Urteil des BGH vom 10.07.2015

Leitsatzentscheidung zu Ablauf der Frist, Stimmenmehrheit, Beschränkung, Verwalter

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 198/14
Verkündet am:
10. Juli 2015
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 543 Abs. 2
Bei der wohnungseigentumsrechtlichen Beschlussmängelklage kann die Revisions-
zulassung auf einzelne Beschlussmängelgründe beschränkt werden.
WEG § 16 Abs. 3, § 25 Abs. 2
Das Kopfstimmprinzip nach § 25 Abs. 2 WEG ist auch im Sachbereich des § 16
Abs. 3 WEG abdingbar.
BGH, Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 198/14 - LG Hamburg
AG Hamburg-Blankenese
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom
10. Juli 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Roth, die Richterin Dr. Brückner und
den Richter Dr. Göbel
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg
- Zivilkammer 18 - vom 23. Juli 2014 wird auf Kosten des
Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger
ist Eigentümer der im 2. Obergeschoss gelegenen Eigentumswohnung mit ei-
nem Miteigentumsanteil von 223/1000. Den Beklagten gehört sowohl die im
1. Obergeschoss (Miteigentumsanteil von 267/1000) als auch die im Erdge-
schoss und im Souterrain befindliche Wohnung (Miteigentumsanteil von
510/1000). Nach § 9 Nr. 1 der Teilungserklärung (TE) werden die Kosten und
Lasten der Gemeinschaft nach Miteigentumsanteilen aufgeteilt. Beschlussfähig
ist die Versammlung, wenn zwei der drei Wohnungseigentümer anwesend oder
durch den Verwalter oder eine Person ihres Vertrauens mit schriftlicher Voll-
macht vertreten sind; jede Wohnungseinheit gewährt eine Stimme (§ 11
Nr. 4 TE).
Auf der Eigentümerversammlung vom 22. April 2013 war der Kläger per-
sönlich zugegen. Die Beklagten ließen sich von dem Verwalter vertreten. Auf
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der Tagesordnung stand u.a. die Beschlussfassung über die Tagesordnungs-
punkte (TOP) 3 bis 5, wonach die Umlegung der Kosten für die Treppenhaus-
reinigung, die Müllabfuhr und
„Wasser allgemein“ nunmehr nach Wohneinheiten
vorgeschlagen worden war. Die Änderung des Kostenverteilungsschlüssels
wurde mit jeweils zwei für die Beklagten abgegebenen Stimmen gegen die
Stimme
des Klägers „genehmigt“.
Gegen diese Änderung wendet sich der Kläger mit der Beschlussmängel-
klage, mit der er innerhalb der zweimonatigen Begründungsfrist nach § 46
Abs. 1 Satz 2 WEG eingewandt hat, eine Mehrheit für die Annahme der Be-
schlüsse sei nicht zustande gekommen, weil den Beklagten nach § 25 Abs. 2
WEG zwingend nur eine Stimme zugestanden habe. Erst mit Schriftsatz vom
25. Juni 2013 hat er geltend gemacht, die Beschlüsse seien unbestimmt, weil
unklar bleibe, ab welchem Zeitpunkt die Änderung gelten soll. Davon abgese-
hen entspreche die Änderung nicht billigem Ermessen.
Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Landgericht
hat die Revision beschränkt auf die Frage zugelassen, ob der Begriff „Stim-
menmehrheit“ in § 16 Abs. 3 WEG zwingend im Sinne des Stimmrechts gemäß
§ 25 Abs. 2 WEG (Kopfstimmrecht) auszulegen sei. Mit der Revision verfolgt
der Kläger seine Anträge weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung
des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, Beschlussmängel griffen nicht durch. Die
nach § 16 Abs. 3 WEG erforderliche einfache Stimmenmehrheit sei erreicht
worden. Stimmenmehrheit bedeute nicht zwingend eine Mehrheit nach Kopftei-
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len im Sinne der abdingbaren Regelung des § 25 Abs. 2 WEG. Mit den erst mit
Schriftsatz vom 25. Juni 2013 geltend gemachten Anfechtungsgründen sei der
Kläger nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG ausgeschlossen.
II.
Die Revision ist insgesamt zulässig. Entgegen der Auffassung des Klägers
liegt zwar eine wirksame Beschränkung der Rechtsmittelzulassung vor. Das ist
jedoch unschädlich, weil das eingelegte Rechtsmittel darüber nicht hinausgeht.
1. Allerdings ist es richtig, dass die Zulassung der Revision nicht auf ein-
zelne Rechtsfragen oder Anspruchselemente beschränkt werden kann. Zuläs-
sig ist aber eine Beschränkung auf einen tatsächlich und rechtlich selbständi-
gen und damit abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs, auf den auch die Par-
tei selbst ihre Revision beschränken könnte. Dafür reicht es aus, dass der von
der Zulassungsbeschränkung betroffene Teil des Streits in tatsächlicher Hin-
sicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden kann und nach
einer Zurückverweisung eine Änderung des von der beschränkten Zulassung
erfassten Teils nicht in die Gefahr eines Widerspruchs zu dem nicht anfechtba-
ren Teil gerät (BGH, Beschluss vom 15. April 2014 - XI ZR 356/12, juris Rn. 4;
Urteil vom 17. September 2008 - IV ZR 191/05, VersR 2008, 1524 Rn. 7; je-
weils mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2014 - IV ZR 296/12,
zu II.1., juris). Dass Beschlussmängelgründe abtrennbare Teile des Streitstoffs
sein können, hat der Bundesgerichtshof bereits für die aktienrechtliche Anfech-
tungsklage entschieden (Beschluss vom 7. Dezember 2009 - II ZR 63/08, WM
2010, 848, 849 mwN). Für die Beschlussmängelklage nach dem Wohnungsei-
gentumsgesetz gilt nichts anderes. Auch hier wird der Streitgegenstand durch
die jeweils geltend gemachten Beschlussmängelgründe als Teil des zugrunde
liegenden Lebenssachverhalts bestimmt (vgl. auch Senat, Urteil vom 16. Januar
2009 - V ZR 74/08, BGHZ 179, 230 Rn. 20 mwN). Schon deshalb kann die Kla-
ge auf einzelne Beschlussmängel mit der Folge begrenzt werden, dass nach
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Ablauf der Frist des § 46 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 WEG nachgeschobene An-
fechtungsgründe - sieht man von der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand nach Satz 3 der Regelung ab - nicht mehr berücksichtigt werden
(Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR 74/08, aaO, Rn. 9 f.; Urteil vom
2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307 Rn. 12 ff.). Erst recht ist eine
solche Beschränkung im Verlauf des Rechtsstreits möglich (BGH, Beschluss
vom 7. Dezember 2009 - II ZR 63/08, aaO). Auch mit Blick auf Nichtigkeits-
gründe bleibt es Sache der klagenden Partei, ob sie ihre Klage (weiterhin) auch
auf nichtigkeitsbegründende Umstände stützen möchte oder nicht (Senat, Urteil
vom 16. Januar 2009 - V ZR 74/08, aaO, Rn. 20).
2. Gemessen daran liegt eine wirksame Beschränkung vor. Bei verständi-
ger Würdigung hat das Berufungsgericht die Revision hinsichtlich sämtlicher
Beschlüsse zugelassen, bei denen die Frage Bedeutung erlangt, ob unter
Stimmenmehrheit im Sinne von § 16 Abs. 3 WEG nur das sog. Kopfprinzip ver-
standen werden kann. Das sind alle Beschlüsse, die mit der Beschlussmängel-
klage angegriffen werden. Von der Beschränkung erfasst werden sämtliche Be-
schlussmängelgründe, die mit der Frage des Stimmgewichts und dem darauf
gestützten Teil des Lebenssachverhalts nichts zu tun haben. Da die Revision
auf diese weiteren Beschlussmängelgründe nicht zurückkommt, hält sich das
eingelegte Rechtsmittel im Rahmen der Zulassung; eine überschießende
– teil-
weise unstatthafte
– Rechtsmitteleinlegung liegt nicht vor.
III.
In der Sache bleibt der Revision jedoch der Erfolg versagt. Das Beru-
fungsgericht geht zutreffend davon aus, dass der Verwalter eine Stimmenmehr-
heit mit Recht angenommen hat. Das nach § 25 Abs. 2 Satz 1, Abs. 2 WEG
angeordnete Kopfprinzip ist durch die in § 11 Nr. 4 TE angeordnete Geltung des
Objektprinzips wirksam abbedungen worden.
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1. Allerdings ist umstritten, ob die grundsätzlich gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2
WEG gegebene Abdingbarkeit des Kopfprinzips (Senat, Urteil vom
28. Oktober 2011 - V ZR 253/10, BGHZ 191, 245 Rn. 4 u. 8; Beschluss vom
19. September 2002 - V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 53; BayObLG, ZMR 2001,
366, 368; Merle in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 25 Rn. 30 mwN) auch im Sach-
bereich des § 16 Abs. 3 WEG Geltung beansprucht. Während dies überwie-
gend angenommen wird (so etwa Jennißen in Jennißen, WEG, 4. Aufl., § 16
Rn. 36; Riecke/Schmid/Elzer/Abramenko, WEG, 4. Aufl., § 16 Rn. 77; Hü-
gel/Elzer, NZM 2009, 457, 463; Palandt/Bassenge, BGB, 74. Aufl., § 16 WEG
Rn. 12; NK-Schultzky, BGB, 3. Aufl., § 16 Rn. 17; Derleder, ZWE 2008, 253,
256; Greiner, ZWE 2011, 118, 120; vgl. auch Sauren, WEG, 6. Aufl., § 16 Rn.
25a; im Grundsatz auch Lehmann-Richter, ZWE 2012, 77, 79), entnimmt die
Gegenauffassung der Vorschrift - teils im Zusammenspiel mit § 16 Abs. 5 WEG
- eine zwingende Festschreibung des Kopfprinzips (so etwa Becker in Bär-
mann, WEG, 12. Aufl., § 16 Rn. 113 u. 149; Merle in Bärmann, aaO; Tim-
me/Bonifacio, WEG, 2. Aufl., § 16 Rn. 234; Häublein, ZfIR 2012, 249, 250).
2. Der Senat hat zu der Kontroverse bislang nicht Stellung bezogen (vgl.
Urteil vom 28. Oktober 2011 - V ZR 253/10, BGHZ 191, 245 Rn. 11). Für die
rechtsähnliche Problematik bei § 26 WEG hat er allerdings die Abdingbarkeit
des Kopfprinzips durch das Objekt- oder Wertprinzip bereits bejaht (Urteil vom
28. Oktober 2011 - V ZR 253/10, aaO, Rn. 7 ff.; Beschluss vom
19. September 2002 - V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 53 f.). Nichts anderes gilt für
die Änderung von Kostenverteilungsschlüsseln nach § 16 Abs. 3 WEG.
a) Schon ihrem sprachlichen Sinngehalt nach
(„durch Stimmenmehrheit“)
ordnet die Norm lediglich die Geltung des Mehrheitsprinzips an; nicht aber er-
streckt sich der Regelungsgehalt auf die Kriterien, nach denen die Mehrheit zu
bestimmen ist (Kopf-, Objekt-, Anteilsprinzip etc.). Die Frage der Stimmkraft
beantwortet das Gesetz an anderer Stelle, nämlich mit der dispositiven Be-
stimmung des § 25 Abs. 2 WEG. Zwingende Vorgaben zur Stimmkraft pflegt
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das Gesetz - wie ein systematischer Seitenblick auf die Regelungen des § 16
Abs. 4 und des § 22 Abs. 2 WEG ohne weiteres erhellt - eigens hervorzuheben.
Dementsprechend ist den Gesetzesmaterialien kein Hinweis darauf zu entneh-
men, dass mit der Bestimmung des § 16 Abs. 3 WEG auch eine Regelung der
Stimmkraft habe getroffen werden sollen (Senat, Urteil vom 28. Oktober 2011
- V ZR 253/10, BGHZ 191, 245 Rn. 10 aE unter Bezugnahme auf BT-Drucks.
16/887, S. 22, 25 u. 32; aA Becker in Bärmann, aaO, § 16 Rn. 113, der die in
den Materialien als unabdingbar bezeichnete
„Mehrheitsmacht“ mit dem Kopf-
stimmprinzip gleichsetzt; dagegen zutreffend Greiner, ZWE 2011, 118, 120).
b) Die Erwägung der Gegenauffassung, nur durch eine strikte Geltung des
Kopfprinzips könne der Gefahr der Majorisierung wirksam begegnet werden,
trägt schon deshalb nicht, weil dieser Einwand nicht nur den Sachbereich des
§ 16 Abs. 3 WEG betrifft, sondern sich - jedenfalls bei folgerichtiger Entfaltung
des Arguments - gegen jedwede Mehrheitsentscheidung richtet, die nach dem
Objekt- oder Anteilsprinzip getroffen wird und damit konsequenterweise die Ab-
dingbarkeit des § 25 Abs. 2 WEG insgesamt in Frage stellt. Das aber erscheint
schon deshalb nicht akzeptabel, weil damit ohne Not der privatautonome Ge-
staltungsspielraum der Wohnungseigentümer - das Wohnungseigentumsrecht
lässt diesen und dem teilenden Eigentümer bei der Ordnung des Gemein-
schaftsverhältnisses weitgehend freie Hand (vgl. nur Senat, Urteil vom
16. November 2012 - V ZR 9/12, Rn. 9; Urteil vom 13. Oktober 2006
- V ZR 289/05, NJW 2007, 213 Rn. 14 mwN) - ohne zureichenden Grund be-
schnitten würde. Das gilt umso mehr, als dem Kopfprinzip gegenüber anderen
Kriterien der Stimmkraft keineswegs ein überragender Gerechtigkeitsgehalt
beigemessen werden kann (Derleder, ZWE 2008, 253, 256; vgl. auch Senat,
Urteil vom 28. Oktober 2011 - V ZR 253/10, BGHZ 191, 245 Rn. 12). Im Übri-
gen bietet die Beschlussmängelklage einen ausreichenden Schutz gegen majo-
risierende Beschlüsse (Senat, Urteil vom 28. Oktober 2011 - V ZR 253/10,
BGHZ 191, 245 Rn. 12; Beschluss vom 19. September 2002 - V ZB 30/02,
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BGHZ 152, 46, 53 u. 61 f.), die insbesondere unter dem Blickwinkel der Willkür,
des Rechtsmissbrauchs oder einer unbilligen Benachteiligung Einzelner (Senat,
Urteil vom 16. September 2011 - V ZR 3/11, NJW-RR 2011, 1646 Rn. 8 u. 13)
ordnungsmäßiger Verwaltung (§ 16 Abs. 3 WEG) widersprechen.
c) Aus § 16 Abs. 5 WEG, wonach die Befugnisse im Sinne der Absätze 3
und 4 durch Vereinbarung der Wohnungseigentümer weder eingeschränkt noch
ausgeschlossen werden können, ergibt sich schon deshalb nichts anderes, weil
§ 16 Abs. 3 WEG - wie bereits dargelegt - keine Regelung zur Stimmkraft ent-
hält (ebenso zu der vergleichbaren Problematik bei § 26 Abs. 1 Satz 5 WEG
Senat, Urteil vom 28. Oktober 2011 - V ZR 253/10, aaO, Rn. 8).
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner
Göbel
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Blankenese, Entscheidung vom 04.09.2013 - 539 C 8/13 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 23.07.2014 - 318 S 106/13 -
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