Urteil des BGH vom 12.07.2012

Leitsatzentscheidung zu Treu Und Glauben, Sicherheitsleistung, Vertretung, Grundstück, Nichterfüllung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 130/11
vom
12. Juli 2012
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZVG § 67 Abs. 1, § 71 Abs. 1
a) Der Antrag auf Erbringung einer Sicherheit ist rechtsmissbräuchlich, wenn ein
sym
bolischer Grundstückswert von 1 € festgesetzt worden ist.
b) Er ist auch nicht mit dem Anliegen zu rechtfertigen, rechtsmissbräuchliche Gebote
abzuwenden. Lässt sich mit den im Zwangsversteigerungsverfahren verfügbaren
Mitteln feststellen, dass ein Gebot rechtsmissbräuchlich ist, muss es zurückgewie-
sen werden.
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 - V ZB 130/11 - LG Traunstein
AG Mühldorf a. Inn
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2012 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und
Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Ersteherin gegen den Beschluss der
4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein vom 18. April 2011
wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Ersteherin der
Zuschlag versagt und dass die Kostenentscheidung aufgehoben
wird.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
110.000
€.
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 4. November 2009 ordnete das Vollstreckungsgericht
auf Antrag der Gläubigerin die Wiederversteigerung des eingangs genannten
Grundstücks an. Es setzte den Verkehrswert sachverständig beraten auf 1 €
fest und bestimmte den Versteigerungstermin auf den 8. Dezember 2010. In
dem Termin boten die Gläubigerin selbst
110.000 €, die Ersteherin 80.000 €
und die Mitbieterin 115.000
€. Die Gläubigerin verlangte Sicherheit für dieses
Gebot, welche nicht erbracht wurde. Das Gebot wurde daraufhin zurückgewie-
sen. Die Mitbieterin widersprach dem und gab ein weiteres Gebot von
220.000
€ ab, für das die Gläubigerin ebenfalls Sicherheit verlangte und wel-
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ches das Vollstreckungsgericht ebenfalls mangels Leistung der Sicherheit zu-
rückwies. Auch dieser Zurückweisung widersprach die Mitbieterin. In dem Ter-
min zur Verkündung der Entscheidung über den Zuschlag am 16. Dezember
2010 trat die Gläubigerin ihr Gebot an die Ersteherin ab.
Das Vollstreckungsgericht hat der Ersteherin auf das Gebot von
110.000
€ den Zuschlag erteilt. Auf die Beschwerde des Schuldners und der
Mitbieterin hat das Beschwerdegericht den Zuschlagsbeschluss aufgehoben
und die Sache an das Vollstreckungsgericht zur Durchführung eines neuen
Versteigerungstermins zurückverwiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbe-
schwerde möchte die Ersteherin die Wiederherstellung des Zuschlagsbeschlus-
ses erreichen.
II.
Das Beschwerdegericht meint, der Zuschlag habe der Ersteherin nicht
erteilt werden dürfen, weil sie nicht die Meistbietende gewesen sei. Meistbie-
tende sei die Mitbieterin gewesen, deren Gebote nicht mangels Sicherheit hät-
ten zurückgewiesen werden dürfen. Zwar habe die Gläubigerin die Sicherheit
verlangt, die auch nicht erbracht worden sei. Das Sicherheitsverlangen sei aber
rechtsmissbräuchlich und darum unzulässig gewesen. Die Sicherheit habe bei
dem festgesetzten G
rundstückswert von 1 € nur 0,10 € betragen. Ein solcher
Betrag vermöge den Zweck einer Sicherheit nicht zu erreichen. Der Zuschlag
könne nicht auf das Gebot der Mitbieterin von 220.000
€ erteilt werden, weil
unklar sei, wie die Versteigerung abgelaufen wäre, wäre das Gebot nicht zu-
rückgewiesen worden. Es sei deshalb ein neuer Versteigerungstermin durchzu-
führen.
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III.
Diese Erwägungen treffen zu. Die Rechtsbeschwerde der Ersteherin ist
unbegründet, weil das Beschwerdegericht den Zuschlagsbeschluss zu Recht
aufgehoben hat.
1. Der Zuschlagsbeschluss ist nach § 100 ZVG aufzuheben, weil das
Vollstreckungsgericht mit der Erteilung des Zuschlags an die Ersteherin gegen
§ 81 ZVG verstoßen hat. Danach ist der Zuschlag dem Meistbietenden (Ab-
satz 1) oder demjenigen zu erteilen, an den dieser das Recht aus dem Meist-
gebot abgetreten hat (Absatz 2). Meistbietender waren hier weder die Erstehe-
rin noch die Gläubigerin, die die Rechte aus ihrem Gebot an die Ersteherin ab-
getreten hat, sondern die Mitbieterin. Deren Gebote waren höher als die beiden
anderen Gebote.
2. Diese Gebote waren ungeachtet ihrer Zurückweisung durch das Voll-
streckungsgericht wirksam.
a) Die Zurückweisung führt nach § 72 Abs. 2 ZVG nur dann zum Erlö-
schen des Gebots, wenn der Bieter nicht widerspricht. Widerspricht er - wie
hier - der Zurückweisung, ist das Gebot nur unwirksam, wenn es zu Recht zu-
rückgewiesen worden ist. Nach § 70 Abs. 2 Satz 3 ZVG ist ein Gebot zurück-
zuweisen, wenn das Vollstreckungsgericht eine Sicherheitsleistung für erforder-
lich erklärt hat und der Bieter diese Sicherheit nicht entsprechend den Vorga-
ben des § 69 ZVG erbringt. Hier war eine Sicherheitsleistung für erforderlich
erklärt worden. Die Bieterin hat die geforderte Sicherheit nicht geleistet.
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b) Zurückgewiesen werden durften die Gebote aber nur, wenn die An-
ordnung der Sicherheitsleistung rechtmäßig war. Das ist nicht der Fall.
aa) Das Vollstreckungsgericht hat allerdings bei der nach § 70 Abs. 1
ZVG sofort zu treffenden Entscheidung eine Sicherheitsleistung für erforderlich
zu erklären, wenn ein Beteiligter, dessen Recht durch die Nichterfüllung des
Gebotes beeinträchtigt würde, das beantragt hat. Ein Ermessen steht dem Voll-
streckungsgericht nicht zu. Das gilt aber nur, wenn die Sicherheitsleistung zu-
lässigerweise beantragt worden ist (Senat, Beschluss vom 12. Januar 2006
- V ZB 147/05, NJW-RR 2006, 715 Rn. 12). Ohne einen zulässigen Antrag dürf-
te das Vollstreckungsgericht die Sicherheitsleistung nicht anordnen (Stei-
ner/Storz, ZVG, 9. Aufl., § 70 Rn. 3).
bb) Der Antrag der Gläubigerin war, wie das Beschwerdegericht zutref-
fend erkannt hat, rechtsmissbräuchlich und deshalb unzulässig.
(1) Die Berufung auf ein Recht kann den - auch im Zwangsvollstre-
ckungsverfahren geltenden - Grundsätzen von Treu und Glauben widerspre-
chen und damit rechtsmissbräuchlich sein. Entschieden ist das für die Ablösung
von Rechten während des Zwangsversteigerungsverfahrens (Senat, Beschluss
vom 10. Juni 2010 - V ZB 192/09, NJW-RR 2010, 1314, 1315 Rn. 10 [im Origi-
nal Rn. 12]). Für den Antrag auf Sicherheitsleistung nach § 67 Abs. 1 ZVG gilt
nichts anderes. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs kommt insbesondere in
Betracht, wenn ein berechtigtes Eigeninteresse an der Durchsetzung der in An-
spruch genommenen Rechtsposition fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. August
2008
- I ZB 39/08,
WM
2008,
2026,
2027
Rn. 10;
MünchKomm-
BGB/Roth/Schubert, 6. Aufl., § 242 Rn. 424 f.).
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(2) Dieser zuletzt genannte Fall liegt hier vor. Ein berechtigtes Interesse
der Gläubigerin an der Stellung der geforderten Sicherheit ist nicht erkennbar.
(a) Die Sicherheitsleistung nach § 67 Abs. 1 ZVG hat im Wesentlichen
zwei Zwecke: Sie soll einerseits dem durch die Nichterfüllung des Gebots be-
einträchtigten Beteiligten eine gewisse Sicherheit gegen den Ausfall bieten und
andererseits „wirklich zahlungsunfähige“ Personen von vornherein vom Bieten
abhalten (Steiner/Storz, ZVG, 9. Aufl., § 67 Rn. 1 und 2). Dieser Zweck wird
verfehlt, wenn für das Grundstück, wie hier,
nur ein symbolischer Wert von 1 €
festgesetzt worden ist. Dann kann der antragsberechtigte Beteiligte auch nur
die Leistung einer Sicherheit mit einem Symbolwert von 0,10 € verlangen. Dies
kann dem Beteiligten keine Sicherheit gegen einen Ausfall geben und zah-
lungsunfähige Bieter nicht abschrecken.
(b) Das Verlangen nach einer Sicherheit kann auch nicht mit dem Willen
des Gesetzgebers gerechtfertigt werden. Der Gesetzgeber hat mit der Umstel-
lung der Bezugsgröße der Sicherheitsleistung von dem Wert des Bargebots auf
den festgesetzten Verkehrswert eine technische Vereinfachung des Bietvor-
gangs angestrebt. Ernsthafte Gebote sollten nicht mehr dadurch ausgeschlos-
sen sein, dass das Steigen der Bargebote eine nachträgliche Aufstockung der
Sicherheit nötig macht, auf die der Bieter nicht vorbereitet ist (Begründung der
Zwangsversteigerungsrechts-Novelle von 1998 in BT-Drucks. 13/7383 S. 7).
Diese Umstellung führt normalerweise nicht dazu, dass die mit der Sicherheits-
leistung verfolgten gesetzgeberischen Ziele - Sicherheit für den Beteiligten und
Abschrecken unseriöser Bieter - verfehlt werden. Denn normalerweise wird für
den Versteigerungsgegenstand kein symbolischer, sondern ein realer Wert
festgesetzt. In einem solchen Fall lassen sich die genannten Ziele auch mit be-
tragsmäßig geringen Sicherheiten erreichen. Wird dagegen für den Versteige-
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rungsgegenstand nur ein symbolischer Wert festgesetzt, führt das zwangsläufig
dazu, dass auch die Sicherheit nur noch Symbolwert hat und ihre Erbringung
sinnlos wird. Für ein Verlangen, eine solche sinnlose Sicherheit zu erbringen,
besteht kein schützenswertes Interesse.
c) Es lässt sich auch nicht, wie offenbar das Vollstreckungsgericht meint,
mit dem Anliegen rechtfertigen, rechtsmissbräuchliche Gebote abzuwenden.
Kann man mit den im Zwangsversteigerungsverfahren verfügbaren Mitteln (da-
zu Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 156/11, WM 2012, 1396, 1397
Rn. 15) nicht feststellen, ob das Gebot rechtsmissbräuchlich ist, könnten die
Beteiligten Bieter, die die offenkundig nutzlose Sicherheit nicht vorsorglich er-
bracht haben, auf Verdacht und letztlich aufs Geratewohl aus dem Verfahren
drängen, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, ihre Seriosität zu belegen.
Lässt sich dagegen, etwa durch den Nachweis der Insolvenzeröffnung oder der
Einstellung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse oder durch gerichtsbe-
kannte Anträge auf Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe, feststellen, dass ein
Gebot rechtsmissbräuchlich ist, wäre es zurückzuweisen, ohne dass es eines
Antrags auf Leistung der nur noch symbolischen Sicherheit bedürfte.
3. Zu beanstanden ist aber, dass das Beschwerdegericht entgegen § 101
ZVG nicht ausdrücklich selbst in der Sache entschieden und der Ersteherin den
Zuschlag nicht förmlich versagt hat. Das hat das Beschwerdegericht in der Sa-
che dadurch erreicht, dass es den Zuschlag aufgehoben und das Verfahren an
das Vollstreckungsgericht zurückverwiesen hat. Dass darin auch eine Versa-
gung des Zuschlags liegt, ist klarzustellen.
4. Aufzuheben ist die Kostenentscheidung in der Beschwerdeentschei-
dung. Eine Kostenentscheidung ist im Verfahren über eine Zuschlagsbe-
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schwerde nicht veranlasst, weil sich die Beteiligten hier nicht als Parteien im
Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (Senat, Beschluss vom
25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378, 381 m.w.N.).
IV.
Eine Kostenentscheidung ist aus dem vorgenannten Grund auch hier
nicht veranlasst. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 54 Abs. 2
Satz 1 und § 47 GKG und § 26 RVG. Für die Gerichtskosten ist der Wert des
Zuschlags von 110.000 € maßgeblich. Für die Vertretung des Schuldners, der
Ersteherin und der Mitbieterin ist nach § 26 Nr. 2 RVG der Wert des Grund-
stücks maßgeblich. Dieser Wert stellt nach § 26 Nr. 1 Satz 4 RVG auch die
Grenze des Werts für die Vertretung der Gläubigerin dar. Dieser Wert ist derzeit
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auf 1 € festgesetzt. Diese Festsetzung ist aber durch das Ergebnis der Wieder-
versteigerung überholt. Danach hat das Grundstück einen Wert von 110.000 €.
Krüger
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Mühldorf a. Inn, Entscheidung vom 23.12.2010 - K 147/09 -
LG Traunstein, Entscheidung vom 18.04.2011 - 4 T 32/11 -