Urteil des BGH vom 23.04.2015

Leitsatzentscheidung zu Einkünfte, Systematische Auslegung, Drittschuldner, Anfechtung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V I I Z B 6 5 / 1 2
vom
23. April 2015
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 2
Der Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte umfasst auch Einkünfte aus einer Un-
tervermietung (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 88/13,
NJW-RR 2014, 1197 = Rpfleger 2014, 687).
BGH, Beschluss vom 23. April 2015 - VII ZB 65/12 - LG Lübeck
AG Ahrensburg
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. April 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Eick, die Richter Halfmeier und Prof. Dr. Jurgeleit
sowie die Richterinnen Graßnack und Wimmer
beschlossen:
Dem Schuldner wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ge-
währt.
Auf
seine
Rechtsbeschwerde
wird
der
Beschluss
der
7. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 9. August 2012 in-
soweit aufgehoben, als seine sofortige Beschwerde bezüglich sei-
nes Antrags zurückgewiesen worden ist, ihm nach § 850i ZPO
seine Einkünfte aus der Untervermietung in Höhe von monatlich
150
€ zu belassen.
Das Verfahren wird insoweit zur erneuten Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Be-
schwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Schuldner begehrt Vollstreckungsschutz gegen einen von der Gläu-
bigerin erwirkten Beschluss, mit dem seine Ansprüche gegen den Drittschuld-
ner auf Zahlung von Untermiete gepfändet und zur Einziehung überwiesen
worden sind.
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Der Schuldner ist nicht erwerbstätig und erhält zur Sicherung seines Le-
bensunterhalts Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 374
€ zu-
züglich 360
€ für die Kosten von Unterkunft und Heizung. Er bewohnt seit 1994
eine von ihm angemietete 4-Zimmer-Wohnung, in der zunächst auch seine
Schwester mit ihrem Ehemann wohnte. Nach deren Auszug überließ der
Schuldner ein Zimmer zur Nutzung an den Drittschuldner, der ihm hierfür mo-
natlich 150
€ Miete zahlt.
Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - hat die Ansprüche des Schuld-
ners auf Zahlung des Untermietzinses gegen den Drittschuldner gepfändet und
der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen. Einen Vollstreckungsschutzantrag
des Schuldners hat es zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Be-
schwerde hat keinen Erfolg gehabt. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbe-
schwerde zur Beantwortung der Frage zugelassen, ob § 850i Abs. 1 ZPO auch
auf die Einkünfte eines Schuldners angewendet werden könne, die er aus Un-
termietzahlungen erzielt. Der Senat hat hierin eine wirksame Beschränkung der
Zulassung der Rechtsbeschwerde gesehen und dem Schuldner insoweit für die
Durchführung der Rechtsbeschwerde Prozesskostenhilfe bewilligt, die dieser
unter Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingelegt hat. Er
begehrt weiterhin in diesem Umfang Vollstreckungsschutz.
II.
Dem Schuldner war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewäh-
ren, weil er ohne Verschulden verhindert war, die Frist zur Einlegung und Be-
gründung der Rechtsbeschwerde einzuhalten, § 233 ZPO.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde führt im Umfang der Anfechtung zur
Aufhebung des Beschlusses.
1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die gepfändete Forderung
des Schuldners unterliege nicht dem Pfändungsschutz des § 850i Abs. 1 ZPO.
Bei den Untermietzahlungen handele es sich nicht um sonstige Einkünfte im
Sinne dieser Vorschrift. Das ergebe eine Auslegung der Norm auf Grundlage
der Gesetzesbegründung und der systematischen Einordnung in die Pfän-
dungsschutzvorschriften der Zivilprozessordnung. Hiernach sei davon auszu-
gehen, dass § 850i ZPO trotz der Formulierung "sonstige Einkünfte, die kein
Arbeitseinkommen sind" nur das Einkommen Erwerbstätiger erfasse.
2. Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Der Antrag des Schuldners, ihm seine Einkünfte aus der Untervermie-
tung in Höhe von monatlich 150
€ zu belassen, kann nicht mit der Begründung
abgelehnt werden, sie unterfielen nicht § 850i Abs. 1 ZPO.
Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des angefochtenen Beschlusses
entschieden hat, erfasst der Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte nach
§ 850i Abs. 1 ZPO alle eigenständig erwirtschafteten Einkünfte (BGH, Be-
schluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 88/13, NJW-RR 2014, 1197 = Rpfleger 2014,
687). Hierfür sprechen der Wortlaut der Regelung sowie eine systematische
Auslegung in Verbindung mit dem Willen des Gesetzgebers (im Einzelnen
BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 88/13, aaO Rn. 9-14). Dies gilt
auch, wenn es sich um Mieteinkünfte handelt (BGH, Beschluss vom
26. Juni 2014 - IX ZB 88/13, aaO Rn. 16). Dem schließt sich der Senat an.
Es besteht keine Veranlassung, danach zu unterscheiden, wofür der
Schuldner die Untermieteinkünfte konkret benötigt oder verwendet oder ob im
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Einzelfall durch einen Pfändungsschutz eine Entlastung der Sozialhilfeträger
eintritt oder nicht. Der Schuldner soll allgemein motiviert werden, Einkünfte sel-
ber zu erzielen und dadurch die eigene Leistungsfähigkeit zu erhöhen (BGH,
Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 88/13, aaO Rn. 12). Eine solche Differen-
zierung würde außerdem der Klarheit der Regelung entgegenstehen.
3. Von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig hat das Beschwerdege-
richt keine Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen des § 850i Abs. 1
ZPO getroffen. Der Beschluss ist daher im Umfang der Anfechtung aufzuheben
und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zu-
rückzuverweisen.
Eick
Halfmeier
Jurgeleit
Graßnack
Wimmer
Vorinstanzen:
AG Ahrensburg, Entscheidung vom 15.05.2012 - 62 M 557/12 -
LG Lübeck, Entscheidung vom 09.08.2012 - 7 T 467/12 -
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