Urteil des BGH vom 02.02.2012

Formelle Beschwer, Anfechtungsklage, Rechtskraft, Erheblichkeit, Abweisung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 184/11
vom
2. Februar 2012
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Februar 2012 durch den
Vorsitzenden
Richter
Prof. Dr. Krüger,
die
Richter
Dr.
Lemke
und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Beru-
fung der Kläger an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das
auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerde-
verfahrens zu entscheiden hat.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beläuft
sich auf 15.432,33 €.
Gründe:
I.
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemein-
schaft. In der Eigentümerversammlung am 27. November 2008 beschlossen die
Wohnungseigentümer zu TOP 2 die Verwalterbestellung und zu TOP 3 eine
Korrektur der bereits im August 2008 beschlossenen Einzelabrechnungen für
das Jahr 2007. Gegen beide Beschlüsse erhoben die Kläger Anfechtungsklage
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und beantragten darüber hinaus, die Bestellung eines anderen Verwalters als
positives Beschlussergebnis festzustellen. Ein Teil des Rechtsstreits wurde im
Laufe des Verfahrens für erledigt erklärt, und zwar einseitig durch die Kläger,
soweit es um die Feststellung eines positiven Beschlussergebnisses ging, und
beidseitig bezüglich der Anfechtung des Beschlusses zu TOP 2. Obwohl die
Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung nur den Antrag aus der auf
TOP 3 bezogenen Anfechtungsklage gestellt haben, hat das Amtsgericht in sei-
nem Urteil auch den Antrag auf Feststellung der Erledigung der Klage aufge-
führt, soweit einseitig für erledigt erklärt worden war, und die Klage insgesamt
abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat das Landgericht als unzulässig ver-
worfen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde und be-
gehren die Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung an das Beru-
fungsgericht.
II.
Das Berufungsgericht meint, es liege keine den Anforderungen des
§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO genügende Berufungsbegründungsschrift vor.
Der Schriftsatz enthalte keine Anträge und greife in loser Folge einzelne angeb-
liche Mängel der Urteilsbegründung an. Es könne nicht eindeutig festgestellt
werden, in welchem Umfang das Urteil des Amtsgerichts angegriffen werden
solle. Auch die auf gerichtlichen Hinweis nach Ablauf der Berufungsbegrün-
dungsfrist ergangenen Stellungnahmen der Kläger hätten keine Klarheit über
das Ziel der Berufung gebracht.
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III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO
statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ein Zulassungsgrund ist gegeben, weil
die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2
Nr. 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das
Berufungsgericht hat den Zugang der Kläger zu dem von der Zivilprozessord-
nung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht
mehr zu rechtfertigender Weise erschwert, indem es die Berufung als nicht hin-
reichend begründet angesehen hat. Dies verletzt ihren Anspruch auf Gewäh-
rung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechts-
staatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284) und eröffnet die Rechtsbeschwerde
nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. nur Senat, Beschluss vom 23. Oktober
2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist in der Sache begründet.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergeben
sich aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 2 ZPO keine besonderen formalen An-
forderungen. Für die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und wel-
che Abänderungen beantragt werden (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO), bedarf
es keiner ausdrücklichen Stellung eines Sachantrags; es reicht aus, wenn die
Begründung den Schluss auf die Weiterverfolgung des erstinstanzlichen Begeh-
rens zulässt (vgl. nur BGH, Urteil vom 22. März 2006 - VIII ZR 212/04, NJW
2006, 2705 Rn. 8 mwN). Das gleiche gilt für die Bezeichnung der Umstände,
aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und
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deren Erheblichkeit ergibt (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere ist es
ohne Bedeutung, ob die Ausführungen des Berufungsklägers schlüssig, hinrei-
chend substantiiert und rechtlich haltbar sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Be-
schluss vom 6. Dezember 2011 - II ZB 21/10, juris Rn. 7; Beschluss vom
21. September 2010 - VIII ZB 9/10, WuM 2010, 694 Rn. 10).
b) Von diesen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht ausgegangen;
es hat die sich aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 2 ZPO ergebenden Anforde-
rungen jedoch überspannt.
aa) Im Ausgangspunkt kommt es ausschließlich darauf an, ob die Beru-
fung mit dem innerhalb der Frist eingereichten Schriftsatz vom 28. Februar
2011 ausreichend begründet worden ist. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht,
dass das Berufungsgericht die späteren Stellungnahmen der Kläger herange-
zogen und aus ihnen (weitere) Belege für die Unklarheit ihres Begehrens ent-
nommen hat.
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts geht aus der Beru-
fungsbegründung vom 28. Februar 2011 hervor, dass die Kläger die Entschei-
dung des Amtsgerichts insgesamt angreifen.
(1) Inhalt des angefochtenen Urteils ist die Anfechtung des Beschlusses
zu TOP 3 (Jahresabrechnung), der Antrag auf Feststellung der Erledigung (be-
zogen auf die Feststellung eines positiven Beschlussergebnisses über die Ver-
walterbestellung) und schließlich - als Entscheidung gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1
ZPO im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung - die Kosten der über-
einstimmend für erledigt erklärten Anfechtung des Beschlusses zu TOP 2 (Ver-
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walterbestellung). Dass die Kläger die Feststellung der Erledigung nicht bean-
tragt hatten, ist unerheblich, weil die formelle Beschwer maßgebend ist.
(2) Die Berufungsbegründung ist zwar knapp gehalten, enthält keine An-
träge und ist wenig stringent aufgebaut. Sie befasst sich dennoch mit jedem Teil
der Entscheidung des Amtsgerichts. Dies gilt zunächst für die Anfechtung von
TOP 3, also der noch rechtshängigen Beschlussanfechtung. Insoweit wenden
sich die Kläger gegen die Ansicht des Amtsgerichts, die Bestandskraft der Be-
schlüsse aus August 2008 stehe der Anfechtung entgegen. Ferner sollen auch
die im Zusammenhang mit der Verwalterbestellung gestellten Anträge überprüft
werden. Denn es wird ausgeführt, dass das Ergebnis der Verwalterbestellung
anders zu ermitteln gewesen wäre. Damit haben sich die Kläger im Zweifel so-
wohl gegen die Abweisung des Feststellungantrags als auch gegen den auf
§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO gestützten Teil der Kostenentscheidung gewendet.
Das hat im Ergebnis offenbar auch das Berufungsgericht so gesehen, weil es
sich bei seinen Ausführungen, die es "am Rande" zu der Begründetheit der
Klage gemacht hat, auf das Urteil insgesamt bezogen hat.
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c) Diese Ausführungen zu der Begründetheit der Berufung sind für das
Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich unbeachtlich, weil Gegenstand und
Reichweite der Rechtskraft andernfalls ungewiss wären (st. Rspr., vgl. nur
BGH, Urteil vom 10. Dezember 1953 - IV ZR 48/53, BGHZ 11, 222, 223 f.).
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 10.12.2010 - 92 C 11683/08 (81) -
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 10.06.2011 - 2-13 S 13/11 -
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