Urteil des BGH vom 07.07.2015

Billige Entschädigung, Arbeitsgericht, Bodensee, Zustellung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X A R Z 4 4 / 1 5
vom
7. Juli 2015
in dem Rechtsstreit
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski, Hoffmann
und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm
beschlossen:
Die Sache wird an das Amtsgericht Lindau (Bodensee) zurückge-
geben.
Gründe:
I.
Der Kläger hat bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk er seinen
Wohnsitz hat, eine Klage gegen das beklagte Land, vertreten "durch das Ar-
beitsgericht" eingereicht. Sein Begehren ist zum einen darauf gerichtet, die Ab-
schrift eines Urteils des Arbeitsgerichts Berlin zu erhalten, das 2003 oder 2004
in einem Prozess ergangen sein soll, den er vor diesem Arbeitsgericht gegen
eine D. V. GmbH angestrengt haben will, zum anderen auf Erstat-
tung von persönlichem Aufwand in derselben Angelegenheit und auf eine billige
Entschädigung in Geld wegen bei dem Versuch, vorprozessual in den Besitz
einer Urteilsschrift zu gelangen, erlittener Unannehmlichkeiten.
Auf den Hinweis des Amtsgerichts auf seine Unzuständigkeit hat der
Kläger gebeten, die Klage an das zuständige Gericht weiterzureichen. Das
Amtsgericht hat sich, ohne die Klage zugestellt zu haben, für sachlich unzu-
ständig erklärt und die Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht Ber-
lin ausgesprochen. Dieses hat dem Kläger mitgeteilt, ein von ihm gegen die in
der Klageschrift genannte Gesellschaft geführter Rechtsstreit sei nicht registriert
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und demzufolge existiere das gewünschte Urteil nicht, wohl aber ein auf seine
Klage ergangenes, allerdings durch Klagerücknahme unwirksam gewordenes
Versäumnisurteil gegen ein anderes Unternehmen, von dem es dem Kläger
eine Kopie hat zukommen lassen.
Nachdem der Kläger an seinem Begehren festgehalten hat, hat das Ar-
beitsgericht den Vorgang an das vorlegende Amtsgericht zurückgesandt und
darauf hingewiesen, der Verweisungsbeschluss sei unwirksam, weil er vor Zu-
stellung der Klageschrift gefasst worden sei. Nach weiterer Korrespondenz zwi-
schen den beteiligten Gerichten hat das Amtsgericht den Rechtsstreit dem
Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.
Der Bundesgerichtshof ist für das Gesuch des Amtsgerichts zu-
ständig. Nach ständiger Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bun-
des ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Ge-
richten verschiedener Gerichtszweige entsprechend anwendbar (BGH, Be-
schluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01, NJW 2001, 3631 f.; BAG, Beschluss
vom 19. März 2003 - 5 AS 1/03, BAGE 105, 305; BFH, Beschluss vom 26. Feb-
ruar 2004 - VII B 341/03, BFHE 204, 413, 416; BVerwG, Beschluss vom
15. April 2008 - 9 AV 1/08, NVwZ 2008, 917). Sofern zwei Gerichte unterschied-
licher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung
des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, bei
welchem zuerst Rechtsschutz nachgesucht worden ist.
III.
Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Ge-
richts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen allerdings nicht vor, weil die
am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte sich nicht jeweils rechts-
kräftig für unzuständig erklärt haben.
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Verweist ein Gericht des ersten Rechtszugs einen Rechtsstreit auf An-
trag des Klägers an ein anderes Gericht, bevor dieser rechtshängig geworden
ist, ist der Verweisungsbeschluss in eine Abgabe - ohne Bindungswirkung für
das weitere Verfahren - umzudeuten (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember
1982 - I ARZ 586/82, NJW 1983, 1062 unter II; BAG, Beschluss vom 3. Juli
1974 - 5 AR 148/74, AP Nr. 17 zu § 36 ZPO). So verhält es sich hier, weil das
Amtsgericht, worauf es vom Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen worden ist,
seinen Verweisungsbeschluss vor Zustellung der Klageschrift gefasst hat und
der Beschluss aus diesem Grund keine Bindungswirkung entfalten kann, wäh-
rend das Arbeitsgericht gar keinen Beschluss über seine Unzuständigkeit ge-
fasst hat.
Die Sache ist deshalb an das vorlegende Gericht zurückzugeben, das
die Zuständigkeit für das Klagebegehren erneut zu prüfen haben wird. Dabei
wird es auch zu berücksichtigen haben, dass zur Entscheidung über die beiden
Anträge, für die weder das angerufene Amtsgericht noch das Arbeitsgericht zu-
ständig sein dürften, unterschiedliche Gerichte berufen sein könnten, weil der
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erste einen - von § 23 EGGVG nicht erfassten (BGH, Beschluss vom 16. Juli
2003 - IV AR (VZ) 1/03, NJW 2003, 2989) - Justizverwaltungsakt betrifft, der
zweite aber ein gegen das beklagte Land gerichtetes Schadensersatzbegehren.
Meier-Beck
Grabinski
Hoffmann
Deichfuß
Kober-Dehm
Vorinstanz:
AG Lindau (Bodensee), Entscheidung vom 22.01.2015 - 1 C 111/11 -