Urteil des BGH vom 04.02.2016

Leitsatzentscheidung zu Treuhänder, Dienstverhältnis, Auskunft, Obliegenheit

ECLI:DE:BGH:2016:040216BIXZB13.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 13/15
vom
4. Februar 2016
in dem Restschuldbefreiungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 296 Abs. 1, § 295 Abs. 2
Im Fall des § 295 Abs. 2 InsO genügt der Gläubiger seiner Pflicht zur Glaubhaftma-
chung der Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger bereits dann,
wenn er darlegt, dass der Schuldner an den Treuhänder nicht den Betrag abgeführt
hat, den er bei Ausübung einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit hätte abführen
müssen.
InsO § 296 Abs. 2
Gibt das Insolvenzgericht dem Schuldner gemäß § 296 Abs. 2 Satz 1 InsO nur Gele-
genheit, sich zum Versagungsantrag des Gläubigers zu äußern, handelt es sich bei
der Stellungnahme des Schuldners nicht um eine Auskunft nach § 296 Abs. 2 Satz 2
InsO.
InsO § 296 Abs. 2 Satz 3
Eine Versagung der Restschuldbefreiung wegen nicht fristgerecht abgegebener ei-
desstattlicher Versicherung setzt voraus, dass der Schuldner zuvor eine Auskunft
über die Erfüllung seiner Obliegenheiten gemäß § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO erteilt hat
und der Schuldner vom Gericht aufgefordert wird, die Richtigkeit bestimmter Aus-
künfte an Eides statt zu versichern.
BGH, Beschluss vom 4. Februar 2016 - IX ZB 13/15 - LG Verden
AG Syke
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Grupp und
Dr. Schoppmeyer
am 4. Februar 2016
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der
3. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 20. Januar 2015
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Über das Vermögen des Schuldners wurde auf seinen Antrag am
29. April 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Insolvenzgericht kündigte
ihm am 17. August 2006 antragsgemäß Restschuldbefreiung an und bestellte
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den weiteren Beteiligten zu 1 als Treuhänder. Am 26. September 2006 hob es
das Insolvenzverfahren auf.
Der Schuldner ist verheiratet und hat eine am 18. Juli 2001 geborene
Tochter. Er übt seit dem 1. Februar 2004 ein Gewerbe als selbständiger Versi-
cherungsmakler aus. Er führte während der Wohlverhaltensperiode aus seiner
selbständigen Tätigkeit keine Zahlungen an den Treuhänder ab. Eine Quote
zugunsten der Gläubiger ergab sich nicht. Die Ehefrau des Schuldners erzielt
aus einer Tätigkeit als angestellte Erzieherin ein eigenes Einkommen von mo-
natlich rund 1.100
€ netto. Unter der Bezeichnung Versicherungsbüro H.
treten beide Eheleute nach außen als ein unabhängiges Versicherungsmakler-
büro auf.
Ein Gläubiger, der weitere Beteiligte zu 2, beantragte mit Schreiben vom
15. April 2011, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Er machte
geltend, der Schuldner habe aus einem angemessenen, seiner selbständigen
Tätigkeit entsprechenden Dienstverhältnis Einkünfte erzielen können, aufgrund
derer er in der Lage gewesen wäre, Zahlungen an den Treuhänder zu leisten.
Tatsächlich leite der Schuldner das Versicherungsbüro; seine Ehefrau sei nicht
als Versicherungsmaklerin tätig. Deshalb seien die Einnahmen aus dem Versi-
cherungsbüro vollständig dem Schuldner zuzurechnen. Das fiktive Gehalt aus
einem angemessenen Dienstverhältnis sei an den vom Schuldner erarbeiteten
Einnahmen des Versicherungsbüros zu messen. Handele es sich um das Ver-
sicherungsbüro der Ehefrau, sei der Schuldner wie ein Geschäftsführer zu ent-
lohnen. Bereits im Jahr 1995 habe der Schuldner als angestellter Versiche-
rungsfachmann einen monatlichen Bruttoverdienst von 5.000 DM erzielt. Der
Schuldner habe daher seine Obliegenheit nach § 295 Abs. 2 InsO verletzt.
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Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil eine Obliegen-
heitsverletzung nicht glaubhaft gemacht sei. Das Landgericht hat die Be-
schwerde des Gläubigers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag
unzulässig sei; zugleich hat es festgestellt, dass dem Schuldner Restschuldbe-
freiung erteilt werde. Hiergegen wendet sich der Gläubiger mit seiner zugelas-
senen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Antrag des Beschwerde-
führers sei unzulässig, weil dieser die Voraussetzungen für eine Versagung der
Restschuldbefreiung nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht glaubhaft gemacht
habe. Es könne dahinstehen, ob ausreichend glaubhaft gemacht sei, dass der
Schuldner seine Obliegenheit verletzt habe, die Insolvenzgläubiger so zu stel-
len, als ob er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Der Be-
schwerdeführer habe jedenfalls nicht ansatzweise glaubhaft gemacht, dass eine
solche Obliegenheitsverletzung des Schuldners die Befriedigung der Gläubiger
beeinträchtigt habe. Der Beschwerdeführer habe zur Erfüllung seiner titulierten
und zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen von der Ehefrau des
Schuldners durchgehend Zahlungen erhalten. Deshalb sei eine Darlegung er-
forderlich, inwieweit insbesondere er selbst durch die Nichtabführung pfändba-
ren Einkommens aus einem angemessenen Dienstverhältnis in seinem An-
spruch auf Befriedigung beeinträchtigt worden wäre. Daran fehle es.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts.
Der antragstellende Gläubiger hat gemäß § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO auch glaub-
haft zu machen, dass die Obliegenheitsverletzung des Schuldners die Befriedi-
gung der Gläubiger beeinträchtigt (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO in der bis 30. Juni
2014 geltenden Fassung; fortan InsO aF; vgl. Art. 103h EGInsO).
Der Gläubiger hat eine auf der Obliegenheitsverletzung beruhende Be-
einträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger dann glaubhaft ge-
macht, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung eine konkret messbare Schlech-
terstellung der Gläubiger wahrscheinlich ist (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2008
- IX ZB 91/06, VuR 2008, 434 Rn. 3 mwN; vom 22. September 2011 - IX ZB
133/08, ZInsO 2011, 2101 Rn. 7). Die Befriedigung der Gläubiger ist nach der
Rechtsprechung des Senats allerdings auch dann beeinträchtigt, wenn durch
die Obliegenheitsverletzung nur Massegläubiger, wozu auch die Staatskasse
bezüglich der Verfahrenskosten gehört, benachteiligt werden (BGH, Beschluss
vom 21. Juni 2012 - IX ZB 265/11, ZInsO 2012, 1581 Rn. 8). Entscheidend ist
danach, dass der Gläubiger Tatsachen glaubhaft macht, aus denen sich ergibt,
dass für die Befriedigung der Gläubiger - hätte der Schuldner die Obliegenheit
beachtet - wirtschaftlich mehr Mittel zur Verfügung gestanden hätten als dies
tatsächlich der Fall war.
Im Fall des § 295 Abs. 2 InsO genügt der Gläubiger seiner Pflicht zur
Glaubhaftmachung einer Obliegenheitsverletzung und der Beeinträchtigung der
Befriedigung der Insolvenzgläubiger bereits dann, wenn er darlegt, dass der
Schuldner an den Treuhänder nicht den Betrag abgeführt hat, den er bei Aus-
übung einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit hätte abführen müssen (BGH,
Beschluss vom 7. Mai 2009 - IX ZB 133/07, ZInsO 2009, 1217 Rn. 5; vom
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19. Mai 2011 - IX ZB 224/09, ZInsO 2011, 1301 Rn. 7; vom 10. Oktober 2013
- IX ZB 119/12, ZInsO 2014, 47 Rn. 8, 11). Sofern der Gläubiger glaubhaft
macht, dass der Schuldner statt einer selbständigen Tätigkeit ein angemesse-
nes Dienstverhältnis hätte eingehen können und er im Rahmen des angemes-
senen Dienstverhältnisses ein Einkommen erzielt hätte, aus dem unter Berück-
sichtigung etwaiger Unterhaltspflichten ein nach den Bestimmungen des § 850c
ZPO pfändbarer Betrag verblieben wäre, der höher ist als die tatsächlich vom
Schuldner aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit an den Treuhänder geleiste-
ten Zahlungen, ist damit regelmäßig zugleich glaubhaft gemacht, dass die Ver-
letzung der Obliegenheit aus § 295 Abs. 2 InsO die Befriedigung der Insolvenz-
gläubiger beeinträchtigt. Leistet der selbständig tätige Schuldner während der
Wohlverhaltensperiode überhaupt keine Zahlungen an den Treuhänder, ist eine
Beeinträchtigung der Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger demnach schon
dann glaubhaft, wenn sich bei Einkünften aus einem angemessenen Dienstver-
hältnis ein pfändbarer Betrag ergeben hätte.
Hingegen kommt es nicht darauf an, ob gerade der antragstellende
Gläubiger eine bessere Befriedigung erlangt hätte. Zwar entscheidet das Insol-
venzgericht gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO aF nur auf Antrag eines am Insol-
venzverfahren beteiligten Gläubigers. Liegt ein solcher Antrag vor, hat das In-
solvenzgericht die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner eine
seiner Obliegenheiten verletzt und hierdurch die Befriedigung der Gläubiger
beeinträchtigt. Diese Entscheidung ist unabhängig davon, inwieweit der antrag-
stellende Gläubiger hiervon selbst betroffen ist. Insbesondere stellt § 296 Abs. 1
Satz 1 InsO aF hinsichtlich der Gläubigerbefriedigung nur darauf ab, ob die Ge-
samtheit der Gläubiger bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise aufgrund der Ob-
liegenheitsverletzung schlechter steht als ohne Obliegenheitsverletzung. Der
Gläubiger muss mithin im Fall des § 295 Abs. 2 InsO nur glaubhaft machen,
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dass aufgrund der Abführungspflicht dem Treuhänder höhere Beträge zugeflos-
sen wären als der Schuldner tatsächlich an den Treuhänder gezahlt hat, weil
dies eine Beeinträchtigung der Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger indi-
ziert (vgl. Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2014, § 296 Rn. 13).
b) Nach diesen Maßstäben durfte das Beschwerdegericht den Antrag
nicht deshalb als unzulässig behandeln, weil eine Beeinträchtigung der Gläubi-
ger nicht glaubhaft gemacht ist. Diese liegt vielmehr nach dem in der Rechtsbe-
schwerdeinstanz zugrunde zu legenden Sachverhalt vor.
Das Beschwerdegericht hat dahinstehen lassen, ob der Beschwerdefüh-
rer ausreichend glaubhaft gemacht hat, dass der Schuldner ein zu seiner aus-
geübten selbständigen Tätigkeit vergleichbares, angemessenes Dienstverhält-
nis hätte eingehen können und aus dieser Tätigkeit Zahlungen an den Treu-
händer möglich gewesen wären. Mithin ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz zu-
grunde zu legen, dass der Schuldner - hätte er seiner Obliegenheit gemäß
§ 295 Abs. 2 InsO genügt - Zahlungen an den Treuhänder hätte vornehmen
können und müssen. Tatsächlich hat der Schuldner keine Zahlungen geleistet.
Daraus folgt zugleich, dass dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger
beeinträchtigt worden ist.
Anders als das Beschwerdegericht annimmt, kommt es nicht darauf an,
ob die Ehefrau des Schuldners auf die zur Insolvenztabelle festgestellten For-
derungen des Beschwerdeführers gegen den Schuldner zahlt. Dem steht schon
entgegen, dass die Zahlungen der Ehefrau des Schuldners in erster Linie dazu
dienen, eine eigene Verpflichtung zu erfüllen. Der Beschwerdeführer schloss
bereits im Jahr 2001 einen gerichtlichen Vergleich mit der Ehefrau des Schuld-
ners ab, worin sich die Ehefrau des Schuldners selbst verpflichtete, bestimmte
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Ratenzahlungen zu erbringen. Es handelt sich mithin um Zahlungen auf eine
eigene Schuld der Ehefrau. Anhaltspunkte, dass diese Zahlungen auf die dem
Beschwerdeführer zustehende Insolvenzquote anzurechnen wären und deshalb
vom Schuldner gemäß § 295 Abs. 2 InsO abzuführende Beträge vorrangig un-
ter den übrigen Gläubigern zu verteilen wären, fehlen.
Letztlich kann dies ebenso dahinstehen wie die Ansicht der Rechtsbe-
schwerdeerwiderung, beim gerichtlichen Vergleich mit der Ehefrau handele es
sich um ein nach § 294 Abs. 2 InsO nichtiges Abkommen, wofür es allerdings
schon an ausreichendem Tatsachenvortrag fehlt. Unabhängig davon, wie die
Zahlungen der Ehefrau einzuordnen sind, liegt jedenfalls angesichts der eben-
falls zur Insolvenztabelle festgestellten weiteren - teilweise erheblichen - Ver-
bindlichkeiten anderer Gläubiger offen auf der Hand, dass entgegen § 295
Abs. 2 InsO unterbliebene Zahlungen des Schuldners jedenfalls die Befriedi-
gung dieser übrigen Gläubiger beeinträchtigten. Mehr als dies muss der Gläu-
biger nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO aF nicht glaubhaft machen.
3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich nicht aus ande-
ren Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO).
a) Der Gläubiger hat die Antragsfrist des § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO ein-
gehalten. Für die Verletzung der den Schuldner aus § 295 Abs. 2 InsO treffen-
den Obliegenheit beginnt die Frist grundsätzlich erst mit Abschluss der Treu-
handperiode (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - IX ZB 119/12, ZInsO
2014, 47 Rn. 7 mwN). Diese endete im Streitfall am 29. April 2011. Der am
18. April 2011 beim Insolvenzgericht eingegangene Antrag war daher rechtzei-
tig.
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b) Der Senat kann nicht entscheiden, ob der Gläubiger eine Verletzung
einer Obliegenheit nach § 295 Abs. 2 InsO hinreichend glaubhaft gemacht hat.
Es fehlen die hierzu erforderlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts, weil
das Beschwerdegericht dies hat dahinstehen lassen.
4. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif. Anders als die
Rechtsbeschwerde meint, sind die Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 Satz 3
InsO nicht erfüllt.
a) Zwar hat das Insolvenzgericht - sofern ein statthafter Antrag eines
Gläubigers vorliegt - die Restschuldbefreiung von Amts wegen unter anderem
dann zu versagen, wenn der Schuldner die eidesstattliche Versicherung gemäß
§ 296 Abs. 2 Satz 2 InsO ohne hinreichende Entschuldigung nicht innerhalb der
ihm gesetzten Frist abgibt (§ 296 Abs. 2 Satz 3 InsO). Dies setzt jedoch voraus,
dass der Schuldner zuvor eine Auskunft über die Erfüllung seiner Obliegenhei-
ten gemäß § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO erteilt hat und der Schuldner vom Gericht
aufgefordert wird, die Richtigkeit bestimmter Auskünfte an Eides statt zu versi-
chern. Die Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung bezieht
sich auf die vom Schuldner nach § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO über die Erfüllung
seiner Obliegenheiten zu erteilende Auskunft. Erforderlich ist, dass ein gerichtli-
ches Auskunftsverlangen vorhergegangen ist (MünchKomm-InsO/Stephan,
3. Aufl., § 296 Rn. 24; HmbKomm-InsO/Streck, 5. Aufl., § 296 Rn. 18; vgl. auch
FK-InsO/Ahrens, 8. Aufl., § 296 Rn. 70). Hiervon zu unterscheiden ist die Anhö-
rung des Schuldners nach § 296 Abs. 2 Satz 1 InsO. Diese dient dazu, dem
Schuldner rechtliches Gehör zu gewähren (MünchKomm-InsO/Stephan, aaO
Rn. 20; FK-InsO/Ahrens, aaO Rn. 63). Solange das Gericht den Schuldner we-
der dazu aufgefordert hat, eine Auskunft über die Erfüllung seiner Obliegenhei-
ten zu erteilen, noch von ihm verlangt hat, die Richtigkeit einer bestimmten,
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vom Schuldner erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern, kommt eine Ver-
sagung der Restschuldbefreiung von Amts wegen nach § 296 Abs. 2 Satz 3
InsO nicht in Betracht.
b) Im Streitfall hat das Insolvenzgericht vom Schuldner schon keine Aus-
kunft über die Erfüllung seiner Obliegenheiten verlangt. Es hat vielmehr dem
Schuldner (und dem Treuhänder) nur den Versagungsantrag des Gläubigers
vom 15. April 2011 "zur Stellungnahme binnen zwei Wochen" zugeleitet. Das
Insolvenzgericht hat diese Aufforderung weder mit Fragen an den Schuldner
versehen noch dem Schuldner konkret aufgegeben, über die Erfüllung einer
bestimmten Obliegenheit Auskunft zu erteilen. Damit handelte es sich lediglich
um eine Gelegenheit zur Äußerung gemäß § 296 Abs. 2 Satz 1 InsO, um das
rechtliche Gehör des Schuldners zu wahren. Insoweit liegt der Streitfall anders
als der vom Senat mit Beschluss vom 14. Mai 2009 (IX ZB 116/08, ZInsO 2009,
1268) entschiedene Fall. Dort hatte das Insolvenzgericht den Schuldner aus-
drücklich dazu aufgefordert, seine Verfahrensobliegenheiten vollständig und
wahrheitsgemäß zu erfüllen.
Zudem fehlt es im Streitfall auch an einer ausreichend klaren Aufforde-
rung des Gerichts, die Richtigkeit welcher Auskünfte der Schuldner an Eides
statt versichern soll. Der Gläubiger hat mit Schriftsatz vom 31. Mai 2011 zwar
beantragt, dass der Schuldner die Richtigkeit der von ihm erteilten Auskunft an
Eides statt versichern möge, sich hierbei jedoch nur allgemein auf die im Rah-
men des § 296 Abs. 2 Satz 1 InsO abgegebene Stellungnahme des Schuldners
bezogen. Das Gericht hat sich sodann darauf beschränkt, den Schriftsatz des
Gläubigers dem Schuldner zuzustellen und ihm pauschal aufzugeben, die in
diesem Schriftsatz "unter 1. aufgeführte eidesstattliche Versicherung abzuge-
ben binnen 3 Wochen". Da das Insolvenzgericht mit einer solchen Vorgehens-
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weise seiner Aufgabe zur Verfahrensleitung nicht genügt und dem Schuldner
nicht aufzeigt, auf welche Auskünfte sich die eidesstattliche Versicherung be-
ziehen soll, scheidet eine auf § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO gestützte Versagung der
Restschuldbefreiung wegen einer verspäteten Abgabe der eidesstattlichen Ver-
sicherung aus.
III.
1. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist
insgesamt aufzuheben. Da der Senat zu einer eigenen Sachentscheidung nicht
in der Lage ist, ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen
(§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Das Beschwerdegericht wird in tatrichterlicher Wür-
digung zunächst zu entscheiden haben, ob der Beschwerdeführer eine Verlet-
zung der Obliegenheit aus § 295 Abs. 2 InsO hinreichend glaubhaft gemacht
hat. Sollte es sich hiervon überzeugen, wird es anschließend die Begründetheit
des Antrags prüfen müssen.
2. Für den weiteren Verfahrensgang weist der Senat auf folgendes hin:
a) Ob der Gläubiger glaubhaft gemacht hat, dass der Schuldner eine sei-
ner Obliegenheiten verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubi-
ger beeinträchtigt hat, richtet sich allein nach den innerhalb der laufenden An-
tragsfrist des § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO vom Gläubiger vorgetragenen Versa-
gungsgründen; nach Ablauf der Antragsfrist kann der Gläubiger keine neuen
Versagungsgründe mehr vorbringen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011
- IX ZB 224/09, ZInsO 2011, 1301 Rn. 21).
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b) Behauptet der Gläubiger einen Verstoß gegen § 295 Abs. 2 InsO, hat
er Tatsachen glaubhaft zu machen, aus denen sich der Schluss ziehen lässt, es
bestehe eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass dem Schuldner eine be-
stimmte abhängige Tätigkeit möglich gewesen ist und der Schuldner aus einem
solchen - fiktiven - angemessenen Dienstverhältnis ein Netto-Einkommen erzielt
hätte, das die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO überstiegen hätte. Im
Streitfall kommt es mithin darauf an, ob der Gläubiger glaubhaft macht, dass
dem Schuldner eine Beschäftigung in einem Dienstverhältnis als Versiche-
rungsfachmann oder -makler möglich gewesen wäre und welches Einkommen
der Schuldner hieraus erzielt hätte. Da die Ehefrau über ein eigenes Einkom-
men verfügte, wird sie bei den Unterhaltsverpflichtungen gemäß § 850c Abs. 4
ZPO unberücksichtigt zu bleiben haben.
Hingegen ist es - wie der Senat wiederholt entschieden hat - für eine Ob-
liegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 2 InsO unerheblich, ob der Schuldner als
selbständig Tätiger einen Gewinn erzielt hat oder ob er einen höheren Gewinn
hätte erwirtschaften können (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 224/09,
ZInsO 2011, 1301 Rn. 6; vom 17. Januar 2013 - IX ZB 98/11, ZInsO 2013, 405
Rn. 10; vom 26. Februar 2013 - IX ZB 165/11, ZInsO 2013, 625 Rn. 7). Glei-
ches gilt für die wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen die Eheleute im Streitfall
leben. § 295 Abs. 2 InsO löst die zu berücksichtigenden Erträge vom tatsächli-
chen wirtschaftlichen Erfolg der selbständigen Tätigkeit des Schuldners. Ent-
scheidend ist allein, welches fiktive Nettoeinkommen der Schuldner aus einem
angemessenen Dienstverhältnis erzielen könnte. Angemessen ist nur eine dem
Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit (BGH, Beschluss vom 26. Februar
2013 aaO mwN). Demgemäß muss der Gläubiger sowohl Tatsachen vortragen,
aus denen sich die Höhe eines fiktiven Nettoeinkommens aus einem angemes-
senen Dienstverhältnis ergibt, als auch diese Tatsachen glaubhaft machen.
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Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit können unter Umständen ein Indiz
dafür sein, dass der Schuldner ein Einkommen aus einem Dienstverhältnis er-
zielen kann, wenn der Schuldner seine selbständige Tätigkeit auch in der Form
eines angemessenen Dienstverhältnisses ausüben könnte.
Kayser
Gehrlein
Vill
Grupp
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
AG Syke, Entscheidung vom 13.08.2014 - 15 IN 1/05 -
LG Verden, Entscheidung vom 20.01.2015 - 3 T 112/14 -