Urteil des BGH vom 02.10.2015

Leitsatzentscheidung zu Verwaltung, Anfechtungsklage, Offenkundig, Erfüllung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 5/15
Verkündet am:
2. Oktober 2015
Rinke
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WEG § 46
a) Wird ein von einem Wohnungseigentümer gegen den Verband gerichtetes
Zahlungsbegehren durch Beschluss abgelehnt, besteht regelmäßig das
Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage.
b) Im Rahmen der Begründetheit einer solchen Klage ist lediglich zu prüfen, ob im
Zeitpunkt der Beschlussfassung allein die freiwillige Erfüllung des Anspruchs
ordnungsmäßiger Verwaltung entsprochen hätte; dies ist nur dann
anzunehmen, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen
Zweifel begründet war.
BGH, Urteil vom 2. Oktober 2015 - V ZR 5/15 - LG Karlsruhe
AG Waldshut-Tiengen
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Oktober 2015 durch die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch,
Dr. Brückner und Weinland, den Richter Dr. Kazele und die Richterin
Haberkamp
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe
- Zivilkammer XI - vom 4. November 2014 wird auf Kosten der
Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als
unbegründet abgewiesen wird.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Anlage
besteht aus einem Terrassenhaus. Die Terrassen der Wohnungen bilden
zugleich die Flachdächer der darunter liegenden Wohnungen. In der
Gemeinschaftsordnung ist folgendes geregelt:
„B. Einrichtungen, Anlagen und Gebäudeteile, die nach der
Beschaffenheit oder dem Zweck des Gewerks oder gemäß dieser
Teilungserklärung zum ausschließlichen Gebrauch durch einen
Wohnungseigentümer bestimmt sind (z.B. Balkone, Terrassen,
Veranden), sind von ihm auf seine Kosten instandzuhalten und
instandzusetzen.“
Aufgrund von Feuchtigkeitsschäden in den unter der Terrasse der
Klägerin zu 1 gelegenen Räumen eines anderen Wohnungseigentümers
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wurden Sanierungsarbeiten durchgeführt. Der Verwalter vertrat die Auffassung,
dass die Klägerin zu 1 nach der Teilungserklärung für die erforderliche
Erneuerung des Bodenbelags auf ihrer Terrasse selbst aufzukommen habe.
Daraufhin ließ diese den Bodenbelag auf eigene Kosten austauschen und
verlangte von der Wohnungseigentümergemeinschaft gestützt auf § 14 Nr. 4
WEG den Ersatz des verauslagten Betrags
von 7.952,94 €. Dies wurde in der
Eigentümerversammlung vom 19. April 2013 mehrheitlich abgelehnt.
Hiergegen
haben
sich
die
Klägerin
zu
1
sowie
weitere
Wohnungseigentümer, die Kläger zu 2 bis 6, mit der Anfechtungsklage
gewendet. Das Amtsgericht hat den Beschluss nach Beweisaufnahme für
ungültig erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil
geändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision, deren
Zurückweisung die Beklagten beantragen, will nunmehr nur noch die Klägerin
zu 1 (im Folgenden: Klägerin) die Zurückweisung der Berufung erreichen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint das Rechtsschutzbedürfnis für die
Anfechtungsklage. Zwar sei ein Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig gegeben,
weil das Recht auf ordnungsmäßige Verwaltung verletzt sein könne. Hier gehe
es jedoch nur um die Weigerung der Wohnungseigentümer, den geltend
gemachten Anspruch gemäß § 14 Nr. 4 WEG freiwillig zu erfüllen. Dieser
Anspruch unterliege nicht der Gestaltung der Wohnungseigentümer und bilde
daher keinen Gegenstand der ordnungsmäßigen Verwaltung. Die Klägerin
könne ihr Rechtsschutzziel leichter über die Zahlungsklage erreichen. Der
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angefochtene Beschluss führe weder zu einer Aberkennung des Anspruchs
noch sperre er eine erneute Beschlussfassung.
II.
Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend sieht das Berufungsgericht die gemäß
§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für die Berufung erforderliche Beschwer von mehr als
600
€ als erreicht an. Entgegen der Auffassung der Revision ist das
wirtschaftliche Gesamtinteresse der Berufungskläger maßgeblich, also der
neun beklagten Wohnungseigentümer, die den bezifferten Anspruch in Höhe
von 7.952,94
€ abwehren wollen. Legen mehrere Streitgenossen ein
Rechtsmittel ein, werden deren Einzelbelastungen zur Bemessung der
Beschwer zusammengerechnet, sofern diese - wie hier - nicht wirtschaftlich
identisch sind (BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1980 - VI ZB 303/79, NJW
1981, 578 f.; Beschluss vom 23. Juni 1983 - IVa ZR 136/82, NJW 1984, 927 f.;
vgl. auch Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 - V ZB 182/12, NJW-RR 2013,
1034 Rn. 9 ff.).
2. Rechtlicher Nachprüfung hält es dagegen nicht stand, dass das
Berufungsgericht das Rechtsschutzbedürfnis verneint. Die Klage ist zulässig.
a) Im Grundsatz kann die Rechtmäßigkeit eines sogenannten
Negativbeschlusses im Wege der gerichtlichen Anfechtung überprüft werden
(§ 46 WEG). Das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich im
Regelfall daraus, dass der Antragsteller durch die Ablehnung gegebenenfalls in
seinem Recht auf ordnungsmäßige Verwaltung des Gemeinschaftseigentums
verletzt wird (vgl. Senat, Urteil vom 15. Januar 2010 - V ZR 114/09, BGHZ 184,
88 Rn. 13); dies gilt auch dann, wenn der Beschluss bereits vollzogen worden
ist (vgl. Senat, Urteil vom 13. Mai 2011 - V ZR 202/10, ZfIR 2011, 567
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Rn. 12 ff.). Es entfällt nur ausnahmsweise, wenn ein Erfolg der Klage den
Wohnungseigentümern oder der Gemeinschaft keinen Nutzen mehr bringen
kann. Das kann beispielsweise bei Eintritt der Bestandskraft eines
inhaltsgleichen Zweitbeschlusses anzunehmen sein (Senat, Urteil vom
13. Mai 2011 - V ZR 202/10, ZfIR 2011, 567 Rn. 16; Beschluss vom
19. September 2002 - V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 51 mwN).
b) Wird ein von einem Wohnungseigentümer gegen den Verband
gerichtetes Zahlungsbegehren durch Beschluss abgelehnt, besteht nach
verbreiteter
Ansicht,
der
auch
das
Berufungsgericht
folgt,
kein
Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage (LG Hamburg, ZMR 2011,
319 f.; AG Charlottenburg, ZMR 2014, 241 f.; Klein in Bärmann, WEG,
12. Aufl., § 46 Rn. 7; Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten,
WEG, 11. Aufl., § 43 Rn. 101; Suilmann in Jennißen, WEG, 4. Aufl., § 46
Rn. 134). Der Kläger könne sein Ziel durch eine Zahlungsklage erreichen;
zudem handele es sich nicht um einen Gegenstand der ordnungsmäßigen
Verwaltung (LG Hamburg, ZMR 2011, 319 f.). Nach anderer Ansicht soll das
Rechtsschutzbedürfnis nur dann bestehen, wenn allein eine positive
Beschlussfassung
ordnungsmäßiger
Verwaltung
entsprochen
hätte
(allgemein Riecke/Schmid/Abramenko, WEG, 4. Aufl., § 46 Rn. 10c).
c) Diesen Auffassungen kann nicht zugestimmt werden. Für eine
solche Klage besteht wie für jede Anfechtungsklage regelmäßig - und auch
hier - ein Rechtsschutzbedürfnis.
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts muss ein
Negativbeschluss
der
genannten
Art
ordnungsmäßiger
Verwaltung
entsprechen. Der Begriff der Verwaltung im Sinne von § 21 WEG ist weit zu
verstehen. Er umfasst (unter anderem) Maßnahmen der Geschäftsführung
hinsichtlich des gemeinschaftlichen Eigentums ebenso wie die hierauf
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bezogene Willensbildung (näher Timme/Elzer, WEG, 2. Aufl., § 21 Rn. 37 ff.).
Um letzteres geht es hier, nämlich um das freiwillige Anerkenntnis einer
behaupteten,
aus dem
gemeinschaftlichen
Eigentum
herrührenden
Verpflichtung zur Vermeidung einer Auseinandersetzung vor Gericht; der
Verwalter dürfte eine Auszahlung erst nach Herbeiführung einer positiven
Beschlussfassung vornehmen.
bb) Richtig ist allerdings, dass der Beschluss auf das Bestehen des
geltend gemachten Anspruchs keinen Einfluss hat, sondern sich in der
Versagung des freiwilligen Anerkenntnisses erschöpft. Ebenso wenig wie die
Wohnungseigentümer
die
Kompetenz
haben,
im
Beschlusswege
Leistungspflichten zu begründen (vgl. Senat, Urteil vom 18. Juni 2010
- V ZR 193/09, NJW 2010, 2801 Rn. 10 mwN), können sie einem anderen
Wohnungseigentümer einen bestehenden Anspruch durch Beschluss nehmen.
Die Berechtigung des Anspruchs ist im Rahmen der Zahlungsklage zu prüfen;
einer Entscheidung über die Anfechtungsklage kommt insoweit keine
Bindungswirkung zu. Richtig ist ferner, dass die Wohnungseigentümer bei der
Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ein weites Ermessen haben und
es ihnen infolgedessen im Grundsatz freisteht, es auf ein Gerichtsverfahren
ankommen zu lassen, wenn gegen den Verband Zahlungsansprüche einzelner
Wohnungseigentümer (oder Dritter) geltend gemacht werden.
cc) Gleichwohl kann es ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen,
eine positive Beschlussfassung im Sinne einer freiwilligen Erfüllung des
Anspruchs abzulehnen. Dies ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn der
Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel begründet ist, so
dass ein unnötiger Rechtsstreit mit entsprechendem Kostenrisiko in Kauf
genommen würde. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann jeder
Wohnungseigentümer
nach
entsprechender
Vorbefassung
der
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Eigentümerversammlung mit der Beschlussersetzungsklage gemäß § 21
Abs. 4, Abs. 8 WEG prüfen lassen, da der Negativbeschluss keine
Sperrwirkung entfaltet. Daneben gewährleistet aber auch das Anfechtungsrecht
eine gerichtliche Prüfung (vgl. Senat, Urteil vom 17. Oktober 2014
- V ZR 26/14, ZWE 2015, 91 Rn. 19), die sich darauf bezieht, ob im Zeitpunkt
der Beschlussfassung allein die freiwillige Erfüllung des Anspruchs
ordnungsmäßiger Verwaltung entsprochen hätte. Diese Frage ist nicht bereits
im Rahmen der Zulässigkeit der Klage, sondern durch eine Sachentscheidung
zu klären. Die Wohnungseigentümer, die nicht zugleich Anspruchssteller sind
(wie die früheren Kläger zu 2 bis 6), könnten ohnehin nicht auf die
Zahlungsklage verwiesen werden. Aber auch dem Anspruchssteller selbst kann
eine Entscheidung in der Sache über sein Recht auf ordnungsmäßige
Verwaltung nicht verwehrt werden.
3. Die Entscheidung erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig
(§ 561 ZPO), weil die zulässige Klage unbegründet ist.
a) Hat das Berufungsgericht die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil
abgewiesen, darf das Revisionsgericht sie als unbegründet abweisen, wenn
das Berufungsgericht hinreichende tatsächliche Feststellungen getroffen hat
und diese für das Revisionsgericht ausnahmsweise verfahrensrechtlich
beachtlich sind (Senat, Urteil vom 25. November 1966 - V ZR 30/64, BGHZ 46,
281, 283 ff.).
b) So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat - wenngleich aus seiner
Sicht zur rechtlichen Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses - festgestellt,
aus welchem Sachverhalt die Klägerin ihren Anspruch herleitet, und dass sie
ihn auf § 14 Nr. 4 WEG stützt. Weiterer Feststellungen in der Sache bedarf es
nicht. Es ist nämlich lediglich darüber zu entscheiden, ob das den
Wohnungseigentümern zustehende Ermessen derart reduziert war, dass sie
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sich für ein Anerkenntnis aussprechen mussten. Dies ist - wie ausgeführt - nur
dann anzunehmen, wenn der Anspruch im Zeitpunkt der Beschlussfassung
offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel begründet war. Davon kann
angesichts der Regelung in der Teilungserklärung, wonach die Klägerin ihre
Terrasse auf eigene Kosten instandzusetzen hat, keine Rede sein (zur
umfassenden Reichweite einer solchen Vereinbarung Senat, Urteil vom
16. November 2012 - V ZR 9/12, NJW 2013, 681 Rn. 9). Die Klärung der Frage,
ob (und ggf. inwieweit) daneben die Bestimmung des § 14 Nr. 4 WEG
eingreifen kann, durften die Wohnungseigentümer ohne weiteres dem Gericht
überlassen und eine Zahlungsklage in Kauf nehmen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland
Kazele
Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Waldshut-Tiengen, Entscheidung vom 26.09.2013 - 3 C 242/13 WEG -
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 04.11.2014 - 11 S 102/13 -
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