Urteil des BGH vom 14.06.2012

Eigenbesitz, Grundbuch, Satzung, Ausschluss, Stadt

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 38/12
vom
14. Juni 2012
in dem Aufgebotsverfahren
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss
des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
vom 12. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
570.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die im Beschlusseingang aufgeführten Grundstücke bilden zusammen
den Markwald B. . Auf den zugehörigen Grundbuchblättern ist in Abtei-
lung I Spalte 2 (Eigentümer) jeweils folgendes eingetragen:
"Markgenossenschaft zu F. , G. , Be. und
H. und zwar:
A. die Markgenossen zu F. zu 57/100 Anteile
B. die Markgenossen zu G. zu 71/300 Anteile
C. die Markgenossen zu Be. zu 15/100 Anteile
D. die Markgenossen zu H. zu 13/300 Anteile"
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Nachfolgend sind die Markgenossen zu G. , H. und
Be. jeweils namentlich aufgeführt, nicht jedoch die zu F. .
In der Satzung der Markgenossenschaft vom 31. Januar 2008 heißt es,
dass der Markwald auf eine Schenkung des Landgrafen Heinrich II. im Jahr
1360 zurückgehe. Die Markgenossenschaft habe eigene Rechte und Pflichten.
Alle Markgenossen seien Miteigentümer des Markwaldes. Die Markgenossen
von F. seien im Einzelnen nicht bekannt und würden bis auf weiteres von
der Stadt Fe. - der Antragstellerin - vertreten. Sie hätten das Recht, ihr
Miteigentum formgerecht nachzuweisen und sich in das Grundbuch eintragen
zu lassen. Nach Ablauf von zwei Jahren sei die Stadt Fe. - soweit die ge-
setzlichen Voraussetzungen vorlägen - berechtigt, die unbekannten Markge-
nossen von F. im Wege des Aufgebotsverfahrens ausschließen zu las-
sen. Der anschließenden Eintragung der Stadt Fe. als Markgenosse im
Grundbuch werde zugestimmt.
Nach Ablauf der zweijährigen Frist hat die Antragstellerin beantragt, das
Aufgebotsverfahren zum Ausschluss der unbekannten Markgenossen von
F. durchzuführen. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen; die
dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag weiter.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die Antragstellerin habe nicht glaubhaft
gemacht, den Anteil der Markgenossen zu F. seit mindestens dreißig
Jahren im Eigenbesitz zu haben. Sie sei nach ihrem eigenen Vortrag bisher als
Vertreterin der unbekannten Markgenossen aufgetreten, also nicht wie ein Ei-
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gentümer. Ein Aufgebotsverfahren scheitere weiter daran, dass die Markgenos-
senschaft, welche rechts- und grundbuchfähig sei, im Grundbuch als Eigentü-
merin eingetragen sei. Auch soweit man nur auf die Anteile der Markgenossen
zu F. abstelle, seien Eigentümer im Grundbuch eingetragen, nämlich
diese Markgenossen. Dass sie tot oder verschollen seien, könne nicht festge-
stellt werden.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch
im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Es kann dahinstehen, wer materiell-rechtlich Eigentümer des Mark-
waldes Be. ist, die Markgenossenschaft oder die einzelnen Markgenos-
sen, und welches Gemeinschaftsverhältnis zwischen letzteren bestünde. Denn
das Beschwerdegericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstelle-
rin nicht antragsberechtigt ist, weil sie nicht glaubhaft gemacht hat, den Grund-
besitz - anteilig - seit dreißig Jahren im Eigenbesitz zu haben.
a) Nach § 443 FamFG, § 927 Abs. 1 Satz 1 BGB kann nur derjenige das
Aufgebot zum Ausschluss des Grundstückseigentümers beantragen, der das
Grundstück seit dreißig Jahren im Eigenbesitz hat. Eigenbesitzer ist nach § 872
BGB, wer eine Sache als ihm gehörend besitzt. Das Merkmal, das den Besitz
zum Eigenbesitz macht, ist mithin der Wille, die Sache wie ein Eigentümer zu
beherrschen; sein Ausdruck im Rechtsverkehr ist die Eigentumsbehauptung,
der Anspruch, die Sache selbständig und andere Personen ausschließend zu
besitzen (Senat, Urteil vom 29. März 1996 - V ZR 326/94, BGHZ 132, 245,
257).
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2. Eigenbesitz der Antragstellerin kann nach ihrem der Prüfung des
Rechtsbeschwerdegerichts allein unterliegenden Vortrag in den Tatsachenin-
stanzen, wie er sich aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung ergibt
(§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO), nicht festgestellt wer-
den. Denn danach hat die Antragstellerin die Rechte der unbekannten Markge-
nossen von F. seit unvordenklicher Zeit wahrgenommen. Diese Rechts-
wahrnehmung steht der Annahme von Eigenbesitz entgegen. Daran ändert
nichts, dass die wirtschaftliche Verwertung des Markwaldes gegenüber den
Bürgern von F. Sache der Antragstellerin war, und dass diese selbst ei-
nen Anteil am Holzertrag erhalten hat. Auch der Umstand, dass Einnahmen und
Lasten aus dem Markwald im Haushalt der Antragstellerin geführt und erfasst
wurden, spricht für sich allein nicht für Eigenbesitz der Antragstellerin. Dagegen
sprechen jedenfalls deutlich die Regelungen in § 2 Nr. 2 und in § 12 Nr. 1-3 der
Satzung der Markgenossenschaft vom 31. Januar 2008. Darin heißt es, dass
alle Markgenossen von F. , die im Einzelnen nicht bekannt sind, Miteigen-
tümer des Grundbesitzes sind und bis auf weiteres von der Antragstellerin, die
das Stimmrecht für sie ausübt, vertreten werden. Mit ihrer Zustimmung zu der
Satzung (vgl. deren § 14) hat die Antragstellerin zu erkennen gegeben, dass sie
den Grundbesitz - anteilig - nicht wie ein Eigentümer, sondern für andere besit-
zen will. Daran muss sie sich festhalten lassen, mag sie auch früher - wie 1962
in einem bei dem Verwaltungsgericht Kassel geführten Rechtsstreit - eine ande-
re Ansicht vertreten haben.
3. Für die Antragsberechtigung der Antragstellerin ist ein dreißigjähriger
Eigenbesitz nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Markgenossenschaft dem
Aufgebotsverfahren zugestimmt hat (§ 12 Nr. 6 der Satzung). Denn zum einen
ist das Aufgebotsverfahren nicht auf den Ausschluss der Markgenossenschaft,
sondern auf den der Markgenossen von F. gerichtet; deren Zustimmung
liegt nicht vor. Zum anderen steht die Zustimmung unter dem Vorbehalt, dass
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die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einleitung des Verfahrens vorliegen.
Daran fehlt es - wie ausgeführt - jedoch.
IV.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. In dem Verfahren über
Rechtsmittel gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Einleitung eines Auf-
gebotsverfahrens stehen sich der Antragsteller und die auszuschließenden Ei-
gentümer nicht wie in einem kontradiktorischen Verfahren gegenüber (vgl. Se-
nat, Beschluss vom 29. Januar 2009 - V ZB 140/08, WM 2009, 756, 759
Rn. 30). Die Pflicht zur Gerichtskostentragung ergibt sich aus dem Gesetz.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 131 Abs. 4, § 30
Abs. 1 KostO.
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Melsungen, Entscheidung vom 04.01.2011 - 4 UR II 10/10 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 12.01.2012 - 20 W 169/11 -
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