Urteil des BGH vom 04.03.2011

Leitsatzentscheidung zu Negatives Schuldanerkenntnis, Verwalter, Entlastung, Reparatur, Verwaltung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 156/10
Verkündet am:
4. März 2011
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
WEG § 28 Abs. 3
a) In die Jahresabrechnung sind auch solche Ausgaben einzustellen, die der Verwal-
ter unberechtigterweise aus Mitteln der Gemeinschaft getätigt hat.
b) Maßgeblich für die Umlegung der Kosten in den Einzelabrechnungen ist der je-
weils einschlägige Verteilungsschlüssel, wie er sich aus einer Vereinbarung, einem
Beschluss nach § 16 Abs. 3, 4 WEG, aus § 16 Abs. 2 WEG oder einer gerichtli-
chen Entscheidung ergibt. Steht ein Ersatzanspruch gegen einen Wohnungseigen-
tümer in Rede, rechtfertigt dies nur dann eine von dem einschlägigen Umlage-
schlüssel abweichende Kostenverteilung, wenn der Anspruch tituliert ist oder sonst
feststeht.
BGH, Urteil vom 4. März 2011 - V ZR 156/10 - LG Karlsruhe
AG
Bruchsal
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. März 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Schmidt-Räntsch und
Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 11. Zivilkammer
des Landgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 2010 unter Zurückwei-
sung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit
aufgehoben, als in den zu TOP 2 auf der Eigentümerversammlung
vom 19. Juli 2008 beschlossenen Einzelabrechnungen Kosten für
die Reparatur eines Fensters der Wohnung Nr. 34 auf die Woh-
nungseigentümer umgelegt werden.
Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung der Beklagten gegen
das Urteil des Amtsgerichts Bruchsal vom 5. Dezember 2008 zu-
rückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtstreits erster Instanz tragen der Kläger
4/5 und die Beklagten 1/5. Die Kosten beider Rechtsmittelverfah-
ren und die der Nebenintervention trägt der Kläger alleine.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Parteien sind die Mitglieder der im Rubrum näher bezeichneten Woh-
nungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 19. Juli
2008 wurden verschiedene Beschlüsse gefasst. Soweit hier von Interesse wur-
den zu dem Tagesordnungspunkt (TOP) 2 die Abrechnungen für das Wirt-
schaftsjahr 2007 und zu TOP 3 die Entlastung des Verwaltungsbeirates und der
Verwalterin beschlossen. Das Amtsgericht hat der gegen beide Beschlüsse ge-
richteten Anfechtungsklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten, mit der
diese nur noch die Abweisung der Klage hinsichtlich des Beschlusses zu TOP 2
beantragt haben, ist erfolgreich gewesen. Die Revision hat das Landgericht zur
Klärung der Frage zugelassen, "ob und in welchen Fällen die Berücksichtigung
von tatsächlich getätigten, aber unberechtigten Ausgaben in der Jahresabrech-
nung dazu führt, dass die darauf beruhenden Einzelabrechnungen für ungültig
zu erklären sind". Der Kläger möchte mit der Revision eine Wiederherstellung
des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Beklagten beantragen die Zurück-
weisung des Rechtsmittels.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die zu TOP 2 beschlossene Jah-
resabrechnung sei mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung
vereinbar. Zwar seien die Kosten für die Reparatur einer Außenglasscheibe der
Wohnung Nr. 34 nach § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung alleine von dem
Eigentümer dieser Eigentumswohnung zu tragen. Auch hätte die Verwalterin
weder die Errichtung von Trennwänden in den Kellerräumen noch die Reini-
gung der Fassade (Entfernung von Efeu) veranlassen dürfen. Beide Maßnah-
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men hätten - da nicht dringlich - nur mit vorheriger Beschlussfassung der
Eigentümerversammlung ergriffen werden dürfen. Dies ändere jedoch nichts
daran, dass die für diese Maßnahmen angefallenen Kosten in die Jahresab-
rechnung aufzunehmen seien. Ob die Maßnahmen zu Recht veranlasst worden
seien, sei unerheblich. Entscheidend sei, dass die Rechnungen tatsächlich aus
dem Gemeinschaftsvermögen beglichen worden seien. Da die Liquidität und die
Planungssicherheit der Gemeinschaft nicht gefährdet werden dürfe, sei es auch
nicht geboten, die Einzelabrechnungen hinsichtlich der unberechtigten Kosten
für ungültig zu erklären, um den Wohnungseigentümern die Gelegenheit zu ge-
ben, diese Kosten neu zu verteilen oder über deren Übernahme durch die Ge-
meinschaft zu beschließen. Sei ein Wohnungseigentümer der Auffassung, er
werde unberechtigterweise mit Kosten belastet, könne er die Entlastung der
Verwaltung anfechten.
II.
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung ganz
überwiegend stand.
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1. Infolge der zulässigerweise beschränkten Zulassung der Revision (vgl.
Urteil vom 16. Juli 2010 - V ZR 217/09, juris Rn. 7 ff., insoweit in NJW 2010,
3158 nicht abgedruckt) konnte dem Senat die Sache nur anfallen, soweit Posi-
tionen betroffen sind, bei denen die im Tatbestand referierte und nach Auffas-
sung des Berufungsgerichts klärungsbedürftige Rechtsfrage eine Rolle gespielt
hat. Auf diese Positionen hat sich die Revision denn auch folgerichtig be-
schränkt.
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2. In der Sache ist der Beschluss zu TOP 2 lediglich mit Blick auf die in
den Einzelabrechnungen umgelegten Kosten für die Reparatur der Außenglas-
scheibe in der Wohnung Nr. 34 für ungültig zu erklären; im Übrigen ist die Revi-
sion unbegründet.
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a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass in die Jahres-
gesamtabrechnung auch solche Ausgaben einzustellen sind, die der Verwalter
unberechtigterweise aus Mitteln der Gemeinschaft getätigt hat (BGH, Urteil vom
6. März 1997 - III ZR 248/96, ZfIR 1997, 284, 287; BayObLG, NJW-RR 2004,
1090; jeweils mwN). Nur so ist sichergestellt, dass die Wohnungseigentümer
die Vermögenslage der Wohnungseigentümergemeinschaft erfassen, die Jah-
resabrechnung auf ihre Plausibilität (Senat, Urteil vom 4. Dezember 2009
- V ZR 44/09, NJW 2010, 2127, 2129) und ggf. auch darauf hin überprüfen kön-
nen, was mit den eingezahlten Mitteln geschehen ist (BayObLG, NJW-RR
1431, 1432) und ob Regressansprüche gegen den Verwalter oder sonstige
Personen in Betracht kommen und ob diese gerichtlich durchgesetzt werden
sollen. Eine solche Prüfung wäre zumindest deutlich erschwert, wenn unbe-
rechtigt getätigte Ausgaben in die Gesamtabrechnung nicht eingestellt würden
(zutreffend KG, NZM 2006, 108).
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b) Auch bei den Einzelabrechnungen sind unberechtigt getätigte Ausga-
ben zu berücksichtigen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist darauf an-
gewiesen, dass alle tatsächlichen Belastungen nach dem jeweils einschlägigen
Verteilungsschlüssel umgelegt werden, weil ansonsten die Sicherung der Liqui-
dität und die Planungssicherheit der Gemeinschaft in nicht hinnehmbarer Weise
in Mitleidenschaft gezogen würden. Lassen sich Ansprüche gegen den jeweili-
gen Schuldner durchsetzen, fließen der Gemeinschaft die vereinnahmten Gel-
der in einem späteren Abrechnungszeitraum wieder zu. Es liegt daher im wohl-
verstandenen Interesse der Wohnungseigentümer, dass auch unberechtigte
Belastungen des Gemeinschaftsvermögens möglichst kurzfristig umgelegt wer-
den (vgl. OLG Hamm, ZMR 2008, 60, 62). Das gilt umso mehr, als durch die
Beschlussfassung über die Jahresabrechnungen die Rechtsstellung der Ge-
meinschaft gegenüber möglichen Regressschuldnern nicht beeinträchtigt wird.
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Bei (Regress-)Ansprüchen gegen den Verwalter gilt nichts anderes. Die
Genehmigung der Jahresabrechnungen durch die Wohnungseigentümerver-
sammlung enthält keine konkludente Billigung der von dem Verwalter getätigten
Ausgaben (vgl. BayObLG, NZM 2004, 385). Auch ist eine Beschlussfassung
über die Entlastung nicht Voraussetzung für die Geltendmachung von Ansprü-
chen gegen den Verwalter; allenfalls steht eine erteilte Entlastung als negatives
Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB) der Geltendmachung von Ansprüchen
entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1997 - III ZR 248/96, ZfIR 1997, 284,
287). BGH, aaO; Jennißen in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 28 Rn. 187). Darauf
kommt es hier jedoch nicht an, weil der die Verwalterin entlastende Beschluss
zu TOP 3 bereits rechtskräftig für ungültig erklärt worden ist. Daher wird sich die
Wohnungseigentümergemeinschaft jedenfalls auf Antrag zumindest eines
Wohnungseigentümers mit der Frage des Regresses gegen die Verwalterin zu
befassen haben (vgl. auch OLG Hamm, ZMR 2008, 62; KG, NZM 2006, 108).
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c) In den Einzelabrechnungen sind die Kostenpositionen auf die Woh-
nungseigentümer umzulegen. Maßgeblich hierfür ist der jeweils einschlägige
Verteilungsschlüssel, wie er sich aus einer Vereinbarung, einem Beschluss
nach § 16 Abs. 3, 4 WEG, aus § 16 Abs. 2 WEG oder einer gerichtlichen Ent-
scheidung ergibt. Steht ein Ersatzanspruch gegen einen Wohnungseigentümer
in Rede, rechtfertigt dies nur dann eine hiervon abweichende Kostenverteilung,
wenn der Anspruch tituliert ist oder sonst feststeht, etwa weil er von dem betref-
fenden Wohnungseigentümer anerkannt worden ist (weitergehend KG, NZM
2006, 108; Merle in Bärmann, aaO, § 28 Rn. 86 mwN). Dagegen erscheint es
nicht sachgerecht, das Verfahren über die Anfechtung von Beschlüssen über
die Jahresabrechnung mit dem Streit über das Bestehen materiellrechtlicher
Ersatzansprüche gegen Wohnungseigentümer zu betrachten. Das gilt umso
mehr, wenn für eine Berücksichtigung materiellrechtlicher Ansprüche sogar ver-
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langt wird, dass jedenfalls bei der Beschlussfassung "in nachvollziehbarer und
nachprüfbarer Weise die tatsächliche und rechtliche Grundlage der Forderung
dargelegt" wird (so wohl OLG Hamm, ZWE 2009, 441, 443 f.), weil ansonsten
Beschlussanfechtungen provoziert würden.
Gemessen daran, ist die Umlage der für die Errichtung der Trennwände
und für die Reinigung der Fassade aufgewendeten Kosten nicht zu beanstan-
den; ohnehin kommen Ersatzansprüche vorliegend nicht gegen Wohnungsei-
gentümer, sondern nur gegen die Verwalterin in Betracht. Anders verhält es
sich bei den Kosten für den Austausch der Scheibe in der Wohnung Nr. 34.
Nach der - rechtlich unbedenklichen - Regelung in § 10 Abs. 3 der Teilungser-
klärung sind derartige Kosten von dem jeweiligen Wohnungseigentümer zu tra-
gen. Diese Bestimmung geht dem allgemeinen Umlageschlüssel vor. Daher
sind sämtliche Einzelabrechnungen - beschränkt auf die fehlerhaft umgelegte
Position (vgl. Senat, Beschluss vom 15. März 2007 - V ZB 1/06, BGHZ 171,
335, 339) - für ungültig zu erklären (vgl. nur Jennißen in Jennißen, aaO, § 28
Rn. 154; Spielbauer/Then, WEG, § 28 Rn. 85).
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1,
§ 97 Abs. 1 und § 101 ZPO.
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Krüger Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Bruchsal, Entscheidung vom 05.12.2008 - 2 C 248/08 -
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 30.06.2010 - 11 S 14/09 -