Urteil des BGH vom 22.07.2015

Treu Und Glauben, Ablauf der Frist, Versicherer, Rückzahlung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 9 / 1 3
Verkündet am:
22. Juli 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
6. Juli 2015
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des 7. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
14. Dezember 2012 wird auf deren Kosten zurückgewie-
sen.
Der Streitwert wird auf 11.054,26
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Lebensversicherung.
Diese wurde aufgrund Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum
1. April 1997 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der
seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlos-
sen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit
Schreiben vom 10. Juli 1996 mit dem Versicherungsschein die Versiche-
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rungsbedingungen, eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versi-
cherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und eine schriftliche Belehrung über
sein Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.
D. VN zahlte bereits ab 1. Oktober 1996 und in der Folge die Prä-
mien
, insgesamt 10.935 €. Mit Schreiben vom 26. April 2000 erklärte er
die Kündigung des Versicherungsvertrages. Der Versicherer akzeptierte
diese und zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom Januar
2011 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a VVG a.F., § 8 VVG und
den Widerruf nach § 355 BGB.
Mit der Klage verlangt d. VN insbesondere Rückzahlung aller auf
den Vertrag geleisteten Beiträge zuzüglich 7% Anlagezinsen nebst Zin-
sen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswert s.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve r-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsa nspruch
aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien
mit Rechtsgrund geleistet. Der Versicherungsvertrag sei wirksam z u-
stande gekommen. Die Widerspruchsfrist sei als Folge der Übersendung
des Versicherungsscheins nebst allen Unterlagen in Gang gesetzt wor-
den. Die erteilte Widerspruchsbelehrung sei drucktechnisch deutlich he r-
vorgehoben und umfasse Beginn und Dauer der Widerspruchsfrist sowie
die Form des Widerspruchs. Innerhalb der 14-tägigen Widerspruchsfrist
des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. habe d. VN den Widerspruch nicht er-
klärt. Die Regelung des Policenmodells verstoße nicht gegen die Zweite
und Dritte Richtlinie Lebensversicherung.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
D. VN kann nicht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB Rückzah-
lung aller Prämien verlangen.
1. Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Versich e-
rungsvertrages sind hier erfüllt. Nach den nicht zu beanstandenden
Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versiche-
rungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinforma -
tion und entgegen der Ansicht der Revision auch eine ordnungsgemäße
Widerspruchsbelehrung in drucktechnisch deutlicher Form. Die Revision
beanstandet ohne Erfolg, dass der Adressat des Widerspruchs nicht klar
erkennbar sei. Dieser steht mit vollständiger Anschrift deutlich sichtbar
im Kopf des Policenbegleitschreibens. Die Benennung der Bezirksdirek-
tion als Teil der Beklagten verwirrt nicht. D. VN weiß, dass Vertrags-
partner der Versicherer ist.
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2. Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Versi-
cherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG
a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom
16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG WM 2015,
514 Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision be-
gehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet b e-
reits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den
genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheblich
ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaft s-
rechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen w i-
dersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durc h-
führung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen
und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Treuwidrigkeit liegt
darin, dass d. VN nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglic h-
keit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, die-
sen jahrelang unter regelmäßiger Prämienzahlung durchführte und erst
dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrag es vertrauen
durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages
Rückzahlung aller Prämien verlangte (vgl. im Einzelnen zu den Maßstä-
ben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG aaO
Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die zumindest
vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist blieb
bei Vertragsschluss 1996 ungenutzt. D. VN zahlte über dreieinhalb Jahre
die Versicherungsprämien. Erst Ende April 2000 erfolgte die Kündigung,
wobei bis zur Erklärung des Widerspruchs nochmals fast 11 Jahre
vergingen. Dieses Verhalten des bereits 1996 über die Möglichkeit, den
Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten VN haben bei dem
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Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages
begründet, was für d. VN auch erkennbar war.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Gießen, Entscheidung vom 12.06.2012 - 3 O 394/11 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 14.12.2012 - 7 U 182/12 -