Urteil des BGH vom 15.12.2011

Leitsatzentscheidung zu Verkündung, Zwangsvollstreckung, Einspruch, Härte, Grundstück

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 124/11
vom
15. Dezember 2011
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZVG § 87 Abs. 1
Wird die Zuschlagsentscheidung entgegen der Regelung in § 87 Abs. 1 ZVG nicht
verkündet, ist sie gleichwohl wirksam, wenn das Versteigerungsgericht sie den Ver-
fahrensbeteiligten zum Zweck der Verlautbarung förmlich zugestellt hat; der Verfah-
rensfehler führt allerdings zur Aufhebung der Entscheidung im Beschwerdeverfahren,
wenn sie auf der Verletzung des Verfahrensrechts beruht, ohne den Fehler also an-
ders ausgefallen wäre.
BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - V ZB 124/11 - LG Dresden
AG Dresden
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Dezember 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Lemke, die Richterin
Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub und die Richterin Weinland
beschlossen:
Dem Schuldner wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren unter
Beiordnung der Rechtsanwälte Prof. Dr. Reinelt und Dr. Genius
Prozesskostenhilfe bewilligt.
Die Rechtsbeschwerde der Meistbietenden gegen den Beschluss
der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 15. April 2011
wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
für die Gerichtskosten 46.200
€ und für die anwaltliche Vertretung
der Meistbietenden und des Schuldners 66.000
€.
Gründe:
I.
Die Meistbietenden sowie der Schuldner, der Eigentümer des im Eingang
dieses Beschlusses bezeichneten Wohnungseigentums ist, sind mit jeweils ei-
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nem Miteigentumsanteil von 50/100 die Mitglieder der Wohnungseigentümer-
gemeinschaft "M. Straße 110" in D. . Sondereigentum und Mitei-
gentumsanteil unterliegen einer im Grundbuch eingetragenen Veräußerungsbe-
schränkung; danach ist zur Veräußerung die Zustimmung des Verwalters erfor-
derlich. Ein Verwalter ist jedoch nicht bestellt; die Verwaltung des gemeinschaft-
lichen Eigentums und des gemeinschaftlichen Vermögens wird vielmehr in Ei-
gentümerselbstverwaltung durchgeführt.
Die Meistbietenden erwirkten gegen den Schuldner am 2. März 2009
einen Vollstreckungsbescheid über eine Forderung von 63.945
€, welcher dem
Schuldner nach Mitteilung des Mahngerichts am 4. März 2009 zugestellt wurde.
Am 9. Februar 2010 wurde im Wege der Zwangsvollstreckung aus dem Voll-
streckungsbescheid eine Sicherungshypothek zu Lasten des Wohnungseigen-
tums des Schuldners eingetragen.
Bereits am 27. Mai 2009 hatte das Vollstreckungsgericht auf Antrag des
Beteiligten zu 5 die Zwangsversteigerung des Wohnungseigentums angeord-
net; der Verkehrswert des Objekts wurde auf 66.000
€ festgesetzt. Hinsichtlich
des Antrags dieses Gläubigers wurde das Verfahren später einstweilen einge-
stellt. Die Beteiligte zu 9 blieb einzige betreibende Gläubigerin (aus der Rang-
klasse 3 des § 10 Abs. 1 ZVG).
In dem Versteigerungstermin am 29. September 2010 gaben allein die
Meistbietenden ein Bargebot von 3.600
€ ab.
Mit einem nach dem Protokoll des Versteigerungstermins in diesem ver-
kündeten Beschluss, der allerdings das Datum 4. Oktober 2010 trägt, versagte
das Vollstreckungsgericht den Meistbietenden den Zuschlag, erteilte ihn dann
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aber auf deren sofortige Beschwerde im Wege der Abhilfeentscheidung - ohne
Anhörung des Schuldners - mit Beschluss vom 5. Oktober 2010.
Seine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat der Schuldner u.a.
damit begründet, dass ihm der von den Meistbietenden erwirkte Vollstre-
ckungsbescheid nicht zugestellt worden sei und er Einspruch gegen ihn einge-
legt habe, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde stattgegeben und den
Zuschlagsbeschluss des Vollstreckungsgerichts vom 5. Oktober 2010 aufgeho-
ben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Meistbietenden
das Ziel, die Entscheidung des Amtsgerichts wiederherzustellen. Der Schuldner
beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Das Beschwerdegericht meint, das Vollstreckungsgericht sei nach § 87
Abs. 1 ZVG verpflichtet gewesen, einen Verkündungstermin für seine Abhilfe-
entscheidung zu bestimmen. Durch die sofortige Entscheidung sei dem Schuld-
ner das Recht genommen worden, Schuldnerschutzanträge zu stellen. Ein sol-
cher Antrag nach § 765a ZPO wäre auch erfolgreich gewesen. Es stelle für den
Schuldner eine unzumutbare Härte dar, wenn den Meistbietenden der Zuschlag
erteilt würde, obwohl eine rechtskräftige Entscheidung über den Bestand der
Forderung, für welche die Sicherungshypothek eingetragen worden sei, auf-
grund des zwischen ihnen und dem Schuldner hierüber geführten Rechtsstreits
noch nicht ergangen sei. Sollte nämlich die Forderung unbegründet sein, be-
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stünde für die Meistbietenden aufgrund der Akzessorietät der Sicherungshypo-
thek keine dingliche Berechtigung im Sinne von § 85a Abs. 3 ZVG; der Zu-
schlag wäre deshalb nach § 85a Abs. 1 ZVG zu versagen.
III.
Die Erwägungen des Beschwerdegerichts halten rechtlicher Nachprüfung
Stand. Die nach § 96 ZVG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 575 ZPO statthafte und
auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Der Zuschlag durfte den Meistbietenden nach § 83 Nr. 6 ZVG nicht er-
teilt werden, weil das Versteigerungsgericht einen Termin zur Verkündung des
Zuschlagsbeschlusses hätte anberaumen müssen.
a) Nach § 87 Abs. 1 ZVG ist der Beschluss, durch welchen der Zuschlag
erteilt oder versagt wird, in dem Versteigerungstermin oder in einem sofort zu
bestimmenden Termin zu verkünden. Das Vollstreckungsgericht hat nach
pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob es den Zuschlag in dem einen
oder in dem anderen Termin verkündet; die Kontrolle des Beschwerdegerichts
beschränkt sich demzufolge auf Ermessensfehler (Senat, Beschluss vom
14. Juli 2011 - V ZB 25/11, NJW-RR 2011, 1434 Rn. 4).
b) Diese Kontrolle hat das Beschwerdegericht zwar durchgeführt; aber es
ist dabei von einem fehlerhaften Ansatz ausgegangen, den sowohl die Meistbie-
tenden als auch der Schuldner übernommen haben. Das Beschwerdegericht
hat nämlich nicht erkannt, dass das Versteigerungsgericht keinen Ermessens-
spielraum hatte. Denn dieser ist ihm nur eröffnet, wenn es sich zwischen der
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Verkündung des Zuschlagsbeschlusses in dem Versteigerungstermin und der
Verkündung in einem besonderen Termin entscheiden kann. Hier bestand indes
keine Entscheidungsmöglichkeit mehr, weil der Versteigerungstermin bereits
abgeschlossen war, als das Vollstreckungsgericht den Zuschlagsbeschluss am
5. Oktober 2010 fasste. Es hätte deshalb nach § 87 Abs. 1 ZVG zwingend
einen Termin zur Verkündung des Beschlusses bestimmen müssen.
c) Die unterlassene Verkündung hat dann nicht die Unwirksamkeit des
Beschlusses zur Folge, sondern bedeutet einen Verfahrensmangel, wenn das
Versteigerungsgericht den Beschluss den Verfahrensbeteiligten zum Zweck der
Verlautbarung förmlich zugestellt hat (OLG Köln, MDR 1982, 330; Hintzen in
Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 87 Rn. 15;
ebenso Senat, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 37/03, NJW 2004, 2019, 2020
zu einem entgegen § 310 Abs. 1 ZPO nicht verkündeten Urteil; aA Stöber, ZVG,
19. Aufl., § 87 Rn. 2.5). So war es hier. Die erkennende Rechtspflegerin hat die
Zustellung des Zuschlagsbeschlusses an die Meistbietenden, den Schuldner
und die übrigen Beteiligten verfügt, so dass ihr Wille, die Entscheidung zu er-
lassen, trotz des Verstoßes gegen § 87 Abs. 1 ZVG außer Frage steht.
d) Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses,
weil dieser auf der Verletzung des Verfahrensrechts beruht, die Entscheidung
ohne den Fehler also anders ausgefallen wäre (vgl. Senat, Beschluss vom
14. Juli 2011 - V ZB 25/11, NJW-RR 2011, 1434 Rn. 7; OLG Köln, MDR 1982,
330; Senat, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 37/03, NJW 2004, 2019, 2020 zu
einem Verstoß gegen § 310 Abs. 1 ZPO). Denn die Anberaumung eines Ver-
kündungstermins hätte dem Schuldner die Gelegenheit gegeben, mit einem
Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO die Erteilung des Zuschlags zu
verhindern.
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aa) Ein solcher Antrag wäre zulässig gewesen. Insbesondere hätte dem
Schuldner dafür nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gefehlt, weil er
bei dem Prozessgericht, welches über den Einspruch gegen den von den
Meistbietenden erwirkten Vollstreckungsbescheid zu entscheiden hat, keinen
Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 700 Abs. 1,
§§ 707, 719 Abs. 1 ZPO) gestellt hat. Denn ein solcher Antrag hat nur dann
Vorrang vor einem Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO (dazu BGH,
Beschluss vom 4. Juli 2007 - VII ZB 15/07, NJW 2007, 2703, 2704 Rn. 11),
wenn die Zwangsvollstreckung aus demselben Titel betrieben wird, dessen Be-
seitigung der Schuldner vor dem Prozessgericht erstrebt. Daran fehlt es hier.
bb) Der Antrag wäre auch erfolgreich gewesen. Die Erteilung des Zu-
schlags an die Meistbietenden auf das Bargebot von 3.600
€ bedeutet für den
Schuldner unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses der betreibenden
Gläubigerin zu 9 eine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte (§ 765a
Abs. 1 Satz 1 ZPO) und führt deshalb nach Abwägung der beiderseitigen Be-
lange zu einem untragbaren Ergebnis (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2004
- IXa ZB 267/03, NJW 2004, 3635, 3636), nämlich zur eventuellen Verschleude-
rung des Wohnungseigentums.
(1) Zwar können Einwendungen gegen den Bestand des dinglichen An-
spruchs aus einem Grundpfandrecht nicht vor dem Vollstreckungsgericht gel-
tend gemacht werden, sondern sind grundsätzlich im Erkenntnisverfahren zu
verfolgen und von dem Prozessgericht zu entscheiden (BGH, Beschluss vom
27. Februar 2004 - IXa ZB 247/03, NJOZ 2004, 1208, 1211). Auch der Ein-
wand, der Gläubiger habe sich den Vollstreckungstitel erschlichen, kann nach
überwiegender Ansicht in der Rechtsprechung einen Antrag nach § 765a ZPO
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nicht begründen (HansOLG Hamburg, MDR 1970, 426; KG, FamRZ 1966, 157;
OLG Köln, NJW 1957, 1197; aA OLG Düsseldorf, MDR 1959, 309). Aber beides
gilt nur dann, wenn mit diesem Antrag eine Vollstreckungsmaßnahme angegrif-
fen wird, deren Grundlage derselbe Titel ist wie der, gegen den sich die Ein-
wendungen richten bzw. den der Gläubiger sich erschlichen haben soll. So liegt
es hier nicht; die Meistbietenden haben das Zwangsversteigerungsverfahren
nicht betrieben. Deshalb hätte der Schuldner mit einem Vollstreckungsschutz-
antrag nach § 765a ZPO die Unwirksamkeit des von den Meistbietenden erwirk-
ten Vollstreckungsbescheids geltend machen können (vgl. BGH, Beschluss
vom 27. Februar 2004 - IXa ZB 135/03, NJW 2004, 1803, 1805 aE; LG Frank-
furt am Main, Rpfleger 1985, 35, 36).
(2) Da seinerzeit die Frage der Wirksamkeit des Vollstreckungsbescheids
Gegenstand eines vor dem Prozessgericht geführten Rechtsstreits war, hätte
die Versteigerungsrechtspflegerin aufgrund des Vortrags des Schuldners, ihm
sei dieser Vollstreckungsbescheid nicht zugestellt worden, zur Vermeidung
einer eventuellen - unumkehrbaren - Verschleuderung des Wohnungseigen-
tums den Zuschlag nicht erteilen dürfen, sondern das Verfahren einstweilen
einstellen müssen. Denn wenn das Prozessgericht auf den Einspruch des
Schuldners hin den Vollstreckungsbescheid aufhebt, besteht die auf dessen
Grundlage in das Grundbuch eingetragene Zwangssicherungshypothek (§ 867
ZPO) zugunsten der Meistbietenden nicht. Vielmehr erwirbt in diesem Fall der
Schuldner die Hypothek (§ 868 Abs. 1 ZPO) mit der Folge, dass sie zur Eigen-
tümergrundschuld wird (§ 1177 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Meistbietenden gehö-
ren dann nicht mehr zu den zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten
im Sinne von § 85a Abs. 3 ZVG. Auf ihr Bargebot von 3.600
€ darf ihnen nach
§ 85a Abs. 1 ZVG der Zuschlag nicht erteilt werden, weil es - mangels beste-
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henbleibender Rechte - die Hälfte des festgesetzten Verkehrswerts des Woh-
nungseigentums bei weitem nicht erreicht.
2. Somit ist die Rechtsbeschwerde unbegründet. Der angefochtene Be-
schluss hat Bestand. Das Beschwerdegericht hat zu Recht den Zuschlagsbe-
schluss des Versteigerungsgerichts vom 5. Oktober 2010 aufgehoben.
IV.
1. Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den
Schuldner beruht auf §§ 119 Abs. 1, 114 ff. ZPO.
2. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Die Beteiligten in dem Ver-
fahren über die Zuschlagsbeschwerde stehen sich grundsätzlich nicht als Par-
teien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüber (Senat, Beschluss vom
14. Juli 2011 - V ZB 25/11, juris Rn. 11, insoweit nicht abgedruckt in NJW-RR
2011, 1434; Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378,
381 Rn. 7 mwN).
3. Der Gegenstandswert ist nach § 47 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 2 Satz 1
GKG nach dem Wert des Zuschlags zu bestimmen, hier mithin nach dem Gebot
einschließlich des Werts der nach den Versteigerungsbedingungen bestehen
bleibenden Rechte zuzüglich des Betrags, in dessen Höhe der Ersteher nach
§ 114a ZVG als aus dem Grundstück befriedigt gilt. Der Wert der anwaltlichen
Vertretung richtet sich gemäß § 26 Nr. 2 RVG nach dem Verkehrswert des
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Grundstücks (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2011 - V ZB 25/11, juris Rn. 11,
insoweit nicht abgedruckt in NJW-RR 2011, 1434).
Krüger
Lemke
Stresemann
Czub
Weinland
Vorinstanzen:
AG Dresden, Entscheidung vom 05.10.2010 - 515 K 204/09 -
LG Dresden, Entscheidung vom 15.04.2011 - 2 T 899/10 -