Urteil des BGH vom 15.05.2012

Leitsatzentscheidung zu Training, Fristlose Entlassung, Spitzensportler, Staatssicherheit, Boykott

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 117/11
Verkündet am:
15. Mai 2012
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 823 Abs. 1 Ai, § 1004 Abs. 1
a) Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist nicht auf
Gewerbebetriebe im handelsrechtlichen Sinn beschränkt, sondern steht
auch den Angehörigen freier Berufe zu (hier: Sporttrainer).
b) Eine Behinderung der Erwerbstätigkeit ist unter dem Gesichtspunkt des
Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb rechtswidrig,
wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange
der anderen Seite überwiegt. Insoweit ist eine umfassende Interessen-
und Güterabwägung erforderlich.
c) Zur Interessenabwägung, wenn die Bundesrepublik Deutschland (Bun-
deswehr) nicht duldet, dass ein freier Sporttrainer, der für das Ministerium
für Staatssicherheit der ehemaligen DDR tätig war, Sportsoldaten trainiert.
BGH, Urteil vom 15. Mai 2012 - VI ZR 117/11 - OLG Brandenburg
LG Frankfurt (Oder)
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Mai 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll,
Wellner und Stöhr und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenbur-
gischen Oberlandesgerichts vom 29. März 2011 wird auf Kosten
der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Bundesrepublik Deutschland, seine Tätigkeit
als Eiskunstlauftrainer von Soldaten der Sportfördergruppe der Bundeswehr zu
dulden.
Der Kläger war bis 1998 Spitzensportler im Eiskunstlauf, zunächst in der
DDR, später im wiedervereinigten Deutschland. Zur Zeit ist er erfolgreicher Eis-
kunstpaarlauftrainer. Er trainiert seit mehreren Jahren Aljona Savchenko und
Robin Szolkowy, die zwischen 2004 und 2011 zahlreiche nationale und interna-
tionale Erfolge im Eiskunstpaarlauf erzielten.
Die Beklagte fördert Spitzensportler bei der Bundeswehr nach Maßgabe
der "Regelung für die Förderung von Spitzensportlern bei der Bundeswehr" vom
3. Juli 1992. Danach werden Spitzensportler nach der Grundausbildung in
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Sportfördergruppen versetzt. Dort machen die militärische Ausbildung 30 % des
Dienstes, das sportliche Training und die Wettkämpfe 70 % aus. Die Pläne für
das dienstliche Training und die Wettkämpfe erstellen die Bundestrainer oder
die von den Spitzenverbänden beauftragten Trainer, nicht die Beklagte.
Aufgrund seiner Bewerbung vom 23. Mai 2003 war der Kläger seit dem
1. August 2003 Sportsoldat im Dienstrang eines Stabsunteroffiziers im Solda-
tenverhältnis auf Zeit bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr in der Funkti-
on eines Eiskunstpaarlauftrainers. Mit Bescheid vom 31. März 2006 wurde der
Kläger aus dem Soldatenverhältnis entlassen. Er hatte bei seiner Einstellung
und bei seiner Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit auf
Fragebögen die Fragen nach einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssi-
cherheit der ehemaligen DDR wahrheitswidrig verneint. Die verwaltungsgericht-
liche Klage des Klägers gegen seine Entlassung hatte (bisher) keinen Erfolg.
Nach seiner Entlassung aus der Bundeswehr akkreditierte die Deutsche
Eislauf-Union (DEU) als der nationale Fachverband für das Eiskunstlaufen und
Eistanzen in Deutschland den Kläger zeitweise nicht mehr als Trainer und lehn-
te eine Zusammenarbeit mit ihm ab. In der Folge einigten sich der Verband und
der Kläger im Rahmen mehrerer gerichtlicher Verfahren, dass dieser als Trainer
des genannten Eiskunstlaufpaares tätig blieb. Der Kläger trainierte außerdem
auch ausländische Eiskunstlaufpaare. Auf eine Anfrage des Klägers vom
31. Januar 2007 bei dem zuständigen Wehrbereichskommando, ob Bedenken
dagegen bestünden, dass er "als Trainer tätig ist, sofern die von ihm trainierten
Sportler Angehörige der Sportfördergruppe sind und (er) vom Verband als ver-
antwortlicher Trainer benannt wird", antwortete das zuständige Wehrbereichs-
kommando im September 2007, dass der Befehlshaber in diesem Wehrbereich
ein Training der Sportsoldaten seines Kommandos im Dienst durch den Kläger
nicht zulassen werde; zur Begründung wurde auf die Entlassungsverfügung
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vom 31. März 2006 und auf einen Beschwerdebescheid vom 5. Mai 2006 Be-
zug genommen.
Der Eiskunstpaarläufer Robin Szolkowy war seit Herbst 2003 Sportsoldat
auf Zeit im Dienste der Beklagten. Er hielt an dem Kläger als Trainer fest. Da
die Deutsche Eislauf-Union für ihn zunächst keinen verantwortlichen Trainer
benannte (und für ihn kein Bundestrainer zur Verfügung stand) - was Voraus-
setzung für den Dienst als Sportsoldat ist -, wurde das Soldatenverhältnis zwi-
schen Robin Szolkowy und der Beklagten nicht mehr verlängert und endete
damit im Sommer 2006. Sein Antrag vom 3. September 2009 auf Wiedereinstel-
lung, den die Deutsche Eislauf-Union und der Deutsche Olympische Sportbund
(DOSB) befürworteten, wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass mit
dem Kläger als selbstgewähltem Privattrainer kein Bundestrainer bzw. kein von
einem Spitzenverband beauftragter Trainer benannt worden sei.
In diesem Rechtsstreit hat der Kläger zuletzt begehrt, die Beklagte zu
verurteilen, ihn als Eiskunstlauftrainer von Soldaten der Sportfördergruppe, Dis-
ziplin Paarlauf, zu dulden, sofern Sportsoldaten ihn als Trainer haben oder wäh-
len, er vom Spitzenverband beauftragt ist und der DOSB seine Tätigkeit befür-
wortet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die
Beklagte auf die Berufung des Klägers antragsgemäß verurteilt. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf
Klageabweisung weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil vom 29. März 2011 (Brandenburgi-
sches Oberlandesgericht - 6 U 66/10) in juris veröffentlicht ist, führt im Wesent-
lichen aus:
Das in der Berufungsinstanz verfolgte Leistungsbegehren des Klägers
sei unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs der Beklagten in den eingerichteten
und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers berechtigt (§ 823 Abs. 1, §§ 31,
89, 1004 Abs. 1 BGB). Die Beklagte greife in den eingerichteten und ausgeüb-
ten Gewerbebetrieb des Klägers ein, wenn sie nicht dulde, dass der Kläger
Sportsoldaten trainiere. Die Beklagte könne sich hierfür auf rechtfertigende Um-
stände bzw. die Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht berufen.
Das Verhalten der Beklagten stelle einen betriebsbezogenen Eingriff in
den geschützten betrieblichen Bereich des Klägers dar. Der Kläger sei, seitdem
er nicht mehr Sportsoldat sei, selbstständiger Trainer und Lehrer und erziele mit
dieser Tätigkeit Einkünfte. Er übe zu Erwerbszwecken die Tätigkeit als Eis-
kunstlauftrainer freiberuflich aus. Auch Angehörige freier Berufe könnten sich
auf den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB berufen.
Das Verhalten der Beklagten stelle einen unmittelbaren betriebsbezoge-
nen Eingriff dar. Der Umstand, dass die Beklagte ein Training von Sportsolda-
ten durch den Kläger nicht dulde oder dulden werde, stelle eine zielgerichtete
Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen des Klägers zu seinen Auftragge-
bern dar. Die Beklagte habe zweifelsfrei die Absicht, einem Sportsoldaten, der
bei dem Kläger trainieren wolle, dies zu untersagen und ein entsprechendes
Verhalten entweder disziplinarrechtlich durchzusetzen oder aber ihn, wenn er
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sich nicht daran halten wolle, aus der Sportfördergruppe zu entlassen, ferner
einen Sportler nicht in die Sportfördergruppe aufzunehmen, wenn er beim Klä-
ger trainieren sollte. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass sie sich
Sportsoldaten gegenüber anders verhalten werde, als sie es dem Kläger ge-
genüber angekündigt habe.
Es spreche alles dafür, dass auf Seiten der Sportsoldaten, die in der Dis-
ziplin Eiskunstlauf trainierten, und auch auf Seiten der sportlichen Spitzenver-
bände ein Interesse bestehe, dass der Kläger als Trainer von Sportsoldaten
tätig werde. Er trainiere die mit Abstand erfolgreichsten deutschen Sportler im
Eiskunstlauf. Der Kläger müsse nicht im Einzelnen darlegen, welches Mitglied
der Sportfördergruppe konkret an ihn herangetreten sei. Es reiche aus darzule-
gen, dass es sich bei den Sportsoldaten potentiell um solche Athleten handele,
durch deren Training der Kläger Einkünfte erzielen könnte, und dass dafür,
dass er hier Aufträge erhalten könnte, eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche
bzw. dass seine Aussichten auf Aufträge nicht rein hypothetischer Natur seien.
Der Kläger sei Trainer für Spitzensportler im Eiskunstlauf. Die potentiel-
len Kunden des Klägers stünden angesichts der Tatsache, dass alle Spitzen-
sportler - außer dem vom Kläger trainierten Eiskunstlaufpaar - in diesem Be-
reich Sportsoldaten seien, im Dienst der Beklagten. Der Sache nach verschlie-
ße die Beklagte dem Kläger einen Markt an Nachfragern, weil Sportsoldaten
nur unter Inkaufnahme empfindlicher wirtschaftlicher Nachteile seine Leistun-
gen in Anspruch nehmen könnten. Die Nachfrager der Leistungen des Klägers
seien die Sportsoldaten, sofern sie ihn direkt entlohnen sollten, bzw. auch die
Spitzenverbände, sofern diese beabsichtigen, den Kläger für das Training von
Sportsoldaten zu bezahlen.
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Die Beklagte, die ihr Rechtsverhältnis zum Kläger durch die fristlose Ent-
lassung beendet habe, setze mit der von ihr mit der vorliegenden Klage ange-
griffenen Maßnahme ihre Entscheidung, sich von dem Kläger zu trennen, mit
Wirkung sowohl gegenüber den bei ihr tätigen Sportsoldaten als auch gegen-
über den Spitzenverbänden des Sports durch. Die Frage, ob hierin ein klassi-
scher Boykott oder ein einfacher Boykott zu sehen sei, müsse nicht abschlie-
ßend entschieden werden. Jedenfalls stelle das Verhalten der Beklagten einen
zielgerichteten Eingriff in die Erwerbsmöglichkeiten des Klägers dar, weil
Sportsoldaten, die ihre durch den Soldatenstatus begründete Existenzsicherung
nicht verlieren wollten, beim Kläger nicht trainieren könnten.
Nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien sehe der
Senat die Verhaltensweise der Beklagten nicht als gerechtfertigt an.
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II.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch
des Klägers gegen die Beklagte, seine Tätigkeit als Eiskunstlauftrainer von
Sportsoldaten unter den im Tenor des Berufungsurteils genannten Vorausset-
zungen nicht zu behindern, ohne Rechtsfehler bejaht.
Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Beru-
fungsgerichts, dass das vom Kläger beanstandete Verhalten der Beklagten ei-
nen Eingriff in dessen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt
und daher zu unterlassen ist (§ 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB).
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1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Schutz
des § 823 Abs. 1 BGB gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichte-
ten und ausgeübten Gewerbebetrieb, wenn sie einen unmittelbaren Eingriff in
den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt, gewährt. Das Recht am bestehenden
Gewerbebetrieb wird durch § 823 Abs. 1 BGB nicht nur in seinem eigentlichen
Bestand, sondern auch in seinen einzelnen Erscheinungsformen, wozu der ge-
samte gewerbliche Tätigkeitskreis zu rechnen ist, vor unmittelbaren Störungen
bewahrt. Unter dem Begriff des Gewerbebetriebes im Sinne des § 823 Abs. 1
BGB ist alles das zu verstehen, was in seiner Gesamtheit den Gewerbebetrieb
zur Entfaltung und Betätigung in der Wirtschaft befähigt, also nicht nur Betriebs-
räume und -grundstücke, Maschinen und Gerätschaften, Einrichtungsgegen-
stände und Warenvorräte, sondern auch Geschäftsverbindungen, Kundenkreis
und Außenstände. Durch den dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbe-
trieb von der Rechtsprechung gewährten und nach und nach erweiterten Schutz
soll das Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, in seinem Funktionie-
ren vor widerrechtlichen Eingriffen bewahrt bleiben (Senatsurteil vom 9. De-
zember 1958 - VI ZR 199/57, BGHZ 29, 65, 69 f.). Das Recht am Unternehmen
ist dabei nicht auf Gewerbebetriebe im handelsrechtlichen Sinn beschränkt,
sondern steht auch den Angehörigen freier Berufe zu (MünchKommBGB/
Wagner, 5. Aufl., § 823 Rn. 192 mwN).
Danach trifft die Auffassung des Berufungsgerichts zu, dass der Kläger
sich, sofern seine Tätigkeit als freier Sporttrainer, der mit dieser Tätigkeit Ein-
künfte erzielt, in Frage steht, grundsätzlich gegen eine Beeinträchtigung seines
Unternehmens nach § 823 Abs. 1 BGB unter Berufung auf das Recht am einge-
richteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zur Wehr setzen kann.
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2. Unmittelbare Eingriffe in das Recht am bestehenden Gewerbebetrieb,
gegen welche § 823 Abs. 1 BGB Schutz gewährt, sind nur diejenigen, die ir-
gendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet also betriebsbezogen sind und
nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter
betreffen (Senatsurteil vom 9. Dezember 1958, aaO, S. 74). Dies kann auch
dann der Fall sein, wenn nur einzelne Geschäftsaktivitäten des Unternehmens
beeinträchtigt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Februar 1983 - I ZR
207/80, NJW 1983, 2195, 2196).
Danach beurteilt das Berufungsgericht das vom Kläger beanstandete
Verhalten der Beklagten ohne Rechtsfehler als betriebsbezogen. Die Beklagte
will nicht dulden, dass Sportler, die von dem Kläger trainiert werden, Sportsol-
daten sind. Zutreffend stellt das Berufungsgericht insoweit darauf ab, dass die
Beklagte dem Kläger auf dessen Anfrage hin mitgeteilt hat, Generalmajor O.
werde es nicht dulden, dass der Kläger Sportsoldaten seines Kommandobe-
reichs im Dienst trainiere. Aus dieser Mitteilung ist nach der bedenkenfreien
Feststellung des Berufungsgerichts die Absicht der Beklagten zu entnehmen,
einem Sportsoldaten, der bei dem Kläger trainieren wolle, dies zu untersagen
und ein entsprechendes Verhalten entweder disziplinarrechtlich durchzusetzen
oder aber ihn, wenn er sich nicht daran halten will, aus der Sportfördergruppe
zu entlassen. Das Berufungsgericht entnimmt dem ferner zutreffend die Ab-
sicht, einen Sportler nicht in die Sportfördergruppe aufzunehmen, wenn er den
Kläger als Trainer wählen sollte. Dass die Beklagte gewillt ist, ihre Absicht
durchzusetzen, zeigt der Fall des Eiskunstläufers Robin Szolkowy.
Durch dieses Vorgehen wird die Tätigkeit des Klägers als freier Sport-
trainer erheblich beeinträchtigt. Das Institut des Sportsoldaten ist ein wichtiger
Teil der Förderung von Sportlern durch den deutschen Staat. Nach den Fest-
stellungen des Berufungsgerichts erfolgt die staatliche Sportförderung - neben
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der Förderung durch die Polizei und durch den Zoll - durch die Bundeswehr. Die
Sportsoldaten beziehen einen Sold, leisten nur in geringfügigem Umfang militä-
rischen Dienst und bringen den überwiegenden Teil ihrer Dienstzeit im Training
zu. Auf diese Weise erhalten sie ein regelmäßiges Einkommen und eine soziale
Absicherung, die es ihnen ermöglicht, ohne auf eine Berufstätigkeit zum Le-
bensunterhalt angewiesen zu sein, Sport auf hohem Niveau zu betreiben. Der
Wintersport ist ein Schwerpunkt dieser Art von Sportförderung. Nach dem un-
bestrittenen Vortrag des Klägers wird der Eiskunstlauf in Deutschland nur auf
diese Weise gefördert. Alle Spitzensportler in diesem Bereich sind Sportsolda-
ten mit Ausnahme des Eiskunstlaufpaars, das der Kläger trainiert. Die potentiel-
len Kunden des Klägers, also die Spitzensportler, auf die er nach seiner Qualifi-
kation als Trainer ausgerichtet ist, stehen mithin jedenfalls zu einem ganz er-
heblichen Teil im Dienst der Beklagten.
Nach Auffassung der Beklagten dürfen Sportler, die den Kläger als Trai-
ner wählen, dadurch gemaßregelt werden, dass ihnen die Möglichkeit, Sport-
soldat zu sein, verwehrt wird, so dass sie nicht in den Genuss der damit ver-
bundenen oben beschriebenen Vorteile kommen und die Kosten für die Be-
schäftigung des Klägers aus anderweit erzielten Einnahmen finanzieren müs-
sen, soweit ihnen dies überhaupt möglich ist. Mit Recht führt das Berufungsge-
richt aus, der Sache nach verschließe die Beklagte dem Kläger einen Markt an
Nachfragern, weil Sportsoldaten nur unter Inkaufnahme empfindlicher wirt-
schaftlicher Nachteile seine Leistungen in Anspruch nehmen könnten; die
Nachfrager der Leistungen des Klägers sind die Sportsoldaten, sofern sie ihn
direkt entlohnen sollten, bzw. auch die Spitzenverbände, sofern diese beabsich-
tigen, den Kläger für das Training von Sportsoldaten zu bezahlen.
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Es mag sein, dass den mehrmaligen deutschen Meistern, Europameis-
tern und Weltmeistern Aljona Savchenko und Robin Szolkowy eine solche Fi-
nanzierung aus sonstigen Einnahmen möglich ist und der Kläger durch seine
Tätigkeit für diese die Einkünfte erzielt, die er auch hätte, wenn Robin Szolkowy
Sportsoldat wäre. Zutreffend stellt das Berufungsgericht aber darauf ab, dass
das Verhalten der Beklagten einen Abschreckungseffekt auf solche Sportler
ausübt, die Spitzenleistungen erst in Zukunft noch erzielen wollen und die auf
die Einkünfte als Sportsoldat nicht verzichten können. Diesen wird die Inan-
spruchnahme des Klägers als internationalem Spitzentrainer faktisch unmöglich
gemacht. Dessen Unternehmen wird insoweit erheblich beeinträchtigt. Dass er
durch anderweite Trainingstätigkeit gegebenenfalls auskömmliche Erträge er-
zielen kann, ist nicht entscheidend.
3. Die Revision wendet sich gegen die Ausführungen des Berufungsge-
richts, dass im Streitfall wohl ein "Boykott" der Beklagten gegen den Kläger vor-
liege. Darauf und auf die Frage, ob ein Boykott "im Rechtssinne" oder ein "ein-
facher" Boykott vorliegt, kommt es indes nicht an. Ein Eingriff in den Gewerbe-
betrieb kann auch bei boykottähnlichen Maßnahmen, zu denen das Verhalten
der Beklagten im Streitfall zweifellos gehört, vorliegen. Entscheidend ist inso-
weit nur, dass die unternehmerische Tätigkeit des Betroffenen beeinträchtigt
wird. Dabei muss im Auge behalten werden, dass mit der Qualifizierung eines
Verhaltens als "Boykott" oder boykottähnlich noch nichts über dessen Rechts-
widrigkeit gesagt ist. In einer freien Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung kön-
nen Boykottaufrufe oder boykottähnliche Maßnahmen vielfach gerechtfertigt
sein, wenn sie auf wahre Tatsachen und ausreichend sachlich motivierte Grün-
de gestützt sind (vgl. MünchKommBGB/Wagner, aaO; Rn. 215 ff.).
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4. Da danach die objektiven Voraussetzungen für die Annahme eines
Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegen, ist
- wie auch im Berufungsurteil geschehen - zu prüfen, ob das Verhalten der Be-
klagten als rechtswidrig zu qualifizieren ist. Das Recht am Gewerbebetrieb stellt
einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer
Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden In-
teressensphäre anderer ergeben (vgl. Senatsurteile vom 13. März 1979 - VI ZR
117/77, BGHZ 74, 9, 14; vom 7. Februar 1984 - VI ZR 193/82, BGHZ 90, 113,
124 f.; vom 21. April 1998 - VI ZR 196/97, BGHZ 138, 311, 318 jew. mwN). Die
Behinderung der Erwerbstätigkeit ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzin-
teresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite über-
wiegt (ähnlich wie beim Persönlichkeitsrecht, vgl. etwa Senatsurteile vom
15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 Rn. 11 - Onlinearchiv I;
vom 9. Februar 2010 - VI ZR 243/08, VersR 2010, 673 Rn. 14 - Onlinearchiv II;
vom 20. April 2010 - VI ZR 245/08, NJW 2010, 2728 Rn. 12, jeweils mwN).
Hier ergibt die Abwägung, dass das Schutzinteresse des Klägers über-
wiegt. Dabei sind folgende Umstände von Bedeutung:
a) Es kann davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ihre Ent-
scheidung, den Kläger nicht als Trainer von Sportsoldaten zu dulden, auf des-
sen falsche Angaben bei seiner Einstellung und auch auf seine Tätigkeit für das
Ministerium für Staatssicherheit als solche gestützt hat. Es kann auch unterstellt
werden, dass die wahrheitswidrige Verneinung einer Tätigkeit für das Ministeri-
um für Staatssicherheit aus soldatenrechtlicher Sicht die Entlassung des Klä-
gers als Sportsoldat gerechtfertigt hat. Diese Umstände können in die Abwä-
gung eingestellt und es kann zugrunde gelegt werden, dass ihre Berücksichti-
gung entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht entsprechend § 21
Abs. 3 Satz 1 und 3 StUG a.F. ausgeschlossen ist.
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b) Die Abwägung hat sich nicht daran zu orientieren, welche Maßnah-
men die Beklagte gegen eine Beschäftigung des Klägers in ihrem Zuständig-
keits- und Direktionsbereich (Bundeswehr) mit Blick auf dessen Tätigkeit für das
Ministerium für Staatssicherheit ergreifen durfte. Der Kläger beanstandet im
vorliegenden Rechtsstreit nicht die gegen ihn ergriffenen dienstrechtlichen
Maßnahmen. Er beanstandet lediglich, dass die Beklagte eine Tätigkeit verhin-
dert, bezüglich der die von der Beklagten herangezogenen dienstrechtlichen
Gesichtspunkte weitgehend zurücktreten, weil es nicht um die militärische Aus-
und Weiterbildung, sondern um das "sportliche Training/Wettkampf" der
Sportsoldaten geht, für das die Bundestrainer oder die von den Spitzenverbän-
den beauftragten Trainer verantwortlich sind (vgl. Nr. 13, 16 und 17 der Rege-
lung für die Förderung von Spitzensportlern bei der Bundeswehr vom 17. Mai
1991 - VMBl. 1992, 257). Dieser Bereich ist im System der Sportförderung
durch das Institut des "Sportsoldaten" von dem soldatenrechtlichen Direktions-
bereich der Beklagten weitgehend getrennt. Die Ausgestaltung des Sporttrai-
nings obliegt den zuständigen Sportverbänden und dem Sportler selbst. Das
Training findet in der Regel nicht in der Kaserne, sondern in den Olympiastütz-
punkten bzw. Leistungszentren der Spitzenverbände im In- und Ausland statt
(vgl. Nr. 18 Abs. 1 Satz 1 der vorgenannten Regelung).
c) Ein überwiegendes Schutzinteresse der Beklagten könnte nur bejaht
werden, wenn durch die Tolerierung der Tätigkeit des Klägers als Trainer von
Sportsoldaten rechtlich erhebliche Interessen, insbesondere das Ansehen der
Bundeswehr in nennenswerter Weise beeinträchtigt sein könnte. Die Behinde-
rung der Berufsausübung des Klägers in dem der Bundeswehr fern liegenden
Bereich des sportlichen Trainings müsste aus in der Person des Klägers lie-
genden, die rechtlich geschützten Interessen der Bundeswehr gefährdenden
Gründen als gerechtfertigt erscheinen. Dies ist indes nicht der Fall.
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aa) Die Tätigkeit des Klägers für das Ministerium für Staatssicherheit der
ehemaligen DDR und die falschen Angaben anlässlich seiner Einstellung als
Sportsoldat dürfen keineswegs bagatellisiert werden. Doch liegt dieses Verhal-
ten Jahre zurück. Das Gewicht derartiger Verfehlungen für die heutige Beurtei-
lung der Persönlichkeit nimmt mit zunehmendem Abstand von dem System der
DDR ab; Haltung und Leistung nach der Wende können mehr und mehr in den
Vordergrund treten.
bb) Der Kläger wurde in das System der Stasi in jungen Jahren ver-
strickt. Nennenswerten Schaden hat er nach den Feststellungen des Beru-
fungsgerichts nicht angerichtet.
cc) Nach der Wiedervereinigung war der Kläger zwölf Jahre als Sportsol-
dat für die Beklagte tätig. Er ist für treue Dienste und überdurchschnittliche Leis-
tungen mehrfach von der Bundeswehr ausgezeichnet worden. Er hat für die
Bundesrepublik Deutschland als Sportler und Trainer bedeutende internationale
Erfolge erzielt und dadurch für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland
Erhebliches geleistet.
dd) Die für den Eislaufsport zuständigen deutschen Spitzenverbände ha-
ben nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Einwände mehr da-
gegen, dass der Kläger Spitzensportler trainiert. Die Stasikommission des
Deutschen Olympischen Sportbundes hat die Teilnahme des Klägers an den
Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver befürwortet. Deren damaliger
Vorsitzender hat bereits einige Jahre zuvor die Weiterbeschäftigung des Klä-
gers als Trainer befürwortet.
ee) Unter diesen Umständen ist die Beklagte nicht berechtigt, den Kläger
vom Training ihrer Sportsoldaten auszuschließen. Eine rechtlich beachtliche
Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr dadurch, dass der Kläger als
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freier Trainer Sportsoldaten trainiert, ist bei unvoreingenommener, vernünftiger
Betrachtung nicht ersichtlich und liegt auch angesichts des Werdegangs des
Klägers nach der Wende und der für ihn sprechenden positiven Umstände fern.
Galke
Zoll
Wellner
Stöhr
von Pentz
Vorinstanzen:
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 10.06.2010 - 13 O 120/10 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 29.03.2011 - 6 U 66/10 -