Urteil des BGH vom 04.03.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Lebensversicherung, Versicherer, Rückzahlung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 4 7 3 / 1 4
Verkündet am:
4. März 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 11. Februar 2015 einge-
reicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der
30. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 18. Ja-
nuar 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Der Streitwert wird auf 1.417,68
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. November 2004 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG
in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen. Im November 2008 kündigte d. VN den Vertrag; der Ver-
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sicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 11. August
2009 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1
VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag g e-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rück-
kaufswerts, insgesamt 1.417,68
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Vertrag sei durch die Kündi-
gung und nicht erst durch den später erklärten Widerspruch beendet
worden. Er sei jedenfalls gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr
nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam gewo r-
den.
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II. Die Revision ist begründet.
1. Ein - mit der Revision allein weiterverfolgter - Anspruch auf
Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. VN mit
der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.
a) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachve r-
halt ist davon auszugehen, dass der von d. VN erklärte Widerspruch
- ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten
Jahresfrist - rechtzeitig war und infolgedessen der zwischen den Parte i-
en geschlossene Versicherungsvertrag nicht wirksam zus tande gekom-
men ist.
aa) Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Amtsgericht nicht
festgestellt, dass d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungs-
bedingungen, eine Verbraucherinformation und eine den Anforderungen
des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. genügende Widerspruchsbelehrung er-
hielt.
Wenn das - was für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist -
nicht der Fall war, bestand das Widerspruchsrecht nach Ablauf der Ja h-
resfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und noch im Zeitpunkt der W i-
derspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
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werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon er-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier für das Revisionsverfahren zu unterstellen - nicht
ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist
und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingu n-
gen nicht erhalten hat.
bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechts-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
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Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurüc k-
zuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag
zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 21.10.2010 - 213 C 18024/10 -
LG München I, Entscheidung vom 18.01.2012 - 30 S 22642/10 -
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