Urteil des BGH vom 09.07.2015

Leitsatzentscheidung zu Wohnung, Vergleich, Berufungskläger, Anfechtungsklage

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 198/14
vom
9. Juli 2015
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
nein
ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1; WEG § 46 Abs. 1
Wendet sich ein Wohnungseigentümer mit der Beschlussanfechtungsklage erfolglos
gegen den Ansatz einer Kostenposition in der Jahresabrechnung, bestimmt sich sei-
ne Beschwer nach dem Nennwert, mit dem diese Position in seiner Einzelabrech-
nung angesetzt ist. Etwas anderes gilt nur, wenn der Berufungskläger seine Bean-
standung von vornherein inhaltlich beschränkt.
BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - V ZB 198/14 - LG Karlsruhe
AG Pforzheim
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juli 2015 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch,
den Richter Dr. Roth, die Richterin Dr. Brückner und den Richter Dr. Göbel
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des
Landgerichts Karlsruhe - Zivilkammer XI - vom 27. Oktober 2014
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
1.404,12
€.
Gründe:
I.
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft.
Auf der Versammlung vom 2. April 2012 beschlossen die Wohnungseigentümer
die Jahresabrechnung für das Geschäftsjahr 2011. Diesen Beschluss hat die
Klägerin mit der Begründung angefochten, in ihrer Einzelabrechnung sei zu Un-
recht ein Betrag von 1.404,12
€ für „Heizungskosten“ angesetzt; die Wohnung
habe im gesamten Wirtschaftsjahr leer gestanden. Unter dieser Postenbezeich-
nung übernimmt die Jahresabrechnung die Ergebnisse der Heizkostenabrech-
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nung, die außer den Heizkosten noch Kaltwasserkosten, Kosten für gesonderte
Verteilung und Kosten der Nach-/Zwischenablesung umfasst.
Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens
den Parteien vorgeschlagen, sich darauf zu einigen, „hinsichtlich der Heizkos-
ten für die Wohnung der Klägerin als Abrechnungskosten 750,00 EUR einzu-
stellen“ und den Rechtsstreit für erledigt zu erklären. Beide Parteien haben ihr
Einverständnis mit dem Vorschlag erklärt, die Beklagten allerdings mit dem Zu-
satz, dass neben dem Betrag von 750
€ noch die übrigen Positionen aus der
Heizkostenabrechnung anzusetzen seien
, insgesamt 1.094,63 €. Das Amtsge-
richt hat das Zustandekommen eines Vergleichs mit dem von ihm vorgeschla-
genen Inhalt durch Beschluss festgestellt.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt, durch Zwischenurteil festzustel-
len, dass der Rechtsstreit (durch den Vergleich) nicht beendet sei, hilfsweise,
dass in der Abrechnung unter der P
ostenbezeichnung „Heizungskosten“ nur der
Betrag von 750
€ anzusetzen sei. Das Amtsgericht hat auf einen entsprechen-
den Hilfsantrag der Beklagten festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Ver-
gleich beendet ist. Die Berufung der Klägerin hat das Landgericht als unzuläs-
sig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Klägerin die Durchführung
des Berufungsverfahrens erreichen. Die Beklagten beantragen, das Rechtsmit-
tel zurückzuweisen.
II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts übersteigt die Beschwer der
Klägerin durch das angefochtene Zwischenurteil 600
€ nicht. Werde die
Genehmigung einer Jahresabrechnung angefochten, so bestimme sich bei der
gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Beschwer nicht nach dem
Nennbetrag der beanstandeten Kostenposition, sondern nach der Differenz, die
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der Rechtsmittelführer im Erfolgsfall weniger zahlen müsse. Die Klägerin sehe
sich einer Forderung für die im Streit stehende Position „Heizungskosten“ ihrer
Einzelabrechnung
in Höhe von 1.094,63 € ausgesetzt. Sie habe weder
dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass als Heizungskosten in der
Jahresrechnung weniger als 500
€ anzusetzen seien. Nach dem Ergebnis des
Sachverständigengutachten sei dieser Betrag zwischen 700
€ und 800 € zu
schätzen. Der Streit der Parteien betreffe im Ergebnis nur die Frage, ob neben
dem von dem Amtsgericht vorgeschlagenen Betrag von 750
€ noch die übrigen
Positionen aus der Heizkostenabrechnung anzusetzen seien.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522
Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung
einer
einheitlichen
Rechtsprechung
eine
Entscheidung
des
Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Dieser
Zulässigkeitsgrund
ist
unter
anderem
dann
gegeben,
wenn
dem
Berufungskläger der Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar
erschwert wird. Eine solche Erschwerung liegt vor, wenn das Berufungsgericht
bei der Bemessung der Beschwer die Grenzen seines - weiten - Ermessens
überschreitet (Senat, Beschluss vom 11. Juni 2015 - V ZB 78/14, ZWE 2015,
337 Rn. 6 f.). Das ist hier geschehen. Das Berufungsgericht hat die Grenzen
seines Ermessens dadurch überschritten, dass es die Bemessung der
Beschwer der Klägerin an Erwägungen ausgerichtet hat, deren Prüfung der
Entscheidung in der Sache vorbehalten sind (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom
19. Juni 2013 - V ZB 182/12, NJW-RR 2013, 1034 Rn. 5, 7).
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2. Das Rechtsmittel ist begründet. Die Berufung durfte nicht als
unzulässig verworfen werden, weil die Beschwer der Klägerin den Betrag von
600
€ übersteigt.
a) Maßgeblich für den Wert des Beschwerdegegenstandes (§ 511 Abs. 2
Nr. 1 ZPO) ist das Interesse des Berufungsklägers an der Abänderung des
angefochtenen Urteils; dieses ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu
bewerten. Dabei ist auch in wohnungseigentumsrechtlichen Verfahren allein auf
die
Position
des
Rechtsmittelführers,
seine
Beschwer
und
sein
Änderungsinteresse abzustellen (Senat, Beschlüsse vom 19. Juni 2013
- V ZB 182/12, NJW-RR 2013, 1034 Rn. 7 und vom 11. Juni 2015 - V ZB 78/14,
ZWE 2015, 337 Rn. 7). Entscheidend ist der rechtskraftfähige Inhalt der
angefochtenen Entscheidung. Ohne Bedeutung sind die Erfolgsaussichten des
Rechtsmittels
(Senat,
Beschluss
vom
19. Juni
2013
- V ZB 182/12, NJW-RR 2013, 1034 Rn. 7 aE) oder eines nach dem Scheitern
eines Prozessvergleichs fortzusetzenden Rechtsstreits.
b) Letzteres hat das Berufungsgericht verkannt.
aa) (1) Noch zutreffend stellt es für die Bemessung des Interesses der
Klägerin an der Abänderung des Zwischenurteils auf deren mit der
Beschlussanfechtungsklage verfolgtes wirtschaftliches Einzelinteresse ab.
Gegenstand
des
Zwischenurteils
ist
zwar
nicht
die
ursprüngliche
Beschlussanfechtungsklage, sondern die Frage, ob der Rechtsstreit darüber
durch den von dem Amtsgericht festgestellten Prozessvergleich beendet
worden ist. Die Beschwer bestimmt sich in einer solchen Fallgestaltung nicht
nach dem Wert des Feststellungsantrags (vgl. dazu Senat, Beschluss vom
19. September 2012 - V ZB 56/12, NJW 2013, 470 Rn. 5), sondern nach dem
Interesse des Berufungsklägers an der Unwirksamkeit des Vergleichs (vgl.
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BGH, Beschluss vom 14. Februar 2007 - XII ZB 52/03, NJOZ 2007, 5338
Rn. 11). Dieses entspricht hier aber inhaltlich dem mit der Anfechtungsklage
ursprünglich verfolgten wirtschaftlichen Eigeninteresse der Klägerin, nach dem
sich auch die Beschwer des Anfechtungsklägers durch die Abweisung der
Anfechtungsklage gegen einen Beschluss der Wohnungseigentümer richtete
(Senat,
Beschluss
vom
15.
Mai
2012
- V ZB 282/11, NJW-RR 2012, 1103 Rn. 7).
(2) Das wirtschaftliche Eigeninteresse des Berufungsklägers entspricht
zwar nicht dem Streitwert des Anfechtungsklageverfahrens, der sich nach dem
Gesamtinteresse des Berufungsklägers selbst und der verklagten übrigen
Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft bestimmt. Maßgeblich ist
vielmehr der Anteil des Berufungsklägers an dem Gesamtergebnis (vgl. Senat,
Beschluss vom 15. Mai 2012 - V ZB 282/11, NJW-RR 2012, 1103 Rn. 7). Der
richtet sich aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nach dem
Nennbetrag, mit dem die angefochtene Kostenposition in der Einzelabrechnung
des Berufungsklägers angesetzt ist. Etwas anderes gilt nur, wenn der
Berufungskläger seine Beanstandung von vornherein inhaltlich beschränkt,
etwa nur auf den angesetzten Kostenverteilungsmaßstab (so im Fall LG
Dessau-Roßlau, Urteil vom 25. Februar 2011 - 1 S 218/10, juris Rn. 12).
Wendet er sich aber ohne Einschränkungen gegen den Ansatz einer
Kostenposition in seiner Einzelabrechnung, bestimmt deren Nennbetrag seine
Beschwer. Ob er damit in der Sache durchdringt, ist für die Bemessung seiner
Beschwer unerheblich (Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 - V ZB 182/12,
NJW-RR 2013, 1034 Rn. 7 aE).
bb) So liegt es hier.
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(1) Die Klägerin hat sich mit der Beschlussanfechtungsklage gegen den
Ansatz der
Position „Heizungskosten“ mit einem Betrag von 1.404,12 € in ihrer
Einzelabrechnung gewandt. Mit der Berufung möchte sie die Feststellung
erreichen, dass der Prozessvergleich das Anfechtungsklageverfahren nicht
beendet hat, um das ursprüngliche Klageziel weiterzuverfolgen. Die Klägerin
strebt nämlich an, dass die in der Einzelabrechnung für ihre Wohnung
angesetzten Ausgaben um den genannten Betrag gekürzt werden. An der
hinreichenden Substantiierung der Berufungsbeschwer in Höhe von 1.404,12
ändern die von dem Berufungsgericht angeführten Erwägungen nichts.
(2) Sie betreffen die Begründetheit des Rechtsmittels, nicht die
Beschwer. Es mag sein, dass in der Einzelabrechnung für die Wohnung der
Klägerin trotz des Leers
tands „Heizungskosten“ im Umfang von zwischen 700 €
und 800 € anzusetzen sind. Das änderte aber nichts daran, dass die Klägerin
mit der Fortsetzung des Verfahrens erster Instanz eine weitergehende
Entlastung erreichen will. Allein darauf kommt es für die Beschwer an. Ohne
Bedeutung für deren Bemessung ist auch das weitere Argument des
Berufungsgerichts, die Parteien stritten sich letztlich nur darüber, ob neben den
von dem Amtsgericht vorgeschlagenen 750
€ noch die weiteren Positionen aus
der Abrechnung des mit der Verbrauchsermittlung beauftragten Unternehmens
anzusetzen sind. Das trifft zwar für den Hilfsantrag zu, mit dem die Klägerin
sinngemäß die Feststellung anstrebt, nach dem Vergleich sei unter der
Postenbezeichnung insgesamt nur ein Betrag von 750 € anzusetzen. Die
Klägerin verfolgt aber auch mit der Berufung den Hauptantrag festzustellen,
dass der Prozessvergleich das Verfahren erster Instanz nicht beendet hat. Es
geht ihr deshalb auch im Berufungsverfahren um den Bestand des Vergleichs
an sich und damit inhaltlich nach wie vor um die ursprünglich streitige
Kostenposition. Auf deren Nennwert in der Einzelabrechnung der Klägerin
kommt es für die Bemessung ihrer Beschwer an.
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(3) Eine 600 € übersteigende Beschwer hätte die Klägerin auch
dargelegt, wenn man, wie es den Beklagten vorschwebt, darauf abstellte, dass
nach dem angegriffenen Vergleich „hinsichtlich der Heizkosten“ ein Betrag von
750 € in die Einzeljahresabrechnung für die Wohnung der Klägerin eingestellt
werden soll. Je nach Auslegung des Vergleichs müsste die Klägerin dann
750 €
oder 1.093,63 € an Heizkosten tragen. Mit ihrem Hauptantrag möchte sie aber
nicht nur die Verpflichtung zur Zahlung des höheren Betrags, sondern auch die
des niedrigeren vermeiden. An der Darlegung einer 600 € übersteigenden
Beschwer änderte sich deshalb auch bei einem Abstellen auf den Inhalt des
angegriffenen Vergleichs nichts.
IV.
Die Sache ist nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zur
erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
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Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Beschwerdeverfahren
beruht auf § 49a Abs. 1 GKG. Das Interesse der Klägerin entspricht der
streitigen Position in ihrer Einzelabrechnung und bildet die Untergrenze für den
Gegenstandswert (§ 49a Abs. 1 Satz 2 GKG).
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner
Göbel
Vorinstanzen:
AG Pforzheim, Entscheidung vom 20.01.2014 - 12 C 56/12 -
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 27.10.2014 - 11 S 28/14 -
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