Urteil des BGH vom 18.11.2014

Leitsatzentscheidung zu Unternehmen, Ausschluss der Haftung, Subjektiv, Verleiher, Arbeitsunfall

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 141/13
Verkündet am:
18. November 2014
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
SGB VII §§ 104, 108, 110
Die unanfechtbare Entscheidung des für den Verleiher zuständigen Versicherungs-
trägers, in der der Unfall eines - auf Grund eines wirksamen Vertrags - entliehenen
Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG) im Unternehmen des Entleihers als Ar-
beitsunfall anerkannt wird, hindert die Zivilgerichte nicht, den Unfall haftungsrecht-
lich dem Unternehmen des Entleihers zuzuordnen und diesen als haftungsprivile-
giert anzusehen.
BGH, Urteil vom 18. November 2014 - VI ZR 141/13 - OLG Schleswig
LG Kiel
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. November 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin
Diederichsen, die Richter Pauge und Offenloch und die Richterin Dr. Oehler
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats
des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 14. März
2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, nimmt
den Beklagten als Inhaber eines Unternehmens für Elektroninstallation gemäß
§ 110 Abs. 1 SGB VII auf Ersatz von Aufwendungen für einen Arbeitsunfall des
Zeugen M. (im Folgenden: der Geschädigte) in Anspruch.
Am 9. Juni 2008 führten ein Mitarbeiter des Beklagten, der Zeuge S.,
sowie zwei vom Beklagten bei einer Zeitarbeitsfirma georderte Leiharbeitneh-
mer, der Zeuge G. und der Geschädigte, Arbeiten auf dem Dach einer Reithalle
aus, auf dem eine Photovoltaikanlage installiert werden sollte. Sicherheitsnetze
und ein Schutzgerüst waren an diesem Tag noch nicht angebracht. Der Ge-
schädigte trat auf eine zum Dach gehörende Lichtplatte, wodurch diese zer-
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brach. Er stürzte etwa sieben Meter tief auf den Hallenboden und verletzte sich
schwer.
Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung der drei Zeugen abge-
wiesen, weil der Beklagte den Versicherungsfall nicht grob fahrlässig herbeige-
führt habe. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das landge-
richtliche Urteil ohne weitere Beweisaufnahme abgeändert. Es hat einen An-
spruch auf Zahlung von 86.788,91 € nebst Zinsen dem Grunde nach für ge-
rechtfertigt erklärt und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Kläge-
rin auch alle weiteren gemäß § 110 SGB VII erstattungsfähigen Aufwendungen
zu ersetzen, die ihr wegen des Unfalls entstanden sind oder künftig entstehen
werden. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklag-
ten, mit der dieser seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiterver-
folgt.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2013, 409 veröffentlicht ist,
hat ausgeführt, die Anspruchsvoraussetzungen des § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB
VII lägen dem Grunde nach vor. Aus dem Bescheid der Klägerin vom 27. Juli
2009 ergebe sich mit bindender Wirkung, dass der Unfall des Geschädigten ein
Versicherungsfall sei, für den die Klägerin zuständig sei. Auch sei die Haftung
des Beklagten gemäß § 104 SGB VII beschränkt. Der Geschädigte habe zum
Unfallzeitpunkt in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung
zum Beklagten gestanden, weil er als Leiharbeiter auf einer Baustelle des Be-
klagten tätig gewesen sei und dort dessen Weisungen unterlegen habe.
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Der Beklagte habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt,
da er Unfallverhütungsvorschriften nicht beachtet habe, die elementare Siche-
rungspflichten zum Inhalt hätten. Angesichts der Firsthöhe des Daches von sie-
ben Metern und der nicht tragfähigen Lichtbänder seien Sicherungseinrichtun-
gen zur Verhinderung eines Durchbruchs notwendig gewesen, die jedoch zum
Unfallzeitpunkt nicht vorhanden gewesen seien. Insbesondere seien nach den
nicht angegriffenen, bindenden Feststellungen des Landgerichts jedenfalls zum
Unfallzeitpunkt keine Aluprofile mehr in den Sicken des betreffenden Lichtban-
des vorhanden gewesen; die Profile seien zuvor von dem Lichtband entfernt
worden, um sie zwischen den Lichtbändern zu montieren. Bei einem derart
schwer wiegenden Verstoß sei der Schluss auf ein auch subjektiv gesteigertes
Verschulden gerechtfertigt. Die vom Beklagten behauptete Anweisung, nicht auf
die Lichtbänder zu treten, sei unzureichend gewesen, da bei Handwerksarbei-
ten auf einem Hallendach auch Vorsorge gegen unbedarfte Bewegungen ge-
troffen werden müsse.
Auch die angebliche weitere Anweisung, Aluprofile in die Sicken der
Lichtbänder zu legen, sei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht ge-
eignet, den Beklagten subjektiv zu entlasten. Der Beklagte habe nicht davon
ausgehen dürfen, dass die angeordnete Maßnahme geeignet gewesen sei, den
Durchbruch eines Mitarbeiters durch ein Lichtband zu verhindern. Denn bei der
Durchführung der geplanten Arbeiten hätten die Profile zwangsläufig wieder von
den Lichtbändern entfernt werden müssen. Soweit das Landgericht die vor Ab-
schluss der Arbeiten erfolgte Entfernung der Aluprofile von den Lichtbändern
als Verstoß gegen die Anordnungen des Beklagten angesehen habe, sei der
Senat daran nicht gebunden, weil den Aussagen der im ersten Rechtszug ver-
nommenen Zeugen konkrete Anhaltspunkte zu entnehmen seien, die Zweifel an
der Richtigkeit dieser Ausführungen begründeten. Aus den protokollierten Aus-
sagen des Zeugen S. und des Geschädigten ergebe sich, dass die Aluprofile
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nach dem vom Beklagten erteilten Arbeitsauftrag zwischen den Lichtbändern
befestigt werden sollten, damit am nächsten Tag mit der Montage der Photovol-
taik-Module begonnen werden konnte; dazu hätten die Profile von den Licht-
bändern entfernt werden müssen. Eine nochmalige Vernehmung der Zeugen
sei nicht erforderlich, da das Landgericht den Aussagen gefolgt sei.
Der Beklagte behaupte zwar nunmehr, die Entfernung der Aluprofile von
den Lichtbändern sei weder geplant noch notwendig gewesen, weil die Alu-
schienen im Bereich unterhalb der Lichtbänder erst am nächsten Tag hätten
montiert werden sollen. Dieser neue Vortrag sei jedoch nicht zuzulassen und
ändere im Übrigen auch nichts an der Ungeeignetheit der angeordneten Maß-
nahme. Die für den Bereich unterhalb der Lichtbänder vorgesehenen Profile
könnten, da dieser schmale Streifen allenfalls ein Viertel der Dachfläche aus-
mache, nicht zur Abdeckung aller Lichtbänder ausgereicht haben. Daher hätte
auf jeden Fall ein Teil der zur Abdeckung der Lichtbänder verwendeten Profile
im Laufe der Arbeiten wieder entfernt werden müssen. Die in die Sicken der
Lichtbänder gelegten Aluprofile seien außerdem auch nicht gegen ein Abrut-
schen gesichert gewesen und eine seitliche Absturzsicherung habe weitgehend
gefehlt. Unter diesen Umständen seien die behaupteten Sicherungsmaßnah-
men derart lückenhaft und ungeeignet gewesen, dass die Pflichtverletzung un-
ter Berücksichtigung der auf der Hand liegenden tödlichen Gefahren als subjek-
tiv unentschuldbar angesehen werden müsse.
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II.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in
vollem Umfang stand.
1. Mit Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der
Beklagte eine Person ist, deren Haftung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII be-
schränkt ist. Nach dieser Bestimmung sind Unternehmer den Versicherten, die
für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen
die Versicherung begründenden Beziehung stehen, zum Ersatz des Personen-
schadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie
den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4
versicherten Weg herbeigeführt haben. Danach haftet der Beklagte vorliegend
nicht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat er die Verletzungen
des Geschädigten weder vorsätzlich herbeigeführt noch handelt es sich um ei-
nen Wegeunfall. Der Unfall ist haftungsrechtlich auch dem Unternehmen des
Beklagten zuzuordnen, denn der Geschädigte war zum Unfallzeitpunkt auf des-
sen Baustelle als ein ihm überlassener Leiharbeitnehmer eingesetzt und damit
als Versicherter für ihn tätig.Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass die
Klägerin als für das Unternehmen des Verleihers zuständige Berufsgenossen-
schaft den Unfall des Geschädigten als Arbeitsunfall anerkannt hat.
a) Zwar ist der Zivilrichter gemäß § 112 i.V.m. § 108 Abs. 1 SGB VII an
unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger hinsichtlich der
Frage gebunden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen
zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Nach der
neueren Rechtsprechung des Senats erstreckt sich die Bindungswirkung auch
auf die Entscheidung darüber, ob der Verletzte den Unfall als Versicherter auf-
grund eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder
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Abs. 2 Satz 1 SGB VII erlitten hat und welchem Unternehmen der Unfall zuzu-
rechnen ist (vgl. Senatsurteile vom 22. April 2008 - VI ZR 202/07, VersR 2008,
820 Rn. 9, 13; vom 19. Mai 2009 - VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 17, 21;
vom 30. April 2013 - VI ZR 155/12, VersR 2013, 862 Rn. 9, jeweils mwN). An
der Zuordnung des Unfalls zu einem anderen Unternehmen gemäß § 2 Abs. 2
Satz 1 SGB VII sind die Zivilgerichte danach gehindert (vgl. Senatsurteile vom
22. April 2008 - VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 Rn. 13; vom 19. Mai 2009
- VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 17, 20 f.; aA BAG, NZA-RR 2010, 123
Rn. 27, 54 f.).
b) Die unanfechtbare Entscheidung des für den Verleiher zuständigen
Versicherungsträgers, in der der Unfall eines - auf Grund eines wirksamen Ver-
trags - entliehenen Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG) im Unternehmen
des Entleihers als Arbeitsunfall anerkannt wird, hindert die Zivilgerichte jedoch
nicht, den Unfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zuzuord-
nen und diesen als haftungsprivilegiert anzusehen.
aa) Der Senat hat seine Auffassung, die Bindungswirkung des § 108
SGB VII erstrecke sich auch auf die Entscheidung darüber, welchem Unter-
nehmen der Unfall zuzurechnen ist, damit begründet, dass durch die - im Zuge
der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozial-
gesetzbuch VII neu geschaffenen - Konkurrenzregelungen des § 135 SGB VII
nicht nur die Zuständigkeit mehrerer Unfallversicherungsträger und ein mehrfa-
cher Versicherungsschutz, sondern auch die Zuordnung eines Arbeitsunfalls zu
mehreren Unternehmen verhindert werden solle (Urteile vom 22. April 2008
- VI ZR 202/07 aaO und vom 19. Mai 2009 - VI ZR 56/08, aaO Rn. 13, 18; zu-
stimmend ErfK/Rolfs, 14. Aufl., § 108 SGB VII Rn. 3; Bereiter-Hahn/Mehrtens,
Gesetzliche Unfallversicherung, § 104 Rn. 4.4 [Stand: Mai 2011]; Waltermann
in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 108 Rn. 4; ablehnend Ricke in Kasseler
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Kommentar, § 104 SGB VII Rn. 10 [Stand: Dezember 2011]; ders., NZS 2011,
454; von Koppenfels-Spies, SGb 2013, 373; Burmann/Jahnke, NZV 2014, 5,
10; anders auch BAG, aaO).
bb) Diese Erwägungen lassen sich jedoch nicht auf die erlaubte Arbeit-
nehmerüberlassung übertragen. Sie ist durch Besonderheiten gekennzeichnet,
die der Annahme entgegenstehen, dass die Beschränkung der Zuordnung ei-
nes Arbeitsunfalls zu einem Unternehmen auch in dieser Fallkonstellation dem
Willen des Gesetzgebers entspricht und den Schutzzwecken der §§ 104 ff. SGB
VII Rechnung trägt (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 2009 - VI ZR 56/08, BGHZ
181, 160 Rn. 20).
So wird ein mehrfacher Versicherungsschutz bei der Arbeitnehmerüber-
lassung in erster Linie durch die spezielle Vorschrift des § 133 Abs. 2 SGB VII
verhindert, wonach sich die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers nach
der Zuständigkeit für das Unternehmen des Verleihers bestimmt (vgl. Köhler in
Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 133 Rn. 10; Quabach in jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl., § 133 Rn. 29). Anders als § 135 SGB VII (vgl. Senatsurteil
vom 19. Mai 2009 - VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 13) hat die Bestimmung
des § 133 Abs. 2 SGB VII ein Vorbild in der Reichsversicherungsordnung. Sie
entspricht im Wesentlichen dem mit Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz
vom 30. April 1963 (BGBl. I S. 241) geschaffenen § 648 RVO, wonach eine Be-
rufsgenossenschaft Arbeitsunfälle bei Tätigkeit in einem Unternehmen, das für
Rechnung eines ihr nicht angehörigen Unternehmers geht, dann zu entschädi-
gen hat, wenn ein ihr angehöriger Unternehmer den Auftrag gegeben und das
Entgelt zu zahlen hat (vgl. BT-Drucks. 13/2204, S. 108). Trotz dieser Regelung
bestand unter der Geltung der Reichsversicherungsordnung kein Zweifel daran,
dass ein Arbeitsunfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zu-
geordnet werden konnte und diesem deshalb das Haftungsprivileg des § 636
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Abs. 1 RVO zugute kam. Dies ergab sich bereits aus der ausdrücklichen ge-
setzlichen Regelung in § 636 Abs. 2 RVO, durch die klargestellt werden sollte,
dass der grundsätzliche Ausschluss der Haftung des Unternehmers gemäß
§ 636 Abs. 1 RVO auch für den Entleiher im Verhältnis zu dem für ihn tätigen
Leiharbeitnehmer gilt (BT-Drucks. 3/758 S. 60; vgl. BAGE 42, 194, 200). Diesen
Rechtszustand wollte der Gesetzgeber mit dem Erlass des Sozialgesetzbuchs
VII nicht ändern. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist er davon ausgegan-
gen, dass dem Entleiher die Haftungsprivilegierung auch nach neuem Recht
zugute kommt. Wegen des vermeintlich klaren Wortlauts des § 104 Abs. 1
Satz 1 SGB VII - "Versicherte, die für ihre Unternehmen tätig sind" - hat er eine
besondere Regelung für Leiharbeitnehmer für entbehrlich gehalten (BT-Drucks.
13/2204 S. 100; vgl. Lemcke, r+s 2009, 391, 392; Kampen, NJW 2010, 2311,
2315; Ricke, NZS 2011, 454, 457; von Koppenfels-Spies, SGb 2013, 373, 378;
Burmann/Jahnke, NZV 2014, 5, 10).
Auch steht der Schutzzweck des § 133 Abs. 2 SGB VII, insbesondere für
Leiharbeitnehmer ständig wechselnde Zuständigkeiten zu verhindern (Lemcke,
r+s 2013, 411, 412; Köhler in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 133
Rn. 5), in keinem Bezug zu Sinn und Zweck der Haftungsprivilegierung. Diese
dient zunächst als Ausgleich für die allein von dem Unternehmer getragene Bei-
tragslast. Darüber hinaus bezweckt sie die Wahrung des Betriebsfriedens, in-
dem Streitigkeiten über die Unfallverantwortung vermieden werden (vgl. Se-
natsurteile vom 16. Januar 1953 - VI ZR 161/52, BGHZ 8, 330, 338; vom
24. Januar 2006 - VI ZR 290/04, BGHZ 166, 42 Rn. 11; vom 16. Dezember
2003 - VI ZR 103/03, BGHZ, 157, 213, 218, jeweils mwN; BVerfGE 34, 118,
129 f., 132). Schließlich soll sie auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die
Betriebsgemeinschaft eine Gefahrengemeinschaft darstellt (vgl. BVerfGE 34,
118, 136; Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 104
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SGB VII Rn. 2 [Stand: Dezember 2011]; Hollo in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 104
Rn. 9; von Koppenfels-Spies, SGb 2013, 373, 377).
Diese Schutzzwecke würden im Fall der Arbeitnehmerüberlassung weit-
gehend verfehlt, wenn eine Haftungsprivilegierung des Entleihers verneint wür-
de. Denn bei Arbeitsunfällen von Leiharbeitnehmern kommt eine Haftung der
Verleiher unabhängig von einer Haftungsbeschränkung typischerweise nur
selten in Betracht (vgl. Thüsing, AÜG, 3. Aufl., Einf. Rn. 78; Schüren in
ders./Hamann, AÜG, 4. Aufl., Einl. Rn. 758). Demgegenüber wären die Entlei-
her auf Grund der sie treffenden Fürsorgepflicht (vgl. BAGE 25, 514, 522; BAG,
NZA 1989, 340, 341; NZA-RR 2010, 123 Rn. 43 f.) - insbesondere der Pflicht,
die Arbeit in den Unternehmen durch Beachtung der Unfallverhütungsvorschrif-
ten unfallsicher auszugestalten (vgl. bereits BT-Drucks. 3/758 S. 60) - und infol-
ge der Eingliederung der Leiharbeitnehmer in ihr Unternehmen (vgl. BAGE 25,
514, 520; 77, 102, 110; 144, 222 Rn. 13) bei einer Verneinung der Haftungsbe-
schränkung einem erheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt. Es steht in Einklang
mit den Schutzzwecken des Haftungsprivilegs, dieses Risiko als durch die für
die Leiharbeitnehmer gezahlten Unfallversicherungsbeiträge abgelöst anzuse-
hen (vgl. bereits BT-Drucks. 3/758 S. 60).
cc) Dem steht nicht entgegen, dass der Entleiher die Beiträge regelmä-
ßig nicht selbst an die zuständige Berufsgenossenschaft abführt, weil der Ver-
leiher Beitragsschuldner ist (Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 150 Rn. 11; Schlaeger
in BeckOK SozR, § 150 SGB VII Rn. 7 [Stand: Juni 2014]). In den praktisch be-
deutsamen Fällen der entgeltlichen Arbeitnehmerüberlassung wird der Verleiher
die Beiträge bei der Kalkulation des Entgelts berücksichtigen und an den Ent-
leiher weiterreichen (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 1953 - VI ZR 161/52,
BGHZ 8, 330, 333; Lehmacher, r+s-Beil. 2011, 79, 81). Darüber hinaus haftet
der Entleiher dem Unfallversicherungsträger gegenüber wie ein selbstschuldne-
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rischer Bürge (§ 150 Abs. 3 Satz 1 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV).
Die Loslösung des Haftungsprivilegs von der Beitragspflicht ist im Übrigen eine
Folge der Aufspaltung der Arbeitgeber-Stellung, die für die spezielle Situation
der Leiharbeitnehmer kennzeichnend ist (vgl. BAGE 144, 340 Rn. 26).
Vor diesem Hintergrund ist ein hinreichender Sachgrund dafür, Arbeits-
unfälle von Leiharbeitnehmern im Verhältnis zum Entleiher haftungsrechtlich
anders zu behandeln als Arbeitsunfälle der in gleicher Gefahrenlage arbeiten-
den eigenen Arbeitnehmer des Entleihers, nicht zu erkennen (so bereits RGZ
171, 393, 398 und Senatsurteil vom 16. Januar 1953 - VI ZR 161/52, aaO).
c) Der Geschädigte war zum Unfallzeitpunkt als Versicherter gemäß § 2
Abs. 2 Satz 1 SGB VII für den Beklagten tätig. Er war als ein ihm überlassener
Leiharbeitnehmer gemeinsam mit einem eigenen Arbeitnehmer des Beklagten
auf dessen Baustelle eingesetzt und damit wie ein Beschäftigter des Beklagten
tätig (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Für die Beantwortung der Frage, ob der Ge-
schädigte wie ein Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII tätig
geworden ist, ist entscheidend, ob er Aufgaben des anderen Unternehmens
wahrgenommen hat und die Aufgaben seiner Tätigkeit bei wertender Betrach-
tung der Einzelfallumstände auch das Gepräge gegeben haben (Senatsurteil
vom 23. März 2004 - VI ZR 160/03, VersR 2004, 1045, 1046 f.; BAG, NZA-RR
2010, 123 Rn. 35). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ein dem Entleiher
zur Arbeitsleistung überlassener Arbeitnehmer im Unternehmen des Entleihers
eingesetzt wird (vgl. BSGE 98, 285 Rn. 17; OLG Jena r+s 2010, 533; LAG
Berlin-Brandenburg, r+s 2014, 48; Krasney in: Becker/Burchardt/ders./
Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, § 104 Rn. 11 [Stand: September
2010]; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 104 Rn. 8; Waltermann in Eichenhofer/
Wenner, SGB VII, § 104 Rn. 10; Grüner in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII,
4. Aufl., § 104 Rn. 11 f.; Hollo in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 104 Rn. 25; Schü-
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ren in ders./Hamann, AÜG, 4. Aufl., Einl. Rn. 756; Thüsing, AÜG, 3. Aufl., Einf.
Rn. 77; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 31 Rn. 81; Lepa,
Haftungsbeschränkungen bei Personenschäden nach dem Unfallversicherungs-
recht, S. 154 f.). Die von dem Leiharbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben
werden nämlich - anders als bei einem Dienst- oder Werkvertrag - nicht auf-
grund des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags von dem Verleiher übernommen.
Dessen Verpflichtung beschränkt sich vielmehr darauf, dem Entleiher Arbeits-
kräfte zur Verfügung zu stellen, die dieser nach seinen Vorstellungen und Zie-
len in seinem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer einsetzt (BAGE 77, 102, 110 f.;
87, 186, 189; 96, 150, 153).
2. Rechtsfehlerhaft ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, der Be-
klagte habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt.
a) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht
entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen
Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und
es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem
hätte einleuchten müssen. Ein solcher Verstoß lässt sich nicht allein mit der
Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften begründen. Vielmehr ist auch in
solchen Fällen eine Wertung des Verhaltens des Schädigers geboten, in die
auch die weiteren Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind. So kommt es
darauf an, ob es sich um eine Unfallverhütungsvorschrift handelt, die sich mit
Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befasst und
elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat. Auch spielt insbesondere eine
Rolle, ob der Schädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen
oder von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen völlig abgesehen hat, ob-
wohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren. Im letzteren Fall kann der
objektive Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten ein solches Gewicht
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haben, dass der Schluss auf ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden ge-
rechtfertigt ist (Senatsurteile vom 30. Januar 2001 - VI ZR 49/00, VersR 2001,
985, 986 und vom 18. Februar 2014 - VI ZR 51/13, VersR 2014, 481 Rn. 7 f.;
vgl. auch Senatsurteil vom 18. Oktober 1988 - VI ZR 15/88, VersR 1989, 109,
110 zu § 640 RVO).
b) Diese rechtlichen Grundsätze hat das Berufungsgericht entgegen der
Auffassung der Revision nicht verkannt. Es hat nicht allein daraus, dass an der
Unfallstelle keinerlei Absturzsicherung vorhanden war und somit objektiv ein
Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten vorlag, auf ein auch subjektiv
gesteigertes Verschulden des Beklagten geschlossen. Vielmehr hat es sich
konkret mit der persönlichen Verantwortung des Beklagten für den objektiv vor-
schriftswidrigen Zustand befasst und hat geprüft, ob die vom Beklagten behaup-
teten Anweisungen geeignet waren, ihn wenigstens subjektiv zu entlasten.
c) Die diesbezügliche Würdigung beruht aber auf einem Verfahrensfeh-
ler. Dies rügt die Revision mit Erfolg.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe nicht davon
ausgehen dürfen, dass die angebliche Anweisung, Aluprofile in die Sicken der
Lichtbänder zu legen, geeignet gewesen sei, den Durchbruch eines Mitarbeiters
durch ein Lichtband zu verhindern. Dies hat es - gestützt auf die protokollierten
Aussagen des Geschädigten und des Zeugen S. vor dem Landgericht - damit
begründet, dass die Aluprofile nach dem vom Beklagten erteilten Arbeitsauftrag
im Zuge der Arbeiten wieder von den Lichtbändern entfernt werden mussten;
dies ist im Falle des Lichtbandes, durch das der Beklagte gestürzt ist, auch tat-
sächlich geschehen. Allerdings verweist die Revision mit Recht darauf, dass der
Beklagte nach seinem Vortrag Sicherheitsnetze und ein Schutzgerüst bestellt
hatte, die am Tag nach dem Unfall montiert wurden; davon ist auch das Land-
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gericht ausgegangen. In Ermangelung gegenteiliger Feststellungen ist für das
Revisionsverfahren zu unterstellen, dass die Lichtbänder nach der Montage der
Netze und des Gerüsts allein durch diese ausreichend gesichert waren. Die auf
die Entfernung der Aluprofile von den Lichtbändern abstellende Begründung
des Berufungsgerichts ist deshalb schon im Ansatz nur dann tragfähig, wenn es
angenommen haben sollte, dass es dem Arbeitsauftrag des Beklagten ent-
sprach, bereits am Unfalltag - also vor der Montage der anderen Sicherungsein-
richtungen - Aluprofile von den Lichtbändern zu entfernen oder dass der Be-
klagte dies jedenfalls nicht in der gebotenen Weise verhindert hat. Die Ausfüh-
rungen des Berufungsgerichts sind insoweit nicht eindeutig.
Versteht man das Berufungsurteil gleichwohl in dem genannten Sinne,
so hat das Berufungsgericht die von ihm herangezogenen Zeugenaussagen
anders gewürdigt als das Landgericht. Es wäre deshalb verpflichtet gewesen,
die beiden Zeugen erneut zu vernehmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli
2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5; vom 10. November 2010
- IV ZR 122/09, NJW 2011, 1364 Rn. 6; vom 21. März 2012 - XII ZR 18/11,
NJW-RR 2012, 704 Rn. 6 f.; Urteil vom 29. September 2011 - VII ZR 87/11,
NJW 2011, 3780 Rn. 16). Denn das Landgericht hatte die vor der Montage der
anderen Sicherungseinrichtungen erfolgte Entfernung der Aluprofile von den
Lichtbändern als Verstoß gegen die Anordnungen des Beklagten gewertet, der
diesem nicht zugerechnet werden könne. Zu dieser Einschätzung hätte das
Landgericht nicht gelangen können, wenn es den auch von ihm für glaubhaft
gehaltenen Zeugenaussagen entnommen hätte, dass die fraglichen Aluprofile
nach dem vom Beklagten erteilten Arbeitsauftrag noch am Unfalltag wieder von
den Lichtbändern entfernt werden sollten oder der Beklagte dies jedenfalls nicht
in der gebotenen Weise verhindert hat. Dies lässt sich den protokollierten Zeu-
genaussagen im Übrigen auch nicht, jedenfalls nicht eindeutig entnehmen, so
dass schon deshalb eine erneute Vernehmung geboten gewesen wäre.
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Das angefochtene Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler, weil das Beru-
fungsgericht seine Würdigung maßgeblich auf die beiden Zeugenaussagen ge-
stützt hat. Soweit es hilfsweise den nicht zugelassenen neuen Beklagtenvortrag
gewürdigt und soweit es ergänzend auf die fehlende Sicherung der Aluprofile
gegen ein Abrutschen abgestellt hat, lässt sich dem Berufungsurteil nicht ent-
nehmen, dass dies allein seine Annahme trägt, die angebliche Anordnung, Alu-
profile in die Sicken der Lichtbänder zu legen, sei nicht geeignet, den Beklagten
subjektiv zu entlasten. Da das Lichtband, durch das der Geschädigte gestürzt
ist, zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gesichert war, war eine fehlende Be-
festigung der Profile im Übrigen auch nicht unfallursächlich. Dies gilt auch für
das Fehlen einer seitlichen Absturzsicherung, so dass darauf allein der Vorwurf
der groben Fahrlässigkeit ebenfalls nicht gestützt werden kann.
3. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die
Sache ist gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzu-
verweisen. Dies gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit zu einer erneuten
Prüfung des in den Urteilsgründen nicht behandelten Feststellungsinteresses
(§ 256 Abs. 1 ZPO). Da der Klageanspruch aus der Verletzung eines auch de-
liktsrechtlich geschützten absoluten Rechtsgutes resultiert, wäre ein Feststel-
lungsinteresse allerdings entgegen der Auffassung der Revision - anders als bei
reinen Vermögensschäden (dazu BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 - XI ZR
384/03, BGHZ 166, 84 Rn. 27 mwN) - nur zu verneinen, wenn aus der Sicht der
Klägerin bei verständiger Würdigung kein Grund bestünde, mit weiteren Auf-
wendungen wenigstens zu rechnen (vgl. Senat, Urteil vom 16. Januar 2001
26
27
- 16 -
- VI ZR 381/99, VersR 2001, 874, 875 und Beschluss vom 9. Januar 2007
- VI ZR 133/06, VersR 2007, 708 Rn. 5 für Schadensersatzansprüche).
Galke
Diederichsen
Pauge
Offenloch
Oehler
Vorinstanzen:
LG Kiel, Entscheidung vom 03.12.2010 - 17 O 121/10 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 14.03.2013 - 11 U 4/11 -