kosten der Antragsgegnerin verworfen.
Wert: bis 600
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin begehrt von ihrem getrennt lebenden Ehemann,
dem Antragsteller, im Rahmen des im Scheidungsverbund anhängigen Zuge-
winnausgleichsverfahrens Auskunft über den Bestand seines Endvermögens.
Die Antragsgegnerin, italienische Staatsangehörige, und der Antragstel-
ler, schwedischer Staatsangehöriger, schlossen im Januar 1993 in Italien die
Ehe. Etwa zwei Monate später begründeten sie einen gemeinsamen Aufenthalt
in Deutschland, wo sie seitdem leben.
Der Scheidungsantrag ist der Antragsgegnerin am 9. August 2012 zuge-
stellt worden. Der Antragsteller begehrt Zugewinnausgleich, in der Auskunfts-
stufe haben beide Beteiligten wechselseitig Auskunft über ihr Vermögen zum
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Stichtag 9. August 2012 erteilt. Daraufhin hat der Antragsteller seinen Anspruch
auf rund 150.000
€ beziffert. Die Antragsgegnerin hat die Rechtsauffassung
vertreten, die güterrechtlichen Wirkungen richteten sich nach italienischem
Recht. Sie hat gleichwohl für den Fall, dass deutsches Recht zur Anwendung
komme, vom Antragsteller Auskunftserteilung über sein Vermögen zum Stich-
tag 1. April 2012, dem von ihr behaupteten Trennungszeitpunkt, sowie zum un-
ter Berücksichtigung des Trennungsjahrs errechneten (fiktiven) Stichtag 1. April
2013 verlangt. Die Auskunft über das Vermögen zum 1. April 2012 hat der An-
tragsteller erteilt.
Das Amtsgericht hat den Antrag der Antragsgegnerin auf Auskunftsertei-
lung über den Bestand des Endvermögens zum 1. April 2013 mit Teilbeschluss
abgewiesen. Die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe unterlägen deutschem
Güterrecht, die Auskunftsverpflichtung zu dem fiktiven Stichtag bestehe jedoch
nicht. Mit ihrer Beschwerde hat die Antragsgegnerin beantragt, die Anwendung
des italienischen materiellen Rechts auf den Güterstand der Beteiligten für an-
wendbar zu erklären und hilfsweise dem Auskunftsanspruch zum Stichtag
1. April 2013 stattzugeben. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde als un-
zulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der
Rechtsbeschwerde.
II.
Die gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522
Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Vo-
raussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
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Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwer-
degerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Antragsgegnerin nicht in
ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechts-
schutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses
Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu
einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus
Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.,
vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. April 2014 - XII ZB 486/12 - FamRZ 2014, 1012
Rn. 6 mwN und vom 22. Januar 2014 - XII ZB 278/13 - FamRZ 2014, 644 Rn. 3
mwN). Anders als die Rechtsbeschwerde meint, liegt auch kein entscheidungs-
erheblicher Verstoß des Beschwerdegerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Die Antragstellung bezüglich des im Beschwerdeverfahren gestellten
Hauptantrags sei bereits deshalb unzulässig, weil das Rechtsschutzziel ohne
Bezug zu einem Sachantrag geltend gemacht werde. Die Frage des anwendba-
ren Rechts sei allenfalls Vorfrage im Rahmen einer auf der Grundlage dieser
Rechtsordnung begehrten Sachentscheidung.
Für den Hilfsantrag fehle es an einer über 600
€ zu bemessenden Be-
schwer. Die Beeinträchtigung der Antragsgegnerin bestehe lediglich in der Ab-
weisung des von ihr erhobenen Antrags auf Auskunft zu dem von ihr behaupte-
ten fiktiven Stichtag des Ehezeitendes 1. April 2013. Die Antragsgegnerin habe
jedoch keinen Vortrag dazu gehalten, ob und in welchem Umfang sie einen fi-
nanziellen Nachteil durch den von ihr behaupteten verfrühten Scheidungsantrag
und die damit einhergehende Vorverlegung des Endstichtags der Ehe hatte, der
bei dem von ihr als richtig bezeichneten Stichtag nicht eingetreten wäre. Soweit
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sie einen angeblich entgangenen Zinsgewinn aus einer tatsächlich nicht vom
Antragsteller getätigten Anlage von 200.000
€ anführe, handele es sich dabei
allenfalls um die Behauptung einer entgangenen Gewinnchance, nicht jedoch
um einen konkret zu bemessenden Vermögensnachteil.
2. Die Rechtsbeschwerde vermag keine zulassungsrelevanten Rechts-
fehler aufzuzeigen.
a) Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt hat
das Beschwerdegericht bei der Bemessung des Wertes des Beschwerdege-
genstandes im Sinne des § 61 Abs. 1 FamFG allein auf den Auskunftsantrag
abgestellt. Nur über diesen hat das Amtsgericht entschieden. Zwar führt das
Amtsgericht aus, der Antrag sei hilfsweise für den Fall gestellt, dass sich die
güterrechtlichen Wirkungen der Ehe nach deutschem Güterrecht richteten. Dies
hat jedoch kein Eventualverhältnis begründet, weil es an der Abhängigkeit zur
Entscheidung über einen entsprechenden Hauptantrag gefehlt hat (vgl. Zöller/
Greger ZPO 31. Aufl. vor § 128 Rn. 20).
Der erst mit der Beschwerdebegründung geltend gemachte Feststel-
lungsantrag zum anwendbaren Recht konnte - unabhängig von seiner Zulässig-
keit - den Wert des Beschwerdegegenstands nicht erhöhen. Dieser bestimmt
sich danach, inwieweit der Rechtsmittelführer die Beseitigung der mit der erst-
instanzlichen Entscheidung für ihn verbundenen Rechtsverkürzung erstrebt,
und erhöht sich nicht um den Wert eines erstmals in der Beschwerdeinstanz
gestellten Antrags (vgl. BGH Beschlüsse vom 19. April 2012 - IX ZB 162/10 -
MDR 2012, 876 Rn. 10 zu § 567 Abs. 2 ZPO und vom 19. März 2009
- IX ZB 152/08 - NJW-RR 2009, 853 Rn. 5 ff. zu § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; Keidel/
Meyer-Holz FamFG 18. Aufl. § 61 Rn. 7; Musielak/Voit/Ball ZPO 12. Aufl. § 511
Rn. 18; Zöller/Heßler ZPO 31. Aufl. § 511 Rn. 13).
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b) Legt der in erster Instanz unterlegene Anspruchsteller in einem Ver-
fahren, das die Verpflichtung zur Auskunftserteilung in einem Güterrechtsver-
fahren (§ 1379 Abs. 1 BGB) betrifft, Rechtsmittel ein, so richtet sich der Wert
des Beschwerdegegenstands nach seinem wirtschaftlichen Interesse an der
Erteilung der Auskunft. Dieses ist gemäß § 3 ZPO nach freiem Ermessen zu
schätzen. Weil die Auskunft die Geltendmachung des Leistungsanspruchs erst
vorbereiten und erleichtern soll, beträgt der Wert des Auskunftsanspruchs in der
Regel einen Bruchteil, nämlich ein Zehntel bis ein Viertel des Leistungsan-
spruchs, und ist umso höher anzusetzen, je geringer die Kenntnisse des An-
spruchstellers von den zur Begründung des Leistungsanspruchs maßgeblichen
Tatsachen sind. Der Leistungsanspruch bildet die Schätzungsgrundlage für den
anzusetzenden Wert und ist ebenfalls gemäß § 3 ZPO zu schätzen. Dies
geschieht nach objektiven Anhaltspunkten, wobei anhand des Tatsachenvor-
trags des Antragstellers danach zu fragen ist, welche Vorstellungen er sich vom
Wert des Leistungsanspruchs gemacht hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen,
ob ein solcher Anspruch nach den festgestellten Verhältnissen überhaupt oder
nur in geringerer Höhe in Betracht kommt, mit der Folge, dass das Interesse
des Rechtmittelklägers dann unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten entspre-
chend geringer zu bewerten ist (Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2011
- XII ZB 127/11 - FamRZ 2011, 1929 Rn. 13 ff. mwN). Maßgeblich für die Wert-
bemessung ist dabei der Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung (Senatsbeschluss
vom 2. September 2015 - XII ZB 132/15 - FamRZ 2015, 2142 Rn. 17 mwN).
Die vom Beschwerdegericht vorgenommene Schätzung kann aufgrund
des ihm eingeräumten Ermessensspielraums im Rechtsbeschwerdeverfahren
nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob das Gericht die gesetzlichen
Grenzen überschritten oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (Senatsbe-
schluss vom 12. Oktober 2011 - XII ZB 127/11 - FamRZ 2011, 1929 Rn. 17
mwN).
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c) Gemessen hieran ist die Auffassung des Beschwerdegerichts nicht zu
beanstanden, der Wert des Beschwerdegegenstands überschreite 600
€ nicht.
aa) Das wirtschaftliche Interesse der Antragsgegnerin an der Erteilung
der Auskunft zum Endvermögen besteht hier allerdings erkennbar nicht darin,
einen eigenen Zahlungsanspruch vorzubereiten, sondern den Zugewinnaus-
gleichsanspruch des Antragstellers so weit wie möglich zu reduzieren. Maßgeb-
lich ist für die Wertbemessung daher, in welchem Umfang sie nach ihren Vor-
stellungen den gegen sie gerichteten Anspruch mittels der Auskunft der Höhe
nach begrenzen kann. Das hinter dem Auskunftsanspruch stehende Leistungs-
interesse ist mithin grundsätzlich mit dem Abwehrinteresse der Antragsgegnerin
gegen den Zahlungsanspruch des Antragstellers identisch.
bb) Der durch den Teilbeschluss abgewiesene Auskunftsanspruch hatte
jedoch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nur zum Ziel, eine Reduzierung
der zu Gunsten des Antragstellers bestehenden Zugewinndifferenz zu errei-
chen, indem vom Antragsteller im Zeitraum vom 29. August 2012 bis zum
1. April 2013 erzielte Mehrungen seines Vermögens aufgedeckt werden sollten.
Denn die Auskunft zum Stichtag der Zustellung des Scheidungsantrags am
29. August 2012 ist bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens erteilt
worden.
Daher hat das Beschwerdegericht im Grundsatz zu Recht darauf abge-
stellt, welche in diesem Zeitraum erfolgten Vermögenszuwächse des Antrag-
stellers sich die Antragsgegnerin vorstellte. Allerdings konnte sich eine Erhö-
hung des Vermögensbestands beim Antragsteller nur in hälftiger Höhe auf sei-
nen Anspruch auswirken, weil der Zugewinnausgleichsanspruch sich gemäß
§ 1378 Abs. 1 BGB auf die Hälfte des Überschusses beläuft.
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cc) Letztlich ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die
Erwägungen des Beschwerdegerichts zur Wertbemessung.
(1) Zwar ist die Begründung, mit der das Beschwerdegericht eine Be-
rücksichtigung des von der Antragsgegnerin zur Darlegung des Wertes des Be-
schwerdegegenstands angeführten Zinsgewinns abgelehnt hat, nicht tragfähig.
Denn um ihre Vorstellung vom wirtschaftlichen Nutzen der Auskunft zu belegen,
reichte der Vortrag aus. Ob der Antragsteller die entsprechende Gewinnchance
dann tatsächlich genutzt hat, ist allein eine Frage der Höhe seines Zugewinn-
ausgleichsanspruchs, die anhand der erteilten Auskünfte zu ermitteln ist.
(2) Das von der Rechtsbeschwerde als übergangen gerügte Vorbringen
ist jedoch nicht geeignet, einen 600
€ übersteigenden Wert des Beschwerdege-
genstands zu begründen.
Die Rechtsbeschwerde macht geltend, die Antragsgegnerin habe nach
dem Hinweis des Beschwerdegerichts auf seine Zulässigkeitsbedenken vorge-
tragen, dem Antragsteller hätten im Zeitpunkt der von ihr behaupteten Trennung
200.000
€ zur Verfügung gestanden, mit denen er bis zum 1. April 2013 zumin-
dest 1.300
€ Zinsen erwirtschaftet habe. Selbst unterstellt, es handele sich bei
der genannte Summe nur um die Hälfte des vermuteten Vermögenszuwachses
auf Seiten des Antragstellers im Zeitraum vom 29. August 2012 bis zum 1. April
2013
,
wäre hiervon ein Bruchteil von im für die Antragsgegnerin günstigsten Fall
einem Viertel als Wert anzusetzen, mithin 325
€.
Im Übrigen hat sich das Beschwerdegericht mit diesem Vortrag nicht nur
befasst, sondern ersichtlich ebenso gerechnet, als es im Tenor des angefoch-
tenen Beschlusses den Wert des Beschwerdeverfahrens auf exakt diesen Be-
trag festgesetzt hat.
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(3) Soweit die Rechtsbeschwerde zur Bemessung des Wertes des Be-
schwerdegegenstands auf das vom Antragsteller für den Stichtag 1. April 2012
mit mehr als einer Million Euro angegebene Aktivvermögen abstellen möchte
und daraus einen potentiellen Nachteil von mindestens 2.000
€ folgert, wird be-
reits nicht mitgeteilt, welcher Nachteil dies sein soll. Außerdem handelt es sich
um im Rechtsbeschwerdeverfahren unbeachtlichen neuen Vortrag (vgl. Se-
natsbeschluss vom 21. Juli 2004 - XII ZB 27/03 - FamRZ 2004, 1549, 1550;
BGHZ 156, 165 = FamRZ 2004, 180, 181). Dass die Höhe des Aktivvermögens
als solche für das hinter dem auf den 1. April 2013 bezogenen Antrag stehende
wirtschaftliche Interesse von Belang sein sollte, hat die Antragsgegnerin im Be-
schwerdeverfahren nicht behauptet und ist auch nicht erkennbar. Schließlich
würde sich ein Viertel selbst dieses Betrages immer noch deutlich unterhalb der
Grenze des § 61 Abs. 1 FamFG bewegen.
Dose
Klinkhammer
Günter
Botur
Guhling
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 06.03.2015 - 523 F 8266/12 -
OLG München, Entscheidung vom 10.08.2015 - 33 UF 532/15 -
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