Urteil des BGH vom 18.12.2014

Leitsatzentscheidung zu Aufschiebende Bedingung, Eintritt des Versicherungsfalls, Todesfallleistung, Verwalter, Beendigung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I X Z B 5 0 / 1 3
vom
18. Dezember 2014
in dem Verbraucherinsolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 204 Abs. 1 Satz 2
Die Befugnis zur Erhebung einer sofortigen Beschwerde gegen die Ableh-
nung der Anordnung einer Nachtragsverteilung hat nur der antragstellende
Insolvenzverwalter oder -gläubiger, nicht derjenige, der nur angeregt hat, das
Insolvenzgericht möge von Amts wegen tätig werden.
InsO § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO
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Entsteht nach Beendigung des Insolvenzverfahrens ein Anspruch des
Schuldners auf die Todesfallleistung aus einer Risikolebensversicherung, der
davor aufschiebend bedingt begründet war, kommt die Anordnung einer
Nachtragsverteilung in Betracht.
BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - IX ZB 50/13 - LG Siegen
AG Siegen
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 18. Dezember 2014
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss
der 4. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 10. Juni 2013 in-
soweit aufgehoben, als der sofortigen Beschwerde des weiteren
Beteiligten zu 1 stattgegeben worden ist.
Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den
Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 12. September 2012 wird
als unzulässig verworfen.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde und die Anschlussrechts-
beschwerde werden zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren werden wie folgt verteilt:
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der
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Schuldnerin tragen diese und der weitere Beteiligte zu 1 je ½. Die
außergerichtlichen Kosten des weiteren Beteiligten zu 1 trägt die-
ser selbst, die außergerichtlichen Kosten der weiteren Beteiligten
zu 2 trägt die Schuldnerin.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
116.009,33 € festgesetzt.
Gründe:
A.
Mit Beschluss vom 11. November 2010 wurde ein am 25. November
2009 eröffnetes Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin aufge-
hoben. Während der anschließenden Wohlverhaltensphase verstarb am 17. Juli
2012 der Ehemann der Schuldnerin. Dadurch entstand ein Anspruch der
Schuldnerin auf die Todesfallleistung in Höhe von 115.040,67
€ (225.000 DM)
aus einer schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von ihr abgeschlosse-
nen Risikolebensversicherung. Der Ehemann der Klägerin war auch versicherte
Person einer ebenfalls von der Schuldnerin abgeschlossenen Berufsunfähig-
keitszusatzversicherung, gerichtet unter anderem auf Befreiung der auf Risiko-
lebens- und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu entrichtenden Beiträge.
Hier war der Versicherungsfall bereits zum 1. Januar 2010 eingetreten.
Wegen des Anspruchs auf die Todesfallleistung aus der Risikolebens-
versicherung hat der weitere Beteiligte zu 1 als Treuhänder die Anordnung der
Nachtragsverteilung angeregt. Die weitere Beteiligte zu 2, eine Gläubigerin, hat
einen entsprechenden Antrag gestellt. Der Rechtspfleger des Insolvenzgerichts
hat der Anregung nicht entsprochen und den Antrag zurückgewiesen. Auf die
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sofortigen Beschwerden der weiteren Beteiligten hat das Beschwerdegericht die
Nachtragsverteilung angeordnet. Von einer Kostengrundentscheidung hat es
dabei abgesehen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbe-
schwerde begehrt die Schuldnerin die Wiederherstellung der insolvenzgerichtli-
chen Entscheidung. Mit seiner Anschlussrechtsbeschwerde erstrebt der weitere
Beteiligte zu 1 eine Kostengrundentscheidung zu seinen Gunsten.
B.
Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zu-
lässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet. Sie führt zur
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit das Beschwerdegericht
der sofortigen Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 stattgegeben hat. Die
zulässige (§ 574 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO) Anschlussrechtsbeschwerde hat in
der Sache keinen Erfolg.
I.
Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Auch die sofortige Beschwerde
des weiteren Beteiligten zu 1 sei zulässig. Dessen Anregung sei als Antrag auf
Anordnung der Nachtragsverteilung auszulegen und damit auch die Beschwer-
debefugnis des Beteiligten zu 1 zu bejahen. Beide sofortigen Beschwerden sei-
en begründet. Es liege ein Fall der Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1
Nr. 3 InsO vor. Der Anspruch auf die Todesfallleistung sei ein nachträglich er-
mittelter Gegenstand der Masse. Hierzu gehörten auch solche Gegenstände,
die der Verwalter zunächst nicht für verwertbar gehalten und deshalb nicht zur
Masse gezogen habe. Eine Kostenentscheidung sei nicht veranlasst, weil Ge-
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richtsgebühren nur bei Verwerfung oder Zurückweisung der Beschwerde erho-
ben würden.
II.
Dies hält rechtlicher Prüfung nur zum Teil stand.
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1. Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 ist unzulässig.
Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde ist im Rechtsbeschwerdever-
fahren von Amts wegen zu prüfen, weil es anderenfalls an einem gültigen und
rechtswirksamen Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht fehlt (BGH, Be-
schluss vom 23. Oktober 2003 - IX ZB 369/02, NZI 2004, 166; vom 6. Mai 2004
- IX ZB 104/04, NZI 2004, 447). War die sofortige Beschwerde unzulässig, hat
das Beschwerdegericht diese jedoch sachlich beschieden, und sei es durch
Zurückweisung, ist diese Entscheidung auf eine zulässige Rechtsbeschwerde
hin aufzuheben und die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen
(BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 81/06, WM 2007, 810 Rn. 6).
a) Nach § 203 Abs. 1 InsO ordnet das Insolvenzgericht eine Nachtrags-
verteilung auf Antrag des Insolvenzverwalters, eines Insolvenzgläubigers oder
von Amts wegen an. Für den Insolvenzverwalter oder -gläubiger, der eine
Nachtragsverteilung erreichen will, eröffnet dies zwei Möglichkeiten: Er kann
einen förmlichen Antrag stellen oder anregen, das Insolvenzgericht möge von
Amts wegen tätig werden (vgl. MünchKomm-InsO/Hintzen, 3. Aufl., § 203 Rn. 7;
Jaeger/Meller-Hannich, InsO, § 203 Rn. 11). Erfolgt etwa die nachträgliche Er-
mittlung von Massegegenständen durch den Verwalter, so liegt in der nicht mit
einem ausdrücklichen Antrag verbundenen Mitteilung dieser Erkenntnis an das
Insolvenzgericht regelmäßig die Anregung, von Amts wegen tätig zu werden
(vgl. Jaeger/Meller-Hannich, aaO). Hält das Insolvenzgericht auf eine Anregung
hin die Anordnung einer Nachtragsverteilung nicht für geboten, muss es keine
förmliche Entscheidung treffen. Durch Beschluss abzulehnen ist lediglich der
durch den Insolvenzverwalter oder -gläubiger gestellte Antrag auf Anordnung
der Nachtragsverteilung. Der Beschluss ist dem Antragsteller zuzustellen (§ 204
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Abs. 1 Satz 1 InsO). Nur dieser ist beschwerdebefugt (§ 204 Abs. 1 Satz 2
InsO).
b) Der weitere Beteiligte zu 1 hat die Anordnung der Nachtragsverteilung
nicht beantragt, sondern mit Schriftsatz vom 20. Juli 2012 ausdrücklich nur an-
geregt. Mit Recht hat deshalb das Insolvenzgericht in seinem Beschluss vom
12. September 2012 zwischen der Anregung des Beteiligten zu 1 und den von
der weiteren Beteiligten zu 2 gestellten Anträgen unterschieden. An dem un-
missverständlichen Wortlaut der Erklärung des Beteiligten zu 1 hätte auch das
Beschwerdegericht festhalten und dessen sofortige Beschwerde als unzulässig
verwerfen müssen.
aa) Allerdings sind auch Erklärungen der Beteiligten in einem Insolvenz-
verfahren der Auslegung zugänglich. Entscheidend ist der objektive, dem Erklä-
rungsempfänger vernünftigerweise erkennbare Sinn. Bestehen insoweit Zweifel,
ist davon auszugehen, dass der Erklärende das anstrebt, was nach den Maß-
stäben der Rechtsordnung vernünftig ist und seiner recht verstandenen Interes-
senlage entspricht (BGH, Beschluss vom 22. Mai 1995 - II ZB 2/95, NJW-RR
1995, 1183 f; Urteil vom 24. November 1999 - XII ZR 94/98, NJW-RR 2000,
1446). Nicht zulässig ist es, einer eindeutigen Erklärung nachträglich einen Sinn
zu geben, der dem Interesse des Erklärenden am besten dient. Auch die
schutzwürdigen Belange anderer Beteiligter sind zu berücksichtigen (BGH, Ur-
teil vom 11. Juli 2003 - V ZR 233/01, MDR 2003, 1434; BAG, NJW 2010, 956
Rn. 12; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., Vor § 128 Rn. 25).
bb) Dagegen verstößt die vom Beschwerdegericht vorgenommene, nicht
näher begründete Auslegung der keinen Zweifeln begegnenden Erklärung des
Beteiligten zu 1. Dieser hat es nachträglich einen anderen Sinn gegeben und
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damit eine Sachentscheidung auch über die sofortige Beschwerde des Beteilig-
ten zu 1 ermöglicht. Dabei hat es die schutzwürdigen Belange der Schuldnerin
nicht hinreichend berücksichtigt. Diese durfte darauf vertrauen, dass die Be-
schwerde auf Kosten des Beteiligten zu 1 verworfen wird.
2. Auf die zulässige sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 2
hat das Beschwerdegericht die Nachtragsverteilung mit Recht angeordnet.
Rechtsgrundlage ist § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Nach dieser Vorschrift ist eine
Nachtragsverteilung anzuordnen, wenn nach dem Schlusstermin Gegenstände
der Masse ermittelt werden. Dies gilt auch für das Verbraucherinsolvenzverfah-
ren (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2010 - IX ZB 184/09, WM 2011, 79
Rn. 5; vom 22. Mai 2014 - IX ZB 72/12, WM 2014, 1141 Rn. 9).
a) Bei dem während der Wohlverhaltensphase entstandenen Anspruch
auf die Todesfallleistung aus der von der Schuldnerin abgeschlossenen Risiko-
lebensversicherung handelt es sich um einen Gegenstand der (früheren) Insol-
venzmasse.
aa) Aufschiebend bedingt durch den Eintritt des versicherten Todesfalls
(vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2010 - IV ZR 73/08, VersR 2010, 895 Rn. 35, 39)
war der Anspruch schon begründet, bevor das Insolvenzverfahren aufgehoben
wurde. Der Schuldnerin stand daher noch während des Insolvenzverfahrens ein
Anwartschaftsrecht zu, das zur Masse gehörte (BGH, Beschluss vom 9. Okto-
ber 2014 - IX ZA 20/14, WM 2014, 2235 Rn. 7 mwN; vgl. auch MünchKomm-
BGB/Westermann, 6. Aufl., § 161 Rn. 2 ff; Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl.,
Einf v § 158 Rn. 9). Dass der Eintritt des Versicherungsfalls ungewiss war und
die aufschiebende Bedingung durch den Ablauf der Versicherung auch hätte
ausfallen können, entspricht gerade dem Wesen der Bedingung und vermag
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das Anwartschaftsrecht deshalb entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde
nicht in Frage zu stellen. Mit der Entstehung des Anwartschaftsrechts war der
nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen maßgebliche Rechtsgrund für den An-
spruch gelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006 - IX ZB 239/04, ZIP
2006, 340 Rn. 15; für den Steuererstattungsanspruch; Jaeger/Henckel, InsO,
§ 35 Rn. 40, 90; MünchKomm-InsO/Peters, 3. Aufl., § 35 Rn. 68).
Tritt die aufschiebende Bedingung für die Entstehung des Anspruchs auf
die Todesfallleistung aus einer Risikolebensversicherung erst nach Beendigung
des Insolvenzverfahrens ein, ist allerdings grundsätzlich zu berücksichtigen,
dass die Leistung in voller Höhe nur erlöst werden kann, wenn die Anwartschaft
durch Fortentrichtung der geschuldeten Beiträge auch nach Verfahrensbeendi-
gung aufrechterhalten worden ist. Zur Nachtragsverteilung kann nur gelangen,
was ohne weitere Beitragszahlungen, also im Falle einer gedachten Beitrags-
freistellung der Versicherung im Zeitpunkt der (vorläufigen) Beendigung des
Insolvenzbeschlags, gezahlt worden wäre. Liegt ein Fall vor, in dem die Bei-
tragsfreistellung an einer versicherungsvertraglich erforderlichen, mindestens
verbleibenden Versicherungssumme gescheitert wäre, steht der später entste-
hende Anspruch dem Schuldner zu, abzüglich eines bedingungsgemäß etwaig
geschuldeten Rückkaufswerts. Im Streitfall stellt sich diese Frage indes nicht,
weil aufgrund der bereits zum 1. Januar 2010 eingetretenen Berufsunfähigkeit
des Ehemanns der Schuldnerin deren Verpflichtung zur Beitragszahlung entfal-
len war.
bb) Der Anspruch unterliegt auch (vollständig) der Zwangsvollstreckung
(§ 36 InsO). Zwar sind Ansprüche aus einer nur auf den Todesfall abgeschlos-
senen Lebensversicherung, auch wenn die Versicherungssumme 3.579
€ über-
steigt, nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO insoweit unpfändbar, als sie sich auf der
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Grundlage einer diesen Betrag nicht übersteigenden Versicherungssumme er-
geben (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - VII ZB 47/07, NJW-RR
2008, 412). Die Vorschrift findet jedoch nur Anwendung, wenn die Versicherung
auf den Todesfall des Schuldners als Versicherungsnehmer abgeschlossen ist
(BGH, Beschluss vom 19. März 2009 - IX ZA 2/09, ZInsO 2009, 915 Rn. 5).
b) Schließlich gilt der Anspruch auf die Todesfallleistung auch als nach
dem Schlusstermin ermittelt. Dem steht nicht entgegen, dass der aufschiebend
bedingte Anspruch dem Treuhänder während des Insolvenzverfahrens bereits
bekannt war. Unter die weit auszulegende Bestimmung des § 203 Abs. 1 Nr. 3
InsO fallen auch Forderungen, die dem Verwalter bekannt waren, die aber von
ihm noch nicht verwertet werden konnten (BGH, Beschluss vom 9. Oktober
2014, aaO Rn. 8 mwN).
3. Die Anschlussrechtsbeschwerde ist unbegründet. Zu Unrecht hat al-
lerdings das Beschwerdegericht von einer Kostengrundentscheidung abgese-
hen. Gemäß § 308 Abs. 2 ZPO ist von Amts wegen über die Verpflichtung zu
entscheiden, wer die Prozesskosten zu tragen hat. Dies gilt auch im hier vorlie-
genden Verfahren der sofortigen Beschwerde (vgl. Hk-ZPO/Kayser/Koch,
5. Aufl., § 572 Rn. 17; Musielak/Ball, ZPO, 11. Aufl., § 572 Rn. 23 f). Gerichts-
gebührenfreiheit macht die Entscheidung entgegen der Ansicht des Beschwer-
degerichts nicht entbehrlich (MünchKomm-ZPO/Musielak, 4. Aufl., § 308
Rn. 23; Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO, 6. Aufl., § 308 Rn. 10; Zöller/Vollkommer,
ZPO, 30. Aufl., § 308 Rn. 8). Ein Recht auf die mit der Anschlussrechtsbe-
schwerde begehrte Kostengrundentscheidung zu seinen Gunsten hat der wei-
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tere Beteiligte zu 1 indes nicht, weil seine sofortige Beschwerde unzulässig war
(dazu oben unter 1.).
Kayser
Gehrlein
Vill
Lohmann
Fischer
Vorinstanzen:
AG Siegen, Entscheidung vom 12.09.2012 - 21 IK 417/09 -
LG Siegen, Entscheidung vom 10.06.2013 - 4 T 196/12 -