Urteil des BGH vom 02.06.2016

Ausschluss der Haftung, Dachgeschoss, Heizungsanlage, Sachmangel

ECLI:DE:BGH:2016:020616BVZR223.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZR 223/15
vom
2. Juni 2016
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Juni 2016 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der
Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg
vom 1. September 2015 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungs-
beschwerde, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts
zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 50.000 €.
Gründe:
I.
Mit notariellem Vertrag vom 23. Juli 2010 verkauften die Beklagten an die
Klägerin ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück unter Ausschluss
der Haftung für Sachmängel. Das Dachgeschoss des 1987 errichteten Gebäu-
des war 1997 ausgebaut worden. Dabei wurde für die Beheizung der Zimmer
im Dachgeschoss die aus 1987 stammende Heizungsanlage um Heizkörper
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ergänzt; sie blieb im Übrigen unverändert. Nachdem die Klägerin das Einfamili-
enhaus bezogen hatte, bemängelte sie, dass die Räume in dem ausgebauten
Bereich nicht ausreichend beheizt werden könnten. Mit der Klage verlangt sie
nach Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens und Prüfung durch
einen Energieberater die Zahlung von zuletzt 46.218,49 € sowie die Feststel-
lung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche weiter entstandene oder noch
entstehende Schäden.
Das Landgericht hat auf der Grundlage einer Beweisaufnahme
die Klage
abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin durch ein-
stimmigen Beschluss zurückgewiesen. Gegen die damit verbundene Nichtzu-
lassung der Revision richtet sich ihre Nichtzulassungsbeschwerde. Die Beklag-
ten beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
II.
Das Berufungsgericht meint, ein Schadensersatzanspruch scheide aus,
weil die Parteien einen wirksamen Haftungsausschluss vereinbart und die Be-
klagten den Mangel nicht arglistig verschwiegen hätten. Nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme sei nicht davon auszugehen, dass sie ein Bewusstsein für die
mangelnde Beheizbarkeit des Dachgeschosses gehabt hätten. Das Wärme-
und Kälteempfinden sei eine subjektive Angelegenheit. Deshalb könne aus der
von dem Sachverständigen des selbständigen Beweisverfahrens festgestellten
Unterdimensionierung der Heizkörper allein nicht eine positive Kenntnis der Be-
klagten abgeleitet werden. Die Räume des Dachgeschosses seien vornehmlich
durch ihre Töchter genutzt worden, so dass es darauf ankomme, ob den Be-
klagten ein Kälteempfinden der Töchter zur Kenntnis gelangt wäre. Sie hätten
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zwar gewusst, dass die Heizungsanlage bei dem Ausbau des Dachgeschosses
nicht verändert worden war. Hieraus ergebe sich aber nicht die Kenntnis davon,
dass die Heizungsanlage nach dem Dachgeschossausbau unterdimensioniert
sei. Insoweit hätten sich die Beklagten auf die Fachkenntnisse der von ihnen
beauftragen Firmen verlassen dürfen. Die Zeugin P. , die die Klägerin erst-
mals in der Berufungsinstanz zu der Behauptung benannt habe, die Töchter der
Beklagten hätten an kalten Tagen im Untergeschoss geschlafen und dort ihre
Hausaufgaben gemacht, sei gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu vernehmen ge-
wesen.
III.
Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das
Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Ge-
hörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Das Verfahrensgrundrecht ist durch die Zurückweisung des Beweis-
angebots der Klägerin auf Vernehmung der Zeugin P. verletzt worden.
a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im
Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr.,
vgl. Senat, Beschluss vom 20. März 2014 - V ZR 169/13, juris Rn. 8 mwN). Die-
se Grenze ist bei Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 ZPO
bereits dann erreicht, wenn sie in offenkundig unrichtiger Weise angewandt wird
(vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624; BGH,
Beschluss vom 15. August 2012 - VIII ZR 256/11, juris Rn. 14; Beschluss vom
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30. Oktober 2013 - VII ZR 339/12, NJW-RR 2014, 85 Rn. 8; vgl. BVerfG, NJW
2000, 945, 946).
b) So ist es hier. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung, ein
rechtzeitiger Beweisantritt im ersten Rechtszug sei lediglich aufgrund einer
Nachlässigkeit der Klägerin unterblieben, weil diese nicht frühzeitig das Ge-
spräch mit der Nachbarschaft gesucht habe, ist nicht tragfähig.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt
eine Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nur dann vor,
wenn die Partei gegen ihre Prozessförderungspflicht verstoßen hat. Die Partei-
en sind aufgrund dieser Pflicht zu konzentrierter Verfahrensführung gehalten.
Insbesondere dürfen sie Vorbringen grundsätzlich nicht aus prozesstaktischen
Erwägungen zurückhalten (BGH, Beschluss vom 10. Juni 2010 - Xa ZR 110/09,
NJW-RR 2011, 211 Rn. 28 mwN). Eine Verpflichtung, tatsächliche Umstände,
die der Partei nicht bekannt sind, erst zu ermitteln, ist daraus jedoch grundsätz-
lich nicht abzuleiten (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juni 2008 - V ZR 190/07,
juris Rn. 10; BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2009 - III ZR 61/08, juris
Rn. 13 mwN; Beschluss vom 10. Juni 2010 - Xa ZR 110/09, NJW-RR 2011, 211
Rn. 28; Beschluss vom 30. Oktober 2013 - VII ZR 339/12, NJW-RR 2014, 85
Rn. 9); sie kann allenfalls durch besondere Umstände begründet werden (vgl.
BGH, Beschluss vom 10. Juni 2010 - Xa ZR 110/09, aaO Rn. 28).
bb) Solche Umstände hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Sie
sind auch nicht ersichtlich. Die Klägerin ist ihrer Prozessförderungspflicht aus-
reichend dadurch nachgekommen, dass sie vor der Klageerhebung ein selb-
ständiges Beweisverfahren eingeleitet und die Ergebnisse der Sachverständi-
gengutachten, die genügend objektive Anhaltspunkte für eine mangelhafte Be-
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heizbarkeit der Räumlichkeiten geboten haben, zur Grundlage ihrer Klage ge-
macht hat. Weitere, ihr nicht bekannte Umstände, die für eine Arglist der Be-
klagten sprechen, musste sie nicht ermitteln.
2. Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich.
a) Das verkaufte Grundstück weist einen Sachmangel im Sinne des
§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf, weil die Räume im Dachgeschoss nicht aus-
reichend beheizbar sind. Im Hinblick darauf, dass die Ansprüche des Käufers
wegen eines Sachmangels ausgeschlossen sind, können sie von der Klägerin
gemäß § 444 BGB nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn die Be-
klagten den Mangel arglistig verschwiegen haben. Arglist liegt vor, wenn der
Verkäufer den konkreten Mangel kennt oder zumindest im Sinne eines beding-
ten Vorsatzes für möglich hält und in Kauf nimmt (Senat, Urteil vom 19. Februar
2016 - V ZR 216/14, DWW 2016, 143 Rn. 16; Urteil vom 16. März 2012 - V ZR
18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn. 24; Urteil vom 7. März 2003 - V ZR 437/01,
ZfIR 2003, 769, 771). Eine Kenntnis der Beklagten von dem Sachmangel läge
nahe, wenn sich herausstellen sollte, dass ihre Töchter ihre Lebensführung an
kalten Tagen regelmäßig in das Untergeschoss verlegt haben. Es spricht dann
vieles dafür, dass sie die Räumlichkeiten im Obergeschoss bei niedrigen Au-
ßentemperaturen als nicht ausreichend beheizbar empfunden haben.
b) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die von der Klägerin be-
nannte Zeugin die in ihr Wissen gestellten Tatsachen bestätigt und das Beru-
fungsgericht nach einer dann gebotenen erneuten tatrichterlichen Würdigung
sämtlicher Umstände ein arglistiges Verschweigen der nicht ausreichenden Be-
heizbarkeit der Räume im Dachgeschoss durch die Beklagten bejaht.
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IV.
Der Senat hat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Ge-
brauch gemacht; diese Vorschrift findet bei einer Zurückverweisung im Be-
schlusswege nach § 544 Abs. 7 ZPO entsprechende Anwendung (Senat, Be-
schluss vom 1. Februar 2007 - V ZR 200/06, NJW-RR 2007, 1221 Rn. 12).
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 10.04.2015 - 2 O 2302/14 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 01.09.2015 - 4 U 29/15 -
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