Urteil des BGH vom 31.03.2011

Leitsatzentscheidung zu Negatives Schuldanerkenntnis, Abrechnung, Zusammenarbeit, Verwalter, Hauptsache

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 236/10
vom
31. März 2011
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 3
Das Interesse an der Entlastung oder Nichtentlastung des Verwalters bestimmt sich
nach den möglichen Ansprüchen gegen diesen und nach dem Wert, den die mit der
Entlastung verbundene Bekräftigung der vertrauensvollen Zusammenarbeit der
Wohnungseigentümer mit der Verwaltung der Gemeinschaft hat. Deren Wert ist,
wenn besondere Anhaltspunkte für einen höheren Wert fehlen, regelmäßig mit 1.000
€ anzusetzen.
BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - V ZB 236/10 - LG Köln
AG Bergisch Gladbach
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. März 2011 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und
Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 29.
Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 17. August 2010 aufge-
hoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückver-
wiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
1.000 €.
Gründe:
I.
Der Verwalter einer Wohnungseigentumsanlage, in der dem Kläger neun
Wohnungen gehören, rechnete im Geschäftsjahr 2007 von ihm erbrachte Bau-
überwachungsleistungen im Umfang von 10.660,50 € ab und wurde für das Ge-
schäftsjahr 2007 entlastet. Im Geschäftsjahr 2008 erklärte er sich zu einer Her-
absetzung des Honorars auf 9.241,82 € bereit und erstattete der Wohnungsei-
gentümergemeinschaft den Differenzbetrag von 1.418,68 € durch Verrechnung
mit anderen unstreitigen Forderungen. Er wurde auch für das Geschäftsjahr
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2008 entlastet. Einen Antrag des Klägers, gegen ihn wegen der Abrechnung
rechtliche Schritte einzuleiten, lehnte die Mehrheit der Wohnungseigentümer
ab. Der Kläger meint, eine Mehrheit sei wegen Vertretungshindernissen nicht
zustande gekommen, und hat deshalb beide Beschlüsse angefochten. Nach-
dem die Wohnungseigentümer den zuletzt genannten Beschluss in einer weite-
ren Versammlung aufgehoben und den Antrag des Klägers erneut abgelehnt
hatten, haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der
Hauptsache für erledigt erklärt. Die Klage gegen den Entlastungsbeschluss hat
das Amtsgericht abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auf-
erlegt. Den Streitwert hat es auf 1.500 € festgesetzt. Das Berufungsgericht hat
nach einem Hinweis den Berufungsstreitwert auf 500 € festgesetzt und die Be-
rufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der
Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen.
II.
Das Berufungsgericht meint, die Beschwer des Klägers liege unter 600 €.
Maßgeblich sei nicht der von dem Amtsgericht festgesetzte Wert von 1.500 €.
Vielmehr sei die Beschwer bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise danach zu
bemessen, in welcher Höhe der Kläger nach seinen Miteigentumsanteilen be-
lastet sei. Ob sich der Wert der Verweigerung der Entlastung des Verwalters für
das Geschäftsjahr 2008 überhaupt nach dem Erfolg der Rückforderung des
Honorars bemessen lasse, könne offen bleiben. Auch dann liege der Wert der
Beschwer des Klägers unter 600 €. Der Kläger könne nur einen seinem Anteil
am Gemeinschaftseigentum entsprechenden Vorteil erwarten. Der sich danach
ergebende Betrag von 814 € sei aber um die Hälfte zu kürzen, weil die Durch-
setzung des Anspruchs unsicher sei und die Gemeinschaft bestandskräftig be-
schlossen habe, wegen der Abrechnung keine Ansprüche gegenüber dem Ver-
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walter geltend zu machen. Der Wert der ebenfalls angegriffenen Kostenent-
scheidung für den erledigten Teil des Rechtsstreits sei nicht anzusetzen.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
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1. Sie ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statt-
haft und auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zulässig. Die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbe-
schwerdegerichts, weil das Berufungsgericht dem Kläger den Zugang zu der an
sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert hat (vgl. dazu: BVerfGE 40,
88, 91; 67, 208, 212 f.; BVerfG NJW 1996, 2857; 2000, 1636; 2001, 1566;
FamRZ 2002, 533; Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW
2004, 367, 368). Eine solche Erschwerung liegt zwar nicht schon in einem Feh-
ler bei der Bemessung der Beschwer und auch nicht in jeder Überschreitung
des dabei gegebenen Ermessens (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011
- V ZB 193/10, juris). Bei der Bemessung der Beschwer des Klägers hat das
Berufungsgericht aber nicht nur die Grenzen seines Ermessens überschritten.
Seine Entscheidung ist nicht mehr nachvollziehbar.
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2. Das Rechtsmittel ist begründet. Die Berufung durfte nicht als unzuläs-
sig verworfen werden, weil die Beschwer des Klägers den Betrag von 600 €
übersteigt.
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a) Das ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass der von dem Beru-
fungsgericht angesetzte Wert der Beschwer von 407 € um den Wert der Pro-
zesskosten für den erledigten Teil des Rechtsstreits zu erhöhen wäre.
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aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erhö-
hen die anteiligen Prozesskosten nach übereinstimmender Teilerledigungser-
klärung (den Streitwert und) den Wert der Beschwer nicht, solange auch nur der
geringste Teil der Hauptsache - wie im vorliegenden Fall - noch im Streit ist
(BGH, Beschlüsse vom 20. September 1962 - VII ZB 2/62, NJW 1962, 2252,
2253; vom 17. Mai 1990 - IX ZB 9/90, BGHR ZPO § 91a Abs. 1 Satz 1 Streit-
wert 1; vom 31. Oktober 1991 - IX ZR 171/91, BGHR ZPO § 91a Abs. 1 Satz 1
Streitwert 2; vom 15. März 1995 - XII ZB 29/95, NJW-RR 1995, 1089, 1090). Es
geht dann um den prozessualen Kostenerstattungsanspruch. Dieser wird als
Nebenforderung geltend gemacht und ist nach § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO bei
der Berechnung der Beschwer nicht anzusetzen (BGH, Großer Senat für Zivil-
sachen, Beschluss vom 24. November 1994 - GSZ 1/94, BGHZ 128, 85, 92).
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bb) Diese Rechtsprechung steht, anders als der Kläger meint, auch nicht
im Widerspruch zur Behandlung des Anspruchs auf Ersatz vorprozessualer
Rechtsanwaltskosten. Dieser erhöht zwar als Nebenforderung den Streitwert
und die Beschwer nicht, solange er neben dem Hauptanspruch geltend ge-
macht wird, für dessen Verfolgung die Rechtsanwaltskosten angefallen sind.
Der Anspruch wird aber zu einer den Streitwert und den Wert der Beschwer
bestimmenden Hauptforderung, sobald und soweit die Hauptforderung nicht
mehr Prozessgegenstand ist, etwa weil eine auf die Hauptforderung oder einen
Teil der Hauptforderung beschränkte Erledigung erklärt worden ist (BGH, Be-
schluss vom 4. Dezember 2007 - VI ZB 73/06, VersR 2008, 557 f.). Diese Über-
legung lässt sich auf den prozessualen Kostenerstattungsanspruch nicht über-
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tragen. Über die Kosten des laufenden Prozesses ist auch nach einer überein-
stimmenden Teilerledigungserklärung nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit
der Kostenentscheidung nicht isoliert, sondern einheitlich zu entscheiden, so-
lange noch ein Teil der Hauptsache im Streit ist. Das führt dazu, dass im Rah-
men der Entscheidung über den noch streitigen Teil des Rechtsstreits von Amts
wegen auch über die für den erledigten Teil anfallenden Kosten entschieden
wird (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2007 - VI ZB 73/06, VersR 2008, 557,
558). Der Kostenerstattungsanspruch für den erledigten Teil des Rechtsstreits
bleibt damit Nebenforderung im Sinne von § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO.
b) Der Wert des noch anhängigen Teils der Anfechtungsklage übersteigt
aber für sich genommen den Betrag von 600 €.
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aa) Er entspricht, wovon das Berufungsgericht noch zutreffend ausgeht,
dem Interesse des Klägers an der Aufhebung der Entlastung des Verwalters.
Bei der Bemessung dieses Interesses ist der Wert von Forderungen gegen den
Verwalter zu berücksichtigen, wenn die Entlastung wegen solcher Forderungen
verweigert wird oder verweigert werden soll. Denn in der Entlastung liegt dann
ein negatives Schuldanerkenntnis nach § 397 Abs. 2 BGB (Senat, Beschluss
vom 17. Juli 2003 - V ZB 11/03, BGHZ 156, 20, 25 f.). Zu berücksichtigen ist bei
der Bemessung des Interesses aber auch der Zweck, den die Entlastung des
Verwalters neben der Verzichtswirkung hat. Sie dient nämlich dazu, die Grund-
lage für die weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Zukunft zu legen
(Senat, aaO S. 27 f.).
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bb) Der Wert der Entlastung kann hier nicht nach dem Wert der Rückfor-
derung des Honorars bemessen werden. Dafür muss nicht entschieden werden,
ob die Abrechnung des Honorars überhaupt Gegenstand der Entlastung für das
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Geschäftsjahr 2008 ist. Die Gemeinschaft hat nämlich schon während des Ver-
fahrens erster Instanz bestandskräftig beschlossen, wegen dieser Abrechnung
keine Ansprüche gegen den Verwalter geltend zu machen. Andere Ersatzan-
sprüche, nach denen der Wert der Entlastung bemessen werden könnte, sind
nicht erkennbar. Das hat zur Folge, dass der Wert der Beschwer des Klägers
nicht nach der Verzichtswirkung der Entlastung bestimmt werden kann. Es kann
deshalb offen bleiben, ob, was zweifelhaft ist, die Beschwer des Klägers mit
Rücksicht auf die Erfolgsaussichten bei der Durchsetzung der von ihm behaup-
teten Ansprüche zu kürzen wäre.
cc) Die Beschwer des Klägers bestimmt sich dann aber nach dem Wert,
den die neben etwaigen Forderungen zu berücksichtigende vertrauensvolle Zu-
sammenarbeit hat. Dieser wird sich nicht ohne weiteres in einem Prozentsatz
der Gesamtabrechnung für das Wirtschaftsjahr bemessen lassen (so aber of-
fenbar OLG Köln, NZM 2003, 125; Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., § 49a
GKG Rn. 12 - Verwalterentlastung). Er hängt im Regelfall nicht von dem Volu-
men der Abrechnung ab und ist deshalb dann nach billigem Ermessen zu
bestimmen. Fehlen, wie hier, besondere Anhaltspunkte für einen höheren Wert,
erscheint ein Wert von 1.000 € sachgerecht (so: LG Dessau-Roßlau, ZMR
2009, 794; wohl auch: Jennißen/Suilmann, WEG, 2. Aufl., § 49a GKG Rn. 20).
Das Interesse der Wohnungseigentümer an der vertrauensvollen Zusammenar-
beit mit der Verwaltung der Gemeinschaft ist nicht teilbar und bei allen Woh-
nungseigentümern dasselbe.
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3. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens entspricht
nach § 49a Abs. 1 Satz 2 GKG dem Wert des Interesses des Klägers, mithin
1.000 €.
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Krüger Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Bergisch Gladbach, Entscheidung vom 16.03.2010 - 70 C 73/09 -
LG Köln, Entscheidung vom 17.08.2010 - 29 S 61/10 -