Urteil des BGH vom 08.05.2015

Leitsatzentscheidung zu Treu Und Glauben, Wohnraum, Verwirkung, Einheit

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 178/14
Verkündet am:
8. Mai 2015
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WEG § 15 Abs. 3; BGB § 199 Abs. 1 und 5
Wird eine Teileigentumseinheit zweckwidrig als Wohnraum genutzt, verjährt der
Unterlassungsanspruch der übrigen Wohnungseigentümer nicht, solange diese
Nutzung anhält; dies gilt unabhängig davon, ob der Sondereigentümer selbst oder
dessen Mieter Nutzer ist.
WEG § 15 Abs. 3; BGB § 242
Der Anspruch der Wohnungseigentümer auf Unterlassung der langjährigen
zweckwidrigen Nutzung einer Teileigentumseinheit als Wohnraum ist in der Regel
jedenfalls dann nicht verwirkt, wenn in jüngerer Zeit eine Neuvermietung zu
Wohnzwecken erfolgt ist.
BGH, Urteil vom 8. Mai 2015 - V ZR 178/14 - LG Frankfurt am Main
AG Wiesbaden
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Mai 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Brückner und Weinland und den
Richter Dr. Göbel
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des
Landgerichts Frankfurt vom 25. Juni 2014 wird auf Kosten des
Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Dem
Beklagten steht das Teileigentum Nr. 1 (Souterrain) und das Sondereigentum
an der Wohnung Nr. 2 (Erdgeschoss) zu, der Klägerin seit dem Jahr 2007 das
Sondereigentum an den Wohnungen Nr. 3 (Obergeschoss) und Nr. 4
(Dachgeschoss). Das Teileigentum Nr. 1 ist in der Teilungserklärung
ausgewiesen als „Räumlichkeiten im Souterrain bestehend aus drei
Hobbyräumen, Vorratskeller, Flur und einem weiteren Kellerraum“. Der
Beklagte vermietet diese Einheit als Wohnraum. Nach dem Jahr 2007 erfolgten
zwei Neuvermietungen.
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Das Amtsgericht hat den Beklagten - soweit von Interesse -
antragsgemäß dazu verurteilt, es zu unterlassen, die Einheit Nr. 1 als
Wohnraum zu nutzen oder nutzen zu lassen. Die hiergegen gerichtete Berufung
ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung
die Klägerin beantragt, will der Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZMR
2014, 1001 ff. abgedruckt ist, stützt den Unterlassungsanspruch auf § 1004
Abs. 1 BGB. Es lässt dahinstehen, ob die Einheit Nr. 1 - wie es der Beklagte
behauptet - seit Anfang der Achtziger Jahre durchgehend als Wohnraum
genutzt wird. Die Nutzung von Hobbyräumen zu nicht nur vorübergehenden
Wohnzwecken sei unzulässig. Da der Verstoß andauere, erhebe der Beklagte
ohne Erfolg die Einrede der Verjährung. Auch eine Verwirkung des Anspruchs
sei nicht eingetreten. Diese binde zwar im Grundsatz auch einen
Sonderrechtsnachfolger. Es fehle aber sowohl an dem erforderlichen Zeit- als
auch an dem Umstandsmoment. Das Zeitmoment setze eine ununterbrochene,
dauerhafte Einwirkung voraus. Eine solche sei jedenfalls deshalb nicht
gegeben, weil noch in jüngster Zeit zwei Neuvermietungen stattgefunden hätten
und jede Vermietung eine neue Störung darstelle. Aus dem gleichen Grund sei
das Umstandsmoment zu verneinen. Ein schutzwürdiges Vertrauen des
Beklagten bestehe nicht. Dieser habe nicht davon ausgehen können, dass
künftige Störungen geduldet würden.
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II.
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet bejaht das
Berufungsgericht die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs. Der
Sache nach sieht es die Regelung in der Teilungserklärung, wonach die Räume
im Souterrain als Hobbyräume, Vorratskeller, Flur bzw. Kellerraum dienen, als
Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter an. Die Nutzung solcher
Nebenräume zu nicht nur vorübergehenden Wohnzwecken ist jedenfalls dann
nicht gestattet, wenn sie - wie hier - die Anlage um eine weitere Wohneinheit
vergrößert (näher Senat, Urteil vom 16. Mai 2014 - V ZR 131/13, NJW 2014,
2640 Rn. 7; vgl. auch Beschluss vom 4. Dezember 2014 - V ZB 7/13, GE 2015,
523 Rn. 10, jeweils mwN). Dies begründet einen Unterlassungsanspruch der
übrigen Wohnungseigentümer sowohl aus § 1004 Abs. 1 BGB als auch aus
§ 15 Abs. 3 WEG, und zwar gemäß § 14 Nr. 2 WEG auch bei einer
Gebrauchsüberlassung an Dritte (vgl. nur Senat, Urteil vom 16. Mai 2014
- V ZR 131/13, NJW 2014, 2640 Rn. 11 mwN).
2. Rechtlicher Nachprüfung hält es im Ergebnis auch stand, dass das
Berufungsgericht die Voraussetzungen der Verjährung verneint. Für den Beginn
der Verjährung kommt es gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 BGB neben den
subjektiven Voraussetzungen auf die Zuwiderhandlung an. Bei der Nutzung
einer Sondereigentumseinheit in einer der Teilungserklärung widersprechenden
Weise ist allerdings streitig, was hierunter zu verstehen ist.
a) Teilweise wird die maßgebliche Zuwiderhandlung, mit der die
Verjährungsfrist für den Unterlassungsanspruch zu laufen beginnt, in dem
Beginn der Nutzung gesehen. Die Störung setze sich jedenfalls bei
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gleichbleibender Qualität der Nutzung lediglich fort (Jacoby, ZWE 2012, 70,
74 f.; ähnlich LG Saarbrücken, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - 5 T 48/08,
juris Rn. 58 ff.). Eine zweckwidrige Wohnnutzung durch Mieter begründe selbst
dann
keinen
neuen
Anspruch,
wenn
ein
Mieterwechsel
stattfinde
(LG Saarbrücken, aaO, Rn. 71 ff.).
b) Überwiegend wird die zweckwidrige Nutzung zwar ebenfalls als
Dauerhandlung angesehen, aber eine gegenteilige Schlussfolgerung gezogen.
Solange die Nutzung anhalte, könne die Verjährungsfrist nicht in Gang gesetzt
werden (LG Hamburg, ZWE 2014, 31, 33; Schultzky in Jennißen, WEG, 4. Aufl.,
§ 15 Rn. 134; Kümmel in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 11. Aufl.,
§ 15 Rn. 47; Klein in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 13 Rn. 105). Teilweise wird
die fortlaufende Nutzung auch als wiederholte Handlung angesehen, die jeweils
neue
(nicht
verjährte)
Unterlassungsansprüche
auslöse
(Riecke/
Schmid/Abramenko, WEG, 4. Aufl., § 15 Rn. 31; ähnlich Timme/Dötsch, WEG,
2. Aufl., § 15 Rn. 151).
c) Der Senat hat sich der letzteren Auffassung bereits in einer
Fallkonstellation angeschlossen, in der es um eine auf einzelne Räume der
Wohnung beschränkte zweckwidrige Nutzung durch den Sondereigentümer
selbst ging (Beschluss vom 16. Juni 2011 - V ZA 1/11, ZfIR 2011, 757 Rn. 7).
Die Verjährung tritt auch dann nicht ein, wenn und solange eine
Sondereigentumseinheit - wie hier - insgesamt zweckwidrig genutzt wird.
Insoweit kann dahinstehen, ob eine einheitliche Dauerhandlung den
rechtswidrigen Zustand fortlaufend aufrechterhält und die Frist deshalb nicht in
Gang gesetzt wird, oder ob wiederholte Störungen jeweils neue Ansprüche
begründen. Jedenfalls liegt der Schwerpunkt der Störung nicht vornehmlich in
der Aufnahme der zweckwidrigen Nutzung. Die übrigen Wohnungseigentümer
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werden in gleicher Weise dadurch beeinträchtigt, dass die Nutzung - sei es
auch in gleichbleibender Qualität - aufrechterhalten wird.
d) Ob die zweckwidrige Nutzung durch den Sondereigentümer selbst
oder durch dessen Mieter erfolgt, ist verjährungsrechtlich unerheblich. Hierfür
spricht schon die Regelung des § 14 Nr. 2 WEG, aus der sich ergibt, dass der
Wohnungseigentümer für den dort genannten Personenkreis in gleicher Weise
wie für eine eigene Nutzung einzustehen hat. Darüber hinaus erschöpft sich die
Störung nicht in der Gebrauchsüberlassung; vielmehr ist davon auszugehen,
dass der vermietende Wohnungseigentümer auch nach diesem Zeitpunkt in der
Lage ist, die weitere Störung zu verhindern (näher Senat, Urteil vom
16. Mai 2014 - V ZR 131/13, NJW 2014, 2640 Rn. 12 ff. mwN). Ohnehin haben
hier - ohne dass es darauf in diesem Zusammenhang entscheidend ankäme - in
unverjährter
Zeit
weitere
Gebrauchsüberlassungen
im
Rahmen
der
Neuvermietungen stattgefunden.
3. Rechtsfehlerfrei verneint das Berufungsgericht schließlich die
Verwirkung des Anspruchs.
a) Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit
seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung
darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr
geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu
und Glauben verstößt (st. Rspr., vgl. nur Senat, Urteil vom 21. Oktober 2005
- V ZR 169/04, NJW-RR 2006, 235 Rn. 10). An dem sogenannten Zeitmoment
fehlt es in der Regel, wenn eine wiederholte Störung einen neuen Anspruch
auslöst (Senat, Urteil vom 21. Oktober 2005 - V ZR 169/04, aaO Rn. 11).
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b) Letzteres nimmt das Berufungsgericht mit überzeugender Begründung
an. Nach dem Jahr 2007 erfolgten zwei Neuvermietungen zu Wohnzwecken.
Jedenfalls eine solche Neuvermietung stellt in der Regel aus Sicht aller
Beteiligten eine Zäsur dar (vgl. auch Senat, Urteil vom 21. Oktober 2005
- V ZR 169/04, aaO Rn. 11). Der vermietende Wohnungseigentümer setzt eine
neue Willensentscheidung hinsichtlich einer zweckwidrigen Nutzung um. Die
übrigen Wohnungseigentümer haben Anlass, für die Zukunft eine der
Teilungserklärung entsprechende Nutzung einzufordern, auch wenn sie hiervon
zuvor - etwa aus Rücksicht auf das bestehende Mietverhältnis - Abstand
genommen haben. Hinsichtlich des auf die derzeitige Vermietung bezogenen
Unterlassungsanspruchs fehlt es zudem, wie das Berufungsgericht zutreffend
hervorhebt, neben dem Zeitmoment auch an dem Umstandsmoment. Der
Beklagte konnte nicht davon ausgehen, dass solche eigenständigen Störungen
auch in der Zukunft geduldet würden. Selbst wenn hinsichtlich der auf die
früheren Vermietungen bezogenen Unterlassungsansprüche die Verwirkung
eingetreten wäre, stünde dies einer im Grundbuch vollzogenen Änderung der in
der Teilungserklärung enthaltenen Zweckbestimmung nicht gleich.
c)
Ob
die
Verwirkung
während
eines
lange
andauernden
Mietverhältnisses eintreten kann, bedarf ebenso wenig einer Entscheidung wie
die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sie auch den
Sonderrechtsnachfolger bindet (vgl. zu einem langjährig andauernden
Mietverhältnis in einem besonders gelagerten Einzelfall Senat, Beschluss vom
25. März 2010 - V ZR 159/09, ZWE 2010, 266 f.).
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland
Göbel
Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 07.12.2012 - 92 C 7239/10-81 -
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 25.06.2014 - 2-13 S 18/13 -
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