Urteil des BGH vom 11.06.2015

Unverletzlichkeit der Wohnung, Messung, Belastung, Zugang

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V Z B 7 8 / 1 4
vom
11. Juni 2015
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Juni 2015 durch die Vor-
sitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch,
den Richter Dr. Roth, die Richterin Dr. Brückner und den Richter Dr. Göbel
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 55
des Landgerichts Berlin vom 8. April 2014 wird auf Kosten des
Klägers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
1.165,45 €.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Be-
schlüsse der Wohnungseigentümer vom 16. Februar 2013 abgewiesen, einen
Sachverständigen zu Lasten der Instandhaltungsrücklage bis zum einem Betrag
von 1.500 € für die Messung der Trittschalldämmung zwischen der Dachge-
schosswohnung des Klägers und den Wohnungen des 3. Obergeschosses zu
beauftragen und einem anderen Eigentümer die Kosten einer Trittschallmes-
sung von 618,80 € zu erstatten. Die frist- und formgerecht eingelegte und be-
gründete Berufung hat das Landgericht durch Beschluss als unzulässig verwor-
fen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, mit welcher er
1
- 3 -
die Durchführung der Berufung erreichen will. Die Beklagten beantragen, das
Rechtsmittel zurückzuweisen.
II.
Das Berufungsgericht meint, die nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderli-
che Beschwer
von mehr als 600 € sei nicht erreicht. Maßgeblich sei, in wel-
chem Umfang allein der Kläger durch die Beschlüsse beschwert sei. Dieser Be-
trag übersteige 600
€ nicht. Etwas anderes lasse sich auch nicht aus etwaigen
Ersatzansprüchen gegen den Kläger, der das Dachgeschoss ausgebaut habe,
aus der Notwendigkeit, zur Durchführung der Messungen seine Wohnung zu
betreten, oder daraus ableiten, dass bei den Messungen auch Bauteilöffnungen
erforderlich werden könnten. Dies sei nicht Gegenstand der angefochtenen Be-
schlüsse.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
1. Sie ist zwar statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1
Satz 4 ZPO). Zulässig ist sie aber nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer ein-
heitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts
erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
2. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2
Fall 2 ZPO) erfordert, anders als der Kläger meint, eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts nicht. Eine solche Entscheidung ist auch nicht des-
2
3
4
5
- 4 -
halb geboten, weil das Berufungsgericht überzogene Anforderungen an die
Darlegung der Beschwer gestellt und dem Kläger den Zugang zu der an sich
gegebenen Berufung unzumutbar erschwert hätte (vgl. dazu: Senat, Beschluss
vom 3. Mai 2010 - V ZB 242/09, juris Rn. 4 mwN).
a) Eine solche unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der an sich
gegebenen Berufung kann in einem Fehler bei der Bemessung der Beschwer
liegen. Ein solcher Fehler liegt hier nicht vor.
aa) Voraussetzung dafür wäre, dass das Berufungsgericht die Grenzen
seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem
Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hät-
te. Denn die Bemessung der Beschwer kann auch in dem Verfahren über eine
aus anderen Gründen zulässige Rechtsbeschwerde nur in dieser Hinsicht über-
prüft werden (Senat, Beschlüsse vom 9. Juli 2004 - V ZB 6/04, NJW-RR 2005,
219, 220 und vom 20. Januar 2011 - V ZB 193/10, NZM 2011, 488 Rn. 8). Die-
ser Prüfung hält die angefochtene Entscheidung stand.
bb) Maßgebend für den Beschwerdewert (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) ist
auch in Wohnungseigentumssachen das Interesse des Berufungsklägers an
der Abänderung des angefochtenen Urteils, das unter wirtschaftlichen Ge-
sichtspunkten zu bewerten ist (Senat, Beschluss vom 9. Februar 2012
- V ZB 211/11, NZM 2012, 838 Rn. 4). Es kommt deshalb entscheidend auf die
Belastung des Klägers an, zu der die Umsetzung der angefochtenen Beschlüs-
se führt.
Dass seine finanzielle Belastung mit den durch die angefochtenen Be-
schlüsse ausgelösten Kosten den
Betrag von 600 € übersteigt, hat der Kläger
6
7
8
9
- 5 -
weder dargelegt noch, wie aber nach § 511 Abs. 3 ZPO erforderlich, glaubhaft
gemacht. Zu Recht hat das Berufungsgericht bei der Bemessung der Beschwer
die von dem Kläger im Zuge der Durchführung der Trittschallmessungen be-
fürchteten Beeinträchtigungen seines Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung
gemäß Art. 13 Abs. 1 GG und seines Sondereigentums durch Bauteilöffnungen
unberücksichtigt gelassen. Die beschlossene Messung wird zwar ein Betreten
der Wohnung des Klägers erforderlich machen, das notfalls nach § 14 Nr. 4
WEG erzwungen werden könnte. Der Kläger hat aber nicht, wie geboten, dar-
gelegt, wie seine Beeinträchtigung zu bemessen ist oder auf Grund welcher
tatsächlichen Anknüpfungspunkte sie geschätzt werden könnte. Die übrigen
Nachteile sind schon nicht Gegenstand der beiden Beschlüsse, die sich in der
Beauftragung der neuen Messung und der Erstattung von Kosten für eine ande-
re Untersuchung erschöpfen. Ob und in welchem Umfang es zu den befürchte-
ten weiteren Beeinträchtigungen kommt, bestimmt sich danach, wie die Unter-
suchung ausgeführt wird und welche Schlussfolgerungen die Wohnungseigen-
tümer aus dem Ergebnis der Messung ziehen. Dazu enthalten die angefochte-
nen Beschlüsse keinerlei Vorgaben.
Auch die Berücksichtigung der von dem Kläger beanstandeten Finanzie-
rung der Trittschallmessung aus der Instandhaltungsrücklage ergibt keine den
Betrag von 600 € übersteigende Beschwer. Das ideelle Interesse des Klägers
an einer zweckentsprechenden Verwendung dieser Rücklage erhöht seine Be-
schwer nicht; sie bestimmt sich allein nach seiner persönlichen wirtschaftlichen
Belastung (dazu: Senat, Beschluss vom 15. Mai 2012 - V ZB 282/11, NJW-RR
2012, 1103 Rn. 7 für die Beanstandung des Wirtschaftsplans). Dass und in wel-
chem Umfang die Entnahme der Kosten aus der Instandhaltungsrücklage seine
persönlichen wirtschaftlichen Interessen über den seiner Kostenbelastung ent-
10
- 6 -
sprechenden Kostenanteil hinaus konkret beeinträchtigt, hat der Kläger weder
dargelegt noch glaubhaft gemacht.
b) Das Berufungsgericht hat dem Kläger den Zugang zu der an sich ge-
gebenen Berufung auch nicht dadurch unzumutbar erschwert, dass es die ge-
botene Entscheidung über die Zulassung der Berufung (vgl. Senat, Beschluss
vom 10. Mai 2012 - V ZB 242/11, WuM 2012, 402 Rn. 12) nicht nachgeholt hat.
aa) Die unterlassene Prüfung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nach-
zuholen, wenn die getroffenen Feststellungen - wie hier - eine solche Entschei-
dung erlauben (Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 72/11, NJW-RR
2012, 82 Rn. 7). Sie ergibt, dass ein Grund für die Zulassung der Berufung nicht
vorliegt. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des
Berufungsgerichts ist auch weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-
chung noch zur Fortbildung des Rechts erforderlich.
bb) Die von dem Kläger geltend gemachte Divergenz der angefochtenen
Entscheidung zu dem Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
25. Januar 2005 (3 Wx 326/04, OLGR 2005, 365, 366) liegt ersichtlich nicht vor.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte sich mit der Frage zu befassen, ob das
Honorar des amtierenden Verwalters aus der Instandhaltungsrücklage ent-
nommen werden darf. Hier geht es demgegenüber um die Kosten einer Tritt-
schallmessung, mit der festgestellt werden soll, ob und in welchem Umfang das
Gemeinschaftseigentum in dieser Hinsicht instandgesetzt werden muss. Der
Fall wirft deshalb entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht die grundsätzli-
che Frage auf, ob und unter welchen Voraussetzungen Sachverständigenkos-
ten generell aus der Instandhaltungsrückstellung bezahlt werden dürfen (inso-
weit verneinend: OLG Frankfurt/Main, MDR 1974, 848; Merle in Bärmann,
11
12
13
- 7 -
WEG, 12. Aufl., § 21 Rn. 156; Jennißen/Heinemann, WEG 4. Aufl., § 21 Rn. 97;
MüKoBGB/Engelhardt, 6. Aufl., § 21 WEG Rn. 35). Es geht allein um die von
Rechtsprechung und Literatur bislang, wie in der angefochtenen Entscheidung,
bejahte Frage, ob die Kosten für die Feststellung des Instandsetzungsbedarfs
aus der Instandhaltungsrückstellung bestritten werden dürfen (vgl. OLG Mün-
chen OLGR 2006, 330, 331; Sauren, WEG, 6. Aufl., § 21 Rn. 12I Stichwort
Zweckbindung; Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl., § 21 Rn. 64). Sie erfordert die
Zulassung der Berufung nicht.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung
des Gegenstandswerts des Rechtsbeschwerdeverfahrens beruht auf § 49a
Abs. 1 Sätze 1 und 2 GKG und entspricht dem Fünffachen des Eigeninteresses
14
- 8 -
des Klägers an der Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse sowohl zur neu-
en Trittschallmessung als auch zur Erstattung der Kosten der erfolgten.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner
Göbel
Vorinstanzen:
AG Neukölln, Entscheidung vom 17.09.2013 - 70 C 19/13 WEG -
LG Berlin, Entscheidung vom 08.04.2014 - 55 S 245/13 WEG -