Urteil des BGH vom 14.01.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung, Versicherungsvertrag

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 4 3 5 / 1 4
Verkündet am:
14. Januar 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
7. Januar 2015
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des 20. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 20. April
2012 wird als unzulässig verworfen, soweit der Anspruch
nicht auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Wide r-
spruch gestützt ist.
Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsu r-
teil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur ne u-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
5.094,86 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversiche-
rung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. November 2001 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG
in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen. Im Juli 2009 erklärte d. VN unter anderem den Wider-
spruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des
Vertrages. Die Beklagte wickelte den Vertrag als gekündigt en ab und
zahlte den Rückkaufswert aus.
Mit der Klage verlangt d. VN insbesondere Rückzahlung aller auf
den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits ge-
zahlten Rückkaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Wi-
derspruch noch erklärt werden können. Außerdem sei der Versicherer
wegen unzureichender Aufklärung über die Abschlusskosten zum Sch a-
densersatz verpflichtet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ver-
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folgt d. VN seinen auf Zahlung gerichteten Hauptantrag weiter (insge-
samt 5.094,86
€).
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist bezüglich eines Schadensersatzanspruchs als un-
zulässig zu verwerfen. Im Übrigen führt sie zur Aufhebung des Ber u-
fungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsg e-
richt.
A. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht
ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei
aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ers-
ten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden. Auch ein Anspruch
auf Schadensersatz bestehe nicht.
B. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich des geltend
gemachten Schadensersatzanspruchs nicht zulässig.
Sie ist nur statthaft, soweit das Berufungsgericht den Widerspruch
nach § 5a Abs. 1 VVG a.F. für unwirksam erachtet hat.
Es hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung beschränkt
auf die Frage zugelassen, ob § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. den Regelun-
gen der Europäischen Union entspricht. Diese Beschränkung der Revisi-
onszulassung ist den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils deut-
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lich zu entnehmen und sie ist wirksam (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014
- IV ZR 76/11, VersR 2014, 817, 818 Rn. 11; für BGHZ vorgesehen). Der
dem Bereicherungsanspruch zugrunde liegende Sachverhalt kann in ta t-
sächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem für einen Sch a-
densersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss maßgebl i-
chen Prozessstoff beurteilt werden. Entgegen der Auffassung der Revisi-
on hat das Berufungsgericht den Schadensersatzanspruch im Übrigen
auch zu Recht nicht zuerkannt. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichts-
hofs hat bereits entschieden, dass die Rechtsprechung zu den Aufklä-
rungspflichten einer anlageberatend tätigen Bank über Innenprovisionen
und von ihr vereinnahmter Rückvergütungen nur in Fällen einer Kapital-
anlageberatung durch die Bank gilt (BGH, Urteile vom 29. November
2011 - XI ZR 220/10, NJW -RR 2012, 416, 420 Rn. 39 und vom 1. Juli
2014 - XI ZR 247/12, WM 2014, 1621, 1623 Rn. 19 ff.).
C. Die Revision ist, soweit sie zulässig ist, begründet.
I. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
1. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
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a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststel-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN - entgegen
der Auffassung der Revisionserwiderung - nicht ordnungsgemäß i.S. von
§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen so l-
chen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Wider-
spruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahre s-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
VersR 2014, 817 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet,
die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
b) Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vol l-
ständiger Leistungserbringung kommt nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil
vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
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2. Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechts-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
II. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den genossenen Versicherungsschutz anrechn en lassen. Der Wert
des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämie n-
kalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem
Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 45 m.w.N.).
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Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 19.10.2011 - 26 O 1/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 20.04.2012 - 20 U 214/11 -
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