Urteil des BGH vom 22.03.2016

Quote, Feststellungsklage, Fonds, Einfluss

ECLI:DE:BGH:2016:220316BIXZB78.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 78/15
vom
22. März 2016
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Pape
und Dr. Schoppmeyer
am 22. März 2016
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des
13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8. Septem-
ber 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beru-
fung der Kläger als unzulässig verworfen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entschei-
dung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an
das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: bis zu 3.0
00 €
Gründe:
I.
Die Kläger erwarben Kommanditbeteiligungen an zwei Fonds KG. Die
S. GmbH (fortan: Schuldnerin) ist Gründungsge-
sellschafterin und Komplementärin der Fonds. Die Kläger machten Schadens-
ersatzansprüche aus dem Erwerb der Kommanditbeteiligungen gegen die
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Schuldnerin geltend. Während des Rechtsstreits eröffnete das Amtsgericht
München mit Beschluss vom 26. April 2013 das Insolvenzverfahren über das
Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwal-
ter.
Mit Schreiben vom 25. Juni 2013 meldeten die Kläger zwei Forderungen
über 63.000
€ jeweils zuzüglich einer Auslagenpauschale von 20 € zur Tabelle
an. Der Beklagte lehnte die Feststellung zur Tabelle ab. Daraufhin nahmen die
Kläger den Rechtsstreit gegen den Beklagten wieder auf.
Mit ihrer Feststellungsklage beantragen die Kläger in erster Linie, eine
Insolvenzforderung über 126.000
€ Zug-um-Zug gegen Abtretung aller Rechte
aus den Kommanditbeteiligungen der Kläger festzustellen. Der Beklagte mach-
te in erster Instanz unter anderem geltend, dass die liquiden Mittel gerade aus-
reichend seien, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu tragen. Eine Quote
sei nicht zu erwarten. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen
und den Streitwert auf 12.6
00 € festgesetzt. Die von den Klägern eingelegte
Berufung hat das Berufungsgericht als unzulässig verworfen. Hiergegen wen-
den sich die Kläger mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Das Berufungsgericht hat gemeint, der nach § 511 Abs. 2 ZPO erfor-
derliche Beschwerdewert
von über 600 € sei nicht erreicht. Gemäß § 182 InsO
in Verbindung mit § 3 ZPO komme es auf das wirtschaftliche Interesse des
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Gläubigers an der Feststellung seiner Forderung an. Maßgeblicher Zeitpunkt für
die Streitwertfestsetzung sei gemäß § 182 InsO derjenige der Klageerhebung.
Im Streitfall sei auf die Klageänderung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt sei
keine Quote zu erwarten gewesen. Änderungen, die im Laufe des Rechtsstreits
einträten, seien unerheblich. Dass zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmit-
tels möglicherweise eine andere Quote zu erwarten gewesen sei, ändere
nichts. § 4 ZPO besage nur, dass ein Steigen oder Sinken des Wertes des
Streitwerts im Vergleich zum Tag des Eingangs der Klage oder des Eingangs
der Rechtsmittelschrift ohne Einfluss auf die Zuständigkeit oder die Zulässigkeit
des Rechtsmittels sei. Unabhängig davon habe zum Zeitpunkt der Berufungs-
einlegung die Masseunzulänglichkeit fortbestanden.
2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522
Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerde-
gerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Wie die Rechtsbeschwerde darlegt,
weicht das Berufungsgericht mit seiner Rechtsprechung vom allgemeinen Ver-
ständnis des § 4 ZPO ab.
a) Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil das Berufungsge-
richt § 4 ZPO missversteht. Ob eine Berufung die erforderliche Beschwerde-
summe erreicht, richtet sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Einle-
gung der Berufung. Dies gilt - wie der Senat mit Beschluss vom 14. Januar
2016 (IX ZB 57/15, ZIP 2016, 342) näher begründet und entschieden hat - auch
für die Fälle, in denen sich bei unverändertem Streitgegenstand der Wert des
Beschwerdegegenstandes gegenüber dem Zuständigkeitsstreitwert erster In-
stanz verändert hat.
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Daher kommt es für die Frage, ob die Mindestbeschwer erreicht ist, da-
rauf an, welche Quote gemäß § 182 InsO für die Forderung zum Zeitpunkt der
Einlegung der Berufung zu erwarten war (BGH, Beschluss vom 14. Januar
2016 - IX ZB 57/15, ZIP 2016, 342 Rn. 13 mwN). § 182 InsO bestimmt lediglich,
welche Maßstäbe für die Wertberechnung bei einer Klage auf Feststellung einer
Forderung anzulegen sind, deren Bestand vom Insolvenzverwalter oder von
einem Insolvenzgläubiger bestritten wird. Der Zeitpunkt für die Wertberechnung
richtet sich jedoch nach den allgemeinen Regeln (§ 4 InsO in Verbindung mit
§ 4 Abs. 1 ZPO).
b) Nach diesen Maßstäben ist die Berufung der Kläger zulässig. Da das
Landgericht die Feststellungsklage in vollem Umfang abgewiesen hat, ist für die
Beschwer der Kläger maßgeblich, welchen Wert die Feststellungsklage bei Ein-
legung der Berufung hatte. Dies war hier der 20. Mai 2015. Entscheidend ist
dabei, welche Quote bei Abschluss des Insolvenzverfahrens voraussichtlich
erreicht werden wird, so dass es entgegen der Auffassung des Berufungsge-
richts unerheblich ist, ob zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung Masseunzu-
länglichkeit bestand. Vielmehr war nach den ausführlichen Angaben des Be-
klagten, die sich die Kläger zu eigen gemacht haben und an deren Richtigkeit
zu zweifeln kein Anlass besteht, selbst bei ungünstigen Annahmen am 20. Mai
2015 jedenfalls mit einer zukünftigen Quote von 1,74 v.H. zu rechnen. Dies
ergibt gemäß § 182 InsO, § 3 ZPO eine Beschwerdesumme von mindestens
2.192,40
€, welche die Grenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigt.
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3. Das Berufungsgericht wird daher in der Sache zu entscheiden haben.
Kayser
Vill
Lohmann
Pape
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 10.04.2015 - 29 O 25657/12 -
OLG München, Entscheidung vom 08.09.2015 - 13 U 1785/15 -
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