Urteil des BGH vom 10.02.2011

Leitsatzentscheidung zu Auszahlung, Einlage, Treu Und Glauben, Anleger, Umbuchung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
IX ZR 18/10
Verkündet
am:
10. Februar 2011
Kluckow
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 Satz 1; BGB § 366 Abs. 1
Ausschüttungen im Rahmen eines als Schneeballsystem geführten Anlagemodells
erfolgen in der Regel zunächst auf ausgewiesene Scheingewinne und erst danach
auf die geleistete Einlage.
BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - IX ZR 18/10 - OLG Jena
LG Gera
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Dezember 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des
Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 12. Januar 2010 auf-
gehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Gera vom 30. April 2009 abgeändert. Der Be-
klagte wird verurteilt, an den Kläger 5.107,59 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
seit dem 1. Juli 2005
und weitere 506,21 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
6. Mai 2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
und die Berufung zurückgewiesen. Von den Kosten des Rechts-
streits in erster Instanz trägt der Kläger 24 v.H. und der Beklagte
76 v.H., von den Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz der
Kläger 27 v.H. und der Beklagte 73 v.H.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger 27 v.H.
und der Beklagte 73 v.H.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
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Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 11. März 2005 am 1. Juli
2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. Kapital-
dienst GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin bot ihren Kunden die Mög-
lichkeit an, am Erfolg oder Misserfolg von Optionsgeschäften teilzunehmen. Sie
warb mit jährlich zu erzielenden Renditen zwischen 8,7 vom Hundert und 14,07
vom Hundert. Der Beklagte erklärte am 20. November 1998 seinen Beitritt zu
der Anlegergemeinschaft.
Tatsächlich erlitt die Schuldnerin im Zeitraum der Beteiligung des Beklag-
ten Verluste. Um diese zu verschleiern, leitete sie den Anlegern Kontoauszüge
zu, in denen frei erfundene Gewinne ausgewiesen waren. Die Gelder der Anle-
ger wurden nur zu einem geringen Teil und später überhaupt nicht mehr in
Termingeschäften angelegt. Die Einlagen von Neukunden verwendete die
Schuldnerin in der Art eines "Schneeballsystems" für Aus- und Rückzahlungen
an Altkunden. Der Beklagte leistete eine Einlage von umgerechnet 6.646,79 €
und ein Agio von 403,92 €. Er erhielt von der Schuldnerin am 31. März 2003
eine Auszahlung in Höhe von 2.400 € und am 31. Juli 2003 eine Auszahlung in
Höhe von 5.000 €. Ferner buchte die Schuldnerin auf Weisung des Beklagten
am 31. März 2004 den als sein restliches Guthaben geführten Betrag von
4.354,38 € auf das Konto seiner Lebensgefährtin bei der Schuldnerin um.
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Mit seiner auf Anfechtung gestützten Klage hat der Kläger zunächst die
Rückgewähr der an den Beklagten geleisteten Auszahlungen einschließlich der
Umbuchung abzüglich der Einzahlungen des Beklagten, somit 5.107,59 € sowie
die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 506,21 €, je-
weils zuzüglich Zinsen verlangt. Gestützt auf eine Neuberechnung des Konto-
standes der Beklagten unter Berücksichtigung des "realen Handelsergebnis-
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ses", in welcher der Kläger Scheingewinne des Beklagten in Höhe von
6.718,89 € ausgewiesen hat, hat er die Klage auf diesen Betrag erweitert. Das
Landgericht hat der Klage in Höhe der Teilbeträge von 753,21 € (Scheingewin-
ne) und 115,15 € (Rechtsanwaltskosten) zuzüglich Zinsen stattgegeben und sie
im Übrigen abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger
sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat überwiegend Erfolg. Sie führt zur Aufhe-
bung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung des Beklagten in dem aus
dem Tenor ersichtlichen Umfang.
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Der Beklagte war im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz dessen
ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht erschienen. Es ist durch Versäumnisurteil
zu erkennen. Das Urteil beruht aber nicht auf der Säumnis, sondern auf einer
Sachprüfung (
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Umbuchung des Betrags von
4.354,38 € müsse sich der Beklagte grundsätzlich wie eine Auszahlung zurech-
nen lassen. Eine Anfechtung scheide dennoch aus, weil durch die Umbuchung
der Gesamtvermögensbestand der Schuldnerin unverändert geblieben sei und
deshalb die Insolvenzgläubiger der Schuldnerin nicht benachteiligt worden sei-
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en. Die Auszahlungen der Schuldnerin (7.400 €) könne der Insolvenzverwalter
in Höhe der Differenz (753,21 €) zur ursprünglichen Einlage des Beklagten
(6.646,79 €) als objektiv unentgeltliche Leistungen nach § 134 Abs. 1 InsO an-
fechten. Dabei sei der Höhe nach auf die tatsächlich gezahlte Einlage abzustel-
len und nicht auf den von der Schuldnerin im Rahmen der nachträglichen Be-
rechnung ermittelten, nach der Verrechnung von Verlustzuweisungen und Be-
standsprovisionen verbleibenden Restbetrag der Einlage.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem
Umfang stand.
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1. Bei der Beurteilung, in welchem Umfang der Kläger die Auszahlungen
der Schuldnerin als unentgeltliche Leistungen nach § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1
InsO zurückverlangen kann, hat das Berufungsgericht den richtigen Ausgangs-
punkt gewählt. Der Insolvenzverwalter kann die Auszahlung von in "Schnee-
ballsystemen" erzielten Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuld-
ner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten
(BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137 Rn. 6;
vom 22. April 2010 - IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 Rn. 6; jeweils m.w.N.). Aus-
zahlungen, mit denen - etwa nach einer Kündigung der Mitgliedschaft in der
Anlegergemeinschaft - vom Anleger erbrachte Einlagen zurückgewährt worden
sind, sind dagegen als entgeltliche Leistungen nicht anfechtbar (BGH, Urteil
vom 22. April 2010 - IX ZR 225/09, ZIP 2010, 1455 Rn. 11).
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2. Um eine anfechtbare Auszahlung von Scheingewinnen handelte es
sich bei der Zahlung der Schuldnerin vom 31. März 2003 in voller Höhe von
2.400 € und bei der Zahlung vom 31. Juli 2003 in Höhe eines Teilbetrags von
2.707,59 €. Die Summe von 5.107,59 € hat der Beklagte nach § 134 Abs. 1,
§ 143 Abs. 1 InsO zurückzuzahlen.
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a) Ein Schuldner kann seine Leistung einem bestimmten, auch einem
fiktiven Schuldverhältnis zuordnen (BGH, Urteil vom 29. November 1990
- IX ZR 29/90, BGHZ 113, 98, 101 und 104). Die Auszahlungen der Schuldnerin
erfolgten jeweils primär auf die angeblich erzielten Gewinne und erst nach de-
ren Ausschöpfung auf die Einlage des Beklagten.
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aa) Dieser Auslegung stehen die vertraglichen Vereinbarungen nicht
entgegen. Sie beschränkten die Rechte des Beklagten nicht auf einen einheitli-
chen vertraglichen Auszahlungsanspruch (a.A. Bitter/Heim, ZIP 2010, 1569,
1572). Zwar unterscheidet der Auszahlungsanspruch nach Nr. 13 der vereinbar-
ten Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht zwischen der Auszahlung von
Gewinnen und der Auszahlung der Einlage. Für den dort geregelten Fall der
Beendigung des gesamten Vertrages ist eine solche Unterscheidung aber auch
nicht nötig. Was bei Teilauszahlungen gelten soll, ist damit nicht entschieden.
Die Regelung in Nr. 12.3 AGB, nach welcher der Anleger am weiteren Ergebnis
der Anlagegeschäfte nicht mehr teilnimmt, wenn der Wert seiner Beteiligung auf
65 % seiner Gesamteinzahlungen gesunken ist, spricht dafür, dass trotz der
Zusammenfassung der Einzahlungen und der Geschäftsergebnisse auf einem
einheitlichen Konto zwischen beiden zu unterscheiden ist. Dies entspricht auch
dem Konzept der Anlage. Der Anleger hatte einen vereinbarten Geldbetrag ein-
zuzahlen, mit dem Anlagegeschäfte getätigt werden sollten. Die Ergebnisse der
Anlagegeschäfte wurden dem Betrag der Einlage auf einem Konto zugeschrie-
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ben. Gewinne erhöhten das Guthaben, Verluste minderten es. Die buchungs-
technische Zusammenfassung änderte aber nichts an der unterschiedlichen
rechtlichen Qualität von Einzahlung und Gewinnen. Eine gesonderte Behand-
lung sah dementsprechend auch das für Auszahlungsaufträge vorgesehene
Formular der Schuldnerin vor. Es enthielt einerseits Felder für die Auszahlung
eines Teils oder des Gesamtbetrags der Einlage, andererseits Felder für die
periodische oder einmalige Auszahlung der erwirtschafteten Gewinne.
bb) Verlangte der Anleger die Auszahlung nur eines Teilbetrags des
Guthabens, entsprach es grundsätzlich dem Anlagekonzept und den Interessen
der Beteiligten, den Betrag der Einlage nach Möglichkeit zur weiteren Tätigung
von Anlagegeschäften stehen zu lassen und nur die bisher erwirtschafteten
Gewinne abzuziehen. Ein Auszahlungsauftrag ist daher regelmäßig dahin aus-
zulegen, dass in erster Linie eine Auszahlung der erzielten Gewinne erfolgen
sollte und nur dann eine Auszahlung der Einlage, wenn das aus den Gewinnen
resultierende Guthaben für die beantragte Auszahlung nicht ausreichte.
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b) Die Rückzahlung der vom Beklagten geleisteten Einlage von
6.646,79 € erfolgte danach durch die im Zuge der Auflösung des Kontos des
Beklagten veranlasste Umbuchung des Betrags von 4.354,38 € auf das Konto
seiner Lebensgefährtin und zu einem Teilbetrag von 2.292,41 € durch die Aus-
zahlung vom 31. Juli 2003. Der Restbetrag dieser Auszahlung (2.707,59 €) und
der Gesamtbetrag der ersten Auszahlung vom 31. März 2003 (2.400 €) betrafen
Scheingewinne.
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Entgegen der Ansicht der Revision ist kein höherer Anteil der Auszah-
lungen den Scheingewinnen zuzuordnen. Bei der Bestimmung der unentgeltlich
ausgezahlten Scheingewinne ist die ursprüngliche Einzahlung in voller Höhe
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von den Auszahlungen abzuziehen und nicht nur der nach Ansicht des Klägers
noch vorhandene Teil der Einlage. Der Kläger stützt sich insoweit vergeblich auf
die die von ihm nachträglich erstellte "Verteilung des realen Handelsergebnis-
ses und Neuberechnung der Gebühren" in Verbindung mit der auf das Gutha-
ben des Beklagten bezogenen "Realen Gewinn- und Verlustverteilung", in wel-
cher der Kläger die Entwicklung des Kontos des Beklagten abweichend von den
tatsächlich übersandten Kontoauszügen unter Verrechnung von eingetretenen
Verlusten und angefallenen Verwaltungsgebühren darzustellen versucht. Eine
Verrechnung der anteiligen Verluste aus den in geringem Umfang noch getätig-
ten Anlagegeschäften und der Verwaltungsgebühr mit der Einzahlung des Be-
klagten verstößt unter den gegebenen Umständen gegen den Grundsatz von
Treu und Glauben (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - IX ZR 60/10, z.V.b.).
c) Auf die vom Berufungsgericht erörterte Frage, ob die Umbuchung des
Betrags von 4.354,38 € auf das Konto der Lebensgefährtin des Beklagten man-
gels einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (§ 129 Abs. 1 InsO) der In-
solvenzanfechtung entzogen ist, kommt es nicht an.
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III.
Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Es ist auf-
Urteils nur wegen Rechts-
verletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis
erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Se-
nat eine eigene Sachentsc Auf die Beru-
fung des Klägers war das Urteil des Landgerichts abzuändern. Neben dem
nach § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO zurückzugewährenden Betrag von
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5.107,59 € hat der Beklagte wegen Verzugs die dem Kläger entstandenen vor-
gerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der unstreitigen Höhe von 506,21 € zu
erstatten (§§ 280, 286 BGB). Beide Beträge sind mit einem Zinssatz von 5 Pro-
zentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen, der Betrag von 5.107,59 €
ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1,
§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB; BGH, Urteil vom 1. Februar 2007 - IX ZR
96/04, BGHZ 171, 38 Rn. 13-16), der Betrag von 506,21 € ab Verzugseintritt
am 8. Mai 2008.
Kayser Gehrlein Fischer
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
LG Gera, Entscheidung vom 30.04.2009 - 2 O 908/08 -
OLG Jena, Entscheidung vom 12.01.2010 - 5 U 404/09 -