Urteil des BGH vom 28.09.2016

Leitsatzentscheidung zu Jugendamt, Gesetzlicher Vertreter, Amtsvormund, Beteiligung am Verfahren

ECLI:DE:BGH:2016:280916BXIIZB251.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 251/16
vom
28. September 2016
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 7 Abs. 2 Nr. 1, 81 Abs. 1 und 2, 162 Abs. 1 und 2; FamGKG § 2;
SGB X § 64 Abs. 3 Satz 2
a) Kostenpflichtig im Sinne des § 81 Abs. 1 FamFG können nur formell Betei-
ligte sein, ohne dass es insoweit einer materiellen Beteiligung bedarf. Dem
Grundsatz nach kommen daher auch Behörden wie das Jugendamt bei "le-
diglich" formeller Beteiligung am Umgangsverfahren als Kostenschuldner in
Betracht.
b) Das Jugendamt ist in seiner Eigenschaft als Amtsvormund sog. Muss-
Beteiligter des Umgangsverfahrens.
c) Bei der Ermessensentscheidung nach § 81 Abs. 1 FamFG wird regelmäßig
eine Auferlegung von Kosten auf das Jugendamt als Amtsvormund auf-
grund dessen besonderer rechtlicher Stellung nur unter den Voraussetzun-
gen eines der in § 81 Abs. 2 FamFG aufgezählten Fälle oder bei Vorliegen
eines hiermit vergleichbaren Falles angebracht sein.
d) Bei der Ermessensentscheidung nach § 81 Abs. 1 FamFG sind auch Kos-
tenbefreiungstatbestände zu berücksichtigen. Sie stehen zwar der Auferle-
gung von Gerichtskosten auf einen Beteiligten nicht entgegen, sondern hin-
dern nur die Erhebung der Gerichtskosten im Umfang des Befreiungstatbe-
standes. Dass ein Beteiligter im Ergebnis (bestimmte) Kosten nicht tragen
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muss, stellt aber einen Umstand dar, der die Ermessensentscheidung mit
Blick auf § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG beeinflussen kann.
e) Das Jugendamt ist als Amtsvormund im Umgangsverfahren gemäß § 64
Abs. 3 Satz 2 SGB X von den Gerichtskosten befreit.
BGH, Beschluss vom 28. September 2016 - XII ZB 251/16 - OLG Hamm
AG Rahden
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2016 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger,
Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der
Beschluss des 12. Senats für Familiensachen des Oberlandesge-
richts Hamm vom 6. Mai 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Ober-
landesgericht zurückverwiesen.
Wert: bis 1.000
Gründe:
I.
Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist die Kostenentschei-
dung nach Erledigung eines Umgangsverfahrens.
Das Jugendamt (Beteiligter zu 2) war Amtsvormund des im Oktober 2013
nicht ehelich geborenen Kindes, dessen Mutter im Juni 2015 volljährig gewor-
den ist. Im November 2014 hat der Kindesvater (Beteiligter zu 1) beim Amtsge-
richt ein Umgangsverfahren eingeleitet. Das Amtsgericht hat einen Anhörungs-
termin bestimmt und "das persönliche Erscheinen
folgender Beteiligter (…) an-
geordnet: KJA M. (Vormund) (…) KJA M. (Jugendamt)." Im Termin hat es laut
Protokoll "die Beteiligten", darunter auch die beiden erschienenen Vertreter des
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Jugendamts, angehört und dann ein familienpsychologisches Sachverständi-
gengutachten in Auftrag gegeben. Nach einer Vorab-Stellungnahme der Sach-
verständigen mit einem Vorschlag zur Ausgestaltung des Umgangs haben
sämtliche Beteiligte mitgeteilt, sie wollten so wie von der Sachverständigen vor-
geschlagen verfahren und es bedürfe keiner gerichtlichen Entscheidung mehr.
Daraufhin hat das Amtsgericht das Verfahren aufgrund übereinstimmen-
der Beendigungserklärung der Beteiligten für beendet erklärt, die Gerichtskos-
ten dem Kindesvater und dem Jugendamt als Vormund je zur Hälfte auferlegt
und angeordnet, dass jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst
trägt. Die gegen die Auferlegung von Kosten gerichtete Beschwerde des Ju-
gendamts ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde
verfolgt das Jugendamt sein Beschwerdebegehren weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung
ausgeführt, der Vormund sei hier formell Beteiligter, schon weil er vom Gericht
zum Verfahren hinzugezogen worden sei. Er sei auch materiell beteiligt. Die
Stellung des Vormunds sei der der Eltern nachgebildet und er habe Bestim-
mungen und Regelungen für das Kind zu treffen, wie es in Bezug auf die Um-
gangskontakte geschehen sei. Es entspreche nicht der Billigkeit, einen Vor-
mund generell vom Kreis der Kostenpflichtigen auszunehmen. Anderenfalls
drohe in Fällen wie dem vorliegenden, dass der Umgangsberechtigte sämtliche
Kosten des Verfahrens zu tragen habe, da kein anderer Beteiligter vorhanden
sei, dem sie auferlegt werden könnten. Gründe, von der Erhebung der Kosten
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abzusehen, seien weder vorgetragen noch ersichtlich, die Voraussetzungen
von § 81 Abs. 2 FamFG nicht dargetan. Angesichts der mit Hilfe der Sachver-
ständigen gefundenen einvernehmlichen Lösung und des beiderseitigen ge-
genseitigen Nachgebens entspreche die getroffene Entscheidung insgesamt
der Billigkeit.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die Ermes-
sensausübung des Beschwerdegerichts rechtlich bedeutsame Gesichtspunkte
unberücksichtigt lässt.
a) Im Ergebnis zutreffend hat das Beschwerdegericht allerdings aufgrund
des Umstands, dass das Umgangsverfahren mangels Notwendigkeit der Ent-
scheidung in der Hauptsache in sonstiger Weise im Sinne von § 83 Abs. 2 Alt. 1
FamFG erledigt ist, der Kostenentscheidung den entsprechend anwendbaren
§ 81 FamFG zugrunde gelegt.
Diese Vorschrift räumt dem Gericht, falls es eine Kostenentscheidung
trifft, einen weiten Gestaltungsspielraum dahingehend ein, welchem Beteiligten
welche Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Das Gericht kann beispiels-
weise die Kosten ganz oder teilweise zwischen den Beteiligten aufteilen, die
Kosten gegeneinander aufheben oder die Kostenregelung getrennt in Bezug
auf die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten vor-
nehmen. Die Vorschrift erlaubt es auch, nur bestimmte Kosten einem der Betei-
ligten aufzuerlegen oder von der Erhebung der Kosten ganz oder teilweise ab-
zusehen (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Dieses weite Ermessen des Gerichts bei
der Entscheidung über die Verfahrenskosten erfährt nur eine Beschränkung
durch § 81 Abs. 2 FamFG, wonach in den dort genannten Fällen die Kosten des
Verfahrens einem Beteiligten ganz oder teilweise auferlegt werden sollen (Se-
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natsbeschluss vom 19. Februar 2014 - XII ZB 15/13 - FamRZ 2014, 744 Rn. 11
mwN).
Ist die Kostenentscheidung solchermaßen in das Ermessen des Tatrich-
ters gestellt, kann die Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren nur einge-
schränkt darauf überprüft werden, ob das Gericht die gesetzlichen Grenzen
überschritten oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (Senatsbeschluss
vom 19. Februar 2014 - XII ZB 15/13 - FamRZ 2014, 744 Rn. 14).
b) Letzteres ist hier allerdings der Fall. Das Beschwerdegericht hat bei
seiner Entscheidung, die Gerichtskosten hälftig dem Jugendamt aufzuerlegen,
zum einen die besondere Stellung des als Amtsvormund im Umgangsverfahren
beteiligten Jugendamts und zum anderen einen gesetzlichen Kostenbefrei-
ungstatbestand außer Acht gelassen.
aa) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde freilich geltend, das Ju-
gendamt sei vorliegend nicht Beteiligter des Erkenntnisverfahrens geworden.
(1) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG kann das Gericht die Kosten des
Verfahrens den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Kostenpflichtig im
Sinne dieser Bestimmung können nur formell Beteiligte sein, ohne dass es in-
soweit einer materiellen Beteiligung bedarf (vgl. BeckOK FamFG/Nickel [Stand:
15. April 2016] § 81 Rn. 4; Keidel/Zimmermann FamFG 18. Aufl. § 81 Rn. 30;
Schulte-Bunert/Weinreich/Keske FamFG 5. Aufl. § 81 Rn. 15; vgl. auch BGHZ
31, 92 = NJW 1960, 148, 149 ff. und BayObLG NJWE-FER 2000, 320, 321,
jeweils zu § 13 a FGG). Dem Grundsatz nach kommen daher auch Behörden
wie das Jugendamt bei "lediglich" formeller Beteiligung am Umgangsverfahren
als Kostenschuldner in Betracht (OLG Celle FamRZ 2012, 1896, 1897; Keidel/
Zimmermann FamFG 18. Aufl. § 81 Rn. 39; MünchKommFamFG/Schindler
2. Aufl. § 81 Rn. 86; Schulte-Bunert/Weinreich/Keske FamFG 5. Aufl. § 81
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Rn. 15; vgl. auch BGHZ 31, 92 = NJW 1960, 148, 149 ff. zu § 13 a FGG). So-
fern das Jugendamt allerdings lediglich als gesetzlicher Vertreter des Kindes
tätig wird, scheidet die Auferlegung von Kosten nach § 81 Abs. 1 und 2 FamFG
aus, weil nicht der Vertreter, sondern das minderjährige Kind als Vertretener
Beteiligter und dieses durch § 81 Abs. 3 FamFG von der Kostentragungspflicht
ausgenommen ist (vgl. Keidel/Zimmermann FamFG 18. Aufl. § 81 Rn. 34;
MünchKommFamFG/Schindler 2. Aufl. § 81 Rn. 11; Siede in Dorndörfer/Neie/
Petzold/Wendtland Kostenrecht [Stand: 15. Mai 2016] § 2 FamGKG Rn. 8; vgl.
auch OLG Düsseldorf NJW-RR 2011, 1293).
(2) Das Amtsgericht hat das Jugendamt, wie das Beschwerdegericht im
Ergebnis zu Recht annimmt, formell in zulässiger Weise beteiligt, weil das Ju-
gendamt in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Amtsvormund (§ 1791 c Abs. 1
Satz 1 Halbsatz 1 BGB) gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sog. Muss-Beteiligter
des Umgangsverfahrens ist.
(a) Die Hinzuziehung eines Beteiligten kann auch konkludent erfolgen,
etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen
(Senatsbeschluss vom 9. April 2014 - XII ZB 595/13 - FamRZ 2014, 1099
Rn. 11). Vorliegend hat das Amtsgericht ausdrücklich das Erscheinen des
Amtsvormunds als Beteiligter angeordnet und das Jugendamt im Termin auch
in dieser Rolle - und damit nicht "nur" nach § 162 Abs. 1 Satz 1 FamFG - ange-
hört. Ebenso wenig hat es sich auf die Ladung und die Anhörung des Jugend-
amts als gesetzlicher Vertreter des Kindes beschränkt. Dass das Beschwerde-
gericht darin die Hinzuziehung als Beteiligter im Sinne von § 7 FamFG erblickt
hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
(b) Die Voraussetzungen für die Hinzuziehung des Jugendamts als Be-
teiligter nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG waren hier erfüllt, so dass keiner Erörte-
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rung bedarf, welche Auswirkungen eine gesetzeswidrige Hinzuziehung auf die
Beteiligtenstellung und insbesondere auf eine Kostentragungspflicht des so
Hinzugezogenen hätte.
(aa) Allerdings ist die Beteiligtenstellung von Behörden wie dem Jugend-
amt in Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und
in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit dem Grundsatz nach
abschließend in dessen Büchern zwei bis acht geregelt (BT-Drucks. 16/6308
S. 179). Für Kindschaftssachen wie das Umgangsverfahren sieht § 162 Abs. 1
FamFG die zwingende Anhörung des Jugendamts vor. In § 162 Abs. 2 FamFG
ist bestimmt, dass das Jugendamt - von Verfahren nach den §§ 1666 und
1666 a BGB abgesehen, in denen es in jedem Fall zu beteiligen ist - (nur) auf
seinen Antrag zu beteiligen ist. Der Sache nach zutreffend macht die Rechtsbe-
schwerde geltend, dass ein solcher Antrag hier nicht gestellt war.
(bb) Gleichwohl war das Jugendamt vorliegend auch ohne entsprechen-
den Antrag von Amts wegen zu beteiligen.
Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sind als Beteiligte diejenigen hinzuzu-
ziehen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird. Die Vor-
schrift knüpft an den materiellen Beteiligtenbegriff an und entspricht damit in-
haltlich den Voraussetzungen für die Beschwerdeberechtigung in § 59 Abs. 1
FamFG (Senatsbeschluss vom 15. April 2015 - XII ZB 534/14 - FamRZ 2015,
1019 Rn. 9). Eine Rechtsbeeinträchtigung im genannten Sinne liegt vor, wenn
der Entscheidungssatz des angefochtenen Beschlusses unmittelbar in ein dem
Beschwerdeführer zustehendes Recht eingreift, es also aufhebt, beschränkt,
mindert, ungünstig beeinflusst oder gefährdet, die Ausübung dieses Rechts
stört oder die mögliche Verbesserung der Rechtsstellung vorenthält oder er-
schwert. Eine Beeinträchtigung lediglich wirtschaftlicher, rechtlicher oder sons-
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tiger berechtigter Interessen genügt dagegen nicht (Senatsbeschluss vom
15. April 2015 - XII ZB 534/14 - FamRZ 2015, 1019 Rn. 10 mwN).
Eine derartige Rechtsbetroffenheit des Jugendamts liegt hier vor. Als
Amtsvormund ist das Jugendamt uneingeschränkter Inhaber der elterlichen
Sorge (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2014 - XII ZB 165/13 - FamRZ
2014, 732 Rn. 25). Ebenso wie ein sorgeberechtigter Elternteil stets unmittelbar
betroffen ist, wenn ein Umgangsproblem auftritt (OLG Hamm FamRZ 2011,
1889; Prütting/Helms/Prütting FamFG 3. Aufl. § 7 Rn. 25), greift eine gerichtli-
che Umgangsregelung in das dem Vormund als eigenes Recht zustehende
Sorgerecht ein (vgl. BeckOK FamFG/Obermann [Stand: 1. August 2016] § 59
Rn. 11b; MünchKommFamFG/Fischer 2. Aufl. § 59 Rn. 39). Für das Jugendamt
als bestellter oder gesetzlicher Amtsvormund gilt insoweit nichts anderes (vgl.
BeckOK FamFG/Obermann [Stand: 1. August 2016] § 59 Rn. 27; Keidel/Meyer-
Holz FamFG 18. Aufl. § 59 Rn. 65; vgl. auch Senatsbeschluss vom 23. Novem-
ber 2011 - XII ZB 293/11 - FamRZ 2012, 292 Rn. 12 zur Bestellung des Ju-
gendamts zum Ergänzungspfleger).
(cc) Dieses Gesetzesverständnis steht nicht im Widerspruch dazu, dass
§ 162 FamFG - wie dargestellt - nach dem gesetzgeberischen Willen grundsätz-
lich die Beteiligtenstellung des Jugendamts in Kindschaftssachen abschließend
regeln sollte. Denn soweit das Jugendamt als Amtsvormund Inhaber der elterli-
chen Sorge ist, geht es gerade nicht um seine Mitwirkung nach § 162 FamFG in
einer das Familiengericht unterstützenden Funktion (§ 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
SGB VIII). Vielmehr sind die Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten
und die Amtsvormundschaft nach § 2 Abs. 3 Nr. 6 und 11 SGB VIII unterschied-
liche Aufgaben der Jugendhilfe. Dass der Gesetzgeber die Anwendung des § 7
Abs. 2 Nr. 1 FamFG auch dann, wenn das Jugendamt Sorgerechtsinhaber ist,
ausschließen wollte, ist nicht ersichtlich und folgt auch nicht aus der Erwägung,
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es würde das Verfahren schwerfällig machen und einen unnötigen Arbeitsauf-
wand für Gerichte und Jugendämter bedeuten, für das Jugendamt in allen
Kindschaftssachen ausnahmslos die Stellung als Verfahrensbeteiligter vorzu-
sehen (BR-Drucks. 309/07 S. 537).
bb) Auch wenn dem als Amtsvormund beteiligten Jugendamt mithin dem
Grundsatz nach gemäß § 81 Abs. 1 FamFG Kosten auferlegt werden können,
ist bei der Ermessensentscheidung seine besondere rechtliche Stellung in den
Blick zu nehmen. Es hat zwar, worauf das Beschwerdegericht mit Recht hin-
weist, nach § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB das Recht und die Pflicht, für die Person
und das Vermögen des Kindes (Mündels) zu sorgen, und tritt insoweit an die
Stelle des sorgeberechtigten Elternteils, der zur Umgangsgewährung angehal-
ten werden soll. Auch wird vertreten, dass es in Umgangsstreitigkeiten grund-
sätzlich der Billigkeit iSd § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG entspreche, die Gerichts-
kosten zwischen den Eltern aufzuteilen und von der Auferlegung außergerichtli-
cher Kosten abzusehen (vgl. etwa OLG Naumburg FamRZ 2014, 687; OLG
Hamm FamRZ 2014, 686, 687; Borth/Grandel in Musielak/Borth FamFG 5. Aufl.
§ 81 Rn. 6; Schneider in Kemper/Schreiber Familienverfahrensrecht 3. Aufl.
§ 81 FamFG Rn. 41 mwN; aA etwa DIJUF-Rechtsgutachten JAmt 2013, 201 f.).
Ob von einem solchen Grundsatz auszugehen ist, kann hier aber dahinstehen.
Denn das Jugendamt wird anders als ein Elternteil nicht in Ausübung des
ihm originär zustehenden, sondern des aufgrund der Amtsvormundschaft über-
gegangenen Sorgerechts und allein im öffentlichen Interesse als ausschließlich
dem Kindeswohl verpflichteter Sachwalter tätig. Die Konfliktlage zwischen dem
Umgang Begehrenden und dem Jugendamt als Vormund ist daher der typi-
scherweise bei einem Umgangsstreit etwa zwischen Elternteilen bestehenden
nicht vergleichbar. Deshalb wird regelmäßig eine Auferlegung von Kosten auf
das Jugendamt als Amtsvormund nur unter den Voraussetzungen eines der in
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§ 81 Abs. 2 FamFG aufgezählten Fälle oder bei Vorliegen eines hiermit ver-
gleichbaren Falles angebracht sein (im Ergebnis ebenso OLG Celle FamRZ
2012, 1896, 1898; Bork/Jacoby/Schwab/Müther FamFG 2. Aufl. § 81 Rn. 6.4;
Schneider in Kemper/Schreiber Familienverfahrensrecht 3. Aufl. § 81 FamFG
Rn. 69; Bumiller/Harders/Schwamb FamFG 11. Aufl. § 81 Rn. 7; Horndasch/
Viefhues/Götsche FamFG 3. Aufl. § 81 Rn. 27; Borth/Grandel in Musielak/Borth
FamFG 5. Aufl. § 81 Rn. 6; DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2013, 201, 202).
Etwas anderes gilt auch nicht mit Blick auf die Erwägung des Beschwer-
degerichts, in Fällen wie dem vorliegenden drohe bei Herausnahme des Vor-
munds aus dem Kreis der Kostenpflichtigen stets, dass der Umgangsberechtig-
te sämtliche Verfahrenskosten zu tragen habe. Dies verkennt bereits, dass § 81
Abs. 1 Satz 2 FamFG auch die Möglichkeit eröffnet, von der Erhebung von Kos-
ten ganz oder teilweise abzusehen.
Dass die Auferlegung von Gerichtskosten auf das Jugendamt nach die-
sen Maßgaben gerechtfertigt ist, hat das Beschwerdegericht aber nicht festge-
stellt.
cc) Darüber hinaus hat das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung,
dem Jugendamt als beteiligtem Amtsvormund die Hälfte der Gerichtskosten - zu
denen nach § 80 Satz 1 FamFG neben den Gerichtsgebühren auch die Ausla-
gen gehören - aufzuerlegen, mit § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X einen zugunsten
des Jugendamts bestehenden Kostenbefreiungstatbestand übersehen.
(1) Zwar steht es der Auferlegung von Gerichtskosten auf einen Be-
teiligten nicht entgegen, wenn das Gesetz Kostenfreiheit anordnet. Vielmehr
hindert eine solche Kostenbefreiung nur die Erhebung der Gerichtskosten im
Umfang des Befreiungstatbestands (Finke FPR 2010, 331, 334; Meysen/
Kindermann FamFG 2. Aufl. § 81 Rn. 17; Prütting/Helms/Klüsener FamFG
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3. Aufl. § 2 FamGKG Rn. 7; Schulte-Bunert/Weinreich/Keske FamFG 5. Aufl.
§ 81 Rn. 15; aA Keidel/Zimmermann FamFG 18. Aufl. § 81 Rn. 7). Dies folgt
aus § 2 Abs. 3 Satz 1 FamGKG, der die Kostenauferlegung trotz Kostenbefrei-
ung als möglich ansieht und die Folgerung zieht, dass ein anderer Beteiligter für
die von der Kostenbefreiung erfassten Kosten nicht in Anspruch genommen
werden darf (vgl. etwa Finke FPR 2010, 331, 334; Meysen/Kindermann FamFG
2. Aufl. § 81 Rn. 17; Prütting/Helms/Klüsener FamFG 3. Aufl. § 2 FamGKG
Rn. 7; Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch FamGKG 2. Aufl. § 2 Rn. 44 ff.; vgl.
auch BGH Beschluss vom 18. Dezember 2002 - VIII ZB 97/02 - NJW 2003,
1322, 1324; Schulte-Bunert/Weinreich/Keske FamFG 5. Aufl. § 2 FamGKG
Rn. 3).
Dass ein Beteiligter im Ergebnis (bestimmte) Kosten nicht tragen muss,
stellt aber einen Umstand dar, der die Ermessensentscheidung nach § 81
FamFG - namentlich im Hinblick auf das Absehen von der Erhebung der Kosten
nach § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG - beeinflussen kann und deshalb vom Gericht
in seine Überlegungen einzubeziehen ist.
(2) Allerdings ist das Jugendamt hier nicht bereits nach § 2 Abs. 1
FamGKG von der Zahlung der Kosten befreit (so aber allgemein Lack ZKJ
2010, 189, 193). Diese Vorschrift gewährt dem Bund und den Ländern sowie
den nach Haushaltsplänen des Bundes oder eines Landes verwalteten öffentli-
chen Anstalten und Kassen die Kostenfreiheit. Hierunter fallen nicht die Kreise
und die kreisfreien Städte (vgl. Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch FamGKG
2. Aufl. § 2 Rn. 10), die in Nordrhein-Westfalen gemäß § 1 a Abs. 1 AG-KJHG
die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe iSd § 69 Abs. 1 SGB VIII sind.
(3) Das Oberlandesgericht hat jedoch § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X unbe-
rücksichtigt gelassen. Nach dieser Norm, die von der Regelung des § 2
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FamGKG unberührt bleibt (§ 2 Abs. 2 FamGKG), sind die Träger der Jugendhil-
fe im Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in
den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) von den Ge-
richtskosten befreit.
Die Vorschrift differenziert ihrem Wortlaut nach nicht nach Verfahrensge-
genständen, sondern knüpft die Kostenbefreiung allein an die Verfahrensart,
von der Umgangsverfahren erfasst sind. Sinn und Zweck der Vorschrift setzen
allerdings voraus, dass das konkrete Verfahren vom Träger der Jugendhilfe
gerade in dieser Eigenschaft geführt wird. Das Verfahren muss also einen en-
gen sachlichen Zusammenhang zur gesetzlichen Tätigkeit als Jugendhilfeträger
haben (vgl. BGH Beschluss vom 10. November 2005 - IX ZR 189/02 - FamRZ
2006, 411, 412; KG FamRZ 2009, 1854, jeweils zum Sozialhilfeträger). Für eine
darüber hinaus gehende Einschränkung des Regelungsbereichs besteht hinge-
gen keine Veranlassung, wie der Bundesgerichtshof für die bis einschließlich
31. August 2009 geltende Gesetzesfassung bereits entschieden hat (vgl. BGH
Beschluss vom 10. November 2005 - IX ZR 189/02 - FamRZ 2006, 411, 412;
vgl. auch Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch FamGKG 2. Aufl. § 2 Rn. 17).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte
des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Ange-
legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (FGG-
Reformgesetz - FGG-RG; BGBl. I S. 2586), mit dem in § 64 Abs. 3 Satz 2
SGB X der Passus "dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in
den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit" eingefügt wurde. Zwar
wollte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung der Bundesregierung zum
Gesetzesentwurf damit "klarstellen, dass auch künftig die Träger der Sozial-
und Jugendhilfe in selbständigen Familienstreitsachen, die dem Zweck der Gel-
tendmachung von Unterhaltsansprüchen aus übergegangenem Recht dienen
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(…), von den Gerichtskosten befreit sind" (BT-Drucks. 16/6308 S. 358). Dies
erlaubt jedoch nicht den Schluss, dass die Kostenbefreiung sich allein auf sol-
che Verfahren beziehen soll (zweifelnd etwa OLG Celle FamRZ 2012, 1896,
1897). Mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung sah der Gesetzgeber
offensichtlich lediglich insoweit einen Anlass zur Äußerung. Die gesetzliche Be-
stimmung enthält aber keinerlei Einschränkung, sondern ist allein der verfah-
rensrechtlich neuen Lage angepasst worden (vgl. Volpert in Schneider/Volpert/
Fölsch FamGKG 2. Aufl. § 2 Rn. 18).
Die Beteiligung am Verfahren als Amtsvormund steht auch im engen
sachlichen Zusammenhang mit der gesetzlichen Tätigkeit des Jugendhilfeträ-
gers, da die Amtsvormundschaft gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 11 SGB VIII zu den Auf-
gaben der Jugendhilfe gehört. Dass nach dem Wortlaut des § 64 Abs. 3 Satz 2
SGB X nicht das Jugendamt selbst von den Gerichtskosten entlastet wird, son-
dern dessen Träger, spielt im Ergebnis keine Rolle. Denn die Kostentragungs-
pflicht trifft letztlich stets den Jugendhilfeträger und nicht das von ihm zur Auf-
gabenwahrnehmung nach § 69 Abs. 3 SGB VIII eingerichtete Jugendamt, so
dass in Fällen der Verfahrensbeteiligung nicht des Trägers direkt, sondern des
Jugendamts der Befreiungstatbestand auch zugunsten des letzteren eingreift
(vgl. Philipp in Giese/Wahrendorf Sozialgesetzbuch [Stand: Juni 2007] § 64
SGB X Rn. 12). Mithin ist das als Amtsvormund am Umgangsverfahren beteilig-
te Jugendamt nach §§ 2 Abs. 2 FamGKG, 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X von den
Gerichtskosten befreit (im Ergebnis ebenso OLG Bremen JAmt 2014, 39; OLG
Köln FPR 2012, 398, 400; Finke FPR 2010, 331, 334).
(4) Ob daneben zugunsten des Jugendamts etwa auch der landesrechtli-
che Gebührenbefreiungstatbestand in § 122 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die
Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (JustG NRW) eingreift, kann dahinstehen.
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c) Der angefochtene Beschluss ist daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG
aufzuheben und die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Be-
schwerdegericht zur erneuten Vornahme der nach § 81 Abs. 1 FamFG zu tref-
fenden Ermessensentscheidung zurückzuverweisen.
Dose
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Guhling
Vorinstanzen:
AG Rahden, Entscheidung vom 21.05.2015 - 7 F 377/14 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 06.05.2016 - II-12 WF 156/15 -
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