Urteil des BGH vom 18.12.2015

Leitsatzentscheidung zu Herausgabe, Beendigung, Tod, Erlöschen

ECLI:DE:BGH:2015:181215UVZR269.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 269/14
Verkündet am:
18. Dezember 2015
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1061 S. 1, 1055, 1065, 985, 1004; ZPO §§ 767, 768
a) Der Eigentümer eines Nießbrauchsgrundstücks wird mit dem Erlöschen des Nieß-
brauchs nicht Rechtsnachfolger des Nießbrauchers.
b) Die Beendigung des Nießbrauchs führt grundsätzlich zu einem Erlöschen der ge-
gen einen Dritten bestehenden Ansprüche des Nießbrauchers gemäß § 1065
i.V.m. §§ 985, 1004 BGB auf Herausgabe der Nießbrauchssache oder Störungs-
beseitigung.
Ausnahmsweise können solche Ansprüche bestehen bleiben, wenn der ehemalige
Nießbraucher durch die Einwirkung des Dritten an der Erfüllung seiner aus dem
gesetzlichen Rückabwicklungsschuldverhältnis gegenüber dem Eigentümer be-
stehenden Pflichten gehindert wird; dies gilt jedenfalls dann, wenn die Ansprüche
gegen den Dritten vor der Beendigung des Nießbrauchs bereits rechtshängig ge-
worden oder tituliert worden sind.
BGH, Urteil vom 18. Dezember 2015 - V ZR 269/14 - OLG Bremen
LG Bremen
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Oktober 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Weinland, den Richter Dr. Göbel
und die Richterin Haberkamp
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des 1. Zivilsenats
des
Hanseatischen
Oberlandesgerichts
in
Bremen
vom
19. November 2014 (Az. 1 U 15/14; 1 U 16/14) im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Kläger zurückge-
wiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
W. W. (fortan: Nießbraucher) übertrug im Jahr 1995 sein
Grundstück auf die Beklagten zu 2 und 3, seine beiden Söhne. Im Gegenzug
räumten diese ihm hieran einen Nießbrauch ein. Gegenüber der Beklagten zu
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1, ihrer Mutter und Ehefrau des Nießbrauchers, bewilligten sie einen durch den
Tod des Nießbrauchers aufschiebend bedingten Nießbrauch.
In der Folgezeit erstritt der Nießbraucher die - rechtskräftigen - Urteile
des Landgerichts Bremen vom 18. März 2003 und vom 17. April 2007, welche
die Kläger zur Herausgabe einer mit einem Überbau bebauten Teilfläche des
Nießbrauchsgrundstücks sowie zur Beseitigung des Überbaus verpflichten (vgl.
Senat, Urteil vom 16. Januar 2004 - V ZR 243/03, BGHZ 157, 301, und Urteil
vom 30. Mai 2008 - V ZR 184/07, NJW 2008, 3122). Im Jahr 2012 verstarb der
Nießbraucher. Die Beklagten zu 1 bis 3 sind seine Erben. Ihnen wurde eine mit
einer Rechtsnachfolgeklausel versehene vollstreckbare Ausfertigung der Titel
erteilt.
Mit der Vollstreckungsabwehrklage und Klauselgegenklage wollen die
Kläger erreichen, dass die von den Beklagten zu 1 bis 3 betriebene Zwangs-
vollstreckung aus den beiden Urteilen für unzulässig erklärt wird. Das Landge-
richt hat den Klagen gegen die Beklagte zu 1 stattgegeben, sie hinsichtlich der
Beklagten zu 2 und 3 hingegen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die
Berufungen der Kläger und der Beklagten zu 1 zurückgewiesen. Mit ihren Revi-
sionen gegen beide Entscheidungen des Oberlandesgerichts verfolgen die Klä-
ger gegenüber den Beklagten zu 2 und 3 ihre Klageziele weiter. Diese beantra-
gen die Zurückweisung der Revisionen. Der Senat hat mit Beschluss vom
23. Oktober 2015 die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entschei-
dung verbunden.
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Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts sind die Klagen, soweit sie sich ge-
gen die Beklagten zu 2 und 3 richten, unbegründet. Zwar erlösche der Nieß-
brauch gemäß § 1061 Satz 1 BGB mit dem Tod des Nießbrauchers und sei
damit unvererblich. Das schließe aber den Fortbestand des Nießbrauchs ge-
genüber den Beklagten zu 2 und 3 in ihrer Eigenschaft als Eigentümer des
vormals belasteten Grundstücks nicht aus. Der Nießbrauch erlösche insoweit
nicht, sondern falle an den Eigentümer zurück. Aufgrund des Heimfalls sei der
Grundstückseigentümer Rechtsnachfolger des verstorbenen Nießbrauchers.
Dieses Ergebnis entspreche auch dem Rechtsgedanken des § 889 BGB. Im
Übrigen wäre es ein ungerechtfertigter Formalismus, den Grundstückseigentü-
mer bei Versterben des nießbrauchsberechtigten Titelgläubigers darauf zu ver-
weisen, die ihm als Eigentümer unter denselben Prämissen zustehenden An-
sprüche aus §§ 985, 1004 BGB erneut gerichtlich geltend zu machen. Der
Heimfall des Nießbrauchs an die Beklagten zu 2 und 3 sei auch nicht auf den
Tod der Beklagten zu 1 hinausgeschoben. Diese habe ihr jetziges Nießbrauchs-
recht nicht durch Erbschaft erworben, sondern von den Beklagten zu 2 und 3.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nicht frei von Rechtsfehlern sieht das Berufungsgericht die Klauselge-
genklagen (§ 768 ZPO) als unbegründet an.
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a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Beklagten
zu 2 und 3 nicht in ihrer Eigenschaft als Eigentümer des vormals belasteten
Grundstücks Rechtsnachfolger des verstorbenen Nießbrauchers geworden.
aa) Der Nießbrauch ist nicht - wie das Berufungsgericht meint - auf die
Bekl
agten zu 2 und 3 im Wege des „Heimfalls“ übergegangen.
(1) Bereits der Wortlaut von § 1061 Satz 1 BGB schließt einen Übergang
des Nießbrauchs auf den Eigentümer bei Versterben des Nießbrauchers aus,
indem er bestimmt, dass der Nießbrauch mit dem Tod des Nießbrauchers er-
lischt. Ein Übergang des Nießbrauchs auf den Eigentümer scheitert somit da-
ran, dass der Nießbrauch nicht mehr besteht (vgl. NK-BGB/Lemke, 3. Aufl.,
§ 1030 Rn. 5).
(2)
Die Annahme eines „Heimfalls“ des Nießbrauchs auf den Eigentümer
bei Tod des Nießbrauchers entspricht auch nicht - wie das Berufungsgericht
meint - dem Rechtsgedanken des § 889 BGB. Nach dieser Vorschrift erlischt
ein Recht an einem fremden Grundstück nicht dadurch, dass der Eigentümer
des Grundstücks das Recht oder der Berechtigte das Eigentum an dem Grund-
stück erwirbt. Die Vorschrift macht zwar deutlich, dass dem Gesetz ein Aus-
schluss des Bestehens dinglicher Rechte an eigenen Grundstücken fremd ist.
Daher kann ein Grundstückseigentümer einen Nießbrauch auch für sich selbst
bestellen (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2011 - V ZB 271/10, BGHZ 190, 267
Rn. 7, 9 „Eigennießbrauch“). Die hier relevante - vorgelagerte - Frage, ob nach
dem Tod des Nießbrauchers noch ein Recht besteht, das auf den Eigentümer
übergehen kann, wird von § 889 BGB aber nicht beantwortet. Vielmehr setzt die
Vorschrift voraus, dass der Eigentümer das dingliche Recht, hier den Nieß-
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brauch, „erwirbt“. Ein erloschenes Recht kann jedoch nicht mehr erworben wer-
den. Einen Rechtsgedanken, nach dem bei Erlöschen des dinglichen Rechts an
einem Grundstück stets eine Vereinigung mit dem Eigentum erfolgt, enthält
§ 889 BGB nicht.
(3) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gebieten Sinn und
Zweck der Regelung des § 1061 BGB nicht eine einschränkende Auslegung der
Vorschrift dahingehend, dass der Nießbrauch mit dem Tod des Nießbrauchers
nur im Verhältnis zu dem Erben erlischt, im Verhältnis zu dem Eigentümer da-
gegen bestehen bleibt und an diesen zurückfällt. Eine solche (teleologische)
Reduktion einer Vorschrift nach ihrem Zweck ist geboten, wenn der Gesetzge-
ber nicht alle Konsequenzen der von ihm gewählten Gesetzesfassung bedacht
hat und ihre wortgetreue Anwendung das gesetzgeberische Ziel deutlich verfeh-
len würde (Senat, Urteil vom 18. Juli 2014 - V ZR 291/13, RdL 2014, 335
Rn. 14). Von einer Verfehlung der gesetzgeberischen Intention kann hier nicht
ausgegangen werden. Wie § 1059 BGB trägt auch die Vorschrift des § 1061
BGB der Tatsache Rechnung, dass der Nießbrauch eine Vertrauensstellung
des Nießbrauchers begründet und der Eigentümer deshalb nicht gezwungen
sein soll, Dritte als Nießbraucher zu akzeptieren (MüKo-BGB/Pohlmann,
6. Aufl., § 1061 Rn. 1). Dieses Ziel wird durch die Anordnung des Erlöschens
des Nießbrauchs bei Tod des Nießbrauchers erreicht. Es wäre zwar auch dann
nicht gefährdet, wenn man - wie das Berufungsgericht -
nur ein „relatives“ Erlö-
schen des Nießbrauches im Verhältnis zu den Erben, nicht aber gegenüber
dem Eigentümer annähme. Dies allein vermag jedoch nicht die Annahme einer
Verfehlung des gesetzgeberischen Ziels zu begründen. Die Rückübertragung
der dinglichen Rechtsposition des Nießbrauchers auf den Eigentümer ist nicht
erforderlich, da die Einräumung des Nießbrauchs die dingliche Rechtsposition
des Eigentümers unberührt lässt und das im Nießbrauch verdinglichte Sachnut-
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zungsrecht mit Ende des Nießbrauchs dem Eigentümer ohne weiteres wieder
als Inhaltsbestandteil des Vollrechts
„Eigentum“ zusteht.
bb) Die Beklagten zu 2 und 3 sind hinsichtlich der titulierten Herausgabe-
und Beseitigungsansprüche aus § 1065 i.V.m. §§ 985, 1004 BGB auch nicht
aus sonstigen Gründen in ihrer Eigenschaft als Eigentümer des Nießbrauchs-
grundstücks Rechtsnachfolger nach dem Nießbraucher geworden.
(1) Zwar wird in der Literatur die Auffassung vertreten, der Eigentümer
der belasteten Sache sei Rechtsnachfolger des verstorbenen Nießbrauchers
(Wieczorek/Schütze/Paulus, ZPO, 3. Aufl., § 727 Rn. 25; Zöller/Stöber, ZPO,
31. Aufl., § 727 Rn. 10; MüKo-ZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 239 Rn. 27; Mu-
sielak/Voit/Lackmann, ZPO, § 239 Rn. 6; BeckOK-ZPO/Jaspersen, § 239
[Stand: 1.6.2015] Rn. 32; Staudinger/Frank, BGB [2009], § 1061 Rn. 17; Soer-
gel/Stürner, BGB, 13. Aufl., § 1061 Rn. 4). Zur Begründung wird aber lediglich
auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (Rpfleger 1953, 82 f.) ver-
wiesen, das den Grundstückseigentümer in Bezug auf einen von dem verstor-
benen Nießbraucher mit einem Dritten geschlossenen Pachtvertrag als Rechts-
nachfolger des Nießbrauchers bezeichnet hat. Hierbei hat das Oberlandesge-
richt Celle allerdings verkannt, dass der Eigentümer von Gesetzes wegen
(§ 1056 BGB) in einen solchen Vertrag eintritt, ohne dass dies eine Rechts-
nachfolge
nach
dem
Nießbraucher
bedeutet
(Senat,
Urteil
vom
20. Oktober 1989 - V ZR 341/87, BGHZ 109, 111, 114; BGH, Urteil vom
29. Januar 1970 - VII ZR 34/68, BGHZ 53, 174, 179).
(2) Richtigerweise wird der Eigentümer mit dem Erlöschen des Nieß-
brauchs nicht Rechtsnachfolger des Nießbrauchers hinsichtlich der diesem ge-
genüber Dritten gemäß § 1065 BGB zustehenden Herausgabe- oder Beseiti-
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gungsansprüche aus §§ 985, 1004 BGB (zur Rechtsnachfolge des Nießbrau-
chers in die Rechtsstellung des Eigentümers vgl. Senat, Beschluss vom 26.
März 2014 - V ZB 140/13, NJW 2014, 1740). Der Eigentümer leitet die Ansprü-
che aus §§ 985, 1004 BGB nicht von dem Nießbraucher ab. Nicht erst das Er-
löschen des Nießbrauchs versetzt ihn in die Lage, solche Rechte geltend zu
machen; vielmehr hat der Eigentümer auch während des Bestehens des Nieß-
brauchs gegen Dritte eigene, aus seiner Eigentümerstellung folgende Ansprü-
che, die - wenn auch mit gewissen Modifikationen (vgl. MüKo-BGB/Pohlmann,
6. Aufl., § 1065 Rn. 7) - grundsätzlich neben denen des Nießbrauchers aus
§ 1065 BGB bestehen (vgl. Senat, Urteil vom 21. Mai 2010 - V ZR 244/09, NJW
2010, 2341 Rn. 8). Diese Ansprüche können, weil Nießbraucher und Eigentü-
mer nach allgemeiner Auffassung keine notwendigen Streitgenossen sind
(Staudinger/Frank, BGB [2009], § 1065 Rn. 9; MüKo-BGB/Pohlmann, 6. Aufl.,
§ 1065 Rn. 7; Erman/Bayer, BGB, 14. Aufl., § 1065 Rn. 1; vgl. allerdings auch
Staudinger/Frank, BGB [2009], § 1042 Rn. 8), ein unterschiedliches rechtliches
Schicksal nehmen. Das Erlöschen des Nießbrauchs hat auch nicht zur Folge,
dass der Eigentümer die dem Nießbraucher gegen einen Dritten zustehenden
Rechte aus § 1065 i.V.m. §§ 985, 1004 BGB zusätzlich zu den Eigentümerrech-
ten „hinzuerwirbt“. Es bleibt vielmehr bei dem Nebeneinander der Ansprüche
von Eigentümer und Nießbraucher; soweit die Ansprüche des Nießbrauchers
nicht auf dessen Erben übergehen (dazu unter 1 b bb), erlöschen sie.
(3) Überlegungen zur Schutzbedürftigkeit des Eigentümers rechtfertigen
kein anderes Ergebnis. Dem Eigentümer steht es jederzeit offen, die neben den
Ansprüchen des Nießbrauchers bestehenden eigenen Ansprüche aus §§ 985,
1004 BGB selbständig geltend zu machen. Zu berücksichtigen ist außerdem,
dass der Eigentümer, sähe man ihn als Rechtsnachfolger nach dem Nießbrau-
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cher an, auch an ein Urteil zu Lasten des Nießbrauchers gebunden wäre; dass
dies nicht seinen Interessen entspricht, liegt auf der Hand.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann sich eine
Rechtsnachfolge der Beklagten zu 2 und 3 in die titulierten Ansprüche aber aus
deren Stellung als Erben des Nießbrauchers ergeben.
aa) Zwar ist der Nießbrauch - wovon das Berufungsgericht zutreffend
ausgeht - als solcher nicht vererblich, da er gemäß § 1061 Satz 1 BGB mit dem
Tod des Nießbrauchers erlischt. Die Beendigung des Nießbrauchs, gleichviel
ob sie aufgrund Todes des Nießbrauchers, durch Ablauf einer zeitlichen Befris-
tung oder aufgrund einer einverständlichen Aufhebung (§ 1062 BGB) eintritt,
führt grundsätzlich zu einem Erlöschen auch der Ansprüche des Nießbrauchers
auf Herausgabe der Nießbrauchssache oder auf Störungsbeseitigung, da diese
Ansprüche das weitere Bestehen der Stellung als Nießbraucher voraussetzen
(zum öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch vgl. OVG Münster, NJW 1994,
3244). Ebenso wie die Ansprüche des Eigentümers aus §§ 985, 1004 BGB un-
trennbar mit dem Eigentum verbunden sind (Senat, Urteil vom 23. Februar 1973
- V ZR 109/71, BGHZ 60, 235, 240; Urteil vom 18. Oktober 2007 - V ZR 12/07,
Grundeigentum 2007, 1551), kann auch der Herausgabe- und Beseitigungsan-
spruch des Nießbrauchers nicht von dem Nießbrauch getrennt werden. Der
Herausgabe- und Beseitigungsanspruch gemäß § 1065 i.V.m. §§ 985, 1004
BGB dient dem Schutz der dinglichen Rechtsposition des Nießbrauchers bei
einer vollständigen oder partiellen Verletzung seines Rechts (vgl. Mugdan III
S. 297; BeckOK-BGB/Wegmann, Edition 36, § 1065 Rn. 1). Erlischt die dingli-
che Rechtsposition des Nießbrauchers, hat er, da er zur Nutzung der Nieß-
brauchssache nicht mehr berechtigt ist, grundsätzlich kein rechtlich schützens-
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wertes Interesse daran, einer durch Entziehung oder sonstige Beeinträchtigung
hervorgerufenen Verletzung des Nießbrauchsrechts weiter zu begegnen.
bb) Ausnahmsweise kann ein gegen einen Dritten gerichteter Herausga-
be- oder Beseitigungsanspruch des Nießbrauchers aber auch nach Beendigung
des Nießbrauchs bestehen bleiben, wenn der ehemalige Nießbraucher durch
Einwirkungen des Dritten auf die Nießbrauchssache an der Erfüllung seiner aus
dem gesetzlichen Rückabwicklungsschuldverhältnis gegenüber dem Eigentü-
mer bestehenden Pflichten gehindert wird; dies gilt jedenfalls dann, wenn die
Ansprüche gegen den Dritten vor der Beendigung des Nießbrauchs bereits
rechtshängig geworden oder tituliert worden sind.
(1) Mit der Nießbrauchsbestellung entsteht zwischen dem Eigentümer
und dem Nießbraucher ein besonderes gesetzliches Schuldverhältnis (Staudin-
ger/Frank, BGB [2009], Vorbem. zu §§ 1030 ff. Rn. 6). Dieses erlischt nicht mit
der Beendigung des Nießbrauchs. Vielmehr wandelt es sich in ein gesetzliches
Rückabwicklungsschuldverhältnis um (Staudinger/Frank, BGB [2009], § 1055
Rn. 1). Ist die Beendigung des Nießbrauchs aufgrund Todes des Nießbrauchers
eingetreten, gehen die Rechte und Pflichten des Nießbrauchers aus dem ge-
setzlichen Schuldverhältnis auf dessen Erben über (MüKo-BGB/Pohlmann,
6. Aufl., § 1061 Rn. 12). Als Bestandteil des gesetzlichen Rückabwicklungs-
schuldverhältnisses normiert § 1055 BGB eine Rückgabepflicht des Nießbrau-
chers gegenüber dem Eigentümer. Der Nießbraucher - bzw. sein Erbe, auf den
der Besitz an dem Nießbrauchsgrundstück gemäß § 857 BGB übergeht - hat
die Nießbrauchssache grundsätzlich in dem Zustand zurückzugeben, der ord-
nungsmäßiger Bewirtschaftung unter Aufrechterhaltung der bisherigen wirt-
schaftlichen Bestimmung entspricht (Soergel/Stürner, BGB, 13. Aufl., § 1055
Rn. 2).
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(2) Wird der Nießbraucher an der Erfüllung seiner Rückgabepflichten aus
§ 1055 Abs. 1 BGB durch Einwirkungen Dritter auf die Nießbrauchssache ge-
hindert, sei es durch deren vollständige Entziehung, sei es durch deren partielle
Beeinträchtigung, können ihm gegen den Dritten ausnahmsweise weiterhin die
Rechte aus § 1065 i.V.m. §§ 985, 1004 BGB zustehen. Das durch § 1065 BGB
geschützte Interesse des Nießbrauchers, Beeinträchtigungen des Nießbrauchs-
rechts abzuwehren, gründet sich auf das durch die Bestellung des Nießbrauchs
entstandene gesetzliche Schuldverhältnis zwischen Eigentümer und Nießbrau-
cher und verändert durch die Umwandlung des Schuldverhältnisses in ein
Rückgewährschuldverhältnis lediglich seine Zielrichtung. Während der Nieß-
braucher für die Dauer des Nießbrauchsrechts ein rechtlich schutzwürdiges In-
teresse daran hat, die Nießbrauchssache frei von Störungen durch Dritte zu
nutzen, und er daher Verletzungen des Nießbrauchsrechts unterbinden kann,
kann er (bzw. - im Fall des § 1061 Satz 1 BGB - sein Erbe) nach Beendigung
des Nießbrauchs ein in gleicher Weise schutzwürdiges Interesse daran haben,
an der Erfüllung seiner aus dem gesetzlichen Rückabwicklungsschuldverhältnis
folgenden Pflichten gegenüber dem Eigentümer nicht durch Einwirkungen Drit-
ter auf die Nießbrauchssache gehindert zu werden. Bestünden in einem sol-
chen Fall niemals Herausgabe- oder Beseitigungsansprüche des Nießbrau-
chers gegen den Dritten, könnte er seine Rückgabeverpflichtung nicht erfüllen,
müsste dem Eigentümer deshalb Schadensersatz leisten und wäre gehalten,
den Dritten seinerseits auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Ein sachli-
cher Grund, ihn auf diesen Weg zu beschränken statt die (weitere) Durchset-
zung der sich aus dem Nießbrauch ergebenden Rechte zuzulassen, besteht
jedenfalls in den Fällen nicht, in denen die Ansprüche gegen den Dritten - wie
hier - noch während des Bestehen des Nießbrauchs rechtshängig geworden
oder tituliert worden sind.
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Schutzwürdige Interessen des Dritten sind nicht berührt. Für ihn stellt es
sich als reinen Zufall dar, dass der Nießbraucher stirbt oder das Nießbrauchs-
recht infolge Zeitablaufs erlischt; er kann, wenn der Nießbraucher bereits ge-
richtliche Schritte in die Wege geleitet hatte, nicht erwarten, dass sich ein wäh-
rend des Bestehens des Nießbrauchsrechts begonnener Rechtsstreit aus die-
sem Grund erledigt und er deshalb seiner Verpflichtung zur Herausgabe des
Grundstücks oder zur Störungsbeseitigung nicht mehr oder nur nach (erneuter)
Geltendmachung durch den Eigentümer nachkommen muss.
cc) Entscheidend ist daher, ob die Beklagten zu 2 und 3 als Erben des
Nießbrauchers, dessen Herausgabe- und Beseitigungsansprüche gegen die
Kläger bereits vor Beendigung des Nießbrauchs tituliert waren, an der Erfüllung
ihrer Pflichten aus dem gesetzlichen Rückabwicklungsschuldverhältnis gehin-
dert werden. Nur dann können die aus dem dinglichen Recht folgenden An-
sprüche trotz Erlöschens des Rechts ausnahmsweise fortbestehen. Dies gilt
auch für die hier in Rede stehenden Ansprüche. Es ist nicht ausgeschlossen,
dass im Einzelfall zur ordnungsmäßigen Wirtschaft i.S.d. § 1036 Abs. 2 BGB
auch die Beseitigung eines Überbaus gehört und daher die Verpflichtung aus
§ 1055 Abs. 1 BGB die Rückgabe eines nicht überbauten Nießbrauchsgrund-
stücks umfasst.
Ob die Durchsetzung der gegen die Kläger titulierten Herausgabe- und
Beseitigungsansprüche des Nießbrauchers zur Erfüllung der Rückgabepflicht
aus § 1055 Abs. 1 BGB erforderlich ist, die Ansprüche deshalb trotz Beendi-
gung des Nießbrauchs ausnahmsweise weiter bestehen und damit auf die Be-
klagten zu 2 und 3 als seine Erben übergegangen sind, hat das Berufungsge-
richt nicht geprüft. Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, sich mit den neuen
Gesichtspunkten auseinanderzusetzen und dazu ergänzend vorzutragen.
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2. Auch mit Blick auf die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist die
Revision begründet.
Rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht beanstandet geht das Beru-
fungsgericht allerdings davon aus, dass die Kläger mit dem Einwand der Un-
möglichkeit und Unzumutbarkeit der Beseitigung des Überbaus ausgeschlossen
sind. Ob dagegen der von den Klägern erhobene Einwand des Erlöschens der
titulierten Forderungen begründet oder unbegründet ist, hängt - wie dargelegt -
davon ab, ob es sich im konkreten Fall um einen jener Ausnahmefälle handelt,
bei der die Ansprüche des Nießbrauchers aus § 1065 BGB i.V.m. §§ 985, 1004
BGB trotz Beendigung des Nießbrauchs weiterbestehen.
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III.
Nach allem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Man-
gels Entscheidungsreife ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverwei-
sen, damit die erforderlichen Feststellungen getroffen werden können (§§ 562
Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO).
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Weinland
Göbel
Haberkamp
Vorinstanzen:
LG Bremen, Entscheidung vom 21.03.2014 - 8 O 1795/13 -
OLG Bremen, Entscheidung vom 19.11.2014 - 1 U 15/14; 1 U 16/14 -
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