Urteil des BGH vom 22.10.2015

Leitsatzentscheidung zu Nachlass, Erbengemeinschaft, Erwerb, Erbteil

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 126/14
vom
22. Oktober 2015
in der Grundbuchsache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 741, 1008, 2033 Abs. 1
Übertragen Miterben ihre Anteile am Nachlass jeweils zu gleichen Bruchteilen auf
mehrere Erwerber, entsteht eine Bruchteilsgemeinschaft nur an den Erbteilen. Hin-
sichtlich des Nachlasses bleiben die Inhaber der Erbteile gesamthänderisch verbun-
den.
Befindet sich im Nachlass ein Grundstück, werden die Erwerber deshalb mit dem
Zusatz „in Erbengemeinschaft“ als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Ihre
Eintragung als Miteigentümer ist nur nach entsprechender Auflassung möglich.
BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 126/14 - OLG Jena
AG Jena
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Oktober 2015 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-
Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats
des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 16. Juni 2014 wird
zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
5.000 €.
Gründe:
I.
Der 1948 verstorbene P. W. wurde von Dr. R. und A. W. beerbt, die in
das Grundbuch als Eigentümer des zum Nachlass gehörenden
Grundstücks „in
Erbeng
emeinschaft“ eingetragen wurden. Mit notarieller Urkunde vom
25. Februar 2013 übertrug jeder der beiden Miterben seinen Erbanteil jeweils
zur Hälfte auf die Beteiligten zu 1 und 2. Diese wurden ebenfalls mit dem Zu-
satz „in Erbengemeinschaft“ in das Grundbuch eingetragen. Sie haben bean-
tragt, das Grundbuch dahin zu berichtigen, dass sie unter Wegfall des Zusatzes
„in Erbengemeinschaft“ als Miteigentümer zu je 1/2 eingetragen werden.
Das Grundbuchamt hat den Berichtigungsantrag zurückgewiesen mit der
Begründung, zur Entstehung einer Miteigentümergemeinschaft bedürfe es einer
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Erbauseinandersetzung nebst Auflassung. Die dagegen gerichtete Beschwerde
hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbe-
schwerde verfolgen die Beteiligten zu 1 und 2 ihren Antrag auf Grundbuchbe-
richtigung weiter.
II.
Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung u.a. in MittBayNot 2015,
323 veröffentlicht ist, meint, die Veräußerung sämtlicher Miteigentumsanteile an
die Beteiligten habe die gesamthänderische Bindung des Eigentums nicht ent-
fallen lassen, so dass es zur Begründung von Bruchteilseigentum an dem zum
Nachlass gehörenden Grundstück einer Auflassung bedürfe. Ein derartiger Er-
werb führe zur Entstehung einer Bruchteilsgemeinschaft an den erworbenen
Erbanteilen innerhalb der bestehenden Gesamthandsgemeinschaft, die auch
bei vollständiger Auswechslung ihrer Mitglieder fortgesetzt werde.
III.
Der nach § 78 GBO statthaften und auch im Übrigen zulässigen Rechts-
beschwerde bleibt in der Sache der Erfolg versagt. Die Erwägungen des Be-
schwerdegerichts halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
1. Zutreffend legt das Beschwerdegericht zugrunde, dass über einen
Erbteil auch in Bruchteilen verfügt werden kann (ganz hM, vgl. nur Senat, Urteil
vom 28. Juni 1963 - V ZR 15/62, NJW 1963, 1610, 1611; Staudinger/Werner,
BGB [2010], § 2033 Rn. 7; Lange, Erbrecht, 2011, § 56 Rn. 23; jeweils mwN;
skeptisch Otto, NotBZ 2015, 26, 27 mwN) und dass die Überführung eines im
Gesamthandseigentum stehenden Nachlassgrundstücks in Bruchteilseigentum
der Auflassung bedarf (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juli 1956 - V BLw 11/56,
BGHZ 21, 229, 231; OLG München, FamRZ 2012, 154 f. mwN).
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2. Mit Recht geht das Beschwerdegericht auch davon aus, dass die ge-
samthänderische Bindung vorliegend nicht mit der Folge erloschen ist, dass die
Beteiligten an dem Grundstück Bruchteilseigentum erworben haben.
a) Allerdings ist umstritten, ob bei Übertragung aller Erbteile zu gleichen
Bruchteilen auf mehrere Erwerber die Erbengemeinschaft fortbesteht (so
BayObLG, NJW 1968, 505; KGJ 46, 181, 184 ff.; KG, NJW-RR 1999, 880, 882;
Palandt/Weidlich, BGB, 74. Aufl., § 2033 Rn. 2; Lange/Kuchinke, Erbrecht,
5. Aufl., S. 1090; Tiedtke, JuS 1977, 158, 160 f; Lehmann, NJW 1976, 263, 264;
Haegele, Rpfleger 1968, 173, 177; vgl. auch OLG Köln, Rpfleger 1974, 109 f.;
zumindest der Sache nach nunmehr auch BFHE 117, 270, 271 f.) oder ob sie
erlischt mit der Folge, dass die Erwerber ohne vorherige Auflassung als Bruch-
teilseigentümer des zum Nachlass gehörenden Grundstücks eingetragen wer-
den können (so Staudinger/Werner, BGB [2010], § 2033 Rn. 7; ders., ZEV
2014, 604 f.; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 2033 Rn. 15; Bayer/Scholz, ZErb
2015, 149, 150 ff.; Werner, ZEV 2014, 604; wohl auch MüKoBGB/Schmidt,
6. Aufl., § 1008 Rn. 11).
b) Der Senat teilt die zuerst genannte Auffassung.
aa) Der Gesetzgeber hat die Miterbengemeinschaft als Gesamthands-
verhältnis mit der Folge ausgestaltet, dass ein Miterbe nach § 2033 Abs. 2 BGB
über „seinen Anteil“ an einzelnen Nachlassgegenständen nicht verfügen kann
(vgl. Prot. Bd. V, 1899, S. 835 f. u. 838); das gilt selbst dann, wenn der Nach-
lass nur (noch) aus einem einzigen Vermögensgegenstand besteht (vgl. BGH,
Urteil vom 14. Oktober 1969 - III ZR 73/66, NJW 1969, 92). Um die daraus re-
sultierenden Härten abzumildern, hat er dem Miterben allerdings gemäß § 2033
Abs. 1 BGB die Befugnis eingeräumt, über seinen Anteil am Nachlass zu verfü-
gen, um auf diese Weise eine alsbaldige Verwertbarkeit des Erbteils sicherzu-
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stellen (vgl. Prot. Bd. V, 1899, S. 835 f. u. 838). Wird ein Erbteil veräußert, führt
dies dazu, dass der Veräußerer aus der mit dem Erbfall kraft Gesetzes zwi-
schen ihm und den übrigen Miterben entstandenen Gesamthandsgemeinschaft
ausscheidet und die Gemeinschaft mit dem Erwerber fortgeführt wird (vgl. nur
Senat, Beschluss vom 9. Juli 1956 - V BLw 11/56, BGHZ 21, 229, 231; Urteil
vom 28. Juni 1963 - V ZR 15/62, NJW 1963, 1610, 1611; BayObLG, NJW 1968,
505; KG, NJW-RR 1999, 880, 882). Das gilt nach der Wertung des § 2037 BGB
zumindest grundsätzlich selbst dann, wenn keine Miterben mehr beteiligt sind,
sondern nur noch Dritte Erbteile halten. Ansonsten litte die Verkehrsfähigkeit
des Erbteils, weil ein Erwerber in Rechnung stellen müsste, dass der Anteil von
dem Ausscheiden des letzten Miterben an nicht mehr als solcher übertragen
werden könnte. Dass die durch den Erbfall begründete Gesamthandsgemein-
schaft im Grundsatz auf Auseinandersetzung und damit auf Beendigung ange-
legt ist, ändert daran nichts.
bb) Der Fortbestand der durch den Erbfall begründeten Gesamthands-
gemeinschaft kann nur ausnahmsweise verneint werden, weil nicht nur die erb-
rechtliche, sondern auch die sachenrechtliche Zuordnung in Rede steht, die mit
Blick auf die Erfordernisse des Rechtsverkehrs in erhöhtem Maße der Rechts-
sicherheit und Rechtsklarheit bedarf. Vor diesem Hintergrund kann eine teleo-
logische Reduktion nur in zweifelsfreien Fällen und bei typisierender Betrach-
tung zum Tragen kommen, praktische Gründe allein rechtfertigen sie nicht (aA
MüKoBGB/Schmidt, aaO, § 1008 Rn. 11, der trotz rechtsdogmatischer Beden-
ken das Vorliegen „rechtspraktischer“ Gründe für ausreichend hält).
(1) So ist es anerkannt, dass die Gesamthandsgemeinschaft erlischt,
wenn ein Miterbe oder ein Dritter sämtliche Erbanteile erwirbt und sich damit
sämtliche Erbteile in ein und derselben (natürlichen oder juristischen) Person
vereinigen. Die Rechtslage ist dann keine andere als bei dem Erwerb des
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Nachlasses durch einen Alleinerben (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. März 1992
- IX ZR 14/91, NJW-RR 1992, 733 mwN). Der rechtsgeschäftlich Erwerbende
ist so zu stellen, wie er als Alleinerbe stünde. Ein Bedürfnis, über den Nachlass
als Ganzes zu verfügen, besteht in beiden Fällen nicht (mehr). Eine Auseinan-
dersetzung
mit
Mitberechtigten
findet
nicht
statt.
Sowohl
der
Alleinerbe als auch der Erwerber sämtlicher Erbteile kann ohne weiteres die
rechtlichen Voraussetzungen für eine Verfügung über Einzelgegenstände
schaffen; der Abstimmung mit Mitberechtigten bedarf es hierzu von vornherein
nicht. Der Grund für die Einräumung der Möglichkeit, über den Erbteil zu verfü-
gen, besteht in solchen Fällen nicht oder nicht mehr. Der mit dem Modell der
gesamthänderischen Bindung verbundene Nachteil, wonach der Mitberechtigte
nicht über seinen Anteil an einzelnen Nachlassgegenständen verfügen kann
(§ 2033 Abs. 2 BGB), braucht nicht (mehr) durch die Möglichkeit der Verfügung
über den Erbteil abgefedert zu werden.
(2) Hier hat kein Erwerb sämtlicher Erbanteile durch einen Erwerber
stattgefunden. Wird der Erbteil anteilig auf mehrere Erwerber übertragen, bilden
die Erwerber eine Gemeinschaft nach Bruchteilen (§ 741 BGB). Die Bruchteils-
gemeinschaft gibt es aber nicht als solche, sondern nur bezogen auf das Recht,
das den Mitgliedern der Gemeinschaft gemeinschaftlich zusteht. Handelt es
sich um mehrere Erbteile, besteht an diesen jeweils eine Bruchteilsgemein-
schaft. Hinsichtlich des Nachlasses bleiben die Inhaber der Erbteile gesamt-
händerisch verbunden; eine Vereinigung der Erbteile zu einer Bruchteilsge-
meinschaft am Nachlass tritt nicht ein (vgl. Lohmann, MittBayNot 2015, 324).
(3) Für den Fortbestand der Erbengemeinschaft gibt es darüber hinaus
gute Gründe: Bei dem anteilsmäßigen Erwerb sämtlicher Erbteile durch eine
Mehrzahl von Erwerbern wird diesen bei der gebotenen typisierenden Betrach-
tung mit Blick auf die ansonsten eintretende verschärfte Miterbenhaftung (vgl.
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§ 2059 Abs. 1 Satz 1, § 2060 BGB) regelmäßig daran gelegen sein, vor einer
Aufteilung des Nachlasses zunächst die Nachlassverbindlichkeiten zu berichti-
gen (Tiedtke, JuS 1977, 158, 161). In aller Regel kann auch erst nach Klärung
der Passivseite des Nachlasses eine sachgerechte Entscheidung darüber ge-
troffen werden, ob und ggf. hinsichtlich welcher Nachlassgegenstände eine
Auseinandersetzung stattfindet, ob sie in Allein- oder Bruchteilseigentum über-
führt werden sollen oder ob es zweckmäßig erscheint, die Gesamthandsbin-
dung bis auf weiteres aufrechtzuerhalten. Das gilt auch dann, wenn ein Grund-
stück der einzige Nachlassgegenstand ist. Es steht weiterhin im Gesamthands-
eigentum.
Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob die Beendigung der gesamt-
händerischen Bindung zudem zu einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Inte-
ressen der Nachlassgläubiger führte (bejahend Tiedtke, aaO; aA Bayer/Scholz,
ZErb 2015, 149, 151 f.), die über dasjenige Maß hinausgehen, welches die
Gläubiger bei Vereinigung aller Anteile in einer Hand hinzunehmen hätten.
c) Die Voraussetzungen für eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat
der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG liegen nicht
vor. Zwar weicht der Senat von der in dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom
11. Juni 1975 (NJW 1975, 2119) zugrunde gelegten Rechtsauffassung ab, wo-
nach die durch den Erbfall begründete Gesamthandsgemeinschaft bei Erbteils-
übertragungen der vorliegenden Art ihr Ende findet. Jedoch entfällt die Vorlage-
pflicht, wenn die frühere Entscheidung überholt ist (vgl. nur Kissel/
Mayer, GVG, 7. Aufl., zu § 132 GVG Rn. 20). Davon ist hier schon deshalb
auszugehen, weil der Bundesfinanzhof nunmehr in ständiger Rechtsprechung
davon ausgeht, dass schon die Übertragung eines Erbteils den Tatbestand des
§ 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEstG verwirklicht, sofern zu dem Nachlass ein Grundstück
gehört (vgl. nur BFHE 117, 270, 271 ff.; BFHE 178, 468; BFHE 246, 222
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Rn. 9 f. mwN). Davon abgesehen liegt eine zur Vorlage führende Abweichung
auch dann nicht (mehr) vor, wenn die zur Divergenz führende Rechtsauffas-
sung mittlerweile aufgegeben worden ist (vgl. nur BFH, Beschluss vom 22. Juli
2014 - XI B 29/14, juris Rn. 11 mwN, zu § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO; Kissel/Mayer,
aaO). So liegt es hier. In der Entscheidung vom 17. Juli 1975 (BFHE 117, 270)
hat der Bundesfinanzhof nicht nur seine steuerliche Rechtsauffassung geän-
dert. Er ist zudem von der früheren zivilrechtlichen Beurteilung zur Beendigung
der Gesamthandsgemeinschaft durch Erwerb sämtlicher Erbteile abgerückt,
indem er ausführt, dass nach der Erbteilsübertragung Eigentum zur gesamten
Hand bestehe (aaO, S. 271), dass die Erbengemeinschaft nicht erloschen sei,
weil die Erbanteile niemals in einer Hand zusammengefasst worden seien
(aaO, S. 271) und dass die Überführung gesamthänderisch gebundenen Eigen-
tums in Bruchteilseigentum der (rechtsgeschäftlichen) Übertragung bedürfe
(aaO, S. 272).
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IV.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
Stresemann
RinBGH Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
Brückner
ist infolge einer Dienstreise an der Unterschrift
gehindert.
Karlsruhe, den 12. November 2015
Die Vorsitzende
Stresemann
Göbel
Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Jena - Grundbuchamt -, Entscheidung vom 14.04.2014 - JE-2094 -
OLG Jena, Entscheidung vom 16.06.2014 - 3 W 184/14 -
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