Urteil des BGH vom 25.02.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung, Erlöschen

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 4 6 1 / 1 4
Verkündet am:
25. Februar 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 4. Februar 2015 einge-
reicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil der
31. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 16. Ju-
ni 2011 wird als unzulässig verworfen, soweit der A n-
spruch nicht auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten W i-
derspruch gestützt ist.
Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsu r-
teil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neu-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 2.848,68
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
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zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier fond sgebundener Ren-
tenversicherungen.
Diese wurden aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn
zum 1. Juli 2005 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in
der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen. Im Juni 2008 kündigte d. VN die Verträge und der Vers i-
cherer zahlte die Rückkaufswerte aus. Mit Schreiben vom 16. August
2009 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1
VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf di e Verträge
geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits gezahlten Rüc k-
kaufswerte, insgesamt 2.848,68
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen, soweit der Anspruch
nicht auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Widerspruch gestützt ist.
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Im Übrigen führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurück-
verweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Widerspruchsfrist
des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG nicht eingehalten. Die Unterlagen seien un-
streitig bereits mit Übersendung der Verträge an d. VN mitversandt wo r-
den. D. VN stünden auch keine Ansprüche auf Schadensersatz wegen
Verletzung vorvertraglicher Beratungspflichten zu.
II. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich des mit ihr we i-
terverfolgten Schadensersatzanspruchs unzulässig.
Sie ist nur statthaft, soweit das Berufungsgericht den Widerspruch
nach § 5a VVG a.F. für unwirksam erachtet hat. Es hat die Revision im
Hinblick auf die Europarechtskonformität des § 5a Abs. 1 VVG a.F. zuge-
lassen. Diese in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils mit der
gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck gebrachte Beschränkung der R e-
visionszulassung auf den aus dem Widerspruch abgeleiteten Bereiche-
rungsanspruch ist wirksam. Der diesem zugrunde liegende Sachverhalt
kann in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem für
die Schadensersatzforderung maßgeblichen Prozessstoff beurteilt we r-
den (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101
Rn. 11).
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III. Die Revision ist, soweit sie zulässig ist, begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü n-
dung nicht versagt werden.
a) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachver-
halt ist davon auszugehen, dass der von d. VN erklärte Widerspruch
- ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten
Jahresfrist - rechtzeitig war und infolgedessen die zwischen den Parteien
geschlossenen Versicherungsverträge nicht wirksam zustande gekom-
men sind.
aa) Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Amtsgericht nicht
festgestellt, ob d. VN mit dem jeweiligen Versicherungsschein die Versi-
cherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation und eine den Anfo r-
derungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. genügende Widerspruchsbe-
lehrung erhielt. Dazu genügt nicht die pauschale Annahme, die - nicht
näher bezeichneten - Unterlagen seien unstreitig bereits mit Übersen-
dung der Verträge an d. VN mitversandt worden.
Wenn d. VN - was für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist -
die Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation und eine
ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nicht erhalten hat, bestand
das Widerspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
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richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (aaO Rn. 17-34)
entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtl i-
nienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im A n-
wendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensver siche-
rung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Ren-
tenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung
grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier
für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist - nicht ordnungsgemäß
über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Ve r-
braucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten
hat.
bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechts-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung der Verträge genossenen Versi-
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cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurüc k-
zuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vo rtrag
zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 28.10.2010 - 222 C 13138/10 -
LG München I, Entscheidung vom 16.06.2011 - 31 S 21632/10 -
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