Urteil des BGH vom 12.04.2016

Amtsverschwiegenheit, Anleger, Geheimhaltung, Stichprobe

ECLI:DE:BGH:2016:120416BVIZR447.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZR 447/14
vom
12. April 2016
in dem Rechtsstreit
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. April 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Stöhr, den Richter Offenloch und die
Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil
des 5. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesge-
richts in Schleswig vom 25. September 2014 im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als die Berufung hinsichtlich der Berufungs-
anträge zu 1 bis 5, 8 und 9 zurückgewiesen worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbe-
schwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfah-
ren wird auf bis
22.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz wegen angeb-
licher Falschberatung bezüglich des Erwerbs von Wertpapieren.
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Die Beklagten waren alleinige Vorstände der zwischenzeitlich insolven-
ten A. AG, die unter anderem im Bereich der Anlageberatung tätig war und ihre
Erträge insbesondere durch Provisionen der Emittenten der empfohlenen Anla-
gen erwirtschaftete. In der Zeit vom 29. März 2006 bis zum 7. Mai 2009 erwarb
die Klägerin auf Empfehlung von für die A. AG tätigen Kundenberatern ver-
schiedene Wertpapiere, darunter Genussscheine, zum Preis von insgesamt
20.598,25
€.
Die Klägerin hat unter anderem behauptet, sie sei nicht hinreichend über
die mit den Anlagen verbundenen Risiken - insbesondere das Emittenten- und
das Totalverlustrisiko - aufgeklärt worden. Dafür seien die Beklagten verant-
wortlich, da sie ihre Kundenberater systematisch zu einer fehlerhaften Anlage-
beratung veranlasst hätten.
Soweit sie Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist,
hat die Klägerin mit ihrer Klage Schadensersatz in Höhe der für die Wertpapiere
gezahlten Kaufpreise Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus den
Wertpapieren sowie Ersatz entgangener Erträge aus einer Alternativanlage und
vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten jeweils nebst Verzugszinsen verlangt.
Ferner hat sie die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagten mit den Gegen-
leistungen in Annahmeverzug befinden. Die Klage hatte in den Vorinstanzen
keinen Erfolg. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hierge-
gen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg und führt im be-
antragten Umfang gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen
Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
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Die Klägerin rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe ihren Anspruch aus
Art. 103 Abs. 1 GG auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheb-
licher Weise verletzt.
1. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch der Klägerin
verneint. Zur Begründung hat es, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerde-
verfahren von Interesse, ausgeführt, die Beklagten hafteten der Klägerin nicht
nach § 826 BGB. Zwar seien die Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädi-
gung nach dem Klägervortrag erfüllt. Denn danach hätten die Beklagten das
Unternehmen derart organisiert, dass die Berater die Anleger flächendeckend
und umfassend entgegen ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen,
vor allem ihrer Risikobereitschaft, beraten hätten. Die Klägerin behaupte, im
Rahmen einer von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft K. genommenen Stich-
probe hätten sich in den Depots sämtlicher 1.111 von der Stichprobe erfasster
Anleger Genussscheine der Risikoklassen 3 und 4 befunden, obwohl die Anle-
ger den Risikoklassen 1 und 2 zuzuordnen gewesen seien. Wenn aus einer
Stichprobe von 1.111 Anlegern mit Genussscheinen im Depot sämtliche dieser
Anleger nicht anlegergerecht beraten worden sein sollten, trage dies zur Über-
zeugung des Berufungsgerichts den Schluss auf flächendeckende nicht anle-
gergerechte Beratung und sittenwidriges Handeln der Beklagten. Der Klägerin
sei es aber nicht gelungen, diese Behauptung zu beweisen. Die von ihr benann-
ten Zeugen B. und T. seien gemäß § 376 ZPO nicht zu vernehmen gewesen,
da sie nach Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht der
Pflicht zur Amtsverschwiegenheit unterlägen, von der die Bundesanstalt sie
nicht entbunden habe; daran sei das Berufungsgericht gebunden. Die weiteren
Zeugen hätten den Vortrag der Klägerin nicht bestätigt.
2. Diese Ausführungen verletzen die Klägerin in entscheidungserhebli-
cher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
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a) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht
davon aus, dass ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nach dem Sachvor-
trag der Klägerin zu bejahen wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs ist ein Anlageberater, der vorsätzlich eine anleger- und objektwidrige
Empfehlung abgibt und die Schädigung des um Rat fragenden Anlegers zumin-
dest billigend in Kauf nimmt, dem Anleger wegen vorsätzlicher sittenwidriger
Schädigung zum Schadensersatz verpflichtet (Urteil vom 19. Februar 2008
- XI ZR 170/07, BGHZ 175, 276 Rn. 29). Dementsprechend handelt auch sit-
tenwidrig, wer - wie von der Klägerin in Bezug auf die Beklagten behauptet - als
Leiter eines mit Anlageberatung befassten Unternehmens ein System etabliert,
das darauf gerichtet ist, den Kunden unter planmäßiger Falschberatung ihren
Interessen und ihrer Risikobereitschaft nicht entsprechende risikobehaftete An-
lagen zu empfehlen (Senatsbeschluss vom 18. August 2015 - VI ZR 302/14,
juris Rn. 13; vgl. auch Senatsurteil vom 14. Juli 2015 - VI ZR 463/14, VersR
2015, 1574 Rn. 24).
b) Mit Erfolg rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass die Annahme
des Berufungsgerichts, die Klägerin sei für diese Behauptung beweisfällig ge-
blieben, auf einem Gehörsverstoß beruht. Das Berufungsgericht hat die Kläge-
rin dadurch in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG) verletzt, dass es die von ihr insoweit benannten Zeugen B. und T.
nicht vernommen hat (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 16. Februar 2016
- VI ZR 441/14, juris).
aa) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung verpflichtet Art.
103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die
Gerichte, erheblichen Beweisanträgen nachzugehen. Die Nichtberücksichtigung
eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet,
verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 16. September 2014
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- VI ZR 118/13, VersR 2015, 338 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 23. April 2015
- V ZR 200/14, juris Rn. 7; BVerfGE 69, 141, 143 f.; BVerfG, WM 2012, 492,
493; NJW 1993, 254; teilweise mwN). Davon ist im Streitfall auszugehen. Das
Unterbleiben der vom Berufungsgericht selbst als erheblich angesehenen Ver-
nehmung der Zeugen B. und T. findet im Prozessrecht keine Grundlage.
bb) Anders als das Berufungsgericht meint, steht der Vernehmung der
Zeugen B. und T. § 376 Abs. 1 ZPO nicht entgegen.
(1) Das Berufungsgericht hat sich aufgrund einer Auskunft der Bundes-
anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: Bundesanstalt) gemäß
§ 376 Abs. 1 ZPO daran gehindert gesehen, die Zeugen B. und T. zu verneh-
men. Nach dieser Auskunft handelt es sich bei den Zeugen um Wirtschaftsprü-
fer, derer sich die Bundesanstalt gemäß § 4 Abs. 3 des Finanzdienstleistungs-
aufsichtsgesetzes (FinDAG) bedient hatte, um bei der A. AG eine Prüfung vor-
zunehmen (§ 35 Abs. 1 WpHG, § 44 Abs. 1 KWG); weiter heißt es, die Zeugen
unterlägen nach § 8 Abs. 1 WpHG, § 9 Abs. 1 KWG einer gesetzlichen Ver-
schwiegenheitspflicht, von der sie nicht entbunden werden könnten.
(2) Diese Mitteilung rechtfertigte es indes nicht, von der Vernehmung der
Zeugen B. und T. gemäß § 376 Abs. 1 ZPO abzusehen. Die Zeugen B. und T.
werden vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht erfasst.
(a) Nach § 376 Abs. 1 ZPO gelten für die Vernehmung von Richtern, Be-
amten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Um-
stände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die
Genehmigung zur Aussage die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften.
§ 376 Abs. 1 ZPO setzt mithin - ebenso wie der gleichlautende § 54 Abs. 1
StPO - eine durch andere Bestimmungen begründete Pflicht des Zeugen zur
Amtsverschwiegenheit voraus (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1980
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- 4 StR 16/80, NStZ 1981, 70 zu § 54 StPO) und überträgt diese Pflicht in das
Prozessrecht (zu § 54 StPO vgl. SK-StPO/Rogall, 4. Aufl., § 54 Rn. 2;
KMR/Neubeck, § 54 Rn. 1 [Stand: November 2010]; AnwK-StPO/v. Schlieffen,
2. Aufl., § 54 Rn. 1). Infolgedessen besteht, wenn dem Zeugen von der zustän-
digen Behörde keine Aussagegenehmigung erteilt wird, ein Vernehmungsverbot
(vgl. Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 376 Rn. 2, 13; MüKoZPO/Damrau,
4. Aufl., § 376 Rn. 1, 11; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 376
Rn. 43). Dadurch sollen die öffentlichen Geheimhaltungsinteressen auch im
gerichtlichen Verfahren geschützt werden (vgl. MüKoZPO/Damrau, aaO Rn. 1;
Ahrens, aaO Rn. 2; zu § 54 StPO vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005
- 3 StR 281/04, BGHSt 50, 318, 326 f.; BayObLG, NJW 1990, 1857, 1858;
LR/Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 54 Rn. 1).
(b) B. und T. sind nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststel-
lungen und der in Bezug genommenen Mitteilung der Bundesanstalt keine Rich-
ter oder Beamte und auch keine sonstigen Personen des öffentlichen Dienstes.
Zwar waren die Zeugen aufgrund ihrer Beauftragung durch die Bundesanstalt
deren Hilfspersonen und wurden bei der Prüfung der A. AG unmittelbar in Erfül-
lung von Angelegenheiten tätig, die für die Behörde Verwaltungsaufgaben wa-
ren (vgl. BGH, Urteile vom 7. Mai 2009 - III ZR 277/08, BGHZ 181, 12 Rn. 23;
vom 26. Juni 2001 - X ZR 231/99, VersR 2001, 1390, 1392). Dies begründete
aber jedenfalls deshalb kein Vernehmungsverbot gemäß § 376 Abs. 1 ZPO,
weil den Zeugen keine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit im Sinne dieser Vor-
schrift auferlegt worden war (zu § 54 StPO vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember
2005 - 3 StR 281/04, BGHSt 50, 318, 327; SK-StPO/Rogall, 4. Aufl., § 54
Rn. 22).
(aa) Ob sich eine solche Pflicht aus einer Amtsträgereigenschaft im Sin-
ne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB ergeben kann (zu § 54 StPO vgl.
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BGH, Urteil vom 28. November 1979 - 3 StR 405/79, NJW 1980, 846, 847; SK-
StPO/Rogall, 4. Aufl., § 54 Rn. 22; LR/Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 54 Rn. 9
a.E.), kann dabei offenbleiben. Denn die Amtsträgereigenschaft setzt nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine öffentlich-rechtliche Bestellung
voraus, die zu einer über den einzelnen Auftrag hinausgehenden längerfristigen
Tätigkeit oder zu einer organisatorischen Eingliederung in die Behördenstruktur
führen muss (Urteile vom 15. Mai 1997 - 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96, 105; vom
19. Juni 2008 - 3 StR 490/07, BGHSt 52, 290 Rn. 25; vom 9. Juli 2009 - 5 StR
263/08, BGHSt 54, 39 Rn. 46). Beides ist nicht festgestellt.
(bb) Nach den getroffenen Feststellungen ist eine Pflicht der Zeugen B.
und T. zur Amtsverschwiegenheit auch nicht durch eine förmliche Verpflichtung
nach dem Verpflichtungsgesetz begründet worden (vgl. dazu MüKoZPO/
Damrau, 4. Aufl., § 376 Rn. 6; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl.,
§ 376 Rn. 32; zu § 54 StPO vgl. BGH, Urteile vom 11. September 1980 - 4 StR
16/80, NStZ 1981, 70 und vom 15. Dezember 2005 - 3 StR 281/04, BGHSt 50,
318, 327 f. mwN).
(cc) Eine für das Eingreifen von § 376 Abs. 1 ZPO erforderliche Pflicht
zur Amtsverschwiegenheit folgt schließlich auch nicht aus der sich aus § 8
Abs. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG und § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG dürfen unter
anderem Personen, die bei der Bundesanstalt beschäftigt oder - wie die Zeugen
B. und T. - nach § 4 Abs. 3 FinDAG beauftragt sind, die ihnen bei ihrer Tätigkeit
bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines ge-
prüften Unternehmens oder eines Dritten liegt, nicht unbefugt offenbaren. Bei
dieser Verschwiegenheitspflicht handelt es sich aber nicht um eine von § 376
Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (zu ähnli-
chen Vorschriften vgl. RGZ 54, 1, 3; Merkl, Die Zeugenaussage nichtbeamteter
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Personen des öffentlichen Dienstes vor Zivil- und Strafgerichten, 1973, S. 25),
wenn sie sich mit ihr im Einzelfall - anders als im Streitfall - auch überschneiden
kann (vgl. VG Minden, WM 2011, 1130, 1134).
Zwischen der sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebenden Verschwie-
genheitspflicht einerseits und der allgemeinen Amtsverschwiegenheit anderer-
seits bestehen wesentliche Unterschiede (vgl. BVerwG, NVwZ 2011, 1012
Rn. 15; KK-WpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 WpHG Rn. 10). Anders als
die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht erfassen § 8 WpHG und § 9
KWG keine Tatsachen, deren Geheimhaltung im eigenen Interesse der Bun-
desanstalt liegt, sondern Geschäfts-, Betriebs- und Privatgeheimnisse der be-
aufsichtigten Marktteilnehmer und sonstiger Dritter (vgl. BT-Drucks. 12/6679
S. 42; KK-WpHG/Möllers/Wenninger, aaO Rn. 21; Beck in Schwark/Zimmer,
WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 1; Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 2;
Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 2; Becker in Reischau-
er/Kleinhans, KWG, § 9 Rn. 12 [Erg.-Lfg. 8/12]; Brocker in Schwenni-
cke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 1). Zwar bezwecken beide Vorschriften
damit nicht nur den Schutz der privaten Träger des Geheimhaltungsinteresses.
Vielmehr sollen auch das notwendige Vertrauen in die Integrität der Aufsichts-
praxis, eine entsprechende Kooperationsbereitschaft der beaufsichtigten Markt-
teilnehmer und damit letztlich die Funktionsfähigkeit der Märkte für Finanzin-
strumente sichergestellt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2014 - C-
140/13, VersR 2015, 873 Rn. 31 ff.; BT-Drucks. 12/6679 S. 42; KK-
WpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 Rn. 6 f.; Beck in Schwark/Zimmer,
WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 1; Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 2;
Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 2). Das ändert aber nichts
daran, dass die geschützten Personen über den Schutz ihrer Geheimnisse dis-
ponieren können. Willigen sie in die Offenbarung einer Tatsache ein, erfolgt die
Offenbarung nicht unbefugt und die Verschwiegenheitspflicht entfällt (vgl. KK-
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WpHG/Möllers/Wenninger,
aaO
Rn.
32;
Beck,
aaO
Rn.
11,
25;
Schlette/Bouchon, aaO Rn. 23; Bruchwitz, aaO Rn. 11; Döhmel in Ass-
mann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., § 8 Rn. 14; Becker in Reischauer/Kleinhans,
KWG, § 9 Rn. 18 [Erg.-Lfg. 8/12]; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG,
2. Aufl., § 9 Rn. 16). Einer Zustimmung der Bundesanstalt bedarf es dafür in
Ermangelung eines entsprechenden Genehmigungsvorbehalts nicht. Demge-
genüber besteht die von § 376 Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur
Amtsverschwiegenheit gegenüber dem öffentlichen Dienstherrn, der allein dazu
berufen ist, den Bediensteten von dieser Pflicht zu entbinden (vgl. § 67 Abs. 3,
§ 68 BBG, § 37 Abs. 3 bis 5 BeamtStG; BVerwGE 18, 58, 61 f.).
cc) Auch war das Berufungsgericht an der Vernehmung der Zeugen B.
und T. nicht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO gehindert.
Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Amtes,
Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung
durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der
Tatsachen, auf welche sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht, zur
Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Dass sie von ihrem Zeugnisverweige-
rungsrecht Gebrauch machen wollen, haben B. und T. bislang nicht erklärt.
Schon deshalb wären sie grundsätzlich zu vernehmen gewesen (vgl. § 386
Abs. 3 ZPO).
Anderes ergibt sich auch nicht aus § 383 Abs. 3 ZPO. Nach dieser Vor-
schrift soll das Gericht selbst dann, wenn ein nach § 383 Abs. 1 Nr. 4 bis 6 ZPO
zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge zur Aussage bereit ist, nur solche
Fragen stellen bzw. zulassen, durch deren Beantwortung der Zeuge nicht er-
kennbar gegen Verschwiegenheitspflichten verstößt (vgl. Zöller/Greger, ZPO,
31. Auflage, § 383 Rn. 22). Regelmäßig beschränkt die Vorschrift mithin allein
den Kreis der im Rahmen einer Vernehmung zulässigen Fragen, macht aber
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die Vernehmung des angebotenen Zeugen als solche weder unzulässig noch
entbehrlich (vgl. MüKoZPO/Damrau, 4. Aufl., § 383 Rn. 42). Ob - ausnahms-
weise - anderes gelten kann, wenn von vornherein offensichtlich ist, dass der
Zeuge mit jeder Aussage zum Beweisthema gegen seine Verschwiegenheits-
pflicht verstieße, kann offenbleiben. Denn eine solche Konstellation ist im Streit-
fall weder hinsichtlich der sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG, § 9 Abs. 1 Satz 1
KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht (1) noch hinsichtlich derjenigen aus
§ 43 Abs. 1 Satz 1 WPO (2) gegeben.
(1) Die sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebende und von § 383
Abs. 1 Nr. 6 ZPO geschützte Verschwiegenheitspflicht der Zeugen B. und T. ist
nicht allumfassend. Sie greift ihrem Schutzzweck entsprechend nur, wenn Ge-
heimhaltungsinteressen der beaufsichtigten Marktteilnehmer oder sonstiger
Dritter betroffen sind (Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 8).
(a) Etwaigen Geheimhaltungsinteressen der A. AG kommt dabei für die
Frage, ob und inwieweit die Zeugen B. und T. zur Verweigerung des Zeugnis-
ses berechtigt sind, im Streitfall von vorneherein keine Bedeutung zu. Denn der
Insolvenzverwalter der A. AG hat die Zeugen von ihrer Verpflichtung zur Ver-
schwiegenheit entbunden (§ 385 Abs. 2 ZPO). Der Insolvenzverwalter war be-
fugt, diese Erklärungen abzugeben, soweit die Verschwiegenheitspflicht zu
Gunsten der A. AG besteht (vgl. MüKoZPO/Damrau, 4. Aufl., § 385 Rn. 7; Zöl-
ler/Greger, ZPO, 31. Auflage, § 385 Rn. 10) und das Beweisthema deren ver-
mögensrechtliche Interessen betrifft (vgl. BGH, Urteile vom 30. November 1989
- III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 270; vom 6. Juni 1994 - II ZR 292/91, NJW
1994, 2220, 2225, insoweit in BGHZ 126, 181 nicht abgedruckt; MüKoZPO/
Damrau, aaO Rn. 8; Zöller/Greger, aaO).
(b) Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass von § 8 WpHG
und § 9 KWG geschützte Geheimhaltungsinteressen sonstiger Dritter einer
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Aussage der Zeugen B. und T. in vollem Umfang entgegenstehen. Zwar be-
gründet allein das Interesse an der Durchsetzung eines zivilrechtlichen An-
spruchs im Allgemeinen keine Befugnis zur Offenbarung von Tatsachen im Sin-
ne des § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG oder des § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG. Dies folgt
daraus, dass § 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 KWG
eine Weitergabe von Tatsachen an Strafverfolgungsbehörden oder an für Straf-
und Bußgeldsachen zuständige Gerichte ausdrücklich gestatten, dass es aber
in Bezug auf Zivilprozesse an einer entsprechenden Regelung fehlt (vgl. Hess.
VGH, NVwZ 2010, 1036, 1044; VG Minden, WM 2011, 1130, 1134 f.; KK-
WpHG/Möllers/Wenninger,
2. Aufl.,
§
8
WpHG
Rn.
48;
Beck
in
Schwark/Zimmer, WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 24; Schlette/Bouchon in Fuchs,
WpHG, § 8 Rn. 21; Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 12; Lin-
demann in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl., § 9 Rn. 20; Brocker in
Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 16). Das Gesetz misst damit
dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse in der Abwägung mit den von § 8
WpHG und § 9 KWG geschützten Geheimhaltungsinteressen ein höheres Ge-
wicht bei als dem Interesse an der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche.
Über Tatsachen, deren Geheimhaltung nicht nur im Interesse der A. AG, son-
dern auch im Interesse eines Dritten liegt, insbesondere über dessen perso-
nenbezogene Daten (§ 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG), dürfen die Zeugen deshalb nur
aussagen, wenn und soweit der Dritte in die Offenbarung eingewilligt hat. Das
gilt insbesondere für identifizierende Angaben über einzelne von der Stichprobe
erfasste ehemalige Kunden der A. AG, einschließlich der Tatsache, dass über-
haupt eine Kundenbeziehung bestand (vgl. BT-Drucks. 12/6679 S. 42; KK-
WpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 WpHG Rn. 22, 27; Beck in
Schwark/Zimmer,
WpHG,
4.
Aufl.,
§
8
Rn.
8;
Lindemann
in
Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl., § 9 Rn. 8, 10; Brocker in Schwen-
nicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 1, 11). Den Zeugen ist es dadurch aber
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insbesondere nicht verwehrt, in anonymisierter Weise über die Zusammenset-
zung der von ihnen geprüften Depots sowie ihr Vorgehen bei der Prüfung selbst
zu berichten. Dass dem Berufungsgericht entsprechende Angaben der Zeugen
genügt hätten, sich davon zu überzeugen, dass die unter Beweis gestellten Be-
hauptungen der Klägerin zutreffen, ist jedenfalls nicht von vornherein ausge-
schlossen.
(2) Schließlich ergibt sich eine das Beweisthema erschöpfende Schwei-
gepflicht der Zeugen B. und T. auch nicht aus § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO. Zwar
unterliegen die Zeugen als Wirtschaftsprüfer auch der allgemeinen berufsrecht-
lichen Pflicht zur Verschwiegenheit. Diese schützt regelmäßig aber nur den Auf-
traggeber (vgl. Maxl in Hense/Ulrich, WPO, 2. Aufl., § 43 Rn. 119, 140). An der
Weitergabe von Tatsachen, die allein Dritte betreffen, zu denen kein Mandats-
verhältnis besteht, ist der Wirtschaftsprüfer durch § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO
grundsätzlich nicht gehindert (vgl. Maxl, aaO 140; zu § 57 StBG auch Kos-
lowski, StBG, 7. Aufl., § 57 Rn. 62). Die Erkenntnisse, die die Zeugen bei der
von der Bundesanstalt beauftragten Prüfung der A. AG gewonnen haben und
die sie mit Einwilligung des Insolvenzverwalters offenbaren sollen, betreffen
nicht die Verhältnisse der Bundesanstalt. Ein schutzwürdiges Eigeninteresse
der Bundesanstalt an der Geheimhaltung dieser Erkenntnisse ist nicht ersicht-
lich.
dd) Die angefochtene Entscheidung beruht auf der gehörswidrig unter-
bliebenen Vernehmung der Zeugen B. und T. Es ist nicht auszuschließen, dass
das Berufungsgericht auf der Grundlage der - ggf. eingeschränkten - Aussage
der Zeugen den Klägervortrag als erwiesen angesehen hätte, wonach sich in
den Depots von sämtlichen 1.111 Anlegern, die die Zeugen stichprobenhaft
überprüft haben, Genussscheine der Risikoklassen 3 und 4 befanden, obwohl
die Anleger den Risikoklassen 1 und 2 zuzuordnen waren. Aus einem solchen
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Beweisergebnis hätte das Berufungsgericht nach seinen eigenen Ausführungen
auf eine flächendeckende nicht anlegergerechte Beratung und ein sittenwidri-
ges Handeln der Beklagten geschlossen.
3. An den den Parteien unter dem 21. Mai 2015 und dem 9. Juni 2015
mitgeteilten Zweifeln an der Rechtzeitigkeit der Berufungseinlegung wird nicht
festgehalten. Auf der Grundlage des von der Nichtzulassungsbeschwerde ein-
gereichten Original-Empfangsbekenntnisses hat sich der erkennende Senat die
Überzeugung gebildet, dass das erstinstanzliche Urteil der Klägerin erst am
28. Februar 2014 und nicht bereits am 26. Februar 2014 zugestellt wurde.
Galke
Stöhr
Offenloch
Oehler
Roloff
Vorinstanzen:
LG Itzehoe, Entscheidung vom 20.02.2014 - 10 O 171/11 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 25.09.2014 - 5 U 40/14 -
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