Urteil des BGH vom 18.02.2016

Ablauf der Frist, Übermittlung, Anweisung, Berufungsfrist

ECLI:DE:BGH:2016:180216BVZB86.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 86/15
vom
18. Februar 2016
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Februar 2016
durch
die
Vorsitzende
Richterin
Dr. Stresemann,
die
Richterinnen
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die
Richterin Haberkamp
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des
Oberlandesgerichts Bamberg - 4. Zivilsenat - vom 8. Mai 2015
aufgehoben.
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungs-
gericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
63.158,55 €.
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Gründe:
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagten Sachmängelansprüche nach Ab-
schluss eines Grundstückskaufvertrages geltend. Das Landgericht hat die Kla-
ge durch das dem Kläger am 28. Januar 2015 zugestellte Urteil abgewiesen.
Am 2. März 2015 (Montag) sind bei dem Oberlandesgericht per Telefax die ers-
te Seite einer zweiseitigen Berufungsschrift sowie eine zehnseitige Abschrift
des Urteils des Landgerichts eingegangen. Die zweite Seite des Berufungs-
schriftsatzes, die u.a. die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Klägers
aufwies, fehlte. Am 4. März 2015 ging der Berufungsschriftsatz im Original und
vollständig bei dem Oberlandesgericht ein. Nachdem der Vorsitzende den Klä-
ger mit Verfügung vom 3. März 2015 auf den unvollständigen Faxeingang und
die Absicht, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hingewiesen hatte, hat
dieser mit Schriftsatz vom 10. März 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat sich der Prozess-
bevollmächtigte des Klägers darauf berufen, die Kanzleiangestellte R. be-
auftragt zu haben, den Berufungsschriftsatz an das Oberlandesgericht per Tele-
fax zu versenden. Er habe sie angewiesen, das Sendeprotokoll auszudrucken
und darauf zu überprüfen, ob der Originalschriftsatz vollständig und ordnungs-
gemäß übermittelt worden sei. Sodann habe sie ihn über den Erfolg oder das
Fehlschlagen der Übermittlung unterrichten sollen. Frau R. habe
nach Übermittlung des Schriftsatzes nebst Urteilsabschrift den Sendebericht
ausgedruckt und überprüft. Sie sei davon ausgegangen, dass der Berufungs-
schriftsatz nebst Urteil vollständig beim Oberlandesgericht eingegangen sei.
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Anschließend habe sie den Rechtsanwalt von der ordnungsgemäßen Übermitt-
lung des Berufungsschriftsatzes informiert und die Frist im elektronischen Fris-
tenkontrollsystem gestrichen. Es handele sich bei Frau R. um eine aus-
gebildete und geprüfte Rechtsanwaltsfachangestellte, die seit 2000 in der Kanz-
lei arbeite und bislang alle Weisungen stets sorgfältig, zuverlässig und fehlerlos
ausgeführt habe.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewie-
sen und die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts als unzulässig verwor-
fen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, deren Zurück-
weisung die Beklagten beantragen.
II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung als unzulässig zu
verwerfen, da eine ordnungsgemäße Berufungsschrift erst nach Ablauf der Frist
des § 517 ZPO eingegangen sei und die Voraussetzungen für eine Wiederein-
setzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO nicht vorlägen. Der Kläger ha-
be ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm gemäß § 85
Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, nicht ausgeräumt. Seiner Pflicht zur wirksamen
Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze genüge ein Rechtsanwalt nur,
wenn er seine Angestellten anweise, nach einer Übermittelung per Telefax an-
hand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und
an den richtigen Empfänger erfolgt sei. Dabei sei auch ein Vergleich der Anzahl
der zu übermittelnden Seiten mit den laut Sendeprotokoll versandten Seiten
anzuordnen. Hieran fehle es vorliegend. Weder gebe es eine entsprechende
allgemeine Weisung noch sei die der Kanzleiangestellten R. erteilte Ein-
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zelanweisung ausreichend. Eine ausdrückliche Anweisung, die Seitenzahlen
abzugleichen, werde nämlich nicht behauptet. Eine entsprechende Anweisung
lasse sich auch den Angaben der Kanzleiangestellten R. in der vorgeleg-
ten eidesstattlichen Versicherung nicht entnehmen.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO,
§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen
zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Ent-
scheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt 2 ZPO), weil
das Berufungsgericht die Anforderungen an das, was eine Partei veranlasst
haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, über-
spannt und dadurch den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen
Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip)
verletzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151,
221, 227 f.; BGH, Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014,
700 Rn. 5 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Auffassung
des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiederein-
setzung gegen die versäumte Berufungsfrist (§ 233 ZPO) lägen nicht vor, ist
rechtsfehlerhaft.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der
Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender
Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermitt-
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lung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermitt-
lung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die
Frist im Fristenkalender gestrichen werden (BGH, Beschluss vom 13. Juni 1996
- VII ZB
13/96,
NJW 1996,
2513;
Beschluss
vom
14. Mai
2008
- XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 11; Beschluss vom 29. Juni 2010
- VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8; Beschluss vom 31. Oktober 2012
- III ZB 51/12, juris Rn. 6). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss
sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder
- in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben (BGH, Be-
schluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 12).
b) Hier hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers seiner Angestellten
die Einzelanweisung erteilt, das Sendeprotokoll darauf zu überprüfen, ob der
Originalschriftsatz vollständig und ordnungsgemäß übermittelt worden ist. So-
weit es um die - vorliegend allein interessierende - Überprüfung der Vollstän-
digkeit der Übermittlung geht, war hiermit in hinreichendem Umfang für eine
wirksame Ausgangskontrolle gesorgt. Entgegen der Auffassung des Beru-
fungsgerichts bedurfte es nicht einer zusätzlichen, ausdrücklichen Anweisung,
die Anzahl der zu übermittelnden mit den laut Sendeprotokoll versandten Seiten
zu vergleichen. Es versteht sich vielmehr von selbst und bedarf keiner aus-
drücklichen Erwähnung, dass die von einem Rechtsanwalt angeordnete Voll-
ständigkeitsprüfung anhand des Sendeprotokolls nur in der Weise möglich ist,
dass die Seitenzahlen abgeglichen werden. Dies muss jedenfalls für die Fälle
gelten, in denen eine solche Anweisung an eine - wie hier - erfahrene Angestell-
te erfolgt, die bislang stets sorgfältig, zuverlässig und fehlerlos die Arbeiten in
der Kanzlei ausgeführt hat und über eine entsprechende Ausbildung verfügt.
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Ein Rechtsanwalt darf davon ausgehen, dass eine solche Angestellte die
Anweisung, die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax auf
Vollständigkeit zu prüfen, nicht dahingehend missversteht, hierfür genüge be-
reits der bloße OK-Vermerk im Faxprotokoll ohne Abgleichung der in dem Sen-
deprotokoll angezeigten Seiten mit denjenigen des Originalschriftsatzes. Ver-
schuldensmaßstab ist nicht die äußerste und größtmögliche Sorgfalt, sondern
die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt (BGH,
Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122 Rn. 12). Die-
se hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gewahrt.
c) Aus den von dem Berufungsgericht zitierten Entscheidungen anderer
Senate des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts anderes. Soweit der III. Zivil-
senat in dem Beschluss vom 31. Oktober 2012 (III ZB 51/12, juris Rn. 6) ver-
langt, es sei ein Vergleich der Anzahl der zu übermittelnden mit den laut Sen-
deprotokoll versandten Seiten anzuordnen, entspricht dies der Sache nach der
Auffassung des Senats. In der Anweisung, die Vollständigkeit der Übermittlung
anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ist nämlich eine solche Anordnung
des Seitenabgleichs konkludent enthalten. Dass ein solcher Seitenabgleich von
dem Rechtsanwalt zusätzlich neben der Anweisung der Vollständigkeitsprüfung
anzuordnen sein soll, ergibt sich auch nicht aus den von dem III. Zivilsenat in
Bezug genommenen Beschlüssen des XII. Zivilsenats vom 14. Mai 2008
(XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 14) und des VII. Zivilsenats vom
13. Juni 1996 (VII ZB 13/96, NJW 1996, 2513). Vielmehr wird in beiden Ent-
scheidungen maßgeblich auf die Überprüfung der Vollständigkeit der Übermitt-
lung anhand des Sendeprotokolls abgestellt. Dies gilt auch für den von dem
Berufungsgericht zusätzlich angeführten Beschluss des VI. Zivilsenats vom
29. Juni 2010 (VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8).
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IV.
Der Senat kann nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO in der Sache selbst ent-
scheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Aufgrund der
dargelegten und glaubhaft gemachten Umstände liegt kein dem Kläger nach
§ 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden vor. Da auch die übrigen
Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung vorliegen, ist dem Wie-
dereinsetzungsgesuch stattzugeben.
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
LG Hof, Entscheidung vom 23.01.2015 - 12 O 345/13 -
OLG Bamberg, Entscheidung vom 08.05.2015 - 4 U 33/15 -
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