Urteil des BGH vom 29.10.2015

Rückführung, Abschiebung, Zusage, Sicherungshaft

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 155/14
vom
29. Oktober 2015
in der Freiheitsentziehungssache
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Oktober 2015 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und
Weinland, den Richter Dr. Kazele und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss
der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 16. Juli 2014 und
der Beschluss des Amtsgerichts Euskirchen vom 28. Mai 2014
den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Euskir-
chen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
5.000 €.
Gründe:
I.
Der Betroffene reiste unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Sein Asylantrag wurde im November 2013 als unzulässig abgelehnt, nachdem
eine Abfrage in der EURODAC-Datei ergeben hatte, dass er bereits in Italien
einen Asylantrag gestellt hatte. Einer Rücküberstellung nach Italien entzog sich
der Betroffene, indem er untertauchte.
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Nach seiner Festnahme hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten
Behörde am 28. Mai 2014 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 25. Au-
gust 2014 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen
hat das Landgericht mit Beschluss vom 16. Juli 2014 zurückgewiesen. Mit Be-
schluss vom 14. August 2014 hat der Senat die Vollziehung der Sicherungshaft
einstweilen ausgesetzt. Der Betroffene will mit der Rechtsbeschwerde die Fest-
stellung der Verletzung seiner Rechte erreichen.
II.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts liegen die Haftgründe des § 62
Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 5 AufenthG vor. Den allein von dem Betroffenen zu
verantwortenden Schwierigkeiten bei der Rückführung nach Italien müsse durch
eine adäquate Haftdauer begegnet werden.
III.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag
nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige
Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Die Haftanordnung war rechtswidrig, weil sie auf einem unzulässigen
Haftantrag beruhte.
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des
Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist
der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforde-
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rungen an die Begründung entspricht. Dazu gehören u.a. Angaben zu der not-
wendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG), die auf den konkreten
Fall zugeschnitten sein müssen; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht.
Fehlt es an den erforderlichen Angaben, darf die beantragte Sicherungshaft nicht
angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011
- V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82, 83 Rn. 13; Beschluss vom 15. Januar 2015
- V ZB 165/13, Rn. 5, juris, mwN). Diesen Anforderungen entspricht der Haftan-
trag nicht. Die dort angekreuzten Textbausteine, dass die beantragte Haftdauer
er
forderlich sei, um „die für die Rückreise benötigten Heimreisedokumen-
te/Durch
reisesichtvermerke zu beschaffen“ und „die weiteren innerdienstlichen
Voraussetzungen zur Durchführung der Abschiebung vorzubereiten
“, stellen uni-
versell einsetzbare Leerformeln dar. Auch die ergänzenden Ausführungen in dem
Haftantrag, dass für den Betroffenen innerhalb der nächsten Wochen ein Pass-
ersatzpapier beschafft werden könne, dieses sofort beantragt werde und nach
erfolgter Zusage umgehend ein Flug gebucht werde, sind nicht ausreichend.
Auch wenn für die Beschaffung eines Passersatzpapieres mehrere Wochen und
für die - sich an die Zusage anschließende - Buchung eines Fluges nach Rom
ebenfalls eine gewisse Zeit benötigt werden, erklärt dies die beantragte Haftdau-
er von knapp 13 Wochen nicht.
b) Der Mangel ist weder durch eine Ergänzung des Haftantrages seitens
der Behörde noch durch ergänzende Feststellungen des Haftrichters mit Wirkung
für die Zukunft geheilt worden (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014
- V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21. ff.).
Die beteiligte Behörde hat ihre Angaben in dem Haftantrag nicht ergänzt.
Das Beschwerdegericht hat in seinem Beschluss vom 16. Juli 2014 zwar die
Feststellung getroffen, dass nach einer am 30. Juni 2014 gescheiterten Über-
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stellung nunmehr eine kurzfristige Rückführung nach in Italien in Begleitung
eines Beamten geplant sei und den - an dem Verhalten des Betroffenen - ge-
scheiterten Rückführungsversuchen „durch eine adäquate Haftdauer begegnet
werden“ müsse. Diese Ausführungen lassen aber nicht erkennen, warum das
Beschwerdegericht trotz kurzfristig geplanter Rückführung eine Haftdauer von
noch fast sechs Wochen für erforderlich hält.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83
Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Ge-
genstandswerts folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG.
Stresemann
Brückner
Weinland
Kazele
Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Euskirchen, Entscheidung vom 28.05.2014 - 21 XIV 7/14.B -
LG Bonn, Entscheidung vom 16.07.2014 - 4 T 212/14 -
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