Urteil des BGH vom 14.10.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 3 5 6 / 1 2
Verkündet am:
14. Oktober 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 16. September 2015 ein-
gereicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des Lan d-
gerichts München I - 6. Zivilkammer - vom 25. Oktober
2012 wird als unzulässig verworfen, soweit der Anspruch
nicht auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Wider-
spruch gestützt ist.
Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsu r-
teil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neu-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
1.494,28
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
- 3 -
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Ren-
tenversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsb e-
ginn zum 1. Dezember 2006 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingu n-
gen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsauf-
sichtsgesetzes (VAG), die eine Belehrung über das Wid erspruchsrecht
nach § 5a VVG a.F. enthielt. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2010 er-
klärte d. VN "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG,
bzw. den Widerruf nach § 355 BGB, höchstvorsorglich die Anfechtung
nach § 119 I BGB, hilfsweise die Kündigung". Der Versicherer akzeptier-
te die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag g e-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rüc k-
kaufswerts, insgesamt 1.494,28
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können. Der Versicherer sei wegen unter-
lassener Aufklärung über Kick-backs zum Schadensersatz verpflichtet.
1
2
3
4
- 4 -
Der Versicherer hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen, soweit der Anspruch
nicht auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Widerspruch gestützt ist.
Im Übrigen führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurück-
verweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Widerspruch habe das Ver-
tragsverhältnis nicht rückwirkend beendet, da d. VN mit dem Versiche-
rungsschein die erforderlichen Unterlagen erhalten und nicht innerhalb
der zweiwöchigen Frist gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VVG
a.F. widersprochen habe. D. VN sei auch zutreffend über das Wider-
spruchsrecht belehrt worden.
II. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich des mit ihr we i-
terverfolgten Schadensersatzanspruchs unzulässig.
Sie ist nur statthaft, soweit das Berufungsgericht den Widerspruch
nach § 5a VVG a.F. für unwirksam erachtet hat. Es hat die Revision zu-
gelassen, da die Frage der Europarechtskonformität von § 5a VVG a.F.
5
6
7
8
9
10
- 5 -
bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden sei. Diese in den Ent-
scheidungsgründen des Berufungsurteils mit der gebotenen Deutlichkeit
zum Ausdruck gebrachte Beschränkung der Revisionszulassung auf den
aus dem Widerspruch abgeleiteten Bereicherungsanspruch ist wirksam.
Der diesem zugrunde liegende Sachverhalt kann in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem für die Schadensersatzford e-
rung maßgeblichen Prozessstoff beurteilt werden (vgl. Senatsurteil vom
7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 11).
II. Die Revision ist - soweit sie zulässig ist - begründet.
1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts belehrte der
Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG
a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Belehrung auf Seite 1 des Versi-
cherungsscheins ist unvollständig, weil sie den Beginn der Wider-
spruchsfrist nur vom Erhalt des Versicherungsscheins abhängig macht.
Sie ist zudem inhaltlich falsch, weil sie darauf abstellt, dass d. VN mit
den Versicherungsbedingungen nicht einverstanden ist. Die Belehrung
auf Seite 7 des Versicherungsscheins ist, wie die Revision zu Recht rügt,
nicht in drucktechnisch deutlicher Form gestaltet. Nur der erste Satz, der
11
12
13
14
- 6 -
auf das Widerspruchsrecht und den Zugang der für den Beginn der W i-
derspruchsfrist maßgeblichen Unterlagen - des Versicherungsscheins,
der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation - hin-
weist, ist in Fettdruck gehalten. Im Übrigen ist die Belehrung nicht durch
Fettdruck oder auf sonstige Weise hervorgehoben, so dass ins besondere
der Hinweis darauf, dass die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs
genügt, übersehen werden kann.
Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Wide r-
spruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass
das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahre s-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
15
16
17
18
- 7 -
bb) Die (hilfsweise) Kündigung des Versicherungsvertrages steht
dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur ei-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Aus der wirksamen Widerspruchserklärung folgende bereich e-
rungsrechtliche Ansprüche waren bei Erhebung der Klage im Februar
2012 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche r e-
gelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen.
Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2010 beginnen, da d. VN erst
in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch
gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch en t-
stand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199
Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte der Versich e-
rungsnehmer Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und
der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl.
Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700
Rn. 19 ff.).
3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
19
20
21
- 8 -
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Vers icherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; vgl. weiter
zur Rückabwicklung Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14,
VersR 2015, 1101 Rn. 35 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 33 ff.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 30.04.2012 - 213 C 32941/11 -
LG München I, Entscheidung vom 25.10.2012 - 6 S 10998/12 -
22