Urteil des BGH vom 26.11.2014

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Prämie, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 3 6 7 / 1 4
Verkündet am:
26. November 2014
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
29. Oktober 2014
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
Oberlandesgerichts
München
- 14. Zivilsenat -
vom
20. September 2012 aufgehoben und die Sache zur neu-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 7.782,94
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversich e-
rung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. Juli 2003 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der
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bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) ab-
geschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgeri chts wurde d.
VN nicht in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht
nach § 5a VVG a.F. belehrt. Mit Schreiben vom 20. Januar 2011 erklärte
d. VN "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. den Widerspruch nach
§ 8 VVG, bzw. den Widerruf nach § 355 BGB höchstvorsorglich die An-
fechtung nach § 119 I BGB, hilfsweise die Kündigung". Der Versicherer
akzeptierte die Kündigung und zahlte d. VN den Rückkaufswert aus. Mit
Schreiben vom 9. März 2011 erklärte d. VN nochmals "den Widerspruch
gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG, bzw. den Widerruf nach § 355
BGB".
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag g e-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rüc k-
kaufswerts, insgesamt 7.782,94
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve r-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. VN zwar
nicht in drucktechnisch hervorgehobener Form über das Widerspruchs-
recht belehrt. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam
geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht or d-
nungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wider-
spruchsrecht. Die mit dem Versicherungsschein übermittelte Belehrung
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war - wie das Berufungsgericht fehlerfrei festgestellt hat - nicht druck-
technisch hervorgehoben. Soweit sich der Versicherer auf die Bel ehrung
gemäß Schreiben vom 30. Juni 2003 beruft, hat das Berufungsgericht
den vom Versicherer zu führenden Beweis des - vom VN mit Nichtwissen
bestrittenen - Zugangs dieses Schreibens als nicht erbracht angesehen.
Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Für den Fall, dass die
Widerspruchsfrist mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht in Gang
gesetzt worden war, bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass
das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahre s-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11 VersR
2014, 817 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Re-
gelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert we r-
den, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Rich t-
linie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste
Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur L e-
bensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht for tbesteht, wenn
d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch
belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Vers i-
cherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die hilfsweise erklärte Kündigung des Versicherungsve rtrages
steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai
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2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach
beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in
Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 41-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
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Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Kempten, Entscheidung vom 23.02.2012 - 13 O 2059/11 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 20.09.2012 - 14 U 1511/12 -
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