Urteil des BGH vom 18.03.2015

Leitsatzentscheidung zu Anhörung, Beschwerdebefugnis, Geschäftsfähigkeit, Vollmacht, Gefahr

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 3 7 0 / 1 4
vom
18. März 2015
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1896 Abs. 1 a; FamFG §§ 26, 280 Abs. 1 Satz 1
a) § 280 Abs. 1 FamFG verpflichtet das Gericht nur dann zur Einholung eines
Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestel-
lung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon
abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1
FamFG nicht zwingend erforderlich.
b) Das Gericht hat vor der Anordnung der Gutachtenerstattung zu prüfen, ob
hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Betreuungsbedarf be-
steht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt.
BGH, Beschluss vom 18. März 2015 - XII ZB 370/14 - LG Dresden
AG Dresden
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. März 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-
Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Dresden vom 26. Juni 2014 wird auf Kosten der
weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Beschwerdewert: 5.000
Gründe:
A.
Die Beteiligte zu 1 wendet sich gegen die Ablehnung der von ihr angereg-
ten Bestellung eines Betreuers für ihre Mutter.
Im Oktober 2012 hat die Beteiligte zu 1 gegenüber dem Amtsgericht ange-
regt, für ihre Mutter eine Betreuung, insbesondere mit dem Aufgabenkreis der
Vermögensbetreuung, einzurichten. Das Amtsgericht hat die Beteiligte zu 1 auf
deren Antrag hin formell am Verfahren beteiligt. Diesen Beschluss hat das Land-
gericht auf die Beschwerde der Betroffenen aufgehoben.
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Während des Verfahrens hat die Betroffene zunächst eine privatschriftli-
che und danach eine notariell beurkundete Vorsorgevollmacht vom 7. November
2013 für einen Dritten vorgelegt.
Das Amtsgericht hat nach Einholung einer Stellungnahme der Beteiligten
zu 2 (Betreuungsbehörde) und Anhörung der Betroffenen die Bestellung eines
Betreuers abgelehnt, weil der freie Wille der Betroffenen gegen die Einrichtung
einer Betreuung spreche. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten
zu 1, mit der sie insbesondere gerügt hat, dass das Amtsgericht kein Sachver-
ständigengutachten zur Frage der Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen ein-
geholt habe, hat das Landgericht zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beteiligte zu 1 mit der Rechts-
beschwerde.
B.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
I.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 70
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht
statthaft, obwohl vorliegend die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt worden ist
(vgl. Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 519/13 - FamRZ 2014, 652
Rn. 8). Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1 als Tochter der Betroffenen
ergibt sich aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Zwar ist ihre förmliche Beteiligung am
erstinstanzlichen Verfahren auf die Beschwerde der Betroffenen aufgehoben
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worden. Die Rechtskraft einer die Hinzuziehung ablehnenden Entscheidung
erstreckt sich jedoch allein darauf, dass der Antragsteller nicht zu beteiligen ist.
Ist dieser - wie im vorliegenden Fall die Beteiligte zu 1 - bereits zuvor tatsächlich
am Verfahren beteiligt worden, entfällt durch die Ablehnungsentscheidung eine
durch die bereits erfolgte Hinzuziehung begründete Beschwerdebefugnis nach
§ 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 9. April 2014
- XII ZB 595/13 - FamRZ 2014, 1099 Rn. 19).
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet:
Die Beschwerde sei unbegründet, weil aufgrund der bisherigen Erkennt-
nisse und Ermittlungen die Betroffene über einen freien Willen verfüge, der der
Anordnung einer Betreuung entgegenstehe. Nach der Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs sei die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann
zwingend erforderlich, wenn das Vorliegen eines freien Willens verneint werden
solle. Dagegen sei ein Sachverständigengutachten nicht notwendig, wenn die
sonstigen Ermittlungen genügende Anhaltspunkte dafür ergäben, dass der Be-
troffene über einen freien Willen verfüge.
Da im vorliegenden Fall die bisherigen Ermittlungen ergeben hätten, dass
die Betroffene über einen freien Willen verfüge, müsse die Einholung ei-
nes Sachverständigengutachtens unterbleiben. Bisher lägen auch keine Anhalts-
punkte dafür vor, dass der Vorsorgebevollmächtigte das Vertrauen der Betroffe-
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nen in einem Maße ausnutze, das auf eine Willenlosigkeit der Betroffenen
schließen lasse.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand. Soweit
die Rechtsbeschwerde rügt, das Beschwerdegericht habe weitere Sachverhalts-
ermittlungen anstellen und insbesondere ein Sachverständigengutachten zur
Frage des Vorliegens eines freien Willens i.S.v. § 1896 Abs. 1 a BGB einholen
müssen, kann sie damit keinen Erfolg haben.
a) § 280 Abs. 1 FamFG verpflichtet nach seinem Wortlaut das Gericht nur
dann zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit
einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts en-
det. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280
Abs. 1 Satz 1 nicht zwingend erforderlich (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 280
Rn. 2; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 2. Aufl. § 280 Rn. 1; BeckOK FamFG/
Günter [Stand: 1. Januar 2015] § 280 Rn. 3). Das Gericht hat daher vor der An-
ordnung der Gutachtenerstattung zu prüfen, ob es das Verfahren im Hinblick auf
eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes wei-
ter betreiben will. Dies setzt hinreichende Anhaltspunkte voraus, dass Betreu-
ungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht
kommt (vgl. Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 280 Rn. 3; BeckOK FamFG/Günter
[Stand: 1. Januar 2015] § 280 Rn. 6), zumal bereits die Beauftragung eines
Sachverständigen zur Prüfung einer möglichen Betreuungsbedürftigkeit eine
stigmatisierende Wirkung haben kann, wenn Dritte von ihr Kenntnis erlangen
(vgl. BVerfG FamRZ 2011, 272 Rn. 31).
Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Betreuerbe-
stellung können sich etwa aus der gemäß § 279 Abs. 2 FamFG obligatorischen
Anhörung der Betreuungsbehörde ergeben, die - wie sich aus § 280 Abs. 2
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Satz 2 FamFG ergibt - möglichst vor der Gutachtenserstellung erfolgen soll. Hin-
weise auf die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines
Einwilligungsvorbehalts können sich zudem daraus ergeben, dass das Gericht
den Betroffenen zur Wahrung des rechtlichen Gehörs vor der Einholung des
Gutachtens über die beabsichtigte Einholung informieren und ihm Gelegenheit
zur Stellungnahme geben muss (BVerfG FamRZ 2011, 272 Rn. 29 f.; Keidel/
Budde FamFG 18. Aufl. § 280 Rn. 3; Prütting/Helms/Fröschle FamFG 3. Aufl.
§ 280 Rn. 3).
In welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich nach § 26
FamFG. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsa-
chen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden
Beweise zu erheben (Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060
Rn. 29 f.). Dabei muss dem erkennenden Gericht die Entscheidung darüber vor-
behalten sein, welchen Weg es innerhalb der ihm vorgegebenen Verfahrensord-
nung für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkennt-
nissen zu gelangen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle
auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maß-
geblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf
einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 13. April
2011 - XII ZB 584/10 - FamRZ 2011, 964 Rn. 16 mwN).
b) Danach ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Be-
schwerdegericht von weiteren Ermittlungen abgesehen und aufgrund der bislang
getroffenen Feststellungen davon ausgegangen ist, dass die Betroffene über ei-
nen freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1 a BGB verfügt.
Das Beschwerdegericht hat sich bei seiner Entscheidung insbesondere
auf den Eindruck von der Betroffenen bei den zeitnah erfolgten Anhörungen
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durch das Amtsgericht und durch den beauftragten Einzelrichter in einem voran-
gegangenen Beschwerdeverfahren gestützt, bei denen die Betroffene jeweils
orientiert und bewusstseinsklar war und sich differenziert mit den Vor- und Nach-
teilen einer Betreuung auseinandersetzen konnte. Darüber hinaus hat es bei sei-
nen Erwägungen berücksichtigt, dass der Notar, der am 7. November 2013 die
Vorsorgevollmacht beurkundet hat, von der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen
überzeugt war und ein Mitarbeiter der Betreuungsbehörde, der die Betroffene
schon längere Zeit kennt, diese Einschätzung geteilt hat.
Diese Feststellungen, die auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegrif-
fen werden, tragen die Annahme des Beschwerdegerichts, dass die Betroffene
über einen freien Willen i.S.v. § 1896 Abs. 1 a BGB verfügt und daher gegen ih-
ren Willen eine Betreuerbestellung nicht möglich ist.
c) Hinzu kommt, dass aufgrund der von der Betroffenen erteilten nota-
riellen Vorsorgevollmacht eine Betreuerbestellung derzeit auch nicht erforderlich
ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Zwar steht eine Vorsorgevollmacht der Bestel-
lung eines Betreuers dann nicht entgegen, wenn Bedenken gegen die Wirk-
samkeit der Vollmacht bestehen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010
- XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 11) oder der Bevollmächtigte ungeeignet
ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu be-
fürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen
eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet, etwa weil erhebli-
che Bedenken an der Redlichkeit des Vorsorgebevollmächtigten bestehen (Se-
natsbeschluss vom 13. April 2011 - XII ZB 584/10 - FamRZ 2011, 964 Rn. 15
mwN).
Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen zum Zeit-
punkt der notariellen Vollmachtserteilung hat das Beschwerdegericht jedoch
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ebenso wenig festgestellt, wie konkrete Umstände, die auf die Unredlichkeit des
derzeitigen Bevollmächtigten schließen lassen. Solche Umstände werden auch
von der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht.
Dose
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
AG Dresden, Entscheidung vom 03.02.2014 - 406 XVII 1831/12 -
LG Dresden, Entscheidung vom 26.06.2014 - 2 T 216/14 -