Urteil des BGH vom 15.03.2016

Grundsatz der Unmittelbarkeit, Stadt, Mieter, Wohnung

ECLI:DE:BGH:2016:150316BVIIIZR87.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZR 87/15
vom
15. März 2016
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2016 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer
sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten durch ein-
stimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um eine Erstattung überzahlter Miete.
Die Beklagte ist Eigentümerin von drei Hochhäusern (30 Etagen), die in
der Bauperiode zwischen 1972 und 1981 an der N. in Mann-
heim als öffentlich geförderter Wohnraum erbaut wurden. Gemäß § 32 Abs. 1
Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 des Landesgesetzes zur Förderung von Wohnraum und
Stabilisierung von Quartierstrukturen vom 11. Dezember 2007 (Landeswohn-
raumförderungsgesetz; im Folgenden: LWoFG) in Verbindung mit der Satzung
der Stadt Mannheim vom 25. November 2008 zur höchstzulässigen Miete für
geförderte Wohnungen darf die Miete nicht höher sein als die um einen Ab-
schlag von zehn Prozent verminderte ortsübliche Vergleichsmiete.
Vor diesem Hintergrund besteht zwischen der Beklagten und ihren Mie-
tern, zu denen auch der Kläger gehört, Streit darüber, wie die jeweiligen Woh-
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nungen in den Mietspiegel der Stadt Mannheim einzuordnen sind. Insbesonde-
re streiten die Parteien darüber, ob die Wohnlage nach den Kriterien des Miet-
spiegels nicht als "normal", sondern als "gut" einzuordnen ist, so dass nach
dem Mietspiegel ein entsprechender Zuschlag zum arithmetischen Mittelwert
des einschlägigen Mietspiegelfeldes vorzunehmen wäre. Während die Mieter
meinen, dass sie für die Zeit ab 1. Januar 2009 einen Teil der Miete zurückfor-
dern können, weil die Mietobergrenzen nach den einschlägigen Bestimmungen
des öffentlich geförderten Wohnungsbaus nicht eingehalten seien, vertritt die
Beklagte die Auffassung, dass sie diese Grenzen unterschreite und deshalb
Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete verlangen könne. Zwischen der Be-
klagten und ihren Mietern sind deshalb zahlreiche Rechtsstreitigkeiten eingelei-
tet worden, in denen (in unterschiedlichen Parteirollen) die Mieter Erstattung
überzahlter Miete und die Vermieterin Zustimmung zu einer Mieterhöhung nach
§ 558 BGB begehrt haben; sechs dieser Verfahren sind nach Zulassung der
Revision durch das Berufungsgericht beim Senat anhängig. Im vorliegenden
Rechtsstreit begehrt der klagende Mieter Erstattung überzahlter Miete; eine
Mieterhöhung ist seitens der beklagten Vermieterin nicht geltend gemacht wor-
den.
Die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits hat in den erstinstanzlichen
Verfahren jeweils selbst zahlreiche Fotos über die Wohnanlage und Umgebung
sowie Ablichtungen aus Straßenkarten zur Verdeutlichung der Lage als Anla-
gen zu einem Schriftsatz zu den Akten gereicht.
Das Berufungsgericht hat sich in einer Reihe von Verfahren zu der
Wohnanlage der Beklagten begeben und dort Wohnungen der betreffenden
Mieter in Augenschein genommen. Außerdem hat es in einem der Verfahren
eine amtliche Auskunft der Stadt Mannheim zur Einbeziehung preisgebundener
Wohnungen in den Mietspiegel der Stadt Mannheim eingeholt. Anlass dafür war
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der Vortrag der Beklagten in der dortigen Berufungsbegründung, dass es - ent-
gegen der Auffassung des Amtsgerichts in dem angefochtenen Urteil - ent-
scheidend darauf ankomme, wie die Stadt Mannheim die streitigen Wohnungen
in den Mietspiegel eingestuft habe. Denn die Stadt Mannheim sei nicht nur für
die Erstellung des Mietspiegels zuständig, sondern auch für die Genehmigung
der Miete des geförderten Wohnraums. Der von der Stadt erteilten Genehmi-
gung für die streitigen Mieten müsse daher Bindungswirkung auch für das vor-
liegende Verfahren zukommen. Bei einer telefonischen Anfrage habe die Kläge-
rin von der im Fachbereich Städtebau tätigen Mitarbeiterin der Stadt Mannheim
erfahren, dass bei der Datenerhebung auch Wohnungen der streitigen Wohnan-
lage erfasst worden seien, und zwar unter Einstufung als "gute Wohnlage". Die-
se Einschätzung als "gute Wohnlage" sei von der Stadt Mannheim deshalb
auch vorliegend zugrunde zu legen.
In der auf Anfrage des Berufungsgerichts im Verfahren 4 S 158/12 von
der Stadt Mannheim erteilten amtlichen Auskunft heißt es, bei der Erstellung
des Mietspiegels seien Vorkehrungen dazu getroffen worden, dass preisgebun-
dene Wohnungen "herausgefiltert" und nicht bei der Ermittlung der ortsüblichen
Vergleichsmiete einbezogen werden.
Im vorliegenden Verfahren hat das Berufungsgericht den Parteien mit ge-
richtlicher Verfügung vom 21. November 2014 eine Ablichtung der genannten
amtlichen Auskunft der Stadt Mannheim sowie eine Abschrift des Protokolls
über die im Verfahren 4 S 174/12 erfolgte Einnahme des Augenscheins im An-
wesen N. 25 übersandt. Außerdem wurde die Beklagte um Mit-
teilung gebeten, welcher Wohnungstyp betroffen und nach welcher Himmels-
richtung die streitige Wohnung belegen sei. In der mündlichen Berufungsver-
handlung vom 3. Dezember 2014 hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten
die vom Gericht erbetenen Unterlagen überreicht und haben beide Parteien ihre
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Zustimmung zum schriftlichen Verfahren erteilt. Daraufhin hat das Berufungsge-
richt das schriftliche Verfahren mit einer Schriftsatzfrist bis 19. Dezember 2014
angeordnet und Verkündungstermin auf den 2. März 2015 anberaumt. Die Be-
klagte hat innerhalb der eingeräumten Schriftsatzfrist ergänzende Lagepläne
zum Aufbau der Hochhäuser, der verschiedenen Wohnungstypen und deren
Ausrichtung eingereicht.
Das Berufungsgericht hat die Zahlungsklage des Klägers (nur) in Höhe
von 755,19
€ für begründet erachtet. Es hat die Revision mit der Begründung
zugelassen, die Sache habe im Hinblick auf die Klage "wegen § 134 BGB und
der Anwendung des LWoFG" grundsätzliche Bedeutung. Die Beklagte begehrt
mit ihrer Revision die vollständige Abweisung der Klage.
II.
1. Es besteht kein Grund für die Zulassung der Revision. Die Sache hat
weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt einer der sonstigen in § 543 Abs. 2
Satz 1 ZPO genannten Gründe für die Zulassung der Revision vor.
Der pauschal gehaltenen Begründung des Berufungsgerichts kann eine
grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht entnommen werden; sie ist auch im
Übrigen nicht ersichtlich. Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf im Zusammen-
hang mit der Frage, welche Rechtsfolgen die Überschreitung der nach dem
LWoFG höchstzulässigen Miete hat, besteht nicht. Vielmehr ergibt sich bereits
aus den gesetzlichen Vorschriften (§ 19 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1, 2 in Verbindung
mit § 32 Abs. 3, § 29 LWoFG), dass die Vereinbarung einer höheren als der
höchstzulässigen Miete unwirksam ist. Von dieser Rechtsfolge ist auch das Be-
rufungsgericht ausgegangen. Dies greift die Revision auch nicht an.
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2. Die Revision der Beklagten hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Zutref-
fend hat das Berufungsgericht angenommen, dass ein Verstoß gegen die sich
nach den Bestimmungen des LWoFG ergebende höchstzulässige Miete zu ei-
ner Teilnichtigkeit der Vereinbarung mit der Folge führt, dass der Mieter über-
zahlte Beträge ohne Rechtsgrund geleistet hat und sie nach § 812 Abs. 1
Satz 1 Alt. 1 BGB zurückfordern kann. Diese Rechtslage wird auch von der Re-
vision nicht in Frage gestellt.
Die Revision rügt vielmehr allein, dass das Berufungsgericht keine "gute
Wohnlage", sondern nur eine "etwas bessere als durchschnittliche" Wohnlage
im Sinne des Mannheimer Mietspiegels angenommen und deshalb die ortsübli-
che Vergleichsmiete und die daraus errechnete höchstzulässige Miete für die
streitige Wohnung zu gering angesetzt habe. Die in diesem Zusammenhang
vorgenommene tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts lässt indes
einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die von der Revision insoweit erhobenen
Verfahrensrügen sind unbegründet.
a) Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe unter Verstoß ge-
gen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme die Ergebnisse
von Beweisaufnahmen (Einnahme des Augenscheins) in anderen Verfahren
verwendet, ist angesichts der unter I. wiedergegebenen Verfahrensweise des
Berufungsgerichts und der daraufhin erteilten Zustimmung der Beklagten zur
Entscheidung im schriftlichen Verfahren unbegründet. Denn bei objektiver Be-
trachtung kam darin zum Ausdruck, dass die Kammer das Protokoll über die im
Parallelverfahren erfolgte Einnahme des Augenscheins urkundenbeweislich
verwerten wollte und sich die Parteien damit zumindest stillschweigend einver-
standen erklärt haben.
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b) Auch die weitere Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe we-
gen der unterbliebenen Vernehmung der Zeugin P. den Mannheimer Miet-
spiegel verfahrensfehlerhaft als qualifizierten Mietspiegel behandelt, ist unbe-
gründet. Denn in den Tatsacheninstanzen hatte die Beklagte, wie das Beru-
fungsgericht richtig gesehen hat, nicht bestritten, dass es sich bei dem Mann-
heimer Mietspiegel um einen qualifizierten Mietspiegel handelte; vielmehr ist sie
selbst von diesem Mietspiegel ausgegangen und hat sich auf die ihrer Auffas-
sung nach gebotene Einordnung der Lage der streitigen Wohnung als "gute
Wohnlage" berufen, die auch die Stadt Mannheim vorgenommen habe und
deshalb verbindlich sei. Letzteres hat das Berufungsgericht indes zu Recht ver-
neint und ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Einord-
nung der Wohnlage um eine vom Gericht vorzunehmende Wertungsfrage han-
dele, so dass es auf die etwaige Einschätzung der Zeugin nicht ankomme. Von
einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 564 Satz 1 ZPO ab.
3. Die Anschlussrevision würde bei einer Entscheidung nach § 552a ZPO
gemäß § 554 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verlieren.
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4. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab
Zustellung dieses Beschlusses.
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Kosziol
Hinweis:
Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
Vorinstanzen:
AG Mannheim, Entscheidung vom 09.04.2013 - 2 C 220/12 -
LG Mannheim, Entscheidung vom 06.03.2015 - 4 S 58/13 -
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