Urteil des BGH vom 31.05.2016

Leitsatzentscheidung zu Zur Unzeit, Unwirksamkeit der Kündigung, Grundsatz der Gleichbehandlung, Anleihe

ECLI:DE:BGH:2016:310516UXIZR370.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 370/15
Verkündet am:
31. Mai 2016
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
SchVG 1899 § 1
BGB § 314
Dem Gläubiger einer Anleihe steht trotz Verschlechterung der wirtschaftli-
chen Lage der Schuldnerin kein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund
nach § 314 BGB zu, wenn die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Kündigungser-
klärung bereits Sanierungsbemühungen nach dem Schuldverschreibungsge-
setz von 1899 beabsichtigt und zeitnah entfaltet hat.
BGH, Urteil vom 31. Mai 2016 - XI ZR 370/15 - OLG Köln
LG Köln
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 31. Mai 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ellenberger, die Richter
Dr. Joeres, Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterin Dr. Menges
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Teilanerkenntnis- und
Schlussurteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom
9. Juli 2015 in der Fassung der Beschlüsse vom 10. August 2015
und vom 25. September 2015 insoweit aufgehoben, als zum
Nachteil des Klägers zu 1) nicht ein weiterer Zinsanspruch in Höhe
von 71.009,43
€ zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren über
das Vermögen der D. GmbH (AG K. -
… ) zur
laufenden Nummer 20 und zum Nachteil des Klägers zu 2) nicht
ein weiterer Zinsanspruch in Höhe von 5% p.a. aus 70.000
€ für
die Zeit vom 28. September 2010 bis zum 27. September 2012 zur
Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren über das Vermögen der
D. GmbH (AG K. -
… ) zur laufenden Nummer 21
festgestellt worden ist. Das Urteil wird insgesamt wie folgt neu ge-
fasst:
Auf die Berufung des Beklagten und die Berufung und Anschluss-
berufung der Kläger wird das Urteil der 30. Zivilkammer des Land-
gerichts Köln vom 26. Januar 2012 abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Die Forderung des Klägers zu 1) in Höhe von 680.000
€ zuzüglich
Zinsen in Höhe von jeweils 1% p.a. vom 1. Juli 2012 bis
28. September 2012 aus 332.000
€ und vom 16. November 2011
bis 28. September 2012 aus 348.000
€ sowie weiterer Zinsen in
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Höhe von 71.009,43
€ für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis
27. September 2012 wird für den Ausfall zur Insolvenztabelle im
Insolvenzverfahren über das Vermögen der D. GmbH (AG
K. -
… ) zur laufenden Nummer 20 festgestellt.
Die Forderung des Klägers zu 2) in Höhe von 70.000
€ zuzüglich
Zinsen in Höhe von 1% p.a. für die Zeit vom 1. Juli 2012 bis
28. September 2012 und weiterer Zinsen in Höhe von 5% p.a. für
die Zeit vom 28. September 2010 bis zum 27. September 2012
wird für den Ausfall zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren
über das Vermögen der D. GmbH (AG K. -
… )
zur laufenden Nummer 21 festgestellt.
Es wird festgestellt, dass die von den Klägern unter dem
8. September 2010 ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehenden Rechtsmittel der Parteien werden zurückge-
wiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt der
Beklagte. Die Kosten des Revisionsverfahrens werden wie folgt
verteilt: die Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Be-
klagten tragen der Kläger zu 1) zu 32%, der Kläger zu 2) zu 4%
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und der Beklagte zu 64%; die außergerichtlichen Kosten des Klä-
gers zu 1) tragen er selbst zu 35% und der Beklagte zu 65%; die
außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2) tragen er selbst zu
41% und der Beklagte zu 59%.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger nehmen den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Ver-
mögen der Insolvenzschuldnerin aus zwei von dieser begebenen Unterneh-
mensanleihen in Anspruch.
Die Insolvenzschuldnerin ist ein Immobilienunternehmen, das sich auf
den Erwerb, die Vermietung, die Entwicklung und das Bestandsmanagement
vermieteter Einzelhandelsimmobilien spezialisiert hat. Nach der Platzierung ei-
ner ersten Anleihe emittierte sie im Jahr 2006 zwei weitere Unternehmensanlei-
hen (im Folgenden: zweite und dritte Tranche), die jeweils in einer Globalurkun-
de ohne Zinsscheine verbrieft waren und bei einem Gesamtnennwert von
20 Mio.
€ bzw. bis zu 30 Mio. € in 20.000 bzw. bis zu 30.000 auf den Inhaber
lautende Teilschuldverschreibungen im Nennbetrag von je 1.000
€ eingeteilt
waren. Von der zweiten Tranche mit der WKN
… G erwarben der Kläger
zu 1) 332 Teilschuldverschreibungen im Nennwert von insgesamt 332.000
und der Kläger zu 2) 70 Teilschuldverschreibungen im Nennwert von insgesamt
70.000
€. Von der dritten Tranche mit der WKN … L erwarb der Kläger
zu 1) 348 Teilschuldverschreibungen im Nennwert von insgesamt 348.000
€.
Die Schuldverschreibungen waren nach den Anleihebedingungen mit 6% p.a.
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nachträglich verzinslich, wobei die Zinsen für die zweite Tranche am 1. Juli ei-
nes jeden Jahres und für die dritte Tranche am 16. November eines jeden Jah-
res fällig waren. Die Schuldverschreibungen waren am 30. Juni 2016 bzw.
16. November 2016 zur Rückzahlung fällig. In § 4 der Anleihebedingungen
("Laufzeit, Rückzahlung, Kündigung, Übertragung") heißt es unter anderem:
"1. ...
...
3. Die Gesellschaft ist jederzeit berechtigt, Teilschuldverschreibungen aus
dieser Emission im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zurück zu
erwerben. Die angekauften Schuldverschreibungen kann die Gesellschaft
nach eigener Wahl halten oder weiterverkaufen.
4. Die Gesellschaft ist berechtigt, die Schuldverschreibungen insgesamt
oder teilweise ab dem … jeweils am ersten Tag eines Kalendermonats
("Rückzahlungstag") zum Nennbetrag einschließlich der bis zum Rück-
zahlungstag aufgelaufenen Zinsen zurückzuzahlen. Die Rückzahlung ist
den Anlegern gemäß §
11 bekannt zu geben und muss die folgenden An-
gaben enthalten: ...
5. In Übereinstimmung mit den Geschäftsbedingungen der Clearstream
Banking AG, Frankfurt a.M., bzw. von Euroclear, Brüssel, können die
Teilschuldverschreibungen als Miteigentumsanteil an der Globalurkunde
jederzeit übertragen werden. Die Übereignung und der Verkauf bedürfen
nicht der Genehmigung der Gesellschaft.“
Weitere Angaben zu Kündigungsmöglichkeiten der Anleihen durch Gläu-
biger oder Schuldner enthalten die Anleihebedingungen nicht.
In der Folgezeit geriet die Insolvenzschuldnerin in finanzielle Schwierig-
keiten, die im Juni 2010 zu einer bilanziellen Überschuldung führten. Dies zeig-
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te sie durch eine Ad-hoc-Mitteilung vom 30. Juni 2010 an, in der sie zugleich
eine Aussetzung der Zinszahlungen auf die drei ausgegebenen Anleihen an-
kündigte. Mit einer weiteren Ad-hoc-Mitteilung vom 12. August 2010 gab sie ein
Restrukturierungskonzept bekannt, das durch entsprechende Beschlussfassun-
gen der Gläubigerversammlungen eine Reduzierung des Zinssatzes für die An-
leihen auf 1% p.a. rückwirkend ab dem 1. Juli 2010 bis einschließlich 30. Juni
2013 und eine Herabsetzung des Nennwerts der Anleihen um 60% auf 40%
vorsah. Gleichzeitig wies die Insolvenzschuldnerin darauf hin, dass bei der Ab-
lehnung der Zinsreduzierung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Insol-
venzantrag unausweichlich sei.
In den von der Insolvenzschuldnerin für die drei Anleihen am 24., 25. und
26. August 2010 einberufenen Gläubigerversammlungen, die am 13., 14. und
15. September 2010 stattfanden, wurden keine Beschlüsse gefasst, weil die
Versammlungen wegen Nichterreichens des Quorums von mindestens der Hälf-
te des jeweiligen Nennwerts der im Umlauf befindlichen Schuldverschreibungen
nicht beschlussfähig waren. Bereits mit Schreiben vom 8. September 2010, das
der Insolvenzschuldnerin am 13. September 2010 zuging, kündigten die Kläger
die von ihnen gehaltenen Teilschuldverschreibungen aus wichtigem Grund. In
den zwecks erneuter Beschlussfassung einberufenen jeweils zweiten Gläubi-
gerversammlungen am 27./28. Oktober und 2. November 2010 stimmten die
Anleihegläubiger den Beschlussvorschlägern der Insolvenzschuldnerin zu, bis
zum 24. August 2013 auf etwaige Kündigungsrechte aus wichtigem Grund zu
verzichten und die Zinsforderungen der Anleihen rückwirkend ab dem 1. Juli
2010 bis einschließlich 30. Juni 2013 auf 1% p.a. zu reduzieren.
Mit Wertstellung zum 11. Oktober 2010 zahlte die Insolvenzschuldnerin
die rückständigen Zinsen für die erste und zweite Tranche in voller Höhe; für die
Zeit ab dem 1. Juli 2010 zahlte sie Zinsen in Höhe von 1% p.a., zuletzt am
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1. Juli 2012. Für die dritte Tranche zahlte sie Zinsen in Höhe von 6% p.a. bis
zum 30. Juni 2010 und ab dem 1. Juli 2010 in Höhe von 1% p.a., letztmals am
16. November 2011. Zwecks Reduzierung des Nennwerts der Anleihen berief
die Insolvenzschuldnerin weitere Gläubigerversammlungen ein, die jedoch nicht
beschlussfähig waren. Mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen die Gläubi-
gerversammlungen am 11., 12. und 13. Oktober 2011 eine Ergänzung der An-
leihebedingungen der drei Anleihen um einen neuen § 10a, aufgrund dessen
das Schuldverschreibungsgesetz vom 31. Juli 2009 in seiner jeweils gültigen
Fassung anwendbar sein sollte; die Beschlüsse der Gläubigerversammlungen
vom 27./28. Oktober und 2. November 2010 sollten davon allerdings unberührt
bleiben. Mit Beschluss vom 28. September 2012, d.h. während des Berufungs-
verfahrens, eröffnete das zuständige Amtsgericht das Insolvenzverfahren über
das Vermögen der Insolvenzschuldnerin.
Mit der Klage haben die Kläger zunächst unter anderem die Zahlung von
680.000
€ nebst Zinsen an den Kläger zu 1) und von 70.000 € nebst Zinsen an
den Kläger zu 2) sowie der auf der Grundlage der Anleihebedingungen verein-
barten, rückständigen Zinsen verlangt. Insoweit hat das Landgericht der Klage
bis auf einen Teil der rückständigen Zinsen stattgegeben. Dagegen haben bei-
de Parteien Berufung und die Kläger außerdem Anschlussberufung eingelegt.
Im Hinblick auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermö-
gen der Insolvenzschuldnerin begehren die Kläger nunmehr die Feststellung
der Forderung des Klägers zu 1) in Höhe von 767.917,13
€ für den Ausfall zur
Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenz-
schuldnerin zur laufenden Nummer 20 (Hauptforderung von 680.000
€; Zinsen
in Höhe von 5% p.a. aus 348.000
€ für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis
17. September 2010, das sind 3.673,33
€; Zinsen in Höhe von 71.154,43 € für
die Zeit vom 28. September 2010 bis 27. September 2012; Kosten in Höhe von
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13.089,37
€), der Forderung des Klägers zu 1) in Höhe von 25.758,74 € für den
Ausfall zur Insolvenztabelle zur laufenden Nummer 117 (Gerichtskosten und
Rechtsanwaltsgebühren) und der Forderung des Klägers zu 2) in Höhe von
82.082,03
€ für den Ausfall zur Insolvenztabelle zur laufenden Nummer 21
(Hauptforderung von 70.000
€; Zinsen in Höhe von 7.285,38 € für die Zeit vom
28. September 2010 bis 27. September 2012; Kosten in Höhe von 4.796,65
€).
Der Beklagte hat die Forderung des Klägers zu 1) in Höhe von 680.000
zuzüglich Zinsen jeweils in Höhe von 1% p.a. vom 1. Juli 2012 bis 28. Sep-
tember 2012 aus 332.000
€ und vom 16. November 2011 bis 28. September
2012 aus 348.000
€ sowie die Forderung des Klägers zu 2) in Höhe von
70.000
€ zuzüglich Zinsen in Höhe von 1% p.a. für die Zeit vom 1. Juli 2012 bis
28. September 2012 anerkannt. Zugleich hat er beantragt festzustellen, dass
die von den Klägern unter dem 8. September 2010 ausgesprochene Kündigung
unwirksam sei.
Das Berufungsgericht hat den Beklagten seinem Anerkenntnis entspre-
chend verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen; ferner hat es festge-
stellt, dass die von den Klägern unter dem 8. September 2010 ausgesprochene
Kündigung unwirksam ist. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgen die Kläger ihre zuletzt gestellten Anträge weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist im Hinblick auf den noch geltend gemachten (weiteren)
Zinsanspruch im Wesentlichen begründet; im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
Insoweit führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und unter Abänderung
des landgerichtlichen Urteils zur aus dem Tenor ersichtlichen Verurteilung des
Beklagten.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, die unter
anderem in ZIP 2015, 1924 veröffentlicht ist, ausgeführt:
Den Klägern, die nach den bindenden Feststellungen des Landgerichts
aktivlegitimiert seien, stehe gemäß § 41 Abs. 1 InsO lediglich - entsprechend
dem Anerkenntnis des Beklagten - ein Anspruch auf die jeweilige Hauptforde-
rung nebst Zinsen in Höhe von 1% p.a. bis zur Eröffnung des Insolvenzverfah-
rens zu. Ein weitergehender Zinsanspruch nach dem ursprünglich vereinbarten
Zinssatz oder unter dem Gesichtspunkt des Verzugs wie auch ein Anspruch auf
Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten stehe ihnen dagegen nicht zu. Ihre
Kündigung vom 8. September 2010 sei unwirksam, weil sie zur Unzeit erfolgt
sei. Aufgrund dessen müssten sie die Beschlüsse der Gläubigerversammlun-
gen vom 27./28. Oktober und 1. November 2010 zur Reduzierung der Zinsen
gegen sich gelten lassen.
Mangels vertraglich vereinbarten Kündigungsrechts und mangels An-
wendbarkeit des außerordentlichen Kündigungsrechts aus § 490 BGB auf Inha-
berschuldverschreibungen könnten sich die Kläger zwar grundsätzlich auf ein
Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 314 BGB stützen, weil dieses
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Kündigungsrecht für Inhaberschuldverschreibungen gelte und weder durch die
Anleihebedingungen noch durch die Regelungen des Schuldverschreibungsge-
setzes oder durch einen Beschluss der Gläubigerversammlung ausgeschlossen
sei. Die Kündigungserklärung sei aber unwirksam, weil sie zur Unzeit erfolgt
sei.
Eine Kündigung der Kläger vor der jeweils zweiten Gläubigerversamm-
lung sei nicht zulässig gewesen. Bei der nach § 314 BGB erforderlichen Inte-
ressenabwägung sei zunächst zu berücksichtigen, dass die Verschlechterung
der Vermögenslage der Schuldnerin der Anleihen grundsätzlich einen Grund
zur außerordentlichen Kündigung darstellen könne, wenn dadurch die Ansprü-
che des Anlegers gefährdet würden. Die Verschlechterung der Vermögensver-
hältnisse der Schuldnerin, die ihre Ursache nicht in einer Substanzverschlechte-
rung der von ihr gehaltenen Immobilien, sondern in der negativen Preisentwick-
lung für Einzelhandelsimmobilien seit der Finanzkrise 2008 gehabt habe, sei
auch kein von den Klägern zu tragendes Risiko. Nach dem gesetzlichen
Schutzzweck des Schuldverschreibungsgesetzes und dem insoweit gebotenen
Anlegerschutz müsse aber der Gläubigerversammlung die Möglichkeit erhalten
bleiben, über die nach diesem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen zur Restruk-
turierung zu entscheiden. Aufgrund dessen sei eine Kündigung einzelner Anle-
ger jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn - wie hier - ein Restrukturierungs-
konzept vorliege und die Gläubigerversammlung bislang nicht die Möglichkeit
gehabt habe, eine Kündigung durch entsprechenden Beschluss abzuwenden.
Sei die erste Gläubigerversammlung beschlussunfähig, müsse diese Möglich-
keit der zweiten, unabhängig vom anwesenden Kapitalanteil beschlussfähigen
Gläubigerversammlung eingeräumt werden.
Nur auf diese Weise bleibe das Primat der Gläubigerversammlung als
Leitbild des Schuldverschreibungsgesetzes gewahrt. Jedenfalls ab dem Zeit-
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punkt der Kenntnis eines Restrukturierungskonzepts und der durch die Gläubi-
gerversammlung geplanten Annahme ergebe eine Interessenabwägung im
Rahmen der Zumutbarkeit des § 314 BGB, dass Einzelkündigungen vor einer
möglichen Beschlussfassung der Gläubigerversammlung ausgeschlossen sei-
en. Den einzelnen Gläubigern sei es zumutbar, im Interesse der kollektiven
Bindung aller Gläubiger und einer sich daraus ergebenden Vorrangstellung der
Gläubigerversammlung eine Einschätzung der Sanierungsmöglichkeiten und
gegebenenfalls einer darauf fußenden Beschlussfassung zu ermöglichen. Da-
bei könne offenbleiben, ob die Gläubigerversammlung auch einen rückwirken-
den Kündigungsverzicht beschließen könne oder hierbei im Hinblick auf § 314
BGB Einschränkungen unterliege.
Ein Kündigungsrecht nach § 314 BGB könne auch nicht darauf gestützt
werden, dass Zinsen nicht oder nicht fristgerecht gezahlt worden seien. Denn
auch in einem solchen Fall würden die Rechte der Gläubigerversammlung ge-
gen den Willen des Gesetzgebers beschränkt, wenn Einzelgläubiger die Mög-
lichkeit einer Kündigung nach § 314 BGB hätten und dadurch eine von der
Gläubigerversammlung beabsichtigte Restrukturierung gefährden würden.
Aufgrund dessen sei die Zwischenfeststellungsklage der Beklagten be-
gründet. Die Frage der Unwirksamkeit der Kündigung vom 8. September 2010
sei - außer für das Bestehen der von den Klägern geltend gemachten Ansprü-
che - auch für die Verwertung von Sicherheiten, die die Kläger aufgrund des
erstinstanzlichen Urteils erlangt hätten, von Bedeutung.
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II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Um-
fang stand. Während das Berufungsgericht die Kündigung der Kläger vom
8. September 2010 zu Recht als unwirksam angesehen hat, hat es im Hinblick
auf den geltend gemachten Zinsanspruch verkannt, dass dieser über den vom
Beklagten anerkannten Umfang hinaus in Höhe der in den Anleihebedingungen
versprochenen 6% p.a. begründet ist.
1. Gegenstand des Rechtsstreits nach § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Satz 1
InsO sind ausschließlich die - von den Klägern angemeldeten - vertraglichen
Ansprüche auf Erfüllung und Erstattung ihres Verzugsschadens. Soweit das
Berufungsgericht auf das Anerkenntnis des Beklagten neben den Hauptforde-
rungen die geltend gemachten Zinsforderungen lediglich in Höhe von 1% p.a.
für die Zeit vom 1. Juli 2012 bzw. 16. November 2011 bis zum 28. September
2012 zur Insolvenztabelle festgestellt hat, hat es rechtsfehlerhaft übersehen,
dass die Beschlüsse der Gläubigerversammlungen für die beiden streitgegen-
ständlichen Anleihen, durch die der Zinssatz für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis
30. Juni 2013 von 6% p.a. auf 1% p.a. reduziert worden ist, gemäß § 11 Abs. 1
Satz 2 des Gesetzes betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von
Schuldverschreibungen vom 4. Dezember 1899 in der Fassung des Gesetzes
vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2911, 2937, im Folgenden: SchVG 1899)
durch die binnen drei Jahren nach diesen Beschlüssen erfolgte Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin hinfällig geworden
sind.
a) Das Schuldverschreibungsgesetz von 1899 ist auf die streitgegen-
ständlichen Anleihen anwendbar, weil diese vor dem 5. August 2009 ausgege-
ben worden sind (§ 24 Abs. 1 SchVG 2009). Soweit die Gläubigerversammlun-
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gen mit Beschlüssen vom 11., 12. und 13. Oktober 2011 nach § 24 Abs. 2
SchVG 2009 eine Änderung der Anleihebedingungen beschlossen haben, um
von den in diesem Gesetz gewährten Wahlmöglichkeiten Gebrauch machen zu
können, hatte dies nur Wirkung für die Zukunft. Die Wirksamkeit und das weite-
re Schicksal der Beschlüsse der Gläubigerversammlungen vom 27./28. Oktober
und 2. November 2010 sollten davon unberührt bleiben, so dass insoweit die
Vorschriften des Schuldverschreibungsgesetzes von 1899 maßgeblich geblie-
ben sind.
b) Den Klägern steht - neben der Hauptforderung - auch ein Anspruch
auf die in den Anleihebedingungen versprochenen Zinsen von 6% p.a. zu. Die-
ser Zinssatz war zwar durch die Beschlüsse der Gläubigerversammlungen vom
27./28. Oktober und 2. November 2010 für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis 30. Juni
2013 auf 1% p.a. vermindert worden. Diese Beschlüsse sind indes - was das
Berufungsgericht übersehen hat - gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 SchVG 1899 durch
die binnen drei Jahren nach diesen Beschlüssen erfolgte Eröffnung des Insol-
venzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin hinfällig geworden. Dies
hatte zur Folge, dass die ursprünglichen Rechte der Gläubiger und damit auch
der Anspruch auf eine sechsprozentige Verzinsung der Anleihe wiederauflebten
(vgl. BR-Drucks. 511/92, S. 97).
aa) Der Kläger zu 1) hat daher - über den vom Beklagten anerkannten
Zinsanspruch hinaus - einen Anspruch auf weitere Zinsen in Höhe von
71.009,43
€.
Der Kläger zu 1) hat zur Insolvenztabelle einen Zinsanspruch in Höhe
von 3.673,33
€ und einen weiteren Zinsanspruch in Höhe von 71.154,43 € an-
gemeldet. Bei dem Betrag von 3.673,33
€ handelt es sich um den vom Landge-
richt zuerkannten Zinsanspruch in Höhe von 5% p.a. für die Zeit vom 1. Juli bis
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17. September 2010 aus einer Hauptforderung von 348.000
€. Dieser Betrag
steht dem Kläger zu 1) zu, weil ihm die Schuldnerin insoweit nur Zinsen in Höhe
von 1% p.a. gezahlt hat.
Mit dem Zinsbetrag in Höhe von 71.154,43
€ macht der Kläger zu 1) Zin-
sen aus 680.000
€ für die Zeit vom 28. September 2010 bis 27. September
2012 geltend. Im Hinblick auf die bis zum 1. Juli 2012 bzw. 16. November 2011
erfolgten Zinszahlungen von 1% p.a. und den im Übrigen in gleicher Höhe an-
erkannten Zinsanspruch stünde dem Kläger zu 1) daher für den geltend ge-
machten Zeitraum ein weiterer Zinsanspruch von 68.000
€ zu. Insoweit ist je-
doch zu berücksichtigen, dass ihm durch das Berufungsgericht auf das Aner-
kenntnis des Beklagten aus einem Betrag von 332.000
€ für den Zeitraum vom
1. Juli bis 28. September 2012 Zinsen in Höhe von 802,33
€ und aus einem
weiteren Betrag von 348.000
€ für den Zeitraum vom 16. November 2011 bis
28. September 2012 Zinsen in Höhe von 3.016
€ zuerkannt worden sind, so
dass der mit der Revision weiterverfolgte Zinsanspruch 67.336,10
€ beträgt.
Mehr kann ihm nicht zugesprochen werden (§ 308 Abs. 1 ZPO).
bb) Der Kläger zu 2) hat - über den vom Beklagten anerkannten Zinsan-
spruch hinaus - einen Anspruch auf weitere Zinsen in Höhe von 5% p.a. aus
70.000
€ für die Zeit vom 28. September 2010 bis zum 27. September 2012.
Der Kläger zu 2) hat zur Insolvenztabelle einen Zinsanspruch für die Zeit
vom 28. September 2010 bis 27. September 2012 in Höhe von 7.285,38
€ an-
gemeldet. Im Hinblick auf die bis zum 1. Juli 2012 erfolgten Zinszahlungen von
1% p.a. und den im Übrigen in gleicher Höhe anerkannten Zinsanspruch steht
dem Kläger zu 2) daher für den geltend gemachten Zeitraum noch ein weiterer
Zinsanspruch in Höhe von 5% p.a. aus 70.000
€ zu, was für den geltend ge-
machten Zeitraum einem Betrag von 7.000
€ entspricht. Da der vom Beru-
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fungsgericht auf das Anerkenntnis des Beklagten zuerkannte Zinsanspruch von
1% p.a. für die Zeit vom 1. Juli bis 28. September 2012 lediglich einen Betrag
von 169,17
€ ausmacht, kann dem Kläger zu 2) die noch offene Zinsforderung
in vollem Umfang zugesprochen werden.
2. Entgegen der Auffassung der Revision steht den Klägern dagegen ein
weitergehender Anspruch auf höhere (Verzugs-)Zinsen oder Erstattung vorge-
richtlicher Rechtsanwaltskosten bzw. nicht näher spezifizierter Gerichtskosten
nicht zu. Das Bestehen eines solchen Anspruchs aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286
BGB hat das Berufungsgericht zu Recht damit verneint, dass die von den Klä-
gern erklärte Kündigung vom 8. September 2010 unwirksam gewesen ist.
a) Die Anleihebedingungen enthalten kein Recht der Gläubiger zur vor-
zeitigen Kündigung der von ihnen gehaltenen Teilschuldverschreibungen. Dies
stellt auch die Revision nicht in Abrede.
b) Das Berufungsgericht hat auch zu Recht ein außerordentliches Kündi-
gungsrecht der Kläger gemäß § 490 Abs. 1 BGB verneint. Diese Vorschrift ist
auf Inhaberschuldverschreibungen nicht anwendbar.
Bei den regelmäßig - wie auch hier - inhaltlich abstrakten Inhaberschuld-
verschreibungen handelt es sich um abstrakte Schuldversprechen (Senatsurteil
vom 15. Juli 2014 - XI ZR 100/13, WM 2014, 1624 Rn. 32), die der Gesetzgeber
den besonderen, wenn auch nicht abschließenden Regelungen der §§ 793 ff.
BGB unterworfen hat. Ergänzend kommt eine Anwendung der Vorschriften des
Allgemeinen Schuldrechts in Betracht, wie insbesondere des § 313 BGB (Se-
natsurteil vom 15. Juli 2014, aaO) oder des § 314 BGB. Für eine (entsprechen-
de) Anwendung des § 490 Abs. 1 BGB fehlt es daher an einem Bedürfnis.
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c) Den Klägern stand indessen auch kein Recht zur vorzeitigen Kündi-
gung der Teilschuldverschreibungen aus wichtigem Grund nach § 314 BGB zu.
aa) Dabei kann dahinstehen, ob das Kündigungsrecht aus wichtigem
Grund - wie hier allerdings nicht - in den Anleihebedingungen ausgeschlossen
werden kann oder - was ein Teil des Schrifttums meint (so etwa Maier-Reimer
in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 129,
135 ff.; Trautrims, BB 2012, 1823 f.) - bei Inhaberschuldverschreibungen sogar
generell nicht zur Anwendung kommt. Dies würde allerdings dem von der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Lehre entwickelten und in der
Vorschrift des § 314 BGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Grundsatz
widersprechen, dass den Vertragsparteien eines Dauerschuldverhältnisses
stets ein Recht zur außerordentlichen Kündigung bei Vorliegen eines wichtigen
Grundes zustehen muss (vgl. nur BGH, Urteil vom 8. Februar 2012 - XII ZR
42/10, WM 2012, 1098 Rn. 27 mwN). Das Schuldverschreibungsgesetz von
1899 schließt eine Anwendung des § 314 BGB jedenfalls nicht aus.
bb) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht die
Voraussetzungen eines Kündigungsrechts nach § 314 BGB zu Recht verneint.
Soweit das Berufungsgericht dies auch damit begründet hat, dass die Kündi-
gung "zur Unzeit" erfolgt sei, mag dies missverständlich sein; das ist allerdings
nicht entscheidungserheblich, weil das Berufungsgericht - was insbesondere
durch den entsprechenden Feststellungsausspruch im Tenor des Berufungsur-
teils zum Ausdruck kommt - in der Sache das Vorliegen eines wichtigen Grun-
des abgelehnt hat.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung
für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund, dass dem Kündi-
genden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung aller
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Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen
nicht zugemutet werden kann (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. März 2013 - III ZR
231/12, BGHZ 196, 285 Rn. 17 mwN). Dies ist im Allgemeinen nur dann anzu-
nehmen, wenn die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im Risikobe-
reich des Kündigungsgegners liegen. Wird der Kündigungsgrund hingegen aus
Vorgängen hergeleitet, die dem Einfluss des Kündigungsgegners entzogen sind
und aus der eigenen Interessensphäre des Kündigenden herrühren, rechtfertigt
dies nur in Ausnahmefällen die fristlose Kündigung. Die Abgrenzung der Risi-
kobereiche ergibt sich dabei aus dem Vertrag, dem Vertragszweck und den an-
zuwendenden gesetzlichen Bestimmungen (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2013,
aaO).
(2) Nach diesen Maßgaben hat das Berufungsgericht zu Recht den Klä-
gern einen wichtigen Grund zur Kündigung der Teilschuldverschreibungen ver-
sagt, wobei sich die revisionsgerichtliche Kontrolle darauf beschränkt, ob der
Tatrichter den Rechtsbegriff des wichtigen Grunds richtig erfasst, ob er auf-
grund vollständiger Sachverhaltsermittlung geurteilt und ob er in seine Wertung
sämtliche Umstände des konkreten Falls einbezogen hat (BGH, Urteil vom
7. März 2013 - III ZR 231/12, BGHZ 196, 285 Rn. 18 mwN).
(a) Entgegen der Auffassung der Revision ist ein wichtiger Grund zur
Kündigung der Teilschuldverschreibungen nicht allein deshalb anzunehmen,
weil die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Schuldnerin aus-
schließlich deren Risikobereich zuzuordnen ist. Bei einer - wie hier - unbesi-
cherten Anleihe übernimmt nämlich auch der Anleihegläubiger mit der Zeich-
nung oder dem Erwerb von Teilschuldverschreibungen das Bonitätsrisiko des
Emittenten, welches auch maßgeblich die Höhe des Zinses und den Marktpreis
der Anleihe bestimmt. Dem Anleihegläubiger bleibt es unbenommen, seine Stü-
cke über den Kapitalmarkt zu veräußern und sich so des gesamten Schuldver-
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hältnisses "Anleihe" vollständig zu entledigen (vgl. Seibt/Schwarz, ZIP 2015,
401, 409). Die Anleihebedingungen haben hier - anders als in anderen Fällen -
dem Anleihegläubiger kein Kündigungsrecht wegen einer Verschlechterung der
Vermögensverhältnisse des Emittenten eingeräumt, so dass auch unter diesem
Gesichtspunkt keine einseitige Risikotragung des Emittenten angenommen
werden kann.
(b) Entscheidend gegen das Vorliegen eines wichtigen Grundes spricht
der Umstand, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung
bereits Sanierungsbemühungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz von
1899 beabsichtigt und auch zeitnah entfaltet hat.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SchVG 1899 kann die Gläubigerversammlung
die Aufgabe oder Beschränkung von Rechten der Gläubiger, insbesondere
- was die Schuldnerin hier vorschlug - die Ermäßigung des Zinsfußes oder die
Bewilligung einer Stundung, beschließen. Der Erfolg solcher Maßnahmen wür-
de gefährdet, wenn einzelnen Anleihegläubigern mit der Berufung auf eine Ver-
schlechterung der Vermögensverhältnisse der Schuldnerin, die auch Voraus-
setzung für die Anwendbarkeit des Schuldverschreibungsgesetzes von 1899
gewesen ist (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 SchVG 1899), ein Recht zur vorzeitigen
Kündigung mit der Folge zugebilligt würde, dass sie sich den Mehrheitsbe-
schlüssen der Gläubigerversammlung nach § 11 SchVG 1899 entziehen könn-
ten. Entgegen der Auffassung der Revision findet sich der Grundsatz der
Gleichbehandlung aller Gläubiger auch nicht erstmals in § 4 Satz 2 SchVG
2009, sondern war bereits in § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchVG 1899 enthalten.
Das Schuldverschreibungsgesetz von 1899, insbesondere seine beiden
Kernvorschriften der §§ 11, 12 SchVG 1899, diente - ebenso wie das Schuld-
verschreibungsgesetz von 2009 (vgl. dazu Senatsurteil vom 8. Dezember 2015
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- XI ZR 488/14, WM 2016, 305 Rn. 24, für BGHZ bestimmt) - dem Ziel, die
Gläubiger einer Anleihe in der Krise des Schuldners auf der Grundlage voll-
ständiger und richtiger Informationen sowie in einem geordneten, fairen und
transparenten Verfahren an dessen vorinsolvenzrechtlicher Sanierung gleich-
mäßig zu beteiligen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SchVG 1899; vgl. dazu auch BT-
Drucks. 16/12814, S. 13; Ansmann, Schuldverschreibungsgesetz, 1933, Einlei-
tung, S. 1, 3; Koenige, Schuldverschreibungsgesetz, 2. Aufl., 1922, § 12 Rn. 1;
Grieser, Kreditwesen 2008, 397; Klerx/Penzlin, BB 2004, 791, 793; Vogel, ZBB
1996, 321, 323; Winkeljohann/Wohlschlegel/Dorenkamp, Die Wirtschaftsprü-
fung 2005, 562, 563), wobei sich dem Schuldner diese Möglichkeit bereits von
Gesetzes wegen eröffnete, ohne dass sich diese Beschränkung der individuel-
len Rechtsmacht des einzelnen Gläubigers - anders als nach § 2 Satz 1, § 5
Abs. 1 Satz 1 SchVG 2009 - aus den Anleihebedingungen ergeben musste.
Die Anwendbarkeit der Vorschriften des Schuldverschreibungsgesetzes
von 1899 bedingt im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung nach
§ 314 BGB, dass dabei nicht nur die Interessen des einzelnen Anleihegläubi-
gers einerseits und des Schuldners andererseits zu berücksichtigen sind, son-
dern auch die Interessen aller Gläubiger der betreffenden Anleihe zu beachten
sind. Ohne eine Beteiligung aller Gläubiger und eine - im Rahmen des § 11
Abs. 1 Satz 1 SchVG 1899 zulässige - Aufgabe oder Beschränkung ihrer Rech-
te würden der Erfolg der Sanierungsbemühungen des Schuldners nachhaltig
gefährdet und - sollte eine solche "Ausstiegsmöglichkeit" eröffnet sein - das
Schuldverschreibungsgesetz seine praktische Bedeutung verlieren. Das
Schuldverschreibungsgesetz von 1899 führt zu einer Vergemeinschaftung der
Gläubigerinteressen, um "zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen" (§ 1
Abs. 1 SchVG 1899; vgl. auch RGZ 148, 3, 16) zu praktischen Lösungen bei
der Sanierung des Schuldners zu gelangen sowie dadurch nach Möglichkeit
dessen Zahlungsschwierigkeiten zu beheben und die Werthaltigkeit der Anleihe
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zu erhalten oder wiederherzustellen (vgl. Vogel, ZBB 1996, 321, 322). Im Hin-
blick darauf haben die individuellen Interessen der Einzelgläubiger jedenfalls so
lange zurückzutreten, bis die Sanierungsbemühungen nach dem Schuldver-
schreibungsgesetz von 1899 endgültig gescheitert sind.
III.
Das angefochtene Urteil war demnach in dem aus dem Tenor ersichtli-
chen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da keine weiteren Feststellun-
gen erforderlich sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist, hat der
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Senat selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Soweit sich die Klage im Hin-
blick auf den Zinsanspruch im mit der Revision weiterverfolgten Umfang als be-
gründet erweist, führt dies insoweit - unter Abänderung des Urteils des Landge-
richts - zur Verurteilung des Beklagten. Im Übrigen war die Revision zurückzu-
weisen (§ 561 ZPO).
Ellenberger
Joeres
Grüneberg
Maihold
Menges
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 26.01.2012 - 30 O 538/10 -
OLG Köln, Entscheidung vom 09.07.2015 - 3 U 58/12 -